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Donnerstag, 22. November 2012

Gold - XXVIII


Nun bekomme ich ein Riesenproblem, Vater will nach hause. Er meint, ich hätte sicher seinen Sachen im Auto, er will nun aufstehen. Ich versuche ihm zu helfen, das Gitter kriege ich notdürftig herunter. Wenn er erst mal steht, wird er sicher merken, dass er nicht laufen kann, denke ich. Dann kommen mir Bedenken, er ist schließlich angeschlossen und ich habe keine Ahnung, wie man das alles transportabel macht. Ich kann ihm nicht helfen. Also störe ich die Schwesternrunde mit der Alarmmeldung: mein Vater will aufstehen, darf er das? Meine Frau sitzt draußen im Flur, hat verzichtet, das Zimmer zu betreten. Nach kurzer Zeit erscheinen drei Schwestern im Zimmer. Vater hat sich aufgesetzt, die Füße auf dem Boden, sein Nachthemd ist verrutscht, er hat sonst nichts an. Die Schwestern sprechen mich nicht an, sie umringen Vater, links und rechts eine, die andere bereit seine Beine zu greifen. Mir bleibt nichts übrig, als die Szene zu beobachten. Schließlich verlasse ich das Zimmer. Die Tür steht offen. Ein Tumult aus Kommandos und Zurechtweisungen an meinen Vater ergeht. Eine berlinisch gefärbte Stimme schnauzt meinen Vater an: „Ja ja, ich weiß es ist alles scheiße, wir sind auch scheiße!“ „Aber Du musst essen, bevor Du aufstehen kannst!“ „Verstehst Du das?“
Zwischendrin höre ich die Stimme meines Vaters, dessen Widerstand schwächer wird. Als die Schwestern das Zimmer verlassen, sage ich: danke! Ich habe nicht das Gefühl gehört zu werden. Wieder zurück im Zimmer versuche ich Egon, so heißt er, die Situation zu erklären. Dass er sich erholen muss von seiner Erkrankung, dass er essen soll und dass er erst dann das Laufen wieder üben kann. 
Ich habe Vater Bilder mit gebracht und zum ersten Mal blättert er die durch, die DIN-A-4 – Seiten sind allerdings sehr unhandlich. Sie sind hübscher als der andere, meint Egon. Mit dem anderen ist mein Bruder gemeint. Ich lasse ihm die Fotos da. Sein Essen steht immer noch unangetastet auf dem Nachtschrank. Er will nicht essen und schon gar nicht in meiner Gegenwart. Eine jüngere Schwester erscheint zum Blutdruckmessen, alles in Ordnung. Sie betrachtet die Bilder und meint, man müsste sie ausschneiden und sie will eine Schere holen. Wir sehen, dass Egons Fingernägel nicht geschnitten sind. Zum Glück sieht das auch der Krankenpfleger, der von meinem Vater fast euphorisch begrüßt wird. Er will sich darum kümmern. So scheint der Besuch doch noch ein versöhnliches Ende zu nehmen. Uns wird aber klar, dass
es so nicht weiter gehen kann. Mich ärgert es immer noch, das ich die Haftcreme verlegt habe. Zum Abschied gebe ich ihm wieder die Hand.
Egon will das alles immer vorweg nehmen und verabschiedet sich innerlich schon vorher. "Das Du Dich jetzt um mich kümmerst, hätte ich nicht gedacht." Sagt er. Ich frage mich und versuche meine Verwunderung zu ordnen. Wer hätte es sonst tun sollen und warum nicht ich? Schnell treten aber die praktischen Probleme in den Vordergrund. Ale ich Vater sage, daß ich in zwei Wochen wieder komme, wird er still. Ich schaffe es nicht öfter, versuche ich zu erklären. Er meint auch, die seien hier mit ihm fertig. Die Ärzte wären schon da gewesen. Darauf gründete er seine Hoffnung auf Entlassung. Wieder muß ich die obligatorische Erklärung geben. Er soll erneut nach Bad Wildungen kommen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er da klar kommen soll. Schließlich drücke ich seine immer noch feste Hand. Seine körperliche Verfassung gefällt mir weniger gut. Wir sind auf dem Flur und überlegen, ob es in Kassel so etwas wir die "Grünen Damen" gibt. Das sind in Frankfurt Damen, die ehrenamtlich in ein Krankenhaus gehen, um Patienten zu besuchen und für sie Besorgungen zu machen. Wir beschließen beim Pförtner nachzufragen, werden aber abschlägig beschieden. So etwas scheint man sich in Kassel nicht einmal vorstellen zu können. 

