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Sonntag, 17. März 2024

Kreuze

Was bleibt von meinen Ahnen: Weltkriegskreuze, Geld der Inflation, was mein Großvater einst besaß, aber von der Geldentwertung sinnlos war es über geblieben. So etwas vererbt man gern genauso wie einen Papiergeldtasche. Der  Trauring meiner Mutter hat keinen Stempel, der Goldwert nicht dokumentiert. Mein Vater hat seinen vor seinem Ableben beseitigt.

Freitag, 6. Oktober 2023

Geschichte

Dieses Bild zeigt meinen Vater in jungen Jahren bei einer Geburtstag der Schwester seiner Stiefmutter Paula Dreyer geb. Kaminski in Kassel an einem 8. Januar. Vermutlich war der grosse Bombenangriff (22.10.1943) noch zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgt. Erst später wurde er mit den vielen Leichen, die auf dem Platz vor der Lutherkirche lagen, konfrontiert. 






Freitag, 24. März 2023

Überraschung der Vergänglichkeit

 Mein Patenonkel Siegward verstarb 1990 für mich sehr überraschend. Zwar hatten meine Eltern schon lange von seinem schlechten Gesundheitszustand gewusst, mich jedoch nicht so rechtzeitig informiert, dass ich noch irgendwie hätte reagieren können. Monate zuvor hatte er noch zu seinem 70. Geburtstag eingeladen, der groß im besten Hotel der Stadt Kassel gefeiert werden sollte. Wir waren wie üblich in Urlaub und konnten der Einladung nicht folgen. Das sind die Chancen im Leben, die nicht mehr wieder kommen. Siegward war ein bekannter Mann in der Stadt und hatte sicher gute Kontakte, die auch mir ggf. zugute gekommen wären. Durch ein es meiner alten Tagebücher erfuhr ich nun auch die Umstände seiner gesundheitlichen Beschwerden und die waren etwas anders, als das, was ich im Gedächtnis hatte. 

Freitag, 1. April 2022

MyLife 2017 - 2020

 Fällt es leichter, über einen Zeitraum zu schreiben, der so kurz zurück liegt? Nein, mir leider nicht. Die Motivation dazu ist zum Einen nicht sehr groß, zum anderen steht in diesem Blog ja recht viel aus den vergangenen Jahren. Da sich die Sicht der Dinge allerdings im Laufe der Zeit verändert, macht es vielleicht doch Sinn, noch einmal darüber nachzudenken. Leider habe ich die gute Sitte von früher, Texte erst einmal ins Unreine zu schreiben und sie dann in die Blogs hinein zu kopieren, aufgegeben. Mittlerweile kommt alles gleich in den Blog, den ich dann ab und zu sichere. Das geht zum Glück mit meinem aktuellen Blog. Leider führt das nun dazu, dass ich nicht mehr in irgendwelchen Verzeichnissen schriftliche Hinterlassenschaften finde. Aber wer suchet, der findet im Zweifel im eigenen Kopf.

Meine neue Position als Minijobber brachte einige Veränderungen in der Firma mit sich. Zunächst hatte ich Mühe, meinen Urlaubsanspruch durchzusetzen. Niemand hatte bedacht, dass ich als Minijobber nicht gegenüber den übrigen Angestellten der Firma benachteiligt sein darf. Besonders mein Kollege B. glaubte, ich hätte sowieso Urlaub. Aber mein Ansprechpartner war ja wie üblich die Personalabteilung. Das konnte schließlich geregelt werden, verringerte aber die Zahl meiner zu leistenden Arbeitsstunden.  23,5 waren es im Monat zu Anfang gewesen. Ich konnte mich nicht beklagen, auch wenn ich den Umgang mit meinem berechtigten Ansinnen nicht als professionell empfand. Schließlich machte ich die Firma ja auf einen Fehler aufmerksam, der alle Minijobber betraf. Meine Arbeit im Betriebsrat legte ich nieder, was einen meiner Kollegen besonders freute, der es bei der letzten Betriebsratswahl noch nicht einmal als Ersatzmitglied ins Gremium geschafft hatte. Es hätte wenig Sinn gemacht, wenn ich zu einzelnen Sitzungsterminen an meinen arbeitsfreien Tagen eingeladen worden wäre. So verrückt war ich auf die Sitzungen nicht so, wie es einmal ein Ex-Kollege aus unserer Abteilung gewesen war, der sogar an seinen freien Tagen in die Firma kam, um Sitzungstermine wahrzunehmen, vermutlich auch um Ersatzmitgliedern keine Gelegenheit zur Teilnahme zu geben. 

2017 war überhaupt, auch abgesehen davon, ein Jahr der Veränderung. In unserem Haus war es schon länger sehr ungemütlich. die italienisch-polnische Kombination über uns, schlug wieder zu. Wir sollten doch zu sehen, nicht zu viel Dreck von unseren Hundespaziergängen mit ins Treppenhaus zu bringen und daher gefälligst einen Fußabtreter der Firma Aldi benutzen, den man uns großzügig vor die Hauseingangstür legte. Für eine vernünftige Lösung, etwa einen Rost statt der vorhandenen Fußmatte war man nicht zugänglich, das hätte auch ein bisschen mehr Geld gekostet. Ein Hund, noch dazu ein kleiner, macht natürlich angreifbar. So sahen wir uns folgerichtig nach Alternativen für unser zukünftiges Wohnen um.  

Im März 2017 führte uns der Weg nach Lemgo. Auch zu Zeiten unserer Berufstätigkeit war es immer wieder Thema zwischen uns, den Wohnsitz nach Lemgo zu verlegen. Ruths Elternhaus zu übernehmen, war vor langer Zeit an überhöhten finanziellen Forderungen der Schwiegereltern an uns, gescheitert. Zudem hätte ich beruflich aufgrund meiner Laufbahn kaum einen adäquaten Job in Lemgo gefunden. Nun waren wir frei. So schauten wir uns immer mal um, wenn wir in der Gegend waren. Ein Projekt im alten Amtsgericht von Lemgo fiel uns auf. Betreut wurde das Ganze von der Sparkasse in Lemgo. Wir nahmen Kontakt auf, doch es stellte sich heraus, dass für uns keine interessante Wohnung mehr zu haben war. Stattdessen stellte man uns ein noch in Planung befindliches Projekt vor. Eigenartigerweise hatten sich aber auch da bereits Investoren die besten Lagen resp. Wohnungen gesichert. Unser Interesse galt nun einer Erdgeschosswohnung mit etwas Rasen vor der Terrasse, weil wir es unserem Hund und uns selbst etwas leichter machen wollten. Dazu war aber die Frage zu klären, ob ein Sondernutzungsrecht besteht, welches uns die Einzäunung desselben erlauben würde. Die Information dazu war sehr indifferent. Merkwürdig empfanden wir die in Lippe oft geäußerte Frage, warum wir aus unserer "schönen" Gegend denn nach Lippe ziehen wollten. Das fragte auch der nette Herr der Sparkasse Lemgo, was sich immer schnell mit der Herkunft meiner Frau erklären ließ. Ein sehr netter junger Friseur, der wie sich heraus stellte, auch kein Lipper resp. Lemgoer war, meinte nur, dass es, wenn seine Freundin nicht aus Lemgo wäre, schwierig geworden wäre. Er schnitt mir die Haare so gut, wie mein Stammfriseur in Bad Vilbel. Leider war er dann beim nächsten Besuch in Lemgo schon nicht mehr in dem Friseursalon tätig. Überhaupt sind lange Haare in Lippe nicht unbedingt ein Türöffner. Die Frau meines Schwagers gab zu verstehen: es sehe bei mir schrecklich aus. So schlug nun unser Pendel wieder in Richtung Schöneck aus. 

Zumal ich mich, auch auf Initiative meiner Frau, um das Ehrenamt eines Seniorenbeirats im Schönecker Ortsteil Kilianstädten erfolgreich beworben hatte und die Wahl dazu gewann. Als Jungsenior entsprach ich der Zielgruppe der Gemeinde und erfuhr Unterstützung durch die Bürgermeisterin, die mich von meiner Vereinsarbeit für den Förderverein Leselust kannte. Just jener Verein, der das Jahr 2017 nicht überleben sollte. Man bot mir an, das Amt des Vorsitzenden im Seniorenbeirat zu übernehmen, was ich akzeptierte, ohne mir über die damit verbundene Reisetätigkeit im Klaren zu sein. Warum ich Vorsitzender wurde, war auch schnell klar. Niemand wollte einen bereits im Ort ehemals im Ausländerbeirat tätigen Herrn zum Vorsitzenden haben.     

Auch unser übriges Leben ging seinen rührigen Verlauf weiter. Im Mai landeten wir auf unserem erneuten Weg an die Ostsee in Lemgo. Wir übernachteten wieder mal im Borke und waren abends in recht harmonischer Stimmung bei meinem Schwager zum Grillen eingeladen. Der nächste Tag und die Abfahrt aus Lippe fiel mir sehr schwer. Ich musste wieder um eine Nerven am Steuer kämpfen, was mir einigermaßen gelang. Auf unserem Weg nach Lübeck, mussten wir eine große Umleitung wegen einer Baustelle nehmen. Das kam mir sehr entgegen. Der Rest der Anreise über Travemünde nach Niendorf führte mich durch das Schleswig-Holsteiner Land. Kaum angekommen, gingen die Probleme weiter. Der hinterlegte Schlüssel schien nicht in das Schloss der Tür zur Ferienwohnung zu passen. Die Touristeninformation hatte schon zu, aber mit Hilfe der örtlichen Polizei passte der Schlüssel doch. Meine Nerven lagen einfach blank, Die Wohnung selbst war zudem im Vergleich zu der Wohnung, die wir im Vorjahr gebucht hatten, enttäuschend und der Ort glänzte mit einigen neuen Baustellen. Schon immer hatte ich das Gefühl, dass es nicht gut ist, immer wieder an den gleichen Ort zu fahren. Auf der Rückfahrt gab es für mich die gleichen Nervenprobleme wie auf dem Hinweg. Wieder führte der Weg zurück über Lemgo. Die letzte Raststätte vor der Abfahrt war dann für mich das Ende der Fahrt. Wir hatten ein Zimmer im Liemer Krug gebucht. Das Hotel kannten wir nicht so gut und es befand sich im Umbau. Warum, das konnte man an den noch nicht renovierten Zimmern erkennen. Selbst unser Hund Mecky stürmte sofort wieder durch das Treppenhaus nach draußen. Zum Glück gab es keine Schwierigkeiten mit der Stornierung. Wir landeten wieder im Borke. Es sollte nicht unser einziger Urlaub bleiben.  Im August reisten wir mit dem Bus über Danzig in die Masuren nach Sensburg im ehemaligen Ostpreußen. Mitte September bis Anfang Oktober waren wir in Lemgo. Ruth feierte dort bei ihrer goldenen Konfirmation mit und traf eine Jugendfreundin. Im späteren Verlauf des Jahres nahmen wir an einer Busreise zur Olivenernte nach Istrien teil und im Dezember folgte eine vorweihnachtliche Reise ins Vogtland. Allein auf meinem flickr-Account sammeln sich über 400 Fotos und Videos von meinem ersten Jahr als Rentner an. Mittlerweile besaß ich eine Spiegelreflexkamera, ein Einstiegsmodell zwar, aber immerhin mit Teleobjektiv und das motivierte enorm zum weiteren Knipsen. Da ich in diesem Blog in meinen Beiträgen des Jahres 2017 sehr viel bereits geschildert habe, beschränke ich mich hier auf die wesentlichen Veränderungen, die in diesem Jahr eintraten.

