Donnerstag, 30. Juni 2011

1992 - II

Österreich hatte uns bereits auf der Anreise gegrüßt. Wegen Lawinengefahr war die Zufahrt durch das Lechtal an einer Stelle gesperrt. Die Umleitung war nicht genau ausgeschildert, sodass wir unser Auto durch Schlammberge und vereist schneematschige Stellen eines kleinen Wegs fuhren, wo es einmal aufsetzte. Als wir dann in der Ortschaft wieder auf die Hauptstraße fahren wollten, versperrte uns ein Einheimischer den Weg. Er musste erst aussteigen und uns sagen, dass das alles nicht passiert wäre, wenn wir auf der Hauptstraße geblieben wären.

Mittwoch, 29. Juni 2011

1992 - I

Am Rasthof Bühleck hinter Kassel meinte einer: "Da kenne ich mich doch usse, Holzminden, der schärfste Strip..“ nachdem vorher ein Mädchen nach dem Weg dorthin gefragt hatte. Ob sie nach Warburg oder Marburg müsse. Das war dann das Ende meiner heimatlichen Gefühle.

Dienstag, 28. Juni 2011

1991 - VI

Der Fußballtorwart Wittkowski liegt 62jährig im Sterben. Einige Fußballer erklären auf Anhieb, dass sie ihn besuchen. Auf dem Totenbett bekommt er letzte Fragen gestellt. Und er antwortet mit rasselndem Atem, aber ruhig. Ja, in seinem Leben wäre nicht viel passiert, aber die Franzosen würden auch nicht jeden Tag die Marseillaise spielen. Nun habe er sich eben hingelegt und wolle ein wenig ausruhen. Dann fiel er zurück ins Kissen. –

Montag, 27. Juni 2011

1991 - V

In der UdSSR hat es einen Putsch gegeben, der nun heute endgültig zugunsten Gorbatschows entschieden wurde. Jelzin dürfte der neue starke Mann sein. Die Republiken werden jetzt noch selbstständiger. Schade, dass auch dieses Mal wieder Menschen sterben mussten, auch wenn es nicht mehr als fünf waren. –

Sonntag, 26. Juni 2011

1991 - IV

Nach dem Peter-Prinzip bin ich drauf und dran, die Stufe meiner Unfähigkeit durch freiwillige Selbstbeschränkung zu vermeiden. –

Samstag, 25. Juni 2011

1991 - III

Das Leben ist wie eine Geschichte. Man kann sie wegwerfen, aber trotzdem wurde sie geschrieben.

Freitag, 24. Juni 2011

1991 - II

Der Mensch scheint zu seiner Selbstzerstörung geboren. Der Algenschaum interessiert so wenig wie die Tatsache, das die ständige Zigarettenrauchinhalation jeden Aufenthalt an der Nordsee ungesund macht. Vom Meer aus sieht das Land so klein aus. Wir haben uns von unserer Lebensgrundlage entfernt und vergessen, dass deren Intaktheit unsere Existenz noch heute sichert. Das Meer ist der Atem und der ist angesichts der Größe des uns bekannten Universums vergleichsweise gering und kostbar. –

Donnerstag, 23. Juni 2011

1991 - I

Heute wurden Bilder gefangener alliierter Soldaten im Fernsehen gezeigt. Sie sind offensichtlich zu Aussagen gezwungen worden. Es ist schlimm, das zu sehen. Hier wird jeden Tag demonstriert gegen die USA, dort wird handfest gegen Menschenrechte verstoßen. Wenn Nostradamus den dritten Weltkrieg voraussagte, dann sollte er vom Nahen Osten ausgehen. Es sieht so aus, als behielte er recht. In den arabischen Ländern demonstriert man für Krieg. –

Mittwoch, 22. Juni 2011

1990 - VI

Mein Vater hätte mir ein Fotoheft zusammengestellt, das Bilder aller Menschen enthielt, die mir etwas bedeuten. Es waren schwarzweiße Bilder, so wie Fußballsammelbilder. Irgendwie sollte ich Leuten vorgestellt werden, die alle sehr krank waren. Ein Mädchen, das ich gern mochte, war auch dabei. Aber leider war auch sie zu krank oder irgendwas hinderte uns, vielleicht meine eigene Trägheit, zusammen zu kommen. Vielleicht störte auch die Bestimmung. So bin ich eigentlich in Gedanken immer bei Menschen, die ich so gut wie nicht mehr sehe oder sie sind bei mir. 