Dienstag, 20. November 2012

Gold - XVII

Wir merken, dass Vater allmählich verwahrlost, die Fingernägel sind zu lang, die Haare wachsen. Wir hinterlassen Geld für die Maniküre. Von seinem Zimmer kann man auf den Balkon gehen. Dort stehen Leute, ich gehe mal hinaus, sehe in der Ferne den eingerüsteten Herkules, wie er ohne Kopf da steht. Vater meint, als ich hinaus gehe, dass er nicht senkrecht nach unten sehen kann, da würde ihm schwindlig. Solche Bekenntnisse überraschen mich, die Sonne scheint nun etwas ins Zimmer.
Immer wieder ermuntere ich ihn, zu essen und mit zu arbeiten Aber er spricht von einer klaren Linie.
Die Kontrolle seiner verbliebenen Sachen wird nun obligatorisch. Es ist aus Bad Wildungen nicht alles mitgekommen. Das Problem ist, Vater kennt die von uns zugekauften Sachen gar nicht. Er könnte also das Einpacken nicht selbst kontrollieren.
Wir wundern uns, dass Vater nicht mal im Rollstuhl sitzen will. Überall im Krankenhaus gibt es doch Leute, die mit Urinbeuteln oder Infusionsflaschen im Gestell sogar gehen.
Eine Krankenschwester fragt uns, ob wir Vater Haftcreme für seine Zähne besorgen können.
Ja, die bekommt er dann aber erst in zwei Wochen.
Wir verlassen das Krankenhaus dennoch etwas erleichtert.
Das einzige Kontaktersinnen der Krankenhäuser besteht in der Regel in der Nachfrage nach Genehmigungen für ärztliche Untersuchungen. So kommt denn auch in der Folgewoche per Fax das Formular für die Genehmigung der CT. Ich frage wieder eine Woche später nach dem Ergebnis. Schließlich macht mir der Gedanke an einen Tumor Sorge.
Es ist immer schwierig, die Ärztin zu erreichen. Meist lande ich zunächst bei einer Schwester.
So erfahre ich beiläufig, dass Vater eine Lungenentzündung hatte, die kuriert werden muß und das er zeitweise über eine Magensonde künstlich ernährt wird. Für Frau Dr. H. ist der Fall klar, ein Hirntumor konnte nicht erkannt werden. Er wird nun weiter behandelt und soll dann erneut in eine Reha-Maßnahme gehen. 
Die Haftcreme für die Zähne habe ich gleich vor der Rückfahrt am Bahnhof gekauft. Aber vor dem nächsten Besuch habe ich sie verlegt und somit nicht dabei. Vater liegt noch im gleichen Zimmer, aber nicht mehr am Fenster, sondern links neben der Tür. Am Fenster liegt jetzt ein unangenehmer jüngerer Kauz, der zum Glück bald das Zimmer verläßt. Die Zweibettzimmer sind länglich geschnitten und haben einen Zugang zum Balkon. Das Gitter am Bett ist wie meistens hoch geklappt. Vater begrüßt mich meistens mit einem Stoßseufzer: „Ach, ach’, ach’“, gefolgt von meinem Namen. Auch die Bemerkung: „Endlich ein Mensch!“ kommt schon mal über seine Lippen. Heute trägt er ein Nachthemd. Wie ich sofort sehe, hat er einen Katheder und bekommt Infusionen. Schwestern reden von einer Braunüle, die Vater sich oft heraus reißt, ohne das ich weiß, wovon die Rede ist.
Wir waren zuvor wieder in seiner Wohnung, ich habe mich getraut, den schwarzen Koffer zu öffnen. Siehe da, Vater hatte komplett für einen Krankenhausaufenthalt gepackt. Was verwertbar ist, insbesondere seinen eigenen Waschzeugbeutel, das nehmen wir mit. Die Wäsche ist jedoch in keinem guten Zustand, wir sehen viele Wäschestücke die unterschiedliche Färbungen haben, offensichtlich hatte Vater mit der Hand gewaschen. Eine Waschmaschine steht nicht in der Wohnung. Gelegentlich hatte ich mit der Nachbarin telefoniert und sie informiert, wo mein Vater liegt. Aber im Krankenhaus werden wir die einzigen Besucher bleiben.  

Montag, 19. November 2012

Gold - XXVI

Es war erneut an Rachel, sich über diese Schreiberei zu ärgern. Was er über Israel und seine Zeit dort berichtet hatte, war ihr zu romantisiert. Das entsprach nicht dem Typen, den sie kannte.Wieso schreibt er immer über seine Befindlichkeiten und sieht nicht, was er den Leuten angetan hatte. Diese Gleichgültigkeit, mit der er alles ab tat. So oft hatte sie gedacht, dass kann er nicht machen und dann machte er es doch.  

Paul dagegen lächelte in sich hinein. Klar gab es da einen Bericht, den er aus Tagebuchaufzeichnungen zeitnah zusammen gestellt hatte Aber wen interessierte der schon, andererseits er wusste, wenn er die Wahrheit nicht ans Licht brächte, sie würde nicht ruhen  und die Spekulation sich verselbstständigen.  

Während er seine deutlich sichtbaren Rippen betrachtete, dachte er vielleicht nicht an Fertiggerichte, aber darüber nach, wie er, ohne mühsam in Kneipen herum zu stehen, an eine Frau kommen könnte.
Eine Kontaktaufnahme ohne großes Drumherum-Gerede, ohne das übliche Balzgehabe und die vertane Zeit.
Zeit, die wie im Kreis herum läuft, so wie eine V60 auf den Gleisen. 
Diese kleine Diesellok, die nur rangiert und Güter für andere schleppt. Die nicht wirklich auf große Tour geht und deren Lauf durch Schienen begrenzt ist. Sie sorgt dafür, dass die Waggons an die richtige Stelle kommen und mit der richtigen Lok fahren. Eine Lok ist eben für den Waggon sozusagen der passende Partner.

Passende Berichte dagegen konnte er sich sparen, da hilft nur die Wahrheit.
  

Samstag, 17. November 2012

Gold - XXV


Es fällt mir nicht schwer, die vorzeitige Heimreise zu organisieren, obwohl wir kein Geld zurück bekommen. 
Einen Tag später kaufen wir für Vater eine Tasche, so daß seine Sachen endlich einen Platz finden, nehmen noch eine Waschzeugtasche mit und beschließen nun, einen Tagesbesuch in Kassel zu machen. Als wir das Krankenzimmer betreten wollen, sehe ich, wie Vater von einer Schwester geführt, die Toilette verläßt. Er trägt einen Schlafanzug. Es ist schmal geworden und geht langsam zu seinem Bett, als er sich setzt, sieht er uns. Er bricht in Tränen aus, „weil ich mich so freue!“. Nachdem er sich beruhigt hat, berichtet er voller Entrüstung, aber fast entschuldigend, dass er auch auf mich geschimpft hat. Kein Besuch zu Weihnachten, keiner zu Silvester..
Da hilft es kaum, dass ich ihm von dem Päckchen berichte. Die Weihnachtskarte ist nicht da.
Das kleine Radio kann er gar nicht bedienen, es funktioniert auch nicht. Mir ist es sehr peinlich. Vater liegt nun allein in dem Zweibettzimmer, hat einen Platz am Fenster. Wir waren zuvor noch in seiner Wohnung und haben die große Pflanze im Wohnzimmer gegossen. Die Nachbarin hat keine Post für ihn entgegen genommen, es liegt noch alles im Briefkasten. Unter anderem hat er Post von der Klinik in Bad Wildungen. Sie informieren ihn über ein neues Behandlungskonzept.
Wir fragen nach der behandelnden Ärztin und sie gibt uns wegen dem Tumorverdacht Auskunft. Der Blutungsrest läßt eine klare Diagnose nicht zu. Erst wenn sich dieser zurück bildet, kann man etwas sehen. Daher soll erneut eine CT vom Schädel gemacht werden. Ich werde gebeten, die Genehmigung erforderlichenfalls per Fax zu geben. Einstweilen wird er medikamentös sowohl wegen der Blutung als auch gegen einen Hirntumor behandelt.
Vater will nicht viel wissen, von dem was ich in Erfahrung brachte. Er bemerkt nur, dass ich hätte Arzt werden können, halbwegs an meine Frau gewandt.
Ich sage Vater, dass ich nun sein Betreuer bin. Darauf lacht er und meint, ich solle aufpassen. Der Gedanke an seine Wohnung beschäftigt ihn noch immer. Ich soll ihm seine Lederjacke und eine gute Hose beim nächsten Mal mit bringen. Er müßte nur mal ein paar Tage zu hause vernünftig essen, dann könne er mit dem Fahrrad wieder weg fahren. Ich zeige ihm seinen Schlüssel, nachdem er mich fragt. Er läßt die einzelnen Schlüssel bedächtig durch seine Finger gleiten und ich halte den Atem an. Schließlich gibt er ihn mir doch zurück.