Zunächst traf ich bei meinen Gassi-Gängen in Kilianstädten öfter auf einen sehr freundlichen Menschen, mit dem wir wegen Mecky oft ins Gespräch kamen. Einmal half er uns sogar, ihn wieder einzufangen, als er sich mal losgerissen hatte. Da die Situation in unserer Eigentümergemeinschaft einfach nicht besser wurde; überlegten wir, was unsere Wohnung bei einem Verkauf wohl bringen würde. Bevor wir ein neues Objekt erwerben konnten, mussten wir uns ja im Klaren sein, wieviel Kapital uns zur Verfügung stünde. Wir riefen bei einem Immobilienmakler namens Meiß in Bad Vilbel an und schnell stellte es sich heraus, dass war der Mann, den wir bereits kannten. Er wohnte mit seiner Gattin in einem Haus nähe eines kleinen Parks in Kilianstädten. Daher war ein Termin schnell vereinbart. Er schaute sich alles an und war ganz angetan von unserer Wohnung. Nur wenige Tage später rief er an und sagte, er habe einen Käufer. Dieser erwies sich als solvent und sehr interessiert. Für unseren Geschmack ging das alles ein bisschen schnell, wollten wir doch nur wissen, was unsere Wohnung wert ist. Der junge Mann besichtigte die Wohnung allein, seine Freundin spielte dabei keine Rolle, was sich als gut erwies. Er hatte auch bereits alle Informationen über unser Objekt, denn er hatte zuvor im Nachbarhaus versucht, eine Wohnung zu erwerben, war aber nicht zum Zug gekommen. So ging die Einigung eigentlich nur um den Kaufpreis und eine zu vereinbarende Nutzungsgebühr, da wir erst ausziehen würden, wenn wir eine für uns geeignete, altersgerechte Wohnung gefunden hätten. Letzteres erwies sich als kein Problem, da unser Käufer nicht beabsichtigte, selbst einzuziehen. Der Kaufpreis lag zudem über dem, was man uns bei früheren Schätzungen angeboten hatte und vor allem deutlich über unserem Kaufpreis. So kam es im September zur Beurkundung des Verkaufs bei einer Notarin in Oberursel, die unserem Makler sehr bekannt war. Wir fielen nun auf den Status eines Mieters unserer ehemaligen Eigentumswohnung zurück. Diesen Status wollten wir nicht allzu lange behalten. Wir suchten also alternativ auch in Schöneck und Umgebung, hatten ein Angebot in Nidderau. Die Wohnung lag allerdings auch im zweiten Stock des Wohnhauses, war somit nicht altersgerecht. Aber auch in Lemgo gab es Probleme mit dem Wunschobjekt. Obwohl meine Frau anlässlich ihrer goldenen Konfirmation positiv für Lemgo gestimmt war, gestalteten sich die Verhandlungen mit der Sparkasse Lemgo schwierig. Unser Betreuer schlug schließlich ein Treffen mit dem Geschäftsführer des Bauträgers vor. Und der sagte uns klipp und klar, er habe so ein großes Projekt mit 24 Wohnungen noch nie gebaut, mit der Fertigstellung sei frühestens Ende 2018 zu rechnen. Ein Schock für uns, denn solange wollten wir unseren Käufer eigentlich nicht bezahlen. Zudem war zu diesem Termin unsere vertragliche Nutzungsdauer abgelaufen. Somit war auch das unrealistisch. Auch sah das Baugrundstück, auf dem sich noch die verlassenen Hallen einer Mühlsteinfabrik befanden, nicht nach einem baldigen Baubeginn aus. Ausstehende Genehmigungen z.B. zum Fällen der auf dem Grundstück stehenden Bäume schienen ebenso einem Beginn noch im Weg zu stehen. Wir legten das Ganze ad acta. Am 30. September wurde mein Patenkind 18 und wir konnten ihm sein Sparbuch, welches wir ihm angelegt hatten als Geschenk überreichen. Laut meinem Schwager war meine Patenschaft mit seinem Erwachsenwerden zudem beendet. 


Auch meinem Einzelzimmerdasein in der Firma wurde nun ein Ende bereitet. Der Umzug in die Anzeigenabteilung stand an. Dagegen konnte ich schlicht gar nichts einwenden. Denn auch die Kollegen zogen um. Die Räume der Kursredaktion waren anderweitig bereits verplant. Neuer Ärger stand durch eine an sich erfreuliche Tatsache an. Die Wertpapier-Mitteilungen zahlten ihren Mitarbeitern eine Sonderzahlung anlässlich des 70-jährigen Bestehens aus, die auch ich erhielt. Das machte die die deutsche Rentenversicherung auf mich aufmerksam. Ich musste beweisen, dass es sich um eine einmalige Sonderzahlung handelte und nicht um einen nicht gemeldeten zweiten Job. Die Rückforderung eines Teils meiner erhaltenen Rentenzahlungen drohte. 

Im vorweihnachtlichen Vogtland gefiel es uns sehr gut. Schnee lag rund um unser Hotel in Schöneck im Vogtland. Der Weihnachtsmarkt in Plauen gefiel uns deutlich besser als der in Bayreuth, den wir auf dem Hinweg besuchten. Highlights waren auch Bad Elster und die Göltzschtalbrücke, ein sehr beeindruckendes Bauwerk und größte Ziegelsteinbrücke der Welt, die heute noch von der Deutschen Bahn befahren wird. Klingenthal an der tschechischen Grenze durfte nicht fehlen, kaum zu glauben, was sich hier am Ende des Zweiten Weltkriegs für ein Hass gegen Deutsche gerichtet hatte. Es gab eine Anfrage zu einem Treffen von einer meiner beiden Töchter. Vor diesem Treffen wollte sie noch zum Friseur gehen und wir vereinbarten zwecks weiterem Gespräch einen Rückruf meinerseits, der leider ins Leere ging. Meine Motivation sank von großer Freude sofort in einen tiefen Keller. Es war klar für mich, dass ich die Aktion als Spiel mit meinen Gefühlen auffasste und mich dem nicht mehr aussetzen würde. Wie ich schrieb, zündete ich zum Jahrestag des Todes meiner Mutter am 1. Weihnachtsfeiertag eine Kerze auf dem Friedhof in Maintal-Wachenbuchen an. 

Ich merkte schon länger, dass sich meine Anforderungen als Urlaubsvertretung mehr und mehr in Grenzen hielten, sodass ich Mühe hatte, mein Stundenkontingent zu erfüllen. Ohnehin waren die ganzen Berechnungen manchmal nicht eindeutig, denn auch meine Fahrkarten, die ich erstattet bekam und die Überstunden, die durchaus erlaubt waren, um Spitzen in Urlaubszeiten abzufangen, machten das Ganze weder für die Personalabteilung noch für mich einfach. So verwunderte es mich nicht, als ich ausgerechnet von einem Mitglied des Betriebsrats über die Absicht informiert wurde, mir keinen neuen Vertrag mehr zu geben. Somit lief mein Arbeitsverhältnis am 31.3.2018 aus. Zwar wurde ich gefragt, ob ich ggf. noch für Arbeitseinsätze zur Verfügung stehen würde, aber mir war es klar, dass dieser Fall sicher nicht eintreten würde. Längst hatte ein Mitarbeiter der Anzeigenabteilung meine administrative Tätigkeit in der Investmentfondsabteilung zu seiner eigenen gemacht und die restliche Arbeit konnte ganz sicher von meinen Ex-Kollegen gemacht werden. Immerhin bekam ich am letzten Tag noch das freundliche Angebot zu einem Glas Sekt. Ich war jedoch terminlich und intellektuell schon längst woanders in meinem Kopf und redete mich damit heraus, dass ich bei Gelegenheit noch einmal herein kommen würde, um dies nachzuholen. Meine Ambitionen in dieser Hinsicht hielten sich in Grenzen.  So endeten 29 1/2 Jahre mit der Abgabe meiner Codemarke in der Personalabteilung. Niemanden von der Führungsriege und auch nicht meinen unmittelbaren Abteilungsleiterkollegen (urlaubsbedingt) sah ich an diesem Tag noch einmal. 

Doch auch 2018 gestaltete sich ambivalent. Nicht nur die Entscheidung über unseren künftigen Wohnort, auch die Frage, ob wir nach den Erfahrungen, die wir in unserer Schönecker Eigentümergemeinschaft gesammelt hatten, überhaupt noch einmal eine Eigentumswohnung erwerben sollten, war offen. Wir hatten uns im November des Vorjahres noch die Baustelle eines Hauses in der Händelstraße in Lemgo angesehen. Hier wurden für die Wohnbau Lemgo Mietwohnungen gebaut. Die anfänglichen Gespräche mit der Mitarbeiterin der Wohnbau Lemgo gestalteten sich sehr freundlich und wir waren zuversichtlich, noch in 2018 eine Neubauwohnung im Lemgoer Musikerviertel anmieten zu können. Doch es kam anders. Nach unseren Besuchen im Januar und im Mai 2018 stellte es sich heraus, dass wir einen Mietvertrag bei der Wohnbau nicht unterschreiben konnten. In diesem Blog beschrieb ich im Mai 2018, was passiert war. Wir sollten einen Mietvertrag für eine vollkommen unfertige Wohnung unterschreiben. Weder konnten wir uns einen Fußbodenbelag aussuchen, wie ursprünglich zugesagt, noch kannten wir die übrige Ausstattung. Während die Miete sich an der Oberkante der ortsüblichen Mieten bewegte, war diese nämlich im Großen und Ganzen recht einfach. Auch die Zuordnung des Kellers erfolgte entgegen vorheriger Zusage eines Fensters. Als wir die Reißleine zogen, bekamen wir zusätzlich noch ein Hausverbot erteilt. Aber auch in Schöneck lief es nicht besser. Hier hatten wir bereits eine Wohnung angemietet, erste Möbel hingebracht, mussten aber wegen unangenehmen Geruchs nach Chemie, einen Rückzieher machen, der uns Geld kostete. Der Vermieter war nicht willens und in der Lage, uns über die Ursache des stechenden Geruchs aufzuklären. Aber nicht nur Geld kostete uns die Fehlschläge, es waren auch meine Nerven, die mir immer öfter einen Streich beim Autofahren spielten. Da Autobahn für mich ein schwieriges Terrain geworden war, wich ich auf Bundesstraßen und noch kleinere Straßen aus. Wir hatten uns die kürzeste Strecke nach Lemgo zunutze gemacht und fuhren nun nur noch bis Marburg/Cölbe Autobahn, den Rest auf einspurigen Straßen vorbei am Edersee bis nach Diemelstadt Richtung Altenbeken. Doch auch das strengte mich an. Insbesondere das schnelle Fahren auf ausgebauten Abschnitten belastete mich sehr. 