Dienstag, 21. Juni 2011

1990 - V

Im Keller liegen zwei weiße Skelette. Ob die wohl jemand als Modelle gekauft hat oder ob sie echt sind? Ich sehe Ullrich, der an der Wand lehnt, auf der Erde sitzend. Er will sterben, ich sehe förmlich, wie er mit weit aufgerissenen Augen ringt. Ich beschwöre ihn, am Leben zu bleiben. Merke, wie ich mich innerlich anspanne, um Kraft auf ihn zu übertragen. Es gelingt und ich bin erschöpft.
Neulich sah ich ein Video mit Musik von Simon & Garfunkel. I am a rock. Der einzelne Mann bleibt vor einem Haus stehen und die Musik schließt mit den Worten: and a rock feels no pain and an island never cries. –
Zuvor folgte ich einer fixen Idee und fuhr zum Hauptfriedhof, um das Grab von Rudolph Ullrich zu besuchen. Ich fragte eine ältere Dame, wo die Urnengräber wären (aus den Siebziger Jahren) und sie zeigte mir das bereitwillig. Meinte, ja verbrennen wäre auch besser. Man müsse sich, wenn man alt sei, darüber Gedanken machen. Derartig eingestimmt suchte ich die Reihengräber ab, ohne auf den Namen Ullrich zu stoßen. Verschiedene Plätze waren leer. Mir kam der Gedanke, dass er sich unter Umständen bei seiner Schwester hat bestatten lassen. Das bleibt also von einem Menschen. Wenn die Gräber nicht gepflegt werden, wächst alles zu und je nach Material der Platte ist die Schrift kaum noch zu lesen. –

Montag, 20. Juni 2011

1990 - IV

Es ist Nacht, die Verfolger sind unterwegs. Sie morden und schießen in Schaufensterscheiben der Geschäfte. Ich bin auf der Suche nach einer sicheren Zuflucht. Ich sehe gleichförmige Häuserfassaden mit Licht hinter den Fenstern. Gleichzeitig fühle ich, dass ein Schutzschirm mich umgibt. Ich weiß, sie können mich überall kriegen, sie sind heimtückisch. Mein Vater oder eine Stimme sagt müde: setz‘ Dich und iss etwas. Herr Fischlein aus Kassel schreibt nicht. Heute wurde dem Messeturm die Pyramide aufgesetzt. –

Sonntag, 19. Juni 2011

1990 - III

Ein schmales Frauengesicht sieht mich an. Ich habe Angst vor der zudringlichen Art und der schlangenhaften Umklammerung. Versuche mich zu entwinden, wende Gewalt an. Immer wieder Gegenangriffe. Ein langer Kampf. Dann das Gefühl, sie verlassen zu können. Ich schicke einen Löwen in den Kampf, um sie an meiner Verfolgung zu hindern. Ich verlasse sie auf einem umzäunten Grundstück und beobachte, dass sie, den Löwen an die Leine nehmend, sich zurück zieht. Na ja, Raubtiere sind unberechenbar. Ob ich sie wiedersehe, denke ich und fahre. –

Samstag, 18. Juni 2011

1990 - II

Wir sind irgendwo bei Zwickau. Wir fragen nach dem Weg, wollen weiter. Die Luft ist schweflig gelb. Erde wird verbrannt, dann in eine Kiste getan. Dazu kommen Flaschen mit Roséwein. Das alles soll vergären zu etwas ganz Leckerem. Mir kommt die Erde so fruchtbar vor, fast essbar wie das Leben. Ich sehe die feuchten Krumen. Vermischt mit irgendwelchem Abfall. Neues soll daraus entstehen. –