Freitag, 16. November 2012

Gold - XXIV

Er fragte sich, ob er den Flughafen erreichen würde und bekam wirkliche Angst, es nicht zu schaffen. Da er weniger als vier Wochen im Kibbuzz geblieben war, musste er sich seine vorzeitige Abreise in der Verwaltung betätigen lassen, um in Tel-Aviv überhaupt ein Ticket für den Heimflug zu bekommen, der mit El-Al erfolgen musste.Sobald alles geregelt war, verließ er den Kibbuzz, zu Fuß zur Bushaltestelle und dann mit dem Bus weiter nach Afula, der nächsten Stadt. Dort weiter mit dem Bus nach Tel-Aviv, viel Taschengeld hatte er zuletzt nicht gebraucht und so leistete er sich ein Taxi zum Flughafen. Nach Erledigung der Formalitäten verbrachte er die Nacht auf dem Gepäckband, da der Abflug nach Frankfurt erst am nächsten Morgen möglich war. 
So verließ er das Land der Kibbuzzniks und Indianer. Indianer, das waren die einheimischen Araber aus der Sicht der Kibbuzzniks. Mit dem Ein- und Ausreisestempel im Pass war für ihn das Reich der Rohkost nun passé. Die Illusionen über das Kibbuzzleben mussten zurück bleiben, vom normalen israelischen Leben hatte er nichts gesehen, außer Afula, Bet She'an und Tel Aviv nichts besichtigt.
Er fand sich neben zwei amerikanischen Damen auf der Reise nach Europa wieder. Sie hatten die wunderbare Eigenschaft, alles toll zu finden inklusive der Bundesgrenzschützer, die mit Maschinenpistolen den Jumbo der El Al beim Ausrollen in Frankfurt sicherten.
Er war aus der Wildnis zurück in seiner Zweizimmerwohnung, in der die Möbel der Ex-Freundin noch immer standen. Um etliche Kilos leichter und um Erfahrung schwerer, die Reise ganz gut überstanden, es sollte länger dauern, bis er wieder vollständig gesund war. 
Er wusste nun, dass er die früher so geliebten Kneipenabende auf Dauer nicht mehr durchstehen würde. Das Gefühl der eigenen Verletzlichkeit und Empfindlichkeit hinsichtlich der Nahrungsaufnahme machte sich breit.
Die unbestimmte Sehnsucht, Frauen anzugraben, die für ihn völlig unpassend waren, wich einer klaren Absicht sich an eine verlässliche Person zu binden.
Noch allerdings war er Student der Anglistik und klammerte sich an die Philosophie. Noch schwebte der Plan, in England zu studieren in seinem Kopf herum.
Einstweilen beschränkte er sich darauf, nur gut gekochte und industriell produzierte Nahrung zu sich zu nehmen.
  

Dienstag, 13. November 2012

Gold - XXIII

Das Problem mit Bestellungen seitens der Krankenschwestern ist, dass die eine nicht weiß, was die andere bestellt hat. Und das, was bestellt wird, kann ich aufgrund der räumlichen Entfernung erst in zwei Wochen liefern. Aber in Urlaub muss ich nun. Die Hotelwirtschaft ist eisenhart, auch bei einer früheren Abreise gibt es kein Geld zurück. Und die Reiserücktrittkostenversicherung deckt das nicht. Davon abgesehen, rät mir ein jeder, doch in Urlaub zu fahren. 
Nicht gerade eine Entscheidungshilfe sind meine Gespräche mit Dr. Santana, dem behandelnden Art in Bad Wildungen. Zum einen soll ich unterschreiben, dass mein Vater sich erneut einer Schädeltomographie unterziehen muss. Zum anderen informiert er mich noch vor Weihnachten darüber, dass mein Vater aus dem Zimmer genommen wurde, weil er den anderen Patienten zu sehr gestört hat, zum anderen fordert er mich auf, zu sagen, was ich in einer lebensbedrohlichen Situation tun würde. Wegen des Verdachts auf einen Hirntumor habe er wahrscheinlich nicht mehr lange zu leben. Der Schädeldruck sei angestiegen, was ein Indiz sei. Auf Nachfrage erwidert Dr. Santana, wir reden über Monate. Wahrscheinlich würde es Vater sehr oft schlecht gehen und er müsse im Ernstfall künstlich beatmet werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Vater das will.
Ich finde die Diskussion über ihn am Telefon widerlich. Meine Vorstellung, noch einige Zeit mit Vater gewonnen zu haben, zerrinnt mir.
Ich habe einen Umschlag mit dem Namen meines Vaters angelegt und die Kaufbelege für seine Sachen da hinein getan. Dr. Santana ist, wie ich finde, wirklich ein passender Name für einen Arzt in einem nordhessischen Kurort. Der Name beruhigt und macht mich gleichzeitig misstrauisch. Dr. Santana ist an den Feiertagen nicht in Dienst. Ein Oberarzt ruft mich an. Wir sind im Urlaub und haben den Heiligabend Weihnachtslieder brummelnd im Kreise der Hotelgäste überstanden. Mein Handy ist aber immer an. Vater sei nicht mehr zu halten, er dränge sehr auf seine Wohnung. Ich versuche mir vorzustellen, wie der schwache, nörgelige Mann gehalten werden muß. Ich solle zu einem persönlichen Gespräch nach Bad Wildungen kommen. Als ich sage, dass ich in Urlaub bin, erwidert er, dass er das nicht weiß. Wir hatten es in der Klinik und auch Dr. Santana gesagt. Prinzipiell warte ich auf ein persönliches Gespräch mit seinen Ärzten schon lange, ich sichere ihm also zu, am nächsten Tag anzurufen. Der Herr Oberarzt möchte meinen Vater in eine psychiatrische Klinik einweisen lassen, da er so nicht therapierbar ist. Am nächsten Morgen spreche ich mit der Chefärztin, die mir einen weiteren schönen Urlaub wünscht und meint, ich hätte da was falsch verstanden. Mein Vater solle nach Kassel überwiesen werden, weil man dort die Untersuchung bzw. weitere Behandlung in Sachen Hirntumor machen wolle. Am 28.12. solle die Verlegung erfolgen. Ich bin einstweilen froh und wir lassen uns im Speisezimmer unserer Pension noch ein bisschen von einem jecken sturen Rheinländer im Trachtenlook anglotzen. Die Verhaltensweisen der Menschen ändern sich ja nicht, nur weil es einem selbst nicht gut geht. Der Mann ist ungefähr so alt wie mein Vater. Um wie viel weniger unverschämt ist mein Vater, denke ich bei mir. Der hat nie Ansprüche ans Leben gestellt, war eher mit zu wenig zufrieden.