Zu meinem Glück ging es beim nächsten Urlaub Ende Mai per Bus ins Piemont und das Aostatal. Mein Schwägerin war wieder mit an Bord. Das Hotel lag in einem sehr kleinen Ort, hatte zwar eine schöne Poolanlage, aber ansonsten vor allem abends, ausgesprochen wenig zu Essen zu bieten. So kam es, dass wir eines Abends im Bus saßen und uns vom Busfahrer und seiner Servicekraft mit Würstchen aus der Bordverpflegung bewirten ließen. Die Tagesausflüge brachten uns zum Glück auf andere Gedanken, denn auch das ursprünglich uns zugewiesene Zimmer hatte leider Schimmel an der Wand. Der Zimmertausch ging aber glatt über die Bühne. Meinem Fotohobby widmete ich mich auch während  dieses Urlaubs, ob es die Reisfelder auf den Ebenen während der Hinfahrt oder das Panorama des Mont Blanc, es gab viel neues Kamerafutter. 

Immer ungemütlicher wurde es in unserem Haus, besonders den Castor-Transport im Stockwerk unter uns hätten wir uns gern erspart. Mecky mag nun mal keine kleinen Kinder und knurrte die Kinder unserer Nachbarn unter uns konsequent an. So versuchten wir immer, denen aus dem Weg zu gehen, aber wundersamerweise öffnete sich die Wohnungstüre dort oft, wenn ich gerade mit dem Hund vorbeigehen wollte. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Weder beim Feiern, noch beim Musikhören nahmen sie auf uns Rücksicht. Über meine gelegentlichen Beschwerden, machte man sich lustig. Wir wussten, die Zeit unserer Nutzung unserer Wohnung läuft ab. Aber ebenso, wie wir uns nicht für eine Mietwohnung bei der Baugenossenschaft in Maintal entscheiden konnten, erging es uns auch mit einer gebrauchten Eigentumswohnung in Lemgo. Letztere befand sich in der Händelstraße in Lemgo. Wir hatten sogar schon einen Notartermin, den wir kurzfristig absagen mussten. Ja, wir zahlten fleißig Lehrgeld. Bei der Händelstraße hatten wir u.a. abgesagt, weil uns der Wohnungseigentümerbeirat, den wir kontaktierten, nicht weiter helfen wollte. Er war zudem in Personalunion auch der Hausverwalter. Im Haus wohnten eigentlich nur Mieter und er wollte es uns selbst überlassen, einem der Mieter zu sagen, dass er nicht mehr auf unserem Parkplatz stehen dürfe. Er tat dies aber schon über Jahre, weil die Vorbesitzerin, eine alte Dame dies jahrelang genehmigt hatte. Zudem gab es ungeklärte Feuchtigkeit im Schlafzimmer und viel Geld wäre in die Renovierung einer nicht altersgerechten Wohnung gegangen. Eine Wohnung, die 300 km entfernt vom eigenen Wohnort liegt, renovieren bzw. sanieren zu lassen, das hätten wir nur ortsansässigen Handwerkern überlassen können, die wir dann aber nicht selbst hätten kontrollieren können. Diese Aufgabe wäre meinem Schwager zugefallen, der aber nur mäßig begeistert war. Es fiel schon schwer, sich von diesem Projekt zu trennen. Vom Balkon aus hatte man einen schönen Blick in die Stadt und der Fußweg dahin wäre auch nicht zu weit gewesen. Das hätte ich mit Mecky selbst ausgekundschaftet. So blieb es uns, weiter zu suchen. Wohin das Pendel ausschlagen würde, war immer noch unklar. Wir wussten nur, dass wenn wir umziehen, egal wohin, es wäre eine fremde Gemeinde oder Stadt. Mein Ehrenamt in Schöneck wäre ich so oder so los. Dabei lief das gerade erst an. 

Nicht nur die Wohnungssuche beschäftigte uns. Bei unserem VW Tiguan war die Querlenkerbuchse defekt und Volkswagen zeigte sich wie zu erwarten, wenig kulant. Verschleiß, so lautete das Urteil, trotz weniger Jahre Laufzeit. Auch im Abgasskandal bei den Dieselmotoren musste ich handeln, ließ mich ins Klageregister eintragen. Zwar hatte ich das Software-Update angeboten bekommen und machen lassen, aber an eine Entschädigung für den Wertverlust der Dieselfahrzeuge dachte Volkswagen in Deutschland nicht. 

Der Verein "Leselust e. V. Förderverein Büchereien in Schöneck" wurde von mir im Alleingang aufgelöst. Zwar waren alle Vorstandsmitglieder, zu denen ich als Kassenwart gehörte, gleichwertige Liquidatoren, doch ich wusste, dass ich das selbst in die Hand nehmen musste. Im Endeffekt war ich froh, dass ich dieses Amt los war. Meine Tätigkeit war ja beendet, da das restliche Vermögen des Vereins erst nach einer Ruhefrist dem eigentlichen Vereinszweck, der Unterstützung der Schönecker Ortsteilbibliotheken zugeführt werden konnte. Als reines Hobby pflegte ich meinen Blog noch weiter, in dem ich Buchbesprechungen einfügte und Mariannes Termine für das von ihr gesponserte "Literarische Frühstück" dort weiter veröffentlichte. In meiner Eigenschaft als Seniorenbeiratsvorsitzender hatte ich die erste Jahrestagung der Seniorenbeiräte des Landes Hessen in meiner nordhessischen Heimat in Oberaula besucht. Während dieser Tagung fragte ich mich, wieviel von den Seminaren konnte ich tatsächlich für meine praktische Arbeit in unserer Gemeinde verwerten? Was bleibt in der Tat übrig als praktische Arbeit für die Senioren/-innen vor Ort? Die Landesseniorenvertretung in Wiesbaden schien mir sehr häufig mit ihrer Selbstverwaltung und              -darstellung beschäftigt zu sein. In Schöneck waren wir mehr oder weniger Anhängsel der Seniorenberatung, deren Vorgesetzte auch bei unseren Beiratssitzungen die Protokolle schrieb. Wir durften unterstützend tätig sein, so zum Beispiel bei der Begleitung der von ihr organisierten Seniorenausflüge sowie als Helfer bei Veranstaltungen. Eigenständig brachten wir wenig zustande, was an der Passivität der Mitglieder lag. Dem wollte ich entgegen steuern, ebenso wie mein direkter Konkurrent um das Amt des Vorsitzenden. 

Im Sommer gönnten meine Frau und ich uns einen Nordseeurlaub in Greetsiel. Ruth fuhr die Strecke über das Sauerland in der Begleitung meiner Schwägerin und mir ganz allein. Denn 2018 war der Wendepunkt in meinem Autofahrerdasein. Längere Strecken außerorts konnte ich praktisch nicht mehr fahren. Nach dem letzten Panikanfall auf einer Fahrt nach Lemgo, war meine Furcht vor der Angst zu groß geworden, um  mich noch einmal aufzuraffen. Wir hatten ein Ferienhaus gebucht. An sich war alles ganz schön. Offenes Meer sahen wir so gut wie nicht, da mussten wir schon nach Norddeich fahren, wo es einen Hundestrand gab. Mecky konnte da allerdings schnell in Konflikt mit Kindern geraten. Als ich einmal ins flache Wasser lief, rannte er mir hinter mir her, befand sich einmal im Wasser und hatte wohl vergessen, dass er Wasser nicht mag. Ansonsten präsentierte sich die deutsche Nordsee bei sengender Hitze wie man sie kennt. Verbote aller Orten, übervolle Lokale abends, gute Preise, gute Besserung ist man versucht zu sagen. An den Gewässern wie dem Störtebecker-Kanal lagen haufenweise tote Fische. Zu wenig Sauerstoff im Wasser, damit erlagen viele dem Erstickungstod und endeten vermutlich als Fischmehl. Die Rückfahrt nach Schöneck war selbst für mich als Beifahrer kaum zu ertragen und meine Bewunderung für Ruth stieg mit jedem Kilometer.    

Doch zuhause holte uns der Alltag schnell ein. Wir wussten, dass am 31.12.2018 unsere vertraglich geregelte Nutzung der ehemaligen Eigentumswohnung abläuft. Die einzige Möglichkeit war es, möglichst bald eine passende Mietwohnung zu finden. Die Gemeinde Schöneck hatte im Ortsteil Büdesheim ein neues Gebäude mit drei barrierefreien Wohnungen im Obergeschoß erstellt und wir bewarben uns folgerichtigerweise darum, durchaus auch mit einiger Hoffnung nicht nur unsererseits, sondern auch des ehemaligen Vorsitzenden des Seniorenbeirats, der von unserer Misere wusste. Doch gleich zu Anfang des Gesprächs im Technischen Rathaus wurde schnell offenbar, die beiden Mitarbeiterinnen kannten mich in meiner Funktion im Ort nicht und schlossen zudem aus, dass wir als Hundehalter für die gewünschte Wohnung in Frage kämen. Damit war für uns alles gelaufen. Auch meine direkte Ansprechpartnerin bei der Seniorenberatung war über diesen Vorgang zunächst entsetzt und setzte auch die Bürgermeisterin in Kenntnis. Meine Enttäuschung war so groß, insbesondere wegen der Begründung, dass ich dies auch in den von mir genutzten sozialen Medien kundtat. Dies wurde registriert und missbilligt:     

"Gerne werde ich mich für Ihre Belange einsetzen, ich hätte mir jedoch gewünscht, dass Sie mit Ihrer Unzufriedenheit bzw. Enttäuschung über den Ausgang des geführten Gesprächs erst den Weg zu mir gefunden hätten, bevor die Öffentlichkeit in Form der neuen Medien dafür verwendet wird."

Das schrieb die Bürgermeisterin im September 2018, sicherte eine Prüfung des Vorfalls zu, um im November dann folgendes Statement abzugeben: 

"Mir wurde von Frau und Frau berichtet, dass Ihrerseits das Gespräch abgebrochen wurde."

Entschuldigung: Fehlanzeige - Was hätten wir tun sollen, nachdem die Damen uns ganz klar sagten, sie haben auch schon andere Hundehalter abgelehnt. Die Gemeinde hat ganz klar gegen die damals geltende Rechtsprechung des BGH verstoßen. 

Meine Motivation zur weiteren Arbeit in der Gemeinde sank damit auf einen Tiefpunkt. Der private Wohnungsmarkt musste es richten. Das Versprechen des Maklers, der am Verkauf unserer Wohnung verdient hatte, für uns etwas Neues zu finden, erfüllte sich nicht. Wir waren in Kontakt mit verschiedenen Projekten in der neuen Mitte von Nidderau. Die Stadt Nidderau hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass hier nur Passivenergiehäuser entstehen sollten. Die Wohnungen verfügten teilweise über eine Zwangsbelüftung und die Technologie erschien uns doch mehr als suspekt. Unser Käufer wohnte auch in Nidderau, er sagte uns aber selbst, dass Nidderau sich verändert habe. Die neue Mitte, die um ein kleines Einkaufszentrum, herum entstanden war, zog viele junge Familien , auch mit Migrationshintergrund, an. Diese Nachbarschaft hatten wir uns für unser Alter nicht vorgestellt. Zudem, es sprach sich herum  und wir sahen es auch selbst. Junge Mädchen wurde oft von jungen Ausländern belästigt. In der Nähe des Nidderauer Freibads hingen auch immer so ein paar junge Männer herum, die sich hier wohl nicht selten als Spanner betätigten. Dennoch hatten wir ein Projekt, eine Erdgeschoßwohnung ziemlich weit gebracht, immerhin zu einer Reservierung. Doch störte uns am Ende nicht nur der fehlende Ausblick und die enge Bebauung, sondern auch das arrogante und wenig entgegenkommende Verhalten der vermittelnden Immobilienfirma. 