Freitag, 17. Juni 2011

1990 - I

Eben noch mit dem Ruder in klares Kanalwasser eintauschend, das silbrige Band vor mir sehend, blicke ich zum Himmel. Alles schaut nach oben. Ein Getöse wie bei einem Jet, breite Kondensstreifen kreisen, ohne das ein Objekt zu sehen wäre. Fällt etwas auf die Erde? Die Wolken ziehen rückwärts, wo eben noch blauer Himmel war, das Ende? Bloß nicht nach oben schauen, die Menschen irren über die Düsseldorfer Straße. Ich halte einen runden Streuselkuchen in der Hand, ein Mädchen fragt, ob das eine Pizza ist. Im Zoogeschäft sehe ich ein Aquarium. Fische schwimmen an der Oberfläche, ihr Körper halb aus dem Wasser. Ich lege ein Glas oben auf das Becken, habe Angst, dass sie herausspringen. Zwei Schwertträger nahmen Stellung ein, um sich zu bekämpfen. Ein größerer will ein kleines Männchen vertreiben, stellt die Flossen hoch und biegt sich. Das kleinere nimmt Abwehrhaltung ein und verschwindet in den Wasserpflanzen. Ich haste weiter, alles ist irgendwie von unruhiger Ruhe erfüllt. Der Himmel ist blau und gelbe Wolken ziehen. Trotzdem keine heitere Stimmung. Im Schaufenster sehe ich passbildartige Fotos von tätowierten Ärschen. –

Donnerstag, 16. Juni 2011

1989 - VII

Fahrt durch endlos lange Straßen, eine Frau rennt einen Mann um. Sprachliche Wurfgeschosse, die keiner fängt, fliegen umher in Weihnachtspapier gewickelt und keiner packt sie aus. Im Bus und in der U-Bahn herrscht starrende Langeweile, Selbstbehauptung und –beherrschung. Selbst aufgestoßene Türen bringen nur den Kontakt zu mit Geldscheinen verstopften Mäulern. Macht hoch die Tür, aber den Geldbeutel schön weit. Inmitten des menschlichen Nihilismusgetöses faselt ein Vorsitzender etwas von Vereinigung und die Menge ruft: Helmut, rette uns. Das ganze Leben gearbeitet.. sächselt es uns entgegen. Mein Aktenkoffer für morgen ist gepackt, die Minuten gezählt, bis der Deckel auf mir nieder geht. –
Gambacher Kreuz und Einmündung in die Menge der roten Heckleuchten, die sich einer Schlange gleich durch den Taunus windet. Diese Lichter sind Belastung und Wärme zugleich.

Mittwoch, 15. Juni 2011

1989 - VI

Ich grabe und hebe Erde aus. Die Erde ist mit feinen Wurzeln durchsetzt. Als ich einen Teil der Erde abgetragen habe, merke ich, dass es sich um die Form eines Menschen handelt. Trotzdem empfinde ich kein Entsetzen und keine Angst, grabe weiter bzw. nehme mit bloßen Händen Zugriff und löse die Erdklumpen mit den feinen Verwurzelungen.

Dienstag, 14. Juni 2011

1989 - V

Film ab. Der Zug rollt gen Frankfurt. Es ist dunkel, sodass ich nicht viel sehe. Mein Vater hat mich zum Bahnhof gebracht, wir standen eine Viertelstunde in der Kälte. Er sieht immer noch gut aus. Er hat Mühe, die Fassung zu wahren. Er würde es gut finden, wenn ich bliebe, aber ich kann mich nicht durchringen. Zuviel Kraft kosten mich die Stunden bei meinen Eltern, vor allem der Zustand meiner Mutter. Ich möchte bleiben und doch nicht. Ich weiß, dass in Frankfurt jemand wartet und das, was ich mein Zuhause nenne. Ich sehe den Vollmond aus dem Zug. Was für eine wundervolle Welt! –

Montag, 13. Juni 2011

1989 - IV

Während eine nervige Fliege über meine Füße krabbelt, versuche ich meine Gedanken zu ordnen. Wenn Jesus heute am Kreuz hinge und fragen würde: Mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Was könnte er antworten, etwa: Weil ich solche dürren Jammerlappen wie Dich nicht leiden kann. Die dickbäuchigen, zufriedenen, mit ihren kleinen Sorgen beschäftigten, Menschen sind mir lieber. Die ihren Weg klaglos gehen, alles akzeptieren, die schweigende Mehrheit, die Du zu kritisieren wagst, die dafür sorgen, dass alles weitergeht und große Änderungen, die ich nicht wünsche, auch nicht statt finden. Die Menschen wollen kein Seelenheil, keine reine Lehre. Sie wollen Farbfernseher, Videorecorder, Autos etc., wie Du sehen würdest, wenn Du 2000 Jahre Zeit hättest. –