Montag, 12. November 2012

Gold - XXII

Er erzählte zwei englischen Volontärinnen von seiner verflossenen Beziehung und sie kannten seine Ex-Freundin.. Er aber wurde schließlich krank, Durchfall, einer schlimmer als der andere. Die Tabletten aus dem Krankenbereich halfen nicht. Nachts schaffte er es kaum zur Toilette, erledigte seine Geschäfte neben der Holzhütte. Zum Glück standen die Häuser auf Stelzen. Das Land der jüdischen Siedler war oftmals vormals Sumpfgebiet. Die Siedler hatten es trocken gelegt und urbar gemacht. Das Kibbuzz Tel Yosef existierte bereits seit den Zwanziger Jahren, also lange vor der Gründung des Staates Israel.
Er hatte israelischen Rotwein getrunken, das nahm er als Auslöser. Vorausgegangen war eine versuchte Umsiedlung in ein anderes Kibbuzz namens Nir David. Die Anlage war vergleichsweise schön, die Ausrichtung des Kibbuzz sozialistisch geprägt. Die Volontäre schliefen in Steinbaracken, aber die zugewiesene Schlafstätte musste er in Anwesenheit eines französischen Volontärs in Augenschein nehmen, der offensichtlich gleichgeschlechtliche Interessen hatte. Es machte die Sache nicht besser, die Atmosphäre erschien ihm als streng und wesentlich weniger locker, als er das von Tel Yosef gewohnt war.
So empfand er plötzlich Heimweh nach diesem so gar nicht perfekten Kibbuzz. Er sprach erneut bei der Verwaltung des Kibbuzz vor und erklärte, dass er seine Freunde in Tel Yosef vermisse. Etwas mitleidig ließ man ihn ziehen.
In Tel Yosef hatte er in der der Küche gearbeitet, dort die großen Kübel gespült. Er trug bei der Arbeit Knobelbecher und konnte den Blick nicht vergessen, den ihm eine ältere Frau zu warf, als er hinter ihrem Rücken den Raum betrat. Das Geräusch der Stiefel hatte sie erschreckt. Aber er war kein SS- oder SA-Mann, nur ein junger und dazu langhaariger deutscher Volontär mit einer Nickelbrille im Gesicht. Einer, dem man ein "proper englisch" attestierte oder den man mit den Worten "Jetzt kommt das Leben." ein bisschen aufzog. Und Einer, der sich nach dem Genuss von frischen Milchprodukten und besagtem Wein nicht mehr ein kriegte.
Er machte sich Gedanken um seine vorzeitige Abreise. Hier war nichts mehr, was ihn hielt, der Mythos seiner  Ex schien mit der Krankheit zu zerplatzen. Dieses Mal dachte er wirklich an zu hause, an Deutschland.

Mittwoch, 7. November 2012

Gold - XXI

Rachel klappte das Buch zu. Es war ihr in letzter Zeit nicht gut gegangen und sie hätte einen Freund gebraucht. Stattdessen erlebte sie nur, wie er sich "indifferent" fühlte. Das obwohl sie ihm versichert hatte, er könne gar nichts falsch machen, sie würde ihm sowieso verzeihen. Sein Herz, so hatte er sie mal genannt.
Aber sie hatte ihre kleine Existenz mit Mann und Haus und das wollte sie doch nicht verlieren. Das wenigstens könnte er verstehen.
Dieses Schreiben über Züge, die mal Fahren und mal nicht und was die Leute so alles in ihnen machen, was sollte das denn?
Sie träumte und manch mal davon, mit ihm Hand in Hand durch einen geliebten Ort zu gehen. So real, dass sie glaubte, er sei da.
Aber sie schrieb nur, schaute den Mond an und fragte sich, was er wohl gerade machte.
Von all dem bekam ihr Schatz nichts mit.