Doch das alles kam noch besser. Eine Wohnung, dieses Mal wieder zur Miete, in Schöneck-Büdesheim zog uns an. Sie hatte zumindest teilweise einen schönen Ausblick ins Grüne und das Wohnzimmer war sehr hell durch große Fenster. Sie war allerdings komplett vermüllt durch die Vormieter. Unser Vermieter sicherte uns die professionelle Reinigung der Wohnung zu. Irgendwie gefiel uns wegen Mecky auch die Feldrandlage, die zum Ausführen des Hundes einlud. Der Vermieter erklärte sich auch bereit, einzelne Objekte im Bad auszutauschen und fuhr mit uns zum Baumarkt, um Ersatz zu kaufen. Es stellte sich auch schnell heraus, bei dem Vermieter handelte es sich um den Nachbarn meines Seniorenbeiratskollegen und sie waren nach dem persönlichen Gespräch mit uns in ihrem Haus sehr daran interessiert, an uns zu vermieten. Allerdings, die zum Hause gehörende Garage war an den Hausmeister des Anwesens vermietet. Würden wir sie selbst nutzen wollen, müssten wir ihm kündigen. Es kam, wie es fast schon kommen musste. Wir unterschrieben wieder einmal einen Mietvertrag. Doch die professionelle Reinigung erwies sich als höchstens oberflächlich und es änderte sich auch nicht an der an sich abbruchreifen Einbauküche. Unser Entsetzen war groß.

Der Vermieter schrieb dazu: "Wir wollten ihnen keinesfalls eine verdreckte Wohnung andrehen, hatten uns allerdings leider völlig zu unrecht auf die professionellen Reiniger verlassen, die aber weder den Duschbereich ordentlich gereinigt haben und schon gar nicht die Gästetoilette. Und leider haben auch wir  nicht so genau hingeschaut wie heute."

Auch wenn er sich nun noch weiter mühte und das Vermieterehepaar, beide älter als wir, sich nun selbst um die Reinigung bemühen wollten. Unser Vertrauen war dahin. Ich musste meine Freundlichkeit auf harte Proben stellen und verhandelte wegen eines Aufhebungsvertrags, der natürlich zustande kam, weil wir ja auch wieder zahlten. Als wir vom letzten Termin mit Unterschrift nach hause fuhren, sagte ich nur, dass wir jetzt nach Lemgo ziehen werden. Ich hatte die Schnauze voll von den ewigen Betrügereien, mit denen wir uns herum schlagen. Zudem verlangten vor allem private Immobilienverkäufer von uns als solventen Käufern manchmal Unverschämtes. So bei einem Objekt in Schöneck-Büdesheim, wo wir eine komplette Aufstellung unserer Vermögensverhältnisse abliefern sollten, um eine Eigentumswohnung im zweiten Stock kaufen zu können. Mietwohnungen bekamen wir gar nicht erst angeboten, wenn sich herausstellte, dass ich für die Gemeinde im Seniorenbeirat tätig war. Was hatte ich also in dieser Gegend noch zu suchen? Wir hatten gesehen, dass in dem Projekt der Sparkasse Lemgo in Lemgo-Brake, für das wir uns ursprünglich interessierten, noch eine einzige Zweizimmerwohnung frei war. Obwohl wir uns dort einschränken platzmäßig müssten, gab es dort die Möglichkeit, sich eine kleine Kammer für ein Büro einzurichten. Und der Kaufpreis würde uns nicht überfordern. Auf einmal hatten wir Entschlusskraft gewonnen. Vorbei die Zweifel und vergessen die Zeit, in der Ruth sagte, sie sei mit Lemgo. Wir baten die Sparkasse Lemgo um Reservierung der Wohnung und die Eile war auch angesagt, um, noch in 2018 zum Abschluss mit dem Preisniveau von 2017 zu kommen. Noch, so sagte ich es mir, bestünde auch die Möglichkeit, die Wohnung als Kapitalanlage zu vermieten. Meine Schwägerin polemisierte fleißig aus sehr egoistischen Gründen gegen unser Vorhaben. Sie schloss es kategorisch aus, nach Lemgo zu gehen. Ich war nach wie vor von Lemgo-Brake mit dem Bahnanschluss im Lüttfeld als einzig möglichen Standort in der Stadt überzeugt. So fuhren wir im Dezember nach Lemgo, fanden Unterkunft in Donop und unterzeichneten den Kaufvertrag am 19.12.2018. Am Vorabend war die Unsicherheit, ob wir es tatsächlich machen sollten, noch sehr groß. Im gemütlichen Restaurant des Blomberger Hofs in Donop aßen wir abends sehr gut und wurden freundlich von einem Kellner bedient, den wir für einen Italiener hielten. Es stellte sich im Laufe einer Unterhaltung heraus, dass er aus dem Irak stammte. Er sagte: "Lippe ist schön." Das hörten wir in unserer Situation gern und ließ uns den Krach der vorhergehenden Nacht vergessen, den etliche ausländische Handwerker erst nach meiner Androhung beendeten, ich werde das ganze Hotel auseinander nehmen, wenn sie keine Ruhe gäben. Selten war ich innerlich so aufgeregt. Unser Abschluss beim Notariat in Lemgo noch im alten Jahr hatte auch noch das Gute, dass wir auf die Einlösung eines Versprechens hoffen durften. Dieses besagte, dass uns unsere vergeblich gezahlte Maklergebühr vom abgesagten Kauf im gleichen Jahr irgend wie verrechnet werden würde. Da konnten wir es verschmerzen, dass wir als Einzige ohne Weihnachtsgeschenk das Notariat verließen.  Nun stand die Heimfahrt an und leider war die Ostwestfalenstraße einseitig in unserer Fahrtrichtung gesperrt, sodass ich bei der Abfahrt aus Donop nach einer Umleitungsstrecke suchen musste. Als wir endlich eine ausgebaute Strecke erreichten, gingen meine Nerven wieder durch. Ich musste das Steuer abgeben.  

Trotz allem und gerade deswegen verhandelten wir mit unserem Käufer in Schöneck, da wir die weitere Nutzung unserer Wohnung durch uns bis zur Fertigstellung der Wohnung in Lemgo sicher stellen mussten. Das war nun kein Problem, außer das wir mit der Erhöhung der Nutzungsgebühr leben mussten. Unser Käufer wäre auch durchaus mit einem weiteren Verbleib unsererseits in der Wohnung einverstanden gewesen. Er wusste ja, wir wären gute Mieter, die alles in Schuss halten. Wir vereinbarten den 1.9.2019 als Vertragsende. Die Meinungen im Haus über uns waren da sicher geteilter. Der Januar 2019 stand im Zeichen von Ruths 65. Geburtstag. Wir feierten in Sylter Hof in Westerland und alles lief sehr schön ab. Meine Schwägerin war wieder mit dabei, Mecky mal wieder zur Betreuung abgegeben. Gern taten wir letzteres nicht mehr. Am liebsten war uns eine Rentnerin in Bad Vilbel, deren Hund verstorben war und die selbst keinen Hund mehr dauerhaft halten wollte, Mecky allerdings sehr mochte. Leider hatte sie nicht so oft die Zeit, denn ihr Kalender war, wie bei vielen Rentnern, doch oft voll mit privaten Terminen. Sylt ist für mich immer ein besonderer Ort, ein Sehnsuchtsort, gewesen, erinnerte mich doch hier alles an meine Reise von 1977. Doch Sylt hat sich seit dem geändert, auch darüber habe ich in diesem Blog geschrieben. Leider aufgrund des Tourismusgeschäfts und der mit den Besucherzahlen steigenden Preise nicht zum Besseren. Das nächste Ziel war nun wieder Lemgo, denn wir wollten uns bereits eine Einbauküche bestellen. Aufgrund unserer Entfernung hatten wir bezüglich der Küchenstudios nicht zu viel Zeit zur Wahl und so gingen wir dahin, wo mein Schwager schon war. Ein ganz besonderes Küchen-Erlebnis erwartete uns hier in Gegenwart von Niklas, der uns nicht nur hier beraten sollte. In nur einem Termin zurrten wir bereits alles fest und mussten bereits zwei Drittel der Kaufsumme anzahlen. So der Wunsch des freundlichen Fachberaters, der uns allerdings nicht, wie er das bei anderen Kunden machte, eine Bankbürgschaft zur Sicherung unseres Anspruchs im Falle einer Pleite des Küchenstudios anbot. Das Risiko blieb allein bei uns. Denn die Küche würde erst im September geliefert und montiert werden und wir schrieben erst den Monat Januar. Auf Wunsch des Bauträgers fand nun bereits die Bemusterung der Fußbodenbeläge und für die Türen statt. Überhaupt würden sich unsere künftigen Besuchstermine in Lemgo nach dem Baufortschritt unserer Wohnung richten.        

Unsere Wohnsituation in Schöneck verbesserte sich erwartungsgemäß nicht. Auch bei unserer Hausverwaltung tat sich Entscheidendes. Waren wir mit dem bisherigen Hausverwalter zwar auch nicht immer zufrieden, so konnten wir uns doch auf seine Sachkenntnis verlassen. Zudem war unser Verhältnis als Eigentümer ihm gegenüber freundlich. Jetzt waren wir aber nur noch Nutzer. Das hätte bei unserem bisherigen Ansprechpartner nicht viel geändert, bei der neuen Hausverwaltung allerdings schon. So schrieb uns ein Herr Kükel:

"Wo der Unterschied zwischen Nutzer und Mieter ist, kann ich nicht sagen – für uns sind Sie ein Mieter. Und falls Sie mit Ihrem Vermieter eine andere Konstellation oder Sprachregelung gefunden haben, ist das nur eine Angelegenheit zwischen Ihnen und Ihrem Vermieter. " 

Auf unsere Beschwerden wurde selbstverständlich nicht eingegangen.

"Die Häufigkeit und Dauer der Grillerei ist allerdings hier das Problem. ..."

Wir haben selbstverständlich nichts gegen Besucher, dies wurde nur erwähnt, um zu verdeutlichen, dass es sich durch die Anzahl der Besucher um eine größere Veranstaltung handelte, die mit entsprechendem nächtlichen Lärm verbunden war. Das Anmelden bezog sich darauf, dass man im normalen Umgang miteinander natürlich mal die Nachbarn vorher informiert, wenn man so etwas plant.

Wir hätten erwartet, dass Sie zumindest das Thema gesetzliche Ruhezeiten aufnehmen und ggf. die Mieter C. und C. darüber informieren. Der Komposthaufen im Garten und das Räuchern von Fleisch sind nicht durch die Hausordnung gedeckt. Dies ist klar ein Thema für den Eigentümer der Wohnung, den Sie hätten informieren müssen."