Samstag, 11. Juni 2011

1989 - III

Ein dunkler, bewölkter Tag am Strand. Mein Blick geht über einen subtropischen Garten mit orangefarbenen Blüten, in die sich andere grelle Farben mischen. Ich sehe über den Wolken zwei Flugzeuge, es sind aber überall Flugzeugformationen in der Luft. Das eine fliegt über das andere, so scheint es wenigstens. Dann ein Pfeifen, irgendetwas fliegt ins Wasser. Später fährt ein Motorradfahrer mit einem Anhänger vorbei. Ob da ein Mensch drauf liegt? In dem Haus sind wir, weil wir vor einem riesigen Affen geflohen sind. Wir haben uns verbarrikadiert, entdecken jedoch, dass wir einen einen kleinen Affen schon im Haus haben. Das beruhigt.

Freitag, 10. Juni 2011

1989 - II

Heute nacht von Gefangenen bei Khomeini geträumt. Mit mehreren Anderen sollten wir gekidnappte Personen im Iran besuchen. Ich fuhr mit dem Auto in ein arabisches Land, von da aus weiter. Ich fand einen Palast vor, der offen war für jeden Zugang, wo aber eine Art Fremdenführer uns ständig in den Raum mit den Schwimmbecken drängte. Die Gefangenen mussten mit Tauchflaschen ausgestattet im Wasser mit Haien zusammen Bahnen schwimmen und durften nicht auftauchen. Die Fische waren eher klein, aber ziemlich zahlreich. Einige der Gefangenen durften Auskunft geben und auftauchen. Ich entsinne mich an eine blonde Frau, offenbar Holländerin, die barbusig war, deren Brüste beim Auftauchen zu sehen waren. Schließlich sollten wir alle festgehalten werden. Wir versuchten, zu entkommen, verrannten uns aber in einem engen Raum, aus dem wir durch ein Fenster herausschauen konnten. Das Dunkelblau der Wandfarbe und die ockergelbe bis schmutzig braune Patina der Wände erinnere ich gut. –
Heute morgen von blauer Urkunde geträumt. Ich hatte da plötzlich einen anderen Namen. Mengheti oder so ähnlich für Mensch oder Mohammed. –

Donnerstag, 9. Juni 2011

1989 - I

Nach meiner Abfahrt kehrte ich allein zurück. Es war nur mein Schwiegervater da. Er sagte etwas wie „Jetzt schon“ oder „Schon jetzt“, worauf ich grinste und sagte: „Du meinst wohl: Schon wieder.“ Darauf lächelte er verschmitzt. Plötzlich gab es einen dumpfen Knall und die Decke gab nach. Es entstand ein Loch und das ganze Füllmaterial des Fachwerkhauses prasselte auf uns nieder. Es war allerdings mehr feucht und weich. Dann fiel ein Stuhl mit einer Puppe darauf herunter. Die vorherrschenden Farben waren ockergelb (der Wände bzw. des Füllmaterials), der Stuhl war rot und die Puppe nicht angezogen, aber gesichtslos und völlig unerotisch wie eine Schaufensterpuppe. –
Sonnenaufgang mit gleichzeitigem Mondaufgang: der Mond war gleich groß wie die Sonne, allerdings hatte er einen blauen Fleck. Er wurde kleiner als er höher stieg. Dann sah ich plötzlich in das gesamte System der Planeten mit den unterschiedlich großen Himmelskörpern. Der Standort meiner Beobachtungen war wohl die Erde, allerdings mit einem hellblauen, aber kräftig farbigem Himmel. Ein leichter Dunstschleier machte die Eindrücke weicher. –

Mittwoch, 8. Juni 2011

1988 - III

Wir werden von Gefühlen regiert, die jedes Primat der Vernunft einfach weg wischen, sei es auch noch so stark gebaut. Das ist das Geheimnis des Lebens, das uns hilft, Mauern und Gefängnisse unseres Verstandes niederzubrechen. Die Wahrheit ist das Lächeln, der Blick, der Moment, der Genuss. Lockt nicht auch die Natur mit scheinbaren Genüssen, wenn sie etwas von uns verlangt?
Was ist das Leben ohne Barmherzigkeit, selbst wenn es die im Grunde nicht gibt, die Geste allein hat die Kraft, der Wille ist der Weg. –