Donnerstag, 25. Oktober 2012

Gold - XX

Ich schäme mich fast für ihn. Wir haben die Speisekarte gelesen und fanden das Essen ganz gut für ein Krankenhaus. Vater aber lässt das Essen stehen. 
Ich gehe erst mal hinaus, um mich über seinen Zustand zu informieren. Ich soll mich mit einer Dame vom Sozialdienst in Verbindung setzen wegen der Bestellung von Hilfsmitteln. Diese ist aber in der Woche vor Weihnachten in Urlaub. Das Personal ist freundlich und von der Sprache her den neuen Bundesländern zuzuordnen. Die Patienten sollen hier nicht im Bademantel herum laufen, sie sollen sich anziehen bzw. angezogen werden und sie werden gefordert. Vater schafft wohl nur mit Mühe und Not einen Gang über den Flur. Das Esszimmer ist auf der gegenüber liegenden Seite des Flurs. Außer dem Essen verweigert Vater auch die Medikamente teilweise und ist aggressiv dem Personal gegenüber. Ich hinterlasse meine Telefonnummer bei der Schwester und gebe mich als Sohn und zukünftiger Betreuer meines Vaters zu erkennen. Das Amtsgericht hat mich benachrichtigt , dass mein Vater einen Betreuer benötigt und ich habe diese Aufgabe übernommen. Ich kann mich jedoch noch nicht ausweisen. Nun werden wieder Sachen benötigt, die Wäsche reicht nicht. Ob wir die Schmutzwäsche mit nehmen? Mit Mühe und Not erreichen wir, dass sie in der Klinik gewaschen wird. Sein Hab und Gut befindet sich in einem Müllsack und wir packen es aus. Am Schwierigsten ist es, dass bereits ausgepackte Waschzeug zu finden und die Gegenstände ihm zuzuordnen. Das Auspacken persönlicher Gegenstände durch fremde Personen folgt keiner Logik. Manches wird nie ausgepackt. Vater fragt wieder nach seinem Geld und ich kann ihn beruhigen. Als ich etwas von Frank erzähle, fängt er an nachzudenken. Der zahnlose Kiefer bewegt sich, aber er hat Mühe, etwas mit dem Gesagten anzufangen. Die Leute sind unmöglich hier, so lautet das Urteil des Vaters. Versuche ihn zu motivieren, auf jeden Fall mit zu arbeiten. Aber es ist schwer. Fast verliere ich selbst den Mut. An seinem Bett steht ein Telefon. Sie können Ihren Vater direkt anrufen, so sagt es die Schwester. Ich weise ihn daraufhin und er scheint erleichtert über diese Kontaktmöglichkeit. Wir werden ein Päckchen packen müssen über die Feiertage, denn wir wollen in Urlaub. Seit etlichen Jahren hatten wir erstmals zwischen Weihnachten und Neujahr frei und schon lange vorgebucht. 
Das Leben eines Berufstätigen besteht eben aus Arbeit und Urlaub. Ich war in Urlaub, als meine Mutter zu Weihnachten starb. Als mein Patenonkel seinen letzten Geburtstag feierte, zu dem er uns eingeladen hatte, war ich auch in Urlaub. Nun werde ich wahrscheinlich in Urlaub sein, wenn mein Vater stirbt, so orakelte ich es mir selbst zusammen. Daran dachte ich nun, die Situation, mich nicht allein mit Vater unterhalten zu können, sondern auch gleich noch mit einem anderen Patienten, das irritierte mich doch. Ich schloss die Tür, ohne lange zurück zu schauen. Im Auto kommt mir der Gedanke, wie viel härter doch meine Mutter gewesen war. Sie muss gewusst haben, dass sie schwer krank ist und hat es mit einem Lachen weg gewischt. Erst hast Du Angst, dann machst Du es doch, sagte sie mir einmal, Du bist genau wie ich. 

Mittwoch, 24. Oktober 2012

Gold - XIX

Er konnte es innerlich kaum begreifen,, der Sinn all seiner Aktivitäten begann zu schwinden. Es war das erste Mal, das er nicht nur enttäuscht, sondern auch getroffen war. Weil er sich auf sie eingelassen hatte. Es wirkte solange nach, dass er sogar ihre Spuren verfolgte und in eben jenen Kibbuz nach Israel ging, in dem sie ihren englischen Bill als Volontär kennen und lieben gelernt hatte.
Er war allein, noch mehr als nach dem Auszug von zuhause, noch mehr als nach dem Umzug nach Frankfurt am Main.
Die Arbeit der Volontäre im Kibbuz war nicht zu schwer, aber die Nachmittage gleich und langweilig. Ausflüge lohnten sich meist kaum.
Eines Nachmittags lief er mit einer Schweizerin zu einem Nachbarkibbuz. Der sollte eine sehr schöne Gartenanlage haben. Bald konnte oder wollte sie nicht mehr laufen. Er spürte ihr Interesse nicht. Auch nicht, als sie abends in seine Holzhütte kam (die Volontäre waren in auf Pfählen gebauten Holzhütten untergebracht, denn das Gelände des Kibbuz war ursprünglich ein Sumpf) und um Feuer für ihre Zigarette bat. Er lag bereits in der Koje und knurrte nur "Ja, das habe ich." Sie zog ab, der Hinweis auf das vorhandene Feuer war einfach zu dezent.
Aber er sollte noch eine weitere Bekanntschaften machen, so mit einer Jüdin aus Los Angeles, deren Status unter den Volontären schon privilegiert war.
So wurde er zu einer Karnevalsveranstaltung der Kibbuzniks eingeladen, auf der Volontäre normalerweise nichts zu suchen hatten. Sie war ihm bei der Beschaffung eines Kostüms behilflich. Sie tanzten miteinander, aber es wurde nichts aus ihnen. Noch immer lebte er in einer ungeklärten Situation und war auf der Suche nach dem verlorenen Glück.

Dienstag, 23. Oktober 2012

Gold - XVIII

Ich verspreche ihm, meine Telefonnummer zu hinterlassen, das habe ich längst getan, und ihn bald wieder zu besuchen. Die beleidigte Krankenschwester hat ihm den Blutdruck gemessen, ihre Lippen waren deutlich geschminkt. Draußen erfrage ich nun noch die Adresse der Reha-Klinik in Bad Wildungen. Mit denen arbeiten wir immer zusammen, sagt mir der Pfleger. Das ist der einzige ansprechbare Mensch, alle anderen wissen entweder nichts oder ignorieren uns gewissenhaft.
Eine Woche später fahren wir durch die Wälder bei Bad Wildungen. Ich bin froh, nicht schon wieder nach Kassel zu müssen. Aber unter dem Strich, vergeht genauso viel Zeit, bis wir angekommen sind. Ja, Ihr Vater ist heute angekommen, sagt mir der Empfang der Wicker-Klinik. Telefonisch erfrage ich die Zimmernummer. Nun weiß ich, wo er liegt und bin da. Als ich die Zimmertür öffne, erschlägt mich der Mief des Zimmers. Vater geht es erkennbar nicht besser, das Sprechen klappt relativ gut, aber seine Verfassung ist schlecht. Er schimpft auf das Essen. Der zweite Mann im Zimmer hat einen Fernseher laufen und ist froh, als ich frage, ob ich das Fenster öffnen soll. Er sagt, hier sei alles in Ordnung, die geben sich viel Mühe hier. 
Beim Rasieren hat ihn ein Schlaganfall getroffen und nun liegt er hier in Erwartung des Besuchs seiner Frau. Er ist 75, ich sage nur, mein Vater sei 77 und ernte dessen Zustimmung. Ansonsten winkt mein Vater bei jeder Bemerkung des anderen ab. Es wäre besser, wenn alles vorbei wäre, meint er.