Wir erhielten auch die Bescheinigung der haushaltsnahen Dienstleitungen für unsere Steuererklärung nicht mehr. Obwohl wir alle Umlagen, also auch die nicht auf Mieter umzulegenden weiter zahlten. Das war so vereinbart. Ein weiteres Problem war, dass unser Käufer immer weniger Interesse an seiner Wohnung zeigte, sodass Beschwerden über unsere Nachbarn bei ihm nicht gut aufgehoben waren. Wir hatten also niemanden mehr, an den wir uns wenden konnten. Hätte es einer weiteren Bestätigung bedurft, die unsere Entscheidung für Lemgo betraf, so hatten wir sie jetzt.   

Sich ans Ehrenamt in der Gemeinde zu klammern, erschien mir wenig sinnvoll. Ich war nun auch Kassenwart bei der ARGE - Arbeitsgemeinschaft zur Förderung europäischer Partnerschaften -, der Aufwand war allerdings überschaubar. Im Seniorenbeirat hatte man uns noch im Vorjahr auf Initiative der Landesseniorenvertretung Hessen ein Projektmanagement übergestülpt. Niemand bei uns war damit einverstanden. Gruppenarbeit und Zettelwirtschaft, ich fühlte mich an meine Firma erinnert oder auch an einen Kindergarten. Die LSV bewies hier nur, wie wenig praxisnah sie noch dachte. Wir hatten ja ohnehin mit unserem Schweizer aus Bern einen rührigen Kandidaten im Beirat, der eine Ortsbegehung in Büdesheim zur Überprüfung der Behindertenparkplätze unternahm. Ortsbegehungen hatten wir in jedem Ortsteil schon hinter uns, die Ergebnisse an die Gemeinde weiter gereicht, zurück kamen überwiegend Streichungen, nur wenige unserer Vorschläge wurden realisiert meist aus Kostengründen. Es war nicht so, dass es uns an ehrgeigen Projekten mangelte: Bürgerbus, Seniorenpass, um zwei heraus zu greifen. Auch um das altersgerechte Wohnen sollten wir uns kümmern, ein wahnwitziger Plan und längst wurde in Schöneck an anderer Stelle die Zukunftsplanung der Gemeinde angestoßen. Dazu kam es zu einer Bürgerbefragung, deren Ergebnisse die Basis sein sollten für alles weitere. Auch diese Aktion wurde selbstverständlich von einer externen Beratungsfirma  durchgeführt. Dafür war Geld vorhanden. Man hatte ohnehin das Gefühl, dass von der Seniorenberatung im Seniorenbeirat angestoßene Themen längst woanders kochten. Beschäftigungstherapie nennt man so etwas. Es war nicht so einfach einmal etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Die Leiterin der Seniorenberatung wusste von meinen Ortsveränderungsplänen und hoffte, es würde für mich in Lemgo nicht so gut laufen, denn "wenn der Motor weg ist, dann läuft nichts mehr."   

Für uns ging aber in Lemgo alles gut. Nach einer schönen Busreise nach Pietra Ligure mit wieder unvermeidlich vielen Fotos, bewegten wir uns im Juni 2019 zum Richtfest nach Lemgo. Der Bau schritt sichtbar voran. Wir konnten mit dem Monat September als Übergabetermin rechnen. Seitens der Familie meiner Frau war die Freude über unseren möglichen Zuzug verhalten. Meine Abschiedstournee konnte beginnen. Ich war letztmalig in Oberaula beim Treffen der hessischen Seniorenbeiräte, leitete vertretungsweise eine nicht ganz so gelungene Seniorenfahrt in das Gießener Land und organisierte ein Kaffeetrinken für die Senioren/-innen, zu dem der Arbeitskreis Ortsgeschichte eingeladen war, um über die Geschichte des Ortsteils Kilianstädten berichten. Das waren also meine Abschiedsgeschenke an die Gemeinde. In Planung hatte ich noch etliche Aktivitäten, ob daraus noch etwas wurde, ist aus mehreren Gründen fraglich. 

Ende Juli nutzten wir noch einmal die Nähe Bayerns zu einer einwöchigen Urlaubsfahrt ins Kleinwalsertal. Auch das war uns im Laufe der zeit eine zweite Heimat geworden. Würden wir nach Lemgo gehen, so wäre die Entfernung noch einmal viel weiter. Da Ruth wieder allein fuhr, übernachteten wir in Schillingsfürst, einem kleinen fränkischen Ort. Das Hotel hätte man allerdings besser nie von innen gesehen. Als wir an die Rezeption kommen, ist da erst mal niemand, der Wirt sitzt schlafend im Nebenraum. Das dann zugewiesene Zimmer liegt direkt an der Durchgangsstraße, die Ausstattung ist sehr altbacken. Wir waren schon einiges von Hotels in Franken gewohnt, aber der Frühstücksraum schlug alles, was wir bisher gesehen hatten in punkto Unsauberkeit und liebloser Gestaltung. Schon das abends noch etwas essen war uns nicht gelungen. Wir wanderten in einen nahe gelegenen Gasthof aus, wo wir schmackhaft aßen und freundlich bedient wurden. Das ein familiengeführtes fränkisches Hotel nicht zu kritisieren hat, erfuhr ich dann später, denn der Wirt hatte auf meine Google-Rezension mit einer fast beleidigenden Art und Weise geantwortet und als Nörgelanten dargestellt. Selbstkritik: kaum zu finden. Seinen Empfang rechtfertigte er so:

"Was ich in meiner Freizeit mache, so ich eine habe, dann steht es mir auch zu, mal ein ruhendes Auge zu haben."

Seiner Empfehlung künftig zuhause zu bleiben, sind wir nicht gefolgt. Wir fuhren am nächsten Morgen erleichtert zur gebuchten Ferienwohnung in Hirschegg ab. Hier war nun alles ganz anders. Unser Hund war willkommen, konnte nach seinem morgendlichen Gassi-Gang die Treppe hoch rennen, ohne das es störte und der Service war freundlich. Angenehm nahmen wir zur Kenntnis, dass bei den Putzmitteln ökologisch gedacht wurde. Mit unserer Vermieterin hatten wir stets gute Gespräche und wir nahmen als Andenken an die schöne Woche noch ein selbst gemachtes Sofakissen mit. Auf der Rückfahrt sparten wir uns jegliche Zwischenstopps. So unterschiedlich können Urlaubserlebnisse sein.                                Im August erwartete mich dann Altbekanntes in Schöneck. Ich machte mir selbst die Freude, noch einmal an einer Eigentümerversammlung unserer WEG teilzunehmen. Unser Käufer hatte kein Interesse an einer Teilnahme und mir eine Vollmacht gegeben. Über diese Versammlung berichtete ich  in diesem Blog seiner Zeit. Obwohl ich mich noch konstruktiv an einer Lösung bezüglich der unverständlichen Jahresabrechnung der absolut unfähigen Hausverwaltung beteiligte, kam es am Ende der Versammlung zum Eklat. Die Rollenverteilung in unserem Haus war schon denkwürdig. Während die Mehrzahl der Eigentümer/-innen mit Migrationshintergrund sich wie spießig-Prollige Deutsche aufführten, die Minderheit der Deutschen meist alles abnickte, kam ich mir vor wie ein gedisster Ausländer. Die beschissene Diskussion drehte sich um unseren kleinen Hund, der mal wieder von unseren freundlichen Castoren-Mietern bei deren Eigentümerin angeschwärzt worden war. Nun, ich konnte die völlig verpeilte Hausbesitzerin aus Nidderau beruhigen mit dem Hinweis auf unseren bald bevorstehenden Auszug. Auch persönliche Anwürfe gegen mich blieben von bekannter Seite nicht aus. Alles in allem, ein denkwürdiger Abend. Wir hatten zudem wenig Hoffnung, dass diese Hausverwaltung im nächsten Jahr eine korrekte Hausabrechnung erstellen würde. So kürzten wir unsere Hausgeldzahlung nach vorheriger Berechnung unserer voraussichtlichen Rückerstattungen. Ebenso verfuhren wir mit der Nutzungsgebühr für unseren Käufer, die wir um unser Guthaben für 2018 kürzten, damit war er einverstanden.   

Danach war eigentlich klar, dass es für uns keine Zukunft in Schöneck mehr geben würde. Kisten hatten wir schon im Vorjahr zu packen begonnen. Ich sortierte aus, was mir entbehrlich schien. Meine Frau drängte mich auch dazu. Etliche Bücher wanderten ins Antiquariat. Alles was überflüssig erschien, ging ans Rote Kreuz inklusive verschiedener Möbel. Von unserer Wohnwand hatten wir uns schon länger verabschiedet und ein Provisorium "Made in Poland" für unsere Zwischenzeit erstanden. Im September 2019 erfolgte dann endlich die Wohnungsübergabe in Lemgo und wir mieteten uns dafür ein letztes Mal in einer Ferienwohnung ein. Unsere neue Einbauküche wurde während unseres Aufenthalts montiert. Ein letzter Schritt in Richtung Lemgo war getan. Wir fanden für unseren Umzug eine gute Lösung. Meine Seniorenbeiratstätigkeit kündigte ich zum 31.10.2019, brachte meinen Aktenordner zur Übergabe an die Seniorenberatung. Als wir noch einmal über die Gründe unseres Wegzugs ins Gespräch kamen, zeigte es sich deutlich, Dass die Mitarbeiterinnen der Gemeinde inklusive der Leiterin der Seniorenberatung ganz die Gemeindelinie vertraten. Nichts war mehr von der ursprünglichen Empathie für unsere abgelehnte Bewerbung um eine Mietwohnung der Gemeinde geblieben. Wir hatten sogar Nachteile bei der Wohnungssuche gehabt, denn nicht jeder Vermieter sucht sich den Vorsitzenden Seniorenbeirats als Mieter aus. Eine Absage ging gang sicher auf dieses Konto, denn bei der Vermieterin handelte es sich um eine Angestellte der Gemeinde im Umfeld der Seniorenberatung. Dennoch lag ich am letzten Morgen in Schöneck schweißnass im Bett. Am liebsten hätte ich den ganzen Umzug abgesagt. Es gab keine Gewissheit, dass wir uns in Lemgo wohlfühlen würden. Unserem Käufer wäre es geradezu recht gewesen, wären wir ihm als Mieter erhalten geblieben. Und es gab durchaus Punkte für Schöneck, die Umgebung war mir zur Heimat geworden. Die Aussicht aus unserer Wohnung war aufgrund der erhöhten Lage der Häuser auch sehenswert. Abend sah man auf das hell erleuchtete Gartengelände und das Architektenhaus des in Schöneck wohnenden Millionärs Hoppe, Gründer der mittlerweile bundesweit tätigen Detektei Tudor. Ich mochte diesen Ausblick auf das Lichtschauspiel und morgens sah ich den Herrn mit seinem kleinen Schoßhündchen auf dem Arm im kleinen Park um die Ecke. Hohe Straße, das nahegelegene Hanau sowie Bad Vilbel mit den schönen Veranstaltungsorten und selbst der Bürgertreff in Kilianstädten hatte ab und an Sehenswertes zu bieten. Das alles sollte ich hinter mir lassen. Kein großer Flughafen mehr in der Nähe und war damit der Traum von einer Fernreise vorbei? Dazu kam noch die angenehme Bekanntschaft mit der Leiterin unseres Rehasports, der im Vereinsrahmen stattfand. Wir beide hatten einen ähnlichen Humor und zu Fasching mochte sie es gern, wenn ich etwas Humoristisches gedichtet hatte. Aber ich saß  in einem anderen Boot. Dennoch musste ich mir klar machen, dass ich meine Eltern nun zum zweiten Mal verlassen würde. Das Grab meines Vaters, in das ich auch die Urne meiner Mutter hatte beisetzen lassen, war dem Erdboden gleich gemacht, die Steine entfernt, lediglich ein Stückchen Rasen erinnerte nun an die ehemalige Grabstätte meiner Eltern auf dem neuen Friedhof in Maintal-Wachenbuchen. Diese bleibt insgesamt noch fast 18 Jahre erhalten. Meine Mutter hatte richtig voraus gesehen, dass es niemanden geben würde, der das Grab auf Dauer pflegt. Sie sind nun namenlos geworden und ihre leiblichen Enkel werden noch nicht einmal wissen, dass es das Grab in ihrer Nähe einmal 12 Jahre lang gab. Doch auch meinen Bruder werde ich von Lemgo aus nicht mehr oft besuchen. Der Weg in den Vogelsberg ist weit, zu weit für gelegentliche halbstündige Gespräche, die sich um längst verstorbene Verwandtschafts- und Familienmitglieder drehen und die stets mit der Frage nach ein bisschen Geld enden. Geld kann ich auch per Post verschicken und überhaupt, ist es nicht gut, wenn anscheinend zu Vertrautes auch einmal endet. Lange schon waren wir mit den Gedanken bei einem Wechsel des Wohnorts nach Lemgo. Mit zunehmenden Alter wird so etwas nicht leichter. So stand ich also an dem besagten Morgen auf und half den Umzugsleuten da, wo es nötig war. Sie  planten, erst unsere Wohnung zu räumen und am nächsten Tag mit dem voll beladenen LKW nach Lemgo zu fahren. Wir jedoch würden am gleichen Tag abfahren, um am nächsten Tag in unserer neuen Wohnung auf den Umzugswagen zu warten. Wie um uns zu zeigen, dass es höchste Zeit für unseren Umzug war, passierten noch zwei blöde Sachen. Ruth ließ den Wasserhahn in der Küche laufen und sorgte für eine Überschwemmung. Gott sei Dank, hatte die Frau unseres Maklers die Abwicklung der Übergabe der Wohnung übernommen und das laufende Wasser schnell bemerkt. Als ich in der Küche lag, um unter unserer Einbauküche, die mit verkauft worden war, alles trocken zu reiben, kam mein Hund Mecky und sah mich fragend an nach dem Motto: was machst du da und was macht ihr hier eigentlich mit mir? Auch er würde seine Hundefreundin Lisa so schnell nicht mehr sehen. Die kleine Jack-Russell-Terrier-Hündin, die ihn immer zum Spielen aufforderte, vor der er sich dann meist auf dem Rücken wälzte. Auch seine Hundebetreuung war in Lemgo erst mal nicht gegeben. Da ging es ihm wie mir, denn meine Psychotherapie fand auch ihr jähes Ende. Noch bevor ich 2015 in die Psychosomatische Klinik der Uni Frankfurt ging, suchte ich schon nach der Möglichkeit einer anschließenden Gesprächstherapie und fand in Maintal eine Verhaltenstherapeutin, die gerade eine neue Praxis eröffnete. Sie nahm mich zu meinem Glück als Patient auf und war im Grunde während meines Aufenthalts in der Uniklinik der rettende Anker außerhalb der Klinikwelt. Über Jahre entstand so eine zwar distanzierte, aber doch angenehme Therapeutin-Patient-Beziehung. Sie bekam zwischendurch ein Kind, sodass ich zu einer längeren Pause genötigt war. Wir sprachen vor unserem Umzug nach Lemgo oft über die Realität unseres Vorhabens und über viele persönliche Dinge, die mich betrafen. So wusste sie auch von meinem lange gehegten Wusch nach einem kleinen Tattoo. Wortreich wollte ich mich am Tag unseres letzten Termins von ihr verabschieden, ein kleines Geschenk überreichen als Dank für ihre Unterstützung. Doch dazu kam es nicht. Sie hatte keine Betreuung für ihr Kind und sagte den letzten Termin ab. Dergestalt waren meine Abschiede von Frankfurt und Schöneck, ohne Gelegenheit, Revue passieren zu lassen. Dafür ging mir einiges durch meinen Kopf, als wir letztmalig unseren Parkplatz vor dem Haus in Schöneck verließen. Noch einmal ein Imbiss in einem Restaurant in Nidderau, dann führte uns die Fahrt endgültig auf die Autobahn bei Altenstadt. 

Schon unterwegs bemerkten wir, dass wir zwar Waschmaschine und Trockner verladen, aber alle weiteren Utensilien inklusive Waschmittel vergessen hatten. Da half auch die Bitte um Sicherstellung an die Maklergattin nichts. Es sollte zwar nicht das Letzte sein, was fehlte, aber ein bisschen Schwund ist ja bekanntlich immer. Vieles geschah zum letzten Mal, darunter nun auch die Übernachtung in einem Hotel in Lemgo. Es war das "Im Borke" in Kirchheide, was für mich immer ein Hort lippischer Gemütlichkeit darstellte. Etwas in die Jahre gekommene Ausstattung auf dem Stand der 80er-Jahre (immerhin mit Flachbildschirmfernseher), aber immer ein gutbürgerliches Essen auf dem Teller und dazu ein gutes Bier. Als wir am nächsten Morgen zahlten, war denn auch die Überraschung groß, als wir erwähnten, das wir nun Lemgoer seien. Wir waren ja langjährige Hotelgäste, auch damit war es nun vorbei. Während Ruth zu ihrer Mutter fuhr, schob ich nun in unserer neuen Wohnung Wache und wartete auf den LKW mit unseren Möbeln. Der kam aber leider viel später als erwartet mitten am Nachmittag. Stjepan, so hieß der Verantwortliche, hatte die Fahrtzeit vom Taunus nach Lemgo falsch eingeschätzt, unterwegs, so hieß es, seien sie aufgehalten worden. Nun begann die ganze Ausladerei in großer Hektik. Kisten stapelten sich überall im Wohnzimmer und die Möbel wurden erst mal irgendwo am Rand geparkt. Zwar stand dann unser Bett irgendwann, mit dem Schlafzimmerschrank wurde es aber nichts. Die vollständige Montage hätte noch ewig gedauert. Ich spendierte den Leuten ein gutes Trinkgeld und schmiss sie raus. Eine Glasvitrine hatte eine kaputte Scheibe, wir konnten sie aber so oder so gar nicht mehr stellen, ebenso wie einen weiteren Schrank, den wir zur Entsorgung mit gaben.  In den nächsten Tagen und Wochen wurde Kiste um Kiste geleert, die Möbel an verschiedene Positionen gestellt und mit Hilfe meines Schwagers auch der Schlafzimmerschrank, nicht ganz ordnungsgemäß, aber doch wieder aufgebaut. Zeit für Gedanken an Schöneck war da kaum. Allerdings ploppte im November noch etwas sehr Nettes auf. Ausgerechnet der Vermieter, der uns zuletzt noch Geld für die Annullierung eines Mietvertrags für die Wohnung in Schöneck-Büdesheim abgenommen hatte und der letztlich uns den letzten Kick in Richtung Lemgo verpasst hatte, bat nun um unsere Hilfe.

 "Unser schlimmer Vormieter in der Wohnung hat leider bei allem was er in unserer Wohnung zerstört und verdreckt hat noch die Frechheit bestimmte Tatbestände, trotz vorhandener Fotos, zu bestreiten und will den größten teil der Kaution zurück. Inzwischen gab es einen Gerichtstermin und wie so oft, ist man zwar im recht, aber der Richter sieht das aus formalen gründen anders. Z.B. weil Tatbestände nicht explizit im Abnahmeprotokoll vermerkt sind.

Hilfreich wäre für mich, wenn Sie mir einige Dinge bestätigen könnten. Wie die beiden ja völlig verdreckten Toilettenschüsseln, die herausgerissenen Türen der und den dreck in der Küche, die kalkbeläge im Bad etc."  (Originaltext)

Da fragt man sich schon, für wie blöd man eigentlich gehalten wird. Dem Manne konnte nun nicht geholfen werden. Vermutlich wird er die Forderung erfüllen müssen. Eine ordentliche Abnahme der Wohnung war wohl unterblieben. Wir waren froh, aus dem Schlamassel heraus zu sein. Im Haus war die Stimmung freundlich. Unsere Nachbarin hatte uns mit Umzugskartons ausgeholfen. So ein Umfeld kannten wir gar nicht mehr. Wir begannen nun damit die sonntäglichen Wanderungen des Vereins "Alt-Lemgo" in unser Leben zu integrieren. Jeden Sonntag fuhr ein Bus, der auch Gäste mitnahm, zu einem neuen Startpunkt einer Wanderung. Auch Mecky konnte mit, was sicherlich nicht jedem Wanderfreund/-in gefiel. Denn er hatte die unangenehme Angewohnheit zwischen den Leuten herum zu wieseln, was auch ein Queren direkt vor den Füßen bedeuten konnte. Die Atmosphäre war insgesamt freundlich, es wurde sogar gesprochen und unterwegs gab es gern mal Hochprozentiges von dem ein oder anderen Spender zu trinken. Es nahte das Jahresende, wir hatten allmählich auch die letzten Kisten ausgepackt und auch bei der Entsorgung von Umzugskisten unserer Nachbarin mitgeholfen. Unser Bauträger hatte zudem angeboten, die Kisten zur Wiederverwendung abzuholen. Leider kam es bei der letzten Wanderung mit Alt Lemgo zu einem Unfall, bei dem sich meine Frau den Knöchel brach. Zum angekündigten Glühweintrinken erschien für uns der Rettungswagen, in dem ich aber nicht mitfahren konnte. Bei alle dem Durcheinander, welches sich an der Höfing-Hütte am Biesterberg abspielte, störte auch mein Hund, auf den ich auch noch aufzupassen hatte. Was war passiert: die Wanderführerin hatte uns beim Abstieg vom Biesterberg auf einen schräg abfallenden schmalen Weg geführt, der zudem noch etwas feucht war. Viele Teilnehmer hatten schon vorher Schwierigkeiten damit gehabt, meine Frau rutschte aber ab und bei der Gegenbewegung geschah es dann. Dankenswerterweise halfen einige Wanderfreunde Ruth, die aus eigener Kraft nicht mehr laufen konnte bis zur Hütte. Der Wanderführerin fiel nicht mehr ein, als mir zu sagen, dass das aber jetzt für uns blöd sei. Ansonsten war sie mit dem Glühwein-Event voll ausgelastet. Eine spätere Beschwerde bei der Vereinsführung brachte nichts. Uns war schon bei einer früheren Wanderung aufgefallen, dass die besagte Wanderführerin nicht auf Nachzügler wartete. Ich hatte eine Sitzunterlage im Bus vergessen, konnte sie aber nicht mehr holen, weil ich dann den Anschluss an die Gruppe, die los gelaufen war, verloren hätte, die Folgen für uns gestalteten sich gravierend. Im ersten Vierteljahr gehörte unser Haushalt ganz mir. Ruth war zunächst nur im Rollstuhl mobil, den wir selbst bezahlen mussten. Sie hatte nicht die Armkraft für eine längere Fortbewegung auf Krücken. Es half uns praktisch nichts, dass ihre Anverwandten in unserer Nähe waren. Trotz unserer misslichen Lage waren wir genötigt, für das gemütliche Beisammensein bei meinem Schwager am heiligen Abend noch selbst einen Einkauf zu tätigen. Das Interesse an unserer Zweizimmerwohnung mit kleinem Büroanhang hielt sich in engen Grenzen. 