Freitag, 19. Oktober 2012

Gold - XVII

Immer wieder versucht er seine Gedanken zu ordnen. Das Geld auf dem Konto, ist es noch da? Wie viel ? Ich sage es ihm, denn ich habe seine EC-Karte gefunden, die Geheimzahl hatte er mir vor Jahren einmal gesagt. Und die Wohnung? Ist alles noch da. Schnell entsteht noch die Frage nach den Schlüsseln. Auch den zeige ich ihm und sage ihm, dass ich ihn an mich nehmen werde. Er ist einverstanden. Ich will nun noch klären, wem ich über seine Krankheit informieren soll. Als ich den Namen meines Bruders erwähne, fängt er an zu weinen. Ich tröste ihn mit einem Händedruck. 
Ist alles noch da und griffbereit? Die Brille, das Portemonnaie, vielleicht braucht er Geld, um sich das Leben leichter zu machen. Manche Leute tun hier gute Dienste, meint er. Ich habe noch ein bißchen Geld abgehoben und in seine Börse getan. Er ist wieder schwach und vor uns liegt der Nachhauseweg über die Autobahn, bald wird es wieder dunkler werden. Mein Vater mag meine Frau nicht, nun aber streckt er seine Hand aus, wenn sie kommt, wenn sie geht.

Donnerstag, 18. Oktober 2012

Gold - XVI

Eine Art des Selbstgesprächs scheint auch die Kommunikation mit den Frauen zu sein.
Mit einer Freundin geriet er auseinander, weil er behauptete, das Verhalten der Menschen im Deutschland der Hitlerzeit verstehen zu können. Die Freundin hatte an einem VHS-Kurs teilgenommen, in dem die Nazizeit durch zeitgenössische Schilderungen illustriert wurde. Aufgrund ihrer englischen und norwegischen Herkunft hatte sie einen besonderen Bezug zu diesem Kapitel der Geschichte. Anfang der Achtziger Jahre waren noch nicht alle Wunden verheilt, von denen anzunehmen war, die eigenen Eltern hätten sie erlitten. 
Im Englischen bedeutet "Verstehen" soviel wie "Akzeptieren", was er nicht gemeint hatte. Dennoch wurde er nun im Verlauf der Diskussion zu einem Verteidiger Deutschlands.
Ausgerechnet ihm, der sich dem Frankfurter Spontitum verbunden fühlte und der nun auf anarchistischen Pfaden wandelte, ihm passierte das. Doch Ungerechtigkeiten, die er als solche wahr nahm, mochte er nicht.
Leidenschaft ist selten gerecht und Frauen sind es auch nicht.
So schnell wie sie bei Dir einziehen, ziehen sie auch wieder aus. Ein irischer Junge bekam nun ihr Doppelbett, dass sie mit sich herum schleppte.
Sie reiste in die Welt, um ihrer unvergessenen Jugendliebe in England den Besuch zu machen. 
Um später zurückzukehren und festzustellen, dass es gut war, dass er sich nicht geändert hatte.
Doch davor lag ein getrenntes gemeinsames Weihnachten bei der Familie ihres Vaters in Bergen.
Eine Fahrt mit dem Zug durch das verschneite Norwegen von Oslo nach Bergen. 
Vor dieser Reise hatte sie mir erklärt, es sei aus. Ihre Verwandten und Bekannten kamen zu Besuch, besichtigten mich und dachten wohl, ich sei ein netter Kerl. Ein gewisses Bedauern spürte ich, von Deutschfeindlichkeit keine Spur. Bergen ist ja eine Stadt der Hanse mit deutschen Spuren.
Ihr Vater, der den Krieg erlebt hatte, zeigte keine Bitterkeit.
Diese Frau also schob mich ins Abseits. Dabei hatte ich bereits die Zukunft mit ihr geplant, ich war nicht für halbe Sachen.   

Montag, 15. Oktober 2012

Gold - XV

Ihm gegenüber sitzt ein Typ, der ihn wahrscheinlich kennt und trotzdem nicht grüßt, während er sich nicht sicher ist und ihn daher auch nicht grüßt. Das Grüßen ist Glücksache in Deutschland und hat durchaus mit Wertschätzung und nicht nur Höflichkeit zu tun. Da gibt es keine Normalität oder Sicherheit. Sicher ist nur, nichts funktioniert, doch der Zug fährt trotzdem. 
Normalität im Umgang mit dem anderen Geschlecht ist für ihn ebenso wenig gegeben. 
Viele Dinge machen viele Frauen gleich, analysiert er vor sich hin. Das laute Rufen etwa, das keinen Widerspruch kennt. Eingefahrene Verhaltensmuster, die sich in jeder Beziehung immer wieder einstellen und die nicht hinterfragt werden. 
Wie frei kann ein Mann sein?  
Hat er sich gerade von der Mutter gelöst, so beginnt schon die Suche nach den Herzdamen, deren Äußerungen sich im Wiederholungsfall manchmal bis auf das Wort gleichen. 
Er war sicher, es nicht zu mögen, dass jemand in ihn hinein kriechen wolle. 
Der Vibrationsalarm seines Handys schreckt ihn auf. Er spürt ihn eher als die Musik, schafft es jedoch nicht, das Handy aus der Tasche zu ziehen, bevor die Mitreisenden den Klingelton ausgiebig hören. 
Obwohl er seinen Klingelton mochte, fand er diesen Einblick in seine Vorliebe peinlich.
Zu allem Überfluss scheint sein Unterbauch die Vibration seines Handys imitieren zu wollen. Er spürt gelegentlich ein leichtes Ziehen, weiß, dass es sein Handy nicht sein kann und ist irritiert.
So wie, wenn er jemandem begegnet, der mit sich selbst zu reden scheint, dabei aber nur die Freisprecheinrichtung seines Handys benutzt. 