Uns kam zugute, dass wir uns im alten Jahr noch ein gebrauchtes Auto ausgesucht hatten, dass nun Mitte Januar zur Verfügung stand und uns das Einladen eines Rollstuhls sehr erleichterte. Wir gaben unseren mit Diesel getriebenen VW Polo zu einem guten Preis beim BMW-Händler in Zahlung. Da wir ihn quasi von meiner Schwägerin geschenkt bekommen hatten, die sich parallel zu meinen Autofahrschwierigkeiten komplett vom Auto verabschiedet hatte, war unser Kapitaleinsatz nicht sehr hoch im Verhältnis zum Neupreis für unseren Wagentyp. Dennoch tat der Abschied vom wenig verbrauchenden und gut ausgestatteten Volkswagen weh. Abgesehen von meinen haushalterischen Pflichten und den anfänglichen Ausfahrten mit Ruth genoss ich die Freiheit, allein mit Mecky auch nachmittags zu kleineren Ausflügen in die Umgebung aufzubrechen und den ein oder anderen Schnappschuss mit Handy oder Kamera zu machen. Ruth ging es sehr allmählich besser, den Rollstuhl brachten wir irgendwann weg. Sie hatte zunächst einen orthopädischen Stiefel und war froh, als sie ihn loswerden konnte. Dennoch machte ihr die Schwellung am Knöchel weiter Sorgen und bereitete Beschwerden. Die notwendige Behandlung in Form einer Drainage der Venen bekam sie nicht so einfach verschrieben, was uns unverständlich war. 

Während ich mich zunehmend mit dem Verkehrslärm in unserer Nähe beschäftigte und über eine Abhilfe nach dachte, machten mir viele Träumereien klar, dass ich mit der Vergangenheit nicht einfach durch einen Ortswechsel abschließen konnte. Schließlich hatte ich das Grab meiner Eltern einebnen lassen und sowohl dem Bruder und zwei Kindern den Rücken gekehrt. Letztere werden es nicht mal bemerkt haben. Aber besonders die etwas leichtere Lebensart und das mildere Klima würde ich vermissen. So dachte ich. Eines Tages saß ich bei einer Neurologin, um endlich meinen nervlichen Beschwerden auf die Schliche zu kommen. Die Dame hatte man überredet, die Praxis noch länger weiter zu führen, obwohl sie bereits aus Altersgründen aufgeben wollte. Das Gespräch lief dann auch sehr schleppend, gleichwohl freundlich. Die übliche Messung meiner Gehirnströme konnte ich nicht umgehen. So vereinbarte ich auch einen Folgetermin, der für mich nicht folgenlos blieb. Noch war ich voller Hoffnung auf eine gelungene Integration in meiner neuen alten Heimat. So bewarb ich mich für ein Jahrestreffen der "Local Scouts" bei Google im Silicon Valley. Ein Video entstand, in dem ich zum Einen für Lemgo warb und zum anderen die Firma Google anpries. In den ersten Monaten unseres Wohnens in Lemgo, die mir immer noch wie ein Dauerurlaub vorkamen, hatte ich mich auch freiwillig in die Dienste von Google gestellt und fleißig rezensiert, was zu rezensieren war (Restaurants, Supermärkte etc.). Mein zweiter Besuch bei der Neurologin brachte mir dann lediglich die Ansicht einer alten Mercator-Karte aus dem Jahr 1585, die Germania zeigte. Ich fotografierte fleißig. Zeit hatte ich genug, den die Ärztin tauchte nicht auf. Bei meinem ersten Besuch hatte sie noch gesagt, dass wir nach Ostern nicht mit Corona fertig wären und damit eine gewisse Kompetenz an den Tag gelegt. Ohne Ergebnis verließ ich die Praxis, denn die Arzthelferinnen konnten mir nicht sagen, wann  ich jemals dran käme. zumindest ein Ergebnis hatte das Ganze. meine Meinung über die hiesige Ärzteschaft hatte einen deutlichen Riss bekommen. Aber was half es, der erste Lockdown hielt uns ohnehin von weiteren Aktivitäten ab. Fortan lief gerade der Nachbar, der glaubte, mich für die Verwirklichung seiner Vorstellung von einer schönen Hausgemeinschaft einspannen zu können, auch im Haus nur noch im Haus herum. Eilig hatten wir uns zu Beginn der Maskenpflicht von privat Stoffmasken nähen lassen, um sie in time zur Verfügung zu haben. Bezüge zu unser alten Heimat nahmen wir wieder auf. Am Karfreitag gab es eine Grie' Soß, die wir uns zu einem Luxuspreis von einer Gärtnerei in Griesheim bei Darmstadt schicken ließen. Und ich trug bald schon bald einen feschen Mundschutz mit dem Aufdruck: "Babbel net und wasch' dei Händ", den wir online in Frankfurt bestellt hatten. nicht alle Hiesigen verstanden, was damit gemeint war und manche nahmen es gar sehr ernst und erschienen mir halbwegs beleidigt. Überall hieß es nun: zuhause bleiben. Online sollte das neue Zauberwort werden. Tätowieren, das geht allerdings nicht online. Ich war froh, meiner Frau eine Ausnahmegenehmigung für ein kleines Tattoo am hinteren Oberarm abgerungen und es bereits im Februar, also bevor der Corona-Wahnsinn startete, realisiert zu haben. Der Tätowierer erzählte mir, wie er zum Tätowieren gekommen war, was mich schon halbwegs beunruhigte. Im Grunde wandelte er immer nur geometrische Formen ab. Und so sah dann auch mein kleines Tattoo aus. Meine ursprüngliche Vorlage war allerdings vermutlich wegen Überschneidung von Linien nur schwer umsetzbar. Immerhin die Überschneidung meiner Lebenslinie, die wie ein Pfeil geradeaus ging, trennte zwei magische Zahlen (jeweils eine 5), die für mich große Bedeutung erlang haben. Doch nun war alles vorbei wie der Junimond, in dem wir uns tatsächlich trauten, an die Nordsee nach Hooksiel zu verreisen. Darüber berichtete ich in diesem Blog. Unser Aufenthalt in der gebuchten Ferienwohnung verlief wenig erfolgreich und wirkte auf mich eher surreal. Kontaktverfolgung selbst beim Kaffeetrinken außer Haus und nun ständig die Maske im Gesicht. Mundschutz adé, der war nicht mehr erlaubt. In der Wohnung selbst, zusammen gesuchtes, altes Mobiliar, schwer zu ertragen, wenn man aus einer gerade bezogenen Neubauwohnung mit Komfort kommt. Der gebuchte Strandkorb kam uns abhanden. Wir liefen also nur herum, Mecky jagte verbotener Weise Jungvögel durch den Matsch am Strand und wir beschlossen, dem grausigen Spiel einen Tag früher als gebucht ein Ende zu bereiten. Wir fuhren nach hause. Besser gesagt Ruth fuhr, denn mit mir war nichts mehr los im Auto. Als wir Ende Mai noch gemeinsam den Geburtstag des Bruders meines Patenkindes gefeiert hatten, war ich relativ bedient. Sehr gut verstand ich, dass meine Schwiegermutter die Lust zum Leben, allerdings aus ganz anderen Gründen, abhanden gekommen war. Corona, das sei schlimmer als der Krieg, sagte sie einmal. Und für sie waren soziale Kontakte so wichtig gewesen, beispielsweise das Kaffeetrinken der Senioren/-innen im Leeser Krug. Das fand nun nicht mehr stand. Angst regierte in den Medien. Auch wenn im Sommer die willkürlichen gesetzten Zahlen herunter gingen, man drohte bereits mit dem Winter. Die gesundheitliche Situation meiner Schwiegermutter war schon seit längerem prekär. Ihren 93. Geburtstag konnten wie wegen den Corona-Vorschriften nicht feiern. Es sollte nachgeholt werden. Der Notarzt war bereits einmal von Nöten, zum Glück erwies sich der Einsatz nicht als so folgenschwer. Sie konnte nach Untersuchung im Krankenhaus wieder nach hause zurück kehren. Doch die Beantragung einer Pflegestufe wurde nun auch für meinen Schwager unumgänglich und diese wurde auch bewilligt. Leider konnte dies nichts Gutes mehr bewirken. Denn im Juli , mein Schwager hatte gerade noch einen Urlaub gemacht, fand man sie eines morgens besinnungslos in ihrem Bett. Sie war schon jahrzehntelang herzkrank gewesen und insgesamt konnte es als Wunder angesehen werden, dass sie dank ihrer Medikamente ein so hohes Alter erreicht hatte. Im Lemgoer Krankenhaus konnten wir sie, dank der geltenden Corona-Regeln war der Zutritt nur einem Bevollmächtigten gestattet. Das war mein Schwager. Aber zeitliche Beschränkungen und die Notwendigkeit, sich für ein Arztgespräch Termine geben lassen zu müssen, machten es auch für ihn nicht einfach. Es stellte sich heraus, dass sich bei der Schwiegermutter Wasser in der Lunge angesammelt hatte, dass nun heraus geholt werden musste. Nach ein paar Tagen und dem Eingriff schien sich ihr Zustand soweit gebessert zu haben, dass die Entlassung für den 27. Juli vorgesehen war. Allerdings war man auch im Krankenhaus nicht der Meinung, dass sie zuhause nicht mehr ohne Pflege allein würde leben können. Doch alles kam anders. Immerhin wir konnten Leni, so wurde sie genannt, anrufen. Doch das Gespräch verlief sehr ernüchternd. Sie war schwer zu verstehen und war vor allem wegen der Tatsache, dass sie nun sehr isoliert in ihrem Krankenbett lag und niemand von der ihr am Herzen liegenden Zustand wusste. "Das ich so vergehe.." Es zeigte, dass sie sich sehr genau über ihren Zustand, trotz des gelungenen Eingriffs, im Klaren war. Sie fragte nach, was Mecky und ich machen und das ehrte mich doch sehr. Zu Mecky hatte sie immer eine gute Beziehung gehabt, obwohl sie an sich keine Tierfreundin war. Umgekehrt war auch Mecky stets froh, wenn er auf ihrer alten Couch Platz nehmen konnte. Er sprang immer sehr schnell aus dem Auto, wenn wir vor dem Haus in Leese vorfuhren und rannte zu ihrer Verandatür. Als ich am 25. Juli vor dem Mittagessen mit Mecky vom Gassigang nach hause kam, berichtete mir Ruth entsetzt vom plötzlichen Tod ihrer Mutter. Nun hieß es wieder einmal kühlen Kopf zu bewahren. 