Dienstag, 9. Oktober 2012

Gold - XIV

Er war weit weg gefahren mit dem Zug und die Rückkehr mit einer Frau stand sicher nicht auf ihrem Spielplan. Keine würde das Prädikat "gut" erhalten, höchstens. dass die war ganz nett. Oder aber: "Das wird schwer." Das er weit gefahren war, hatte auch mit dem Vater zu tun, der verkündete, dass er keinesfalls bereit wäre für seinen Sohn (der eigentlich der "ihre" war), eine größere Wohnung zu nehmen. Mit der Hilfe eines anderen Mannes konnte er aber bereits mit Beginn seiner Berufstätigkeit zu hause ausziehen.
Ausgleichende Gerechtigkeit, so nannten das Schulfreunde.
Es war eine andere Unterstützung, als die, die er kannte. "Warte bis Dein Vater nach hause kommt!"
Diese Aussage war nicht hilfreich und er wartete nun nicht mehr. 
Mit dem Nachhause kommen per Bahn ist das so eine Sache. Wir haben Verspätung, ertönt es aus dem Lautsprecher. Wir bitten dafür um Entschuldigung. Das ist die einzige Erklärung für das Märchen, welches man den Fahrgästen vorher erzählt hatte. Die Geschichte eines liegengebliebenen Zuges, der anschließend weg geschleppt wird. Die Geschichte von Zugüberholungen und verspäteten Gegenzügen. 
Die Geschichte führt dazu, dass ich mich auf halber Strecke abholen lasse, weil ich den Durchsagen vertraue.
Kein Schaffner erzählt diese Geschichten, es lässt sich gar keiner blicken.
Stattdessen kontrolliert mich nun eine Schaffnerin, zwingt mich, das Buch zu zuklappen, obwohl sich der Zug bereits der nächsten Station nähert und sie daher nur flüchtig auf die hin gehaltene Fahrkarte sehen kann.

Montag, 8. Oktober 2012

Gold XIII

Die Sucht nach Freiheit ist es, die ihn von Beziehungen abhält, Beziehungen zu Frauen. Sein anderes Ich, diese Rachel, diese Männer nicht liebende und Frauen erst recht nicht, half ihm dabei.
Er fühlte sich in einer Art innerer Harmonie, die er nur spürte, wenn er allein, aber nicht einsam war.
Aber Einsamkeit war dennoch eine Bedrohung.
Dabei sehnte er sich dennoch nach einer gewissen Harmonie im Leben, einer Harmonie, die er nur erlebte, wenn er mit seiner Mutter sprach. Die ihn morgens vor der Schule zum Einkaufen schickte, für eine Zeitung, Fleischsalat und Zigaretten. Der es egal war, ob ihn ein Auto anfährt oder nur seines Scheinwerfer in seine Kniekehle steckt. Die solange rief, bis er zum Einkaufen ging, der seine Hausaufgaben egal waren. Die mit ihrem Lachen eine Macht war, die Verständnis ohne Bedeutung zeigte. Die dem Zehnjährigen die Nase ausbohrte, ihn aber nicht in den Arm nahm. Die später Blumen zum Besuch verlangte und der er als kleiner Junge die Haare kämmen durfte. Ihre Frage: "Bringst Du mir was Schönes mit?" bleibt für immer stehen.
Die Frau, die immer ihren Kopf aus der Wohnungstür streckte, wenn er kam. 
Sie wendete sich bei meinem letzten Besuch enttäuscht ab. Sie hatte das Blatt nicht wenden können.
Sie war auf der Suche nach Liebe und hatte sie nicht gefunden. "Ich liebe Dich" steht auf der Rückseite eines Fotos von ihr, dass sie meinem Vater geschenkt hatte.  

Freitag, 5. Oktober 2012

Gold - XII

Ist es der, der jahrzehntelang an ein- und derselben Ehe festhält und dabei gegen alle Anfeindungen und Ignoranz auf dem Posten bleibt? Dessen Bemühungen um Distanz der Vater lakonisch kommentierte: "Das schaffst Du auch nicht." Der Unberührbare, der mit dem man nicht spricht, über den man aber zuweilen spricht oder auch das nicht? Der, mit dessen Frau man so gar nicht klar kommen will? Der, dessen Kinder ihn nicht mehr sehen wollen? Der, der keine Freunde oder Bekannte haben darf? Genau der? Oder der, mit dem die Frauen reden, aber nicht ins Bett gehen, mit dem sie Mitleid haben oder der ihnen so jung vorkommt? Das ist alles falsch, dachte er sich. 
Ich bin der Junge, der die Eisenbahn beobachtet und der, älter geworden, in Zügen sitzt. Der so bleiben will, wie er ist, ein unbeschriebenes Blatt eben mit doch so vielen Eindrücken. Der rein bleiben will und das Leben durch sich hindurch schwimmen lässt auf der Suche nach Erkenntnis, dem Zusammenhang. 
Du willst Zusammenhänge erkennen, sagte man ihm. Du musst viel schießen, er verstand es nicht.
In seinen Zeitungen liest man, man will Bescheid wissen über seine Aktivitäten. Wo er steht, stehen bald auch andere. Man beobachtet ihn.
"Das haben Sie nun davon!" Durch einen Blutdruckabfall war ihm nach der Blutspende schlecht geworden.
Nun liege ich mit den Beinen nach oben und muss warten, bis "Ihre Majestät", die Ärztin, geruht, mir noch einmal den Blutdruck zu messen. Erst danach darf ich gehen. Und die Schwester hat nur einen Kommentar für mich über. Ich hätte rufen sollen, wenn etwas wäre. Das habe ich getan, so gut es ging, doch gesehen hat es nur die Ärztin.
Sich in der Willkür anderer zu befinden, das ist nicht seine Sache. Und doch gibt er anderen immer wieder die Möglichkeit, über ihn zu entscheiden. Ohne sozial sein zu wollen, verschenkt er sich ohne Gegenwert.  

Donnerstag, 4. Oktober 2012

Gold - XI

Die Aufgaben, über die er berichten wollte, sind allesamt sehr schwierig. Vor allem die Liebe empfand er als eine Dauerbaustelle, die unter seiner fortwährenden Abwesenheit Schaden zu nehmen drohte. Mit dem Alter wurde er nicht konzentrierter und da war es ganz nützlich, wenn ihn die Ehe dann wieder ins Boot zieht, wenn er vergessen hatte, dass das kalte Wasser eigentlich zu kalt ist und er lieber rudern sollte, um über den See zu kommen.
Er fühlte sich aber nicht immer wohl dabei, lieber dachte er an Paul & Rachel, die sich wie zwei reale Menschen bildeten. Diese beiden Identitäten, die sich in ihm breit machten und denen er diese Namen gegeben hatte. Wer aber ist diese Rachel? Sieht sie aus wie eine dieser Plastikschönheiten, die jetzt am See unten im Dorf stehen? In ihren Bikinis und den selbstverständlich schmalen Taillen, fabriziert auf Mauritius und in Deutschland handbemalt.
Rachel ist für immer jung, begehrenswert gut gelaunt und spricht vor allem nicht. erzählt nichts über andere Frauen im Büro, weiß nichts über die Schwierigkeiten, sich gegen die eigenen Kinder durchsetzen zu müssen.
Ein Bild der Jugend, leider ist weder ein Bauchnabelpiercing noch ein Tattoo über dem Steiß heraus gearbeitet. Eine Bekannte sagte ihm, sie würde in ihm immer nur Rachel sehen, nicht den Paul.
Wer ist dieser Paul?

Donnerstag, 27. September 2012

Gold X

Aber die Burg da vorn, sie ist nicht echt, so wenig wie die schon als Ruinen gebauten Ritterburgen der Landgrafen und Könige vergangener Jahrhunderte. Etwas Ritterlichkeit in den Alltag zu retten, das habe ich mir vorgestellt. Streit nach gewissen Regeln, Kampf unter Gleichen und nicht unter Ungleichen. Sich nach einer Auseinandersetzung noch in die Augen sehen und die Hand reichen können. Das war auch der Grundsatz meines Vaters. Dem ich nicht immer folgen konnte, so aufgeregt war ich über seine Maßregelungen. 
Seine Hand, die reichte er mir immer und sie war so kalt an jenem Abend.
Das Vertrauen in andere Menschen war bei ihm nicht vorhanden und da herrschte zwischen uns stillschweigende Einigkeit.
Da ist es schon leichter, dem Funktionieren von Dingen zu vertrauen. Züge fahren auf dem Gleis, sie fahren nicht einfach woanders hin. Gleise sind wie Pläne. Pläne, von denen er so viele hatte. 
Wolfgang träumt oft und nimmt nicht am Unterricht teil. So hieß es in der Schule. Er solle andere an seinem Wissen teilhaben lassen, das war später. Er unterliegt diesen Plänen, verliert bei beim Versuch, diese zu erreichen, manches Mal den Überblick. Meist gilt es für ihn, fremde Anforderungen zu erfüllen. Diese Art der Jagd nach Liebe ist sein Lieblingsplaisir. Viele erfüllte Wünsche ziehen aber neue unerfüllte nach sich. So ruht er in einer Art Unruhe, die ein Vorwärts nicht einschließt. Dinge nehmen ihn nach wie vor gefangen. 
Vor dem Bahnhof brennt jetzt ein Licht. An dem See könnte er sitzen, mit einer Frau tanzen und sie danach küssen, um Hand in Hand mit ihr durch Orte zu gehen, die er gern wieder sehen möchte. 
Später, er weiß, dass er das kann.
Er hat bereits Pläne geheiratet, Pläne und eine Unruhe, die sich nach außen bricht, ihn in seinen Bann zieht.
Die nichts weiß von seinem goldenen Buch, das gerade wieder durch einen achtlos vorbei schrammenden Rucksack beschädigt zu werden droht. Der Rucksackträger sagt sogar: Entschuldigung. 

Mittwoch, 26. September 2012

Gold IX

Wenn Einem die Dinge nicht wichtig sind, wozu lebt man dann? Da Menschen sich stets nach den gleichen Mustern verhalten und auch in ihrer Fähigkeit, anderen ihre Zuneigung zu zeigen, nicht sehr beständig sind, bleibt die Leidenschaft schnell auf der Strecke. Die Leidenschaft zum Beispiel, sich für Dinge zu interessieren, Umstände zu verändern, Herr seines Lebens zu sein.
Zu hause bei meinen Eltern hatte ich viel Zeit, zu studieren, wie sich das Interesse an Menschen verliert. Resignation und Flucht, das Bewusstsein änderte sich. Der andere ist schuld, nie man selbst. Das Warten auf den Schluck oder das Ausweichen. Ich bin geflohen. 
Ich komme dieser Ritterburg einfach nicht näher. Stelle mir vor, wie die Ritter ihrem König die Treue schwören. Wie sie ihn begleiten, um für ihn zu kämpfen. Mit gezogenen Schwertern aus dem Wald reiten, um zu einer letzten Schlacht für das Gute anzutreten, ohne an das eigene Leben zu denken. Das hatten wir doch schon einmal? Und ich wäre Einer von ihnen gewesen.Aber als Ritter gehörte man eigentlich zu einem höheren Stand. Wie hätte ich diesen erreichen sollen, wenn nicht von Geburt an dazu gehörend?
Eine schöne Vorstellung ist das sicher, einen Knappen an seiner Seite zu haben.
Am nächsten Tag ist Vater erleichtert, dass das Portemonnaie da ist, ich zeige ihm auch seinen Wohnungsschlüssel. Mühsam öffnet er es, sieht ein paar Glieder eine Kette und sagt, die Rosi mochte so etwas. Wir legen es in seinen Nachttisch und deponieren die Wäsche im Schrank. Er ist allein in einem Zweibettzimmer und dämmert vor sich hin.
Ich halte seine Hand, er beschwert sich über das Essen. Zu hause wäre das viel besser und er will auch wieder in die Wohnung. Ich sage ihm, was ich erfahren habe. Er soll sehr schnell zu einer Reha nach Bad Wildungen geschickt werden. Ist das weit weg, fragt er. Nein, erwidere ich und er ist erleichtert. Er spricht besser als am Tag zuvor, aber da er auch an diesem Tag seine Zähne nicht im Mund hat, ist er schwer zu verstehen. Mir wird klar, dass ich seine letzte Hoffnung bin. Er betrachtet mich als Helfer, um diesen Zustand in jeder Hinsicht zu verlassen. Vater und Sohn in einer Schicksalsgemeinschaft verbunden, sind zusammen gekommen nach langer Trennung. Und doch ist die Rollenverteilung klar Als ich ihm erzähle, was ich von der Nachbarin weiß, lacht er über seine Ausrede mit dem Sofakissen. Ja, so sind seine Argumente, er sagt nicht, wenn er etwas nicht will, er schiebt etwas anderes vor. Hat die Suppe auf dem Herd oder sonst etwas zu tun. Nur das Schicksal interessiert so etwas nicht. Aus dem Lautsprecher berieselt uns leise die Musik. Ich glaube nicht, dass er sie wahr nimmt.