Ich kümmerte mich um einen Bestatter, die Abläufe waren mir ja vom Tode meines Vaters her noch gut bekannt. Ich fand eine nette, einfühlsame Frau, die das übernahm. Wir kamen auch persönlich ins Gespräch, denn sowohl ihr Vater als auch meine Schwiegermutter hatten ihren Lebensgeschichten schriftlich hinterlassen. Ich durfte sogar die ihres Vaters lesen und wenn Corona mal vorbei wäre, dann würde sie auch mal eine Lesung in ihren Räumlichkeiten veranstalten. Ja, wenn das Wörtchen wenn nicht wäre. Zusammen mir meiner Frau und der Frau meines Schwagers nahmen wir von Leni Abschied. Sie lag aufgebahrt und gut präpariert wie schlafend da. Mein Schwager wollte seine Mutter lebend in Erinnerung behalten. Für ihn fand eine unter Coronabedingungen surreale kleine Trauerfeier im Krankenhaus statt. Das Abschiednehmen von einem Verstorbenen ist allerdings sehr wichtig, um einen gewissen Abschluss nehmen zu können. Von nun an lebt der oder die Verstorbene nur noch in unserer Erinnerung weiter. Wie so oft durfte ich den Prozess in Gang setzen, andere setzten sich hinter her drauf und hielten die Fahne hoch. In der Traueranzeige standen unsere Namen ganz unten, obwohl Ruth als ältester Tochter der Platz oben zugestanden hätte. Bei der Musik konnte ich mich wenigstens mit zwei von drei Stücken beteiligen. Sie fanden großen Anklang. 

Auch die Trauerfeier fand dann mit den üblichen Corona-Schikanen statt. Manche Gäste kannten wir, andere nicht. Manche hielten sich aus Angst vor Ansteckung sehr zurück, andere nicht. So spiegelte sich auch hier die Teilung unserer Gesellschaft wieder. Während ich noch die Leni's Erinnerungen las, war vor unserem Haus Baubeginn für ein Haus direkt an der Lemgoer Straße in Brake. Schon länger befassten wir uns mit dem Gedanken, eine größere Wohnung zu kaufen und dies schien eine der letzten Gelegenheiten zu sein, dies zu einem halbwegs vernünftigen Preis zu tun. Zumal wir noch eine Erdgeschoßwohnung mit Gartenanteil zur Auswahl hatten. Mit dem Thema Lärm an der befahrenen Ausfallstraße und Erdgeschoß kämpfte ich eine Weile. Aber die Gelegenheit war zu verlockend. Schließlich war uns ein Zuschuss der KfW aufgrund der modernen Bauweise des Mehrfamilienhauses sicher. So blieb das Jahr ereignisreich und Corona betraf uns nur am Rand. Die Infektionszahlen gingen herunter und es wurde wieder fleißig auch mit Flieger geurlaubt. Hatte ich bislang meine neue Heimat Lemgo fleißig fotografiert, so entstanden nun mit Baubeginn ständig neue Bilder. Ich wollte dieses Mal alles dokumentiert haben. Unsere bisherige Wohnung hatten wir erst gesehen, als das Haus außen schon fertig aussah. Nebenbei lief die Abwicklung des Erbes meiner Schwiegermutter. Wir hielten uns da weitgehend heraus. Ruth hatte nicht die Idee, wesentliche Teile der Gegenstände im Haus zu beanspruchen. Und finanziell war die Abwicklung klar, auch wenn das nicht Jedem passte. Mein Patenkind erlebte ausgerechnet in der Zeit des Ablebens seiner Großmutter die erste Trennung von einer Freundin. Die Eltern befürchteten Schlimmes und ich unternahm einen Spaziergang im Lemgoer Stadtwald mit ihm, ohne viel heraus zu bekommen, was ich auch gar nicht versuchte. Mein Schwager ließ uns in dem Zusammenhang wissen, dass ihm Kontakte außerhalb der Familie wichtiger seien als eben die Familie, die man sich nicht ausgesucht hatte. Das wussten wir allerdings bereits. Er befürchtete demnach, dass die Möglichkeit zur Einflussnahme auf seinen Sohn nicht besonders groß seien. Auch damit hatte er sicher recht. 

Wir ließen uns von all dem nicht abhalten und kauften schließlich die Gartenwohnung. Nun ging es mir speziell darum, die Lage unserer Wohnung bildlich festzuhalten. Mein 65. Geburtstag lenkte mich kurzfristig davon ab. Ich hatte das Glück, dass wir noch ein Restaurant besuchen konnten. Allerdings dauerten die Feierlichkeiten nicht allzu lange. Die beiden Söhne meines Schwagers waren an anderen Verabredungen interessiert und mein Schwager kam noch auf ein Bier zu uns nach hause mit. Mir wurde nicht nur an diesem Tag bewusst, dass es anderer Wege bedurfte, um in Lemgo heimisch zu werden. Die Lemgoer Grünen gaben mir die Gelegenheit, mich als "sachkundiger Bürger" ehrenamtlich zu engagieren. Den Kontakt zu ihnen hatte ich über einen Ansprechpartner hergestellt, dem ich meinen erfolglosen Kontakt zum Bürgermeister der Stadt Lemgo in Sachen Verkehr in der Lemgoer Straße schilderte. Ich recherchierte zudem im Internet, dass es in Lemgo anstelle eines Seniorenbeirats einen Generationenbeirat gibt. An dessen Sitzungen konnte jeder Interessierte teilnehmen. Da war ich Anfang September erstmals dabei. 


Zurück in der alten Heimat Schöneck. Hier feierte ich meinen 65. Geburtstag nach. Das Bild entstand im Hof des Hotels Lauer im Oktober 2020.
 
Viel habe ich in diesem Jahr gelernt, Neues gelernt, obwohl ich Fähigkeit zum Autofahren über lange Strecken aufgeben musste. Ich pflegte selbstständig zwei Blumenbeete mehr oder weniger erfolgreich und ohne Unterstützung der Miteigentümer/-innen. Im Gegenteil, ich wurde gefragt, warum ich das denn mache. Denn, das für die Gemeinschaft etwas tun, das war dieser Eigentümergemeinschaft fremd. Hier gab es keinen Sergio, der sich der Gartenpflege annahm und dafür in Schöneck gelobt wurde. Und konsequenterweise bekommt ein Wohnungseigentümerbeirat hier auch keine Beiratsvergütung. Selbst schuld, wer es macht. Und bei einem unserer seltenen Stadtgänge mit unserem kleinen Hund passierte es dann. Mecky, der weder Vögel noch kleine Kinder soll ein Kind gebissen haben. Bei einem unseren wenigen Stadtbesuche mit Mecky saßen wir draußen vor einer Eisdiele auf dem Lemgoer Marktplatz. Hier schien uns der Abstand zu den anderen Besuchern ausreichend genug, es galten ja schließlich die Corona-Abstandsregeln. Den Besuch einer anderen Eisdiele hatten wir wegen der hohen Zahl von Kindern verworfen. Doch auch hier gab es zwei Kinder, die pausenlos um Tische herum rannten und uns dabei immer näher kamen. Während wir noch mit der Eiskarte beschäftigt waren und lange auf unsere Bedienung warteten, wurde es Mecky zu bunt. Zwar war er angeleint, aber eines der Kinder kam uns so nahe, dass er es schaffte, es zu erreichen. Ob und was passiert war, konnte ich nicht sehen. Mecky hatte ich so schnell wie möglich, zurück gezogen. Aber nun kam eine Bedienung mit der Behauptung zu uns, der Hund habe gebissen. Ich konnte das nicht glauben. Die zuständigen Mütter mit Migrationshintergrund saßen uns gegenüber. Ich traute mich nicht dorthin zu gehen, denn ich konnte mir vorstellen, welcher Aufstand nun losbrechen würde. als sich Kind beruhigt hatte, dachten wir, alles sei in Ordnung und wohl doch nicht schlimm. Da hatten wir buchstäblich die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Dieser hatte vermutlich die Polizei angerufen. Zwar hatten die drei Damen mit ihren Kindern gemütlich schlendernd die gastliche Stätte verlassen, doch es tauchten nun drei Polizisten auf, die unsere Personalien aufnahmen. Man könne etwas sehen, meinte die eine Kollegin, während ein anderer nur äußerte, das sei eine Versicherungssache. Konsequenz des Ganzen, wir gingen mit Mecky nicht mehr in die Stadt Lemgo, ein Heidentheater zuhause und eine Polizei, die sich erst mal nicht kümmerte. Doch die angeblich Geschädigte fasste nach und so musste schließlich die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufnehmen und ich mir einen Anwalt suchen. Das Ganze endete wie das Hornberger Schießen, dauerte nur viel länger. Mein Anwalt beantragte die Einstellung des Verfahrens und die Staatsanwaltschaft stimmte dem zu. Mir selbst wurde mal wieder klar, auf welch dünnem Eis ich mich mit meinem kleinen Hund aus dem Tierschutz bewegte. Ein Ermittlungsverfahren wegen des "Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung" ist nicht lustig, auch wenn substantiell keine Anhaltspunkte für den Verdacht gibt. Auch sonst schränkte uns Mecky bei unseren Aktivitäten stark ein. Aber die Liebe eines so kleinen Kerls macht natürlich vieles wett. Aber man lernt die Menschen mit all ihren Facetten kennen. Besonders bei Menschen mit Migrationshintergrund ist die Toleranz gegenüber Hundehaltern nicht sehr ausgeprägt. Aber auch die Deutschen scheinen sich insgesamt, besonders hier in Lippe, mehr über Hundegebell als über Autolärm aufzuregen.  

Schließlich kam dann die Erbsache in Sachen Schwiegermutter zum Abschluss. Dieses Mal bekamen alle drei Kinder ihren gleichen Anteil. Ruth hatte ihrem Bruder Vertrauen geschenkt und auf eine Belegprüfung verzichtet. Mein Schwager wartete noch, um etwaige noch bestehende Forderungen als Bevollmächtigter vom Konto der Schwiegermutter begleichen zu können. Nicht zum Abschluss dagegen kam die Corona-Politik der Bundesregierung. So saßen wir am 1. November noch einmal zusammen mit meinem Schwager und seiner Frau im Leeser Krug. Es war der letzte Tag, an dem es Gaststätten noch erlaubt war, zu öffnen. Auf nicht absehbare Zeit würden wir auf ein frisch gezapftes Bier ebenso verzichten müssen wie auf ein Essen im Lokal. Für Weihnachten wurden Ausnahmeregeln in Aussicht gestellt, auch die Kontaktbeschränkungen sollten dann gelockert werden. Einstweilen begann der Lockdown und wir konnten froh sein, uns als Hundebesitzer auch abends noch im Freien bewegen zu dürfen. Mein Schwägerin konnte ihren Geburtstag im November nicht in Lemgo feiern, da Hotels nur noch Dienstreisende beherbergen durften.   

Trotz alldem wuchs unser neues Haus sichtbar und zum Jahresende waren die Dachbalken mit Folie abgedeckt, die Vorbereitung für die Dachdeckung getroffen. Mit gut 140 Fotos hatte ich Baufortschritt seit dem Beginn des Aushubs im Juli festgehalten. Und auch mein Fotoordner mit dem Namen Lemgo beinhaltete schon fast 100 Fotos. Obwohl wir kaum im Urlaub waren, ging mir der Stoff in Sachen Fotografie also nicht aus. Das Jahr 2021 würde viel besser werden, diese Verlautbarungen machten vielen Menschen Hoffnung, zumal im Dezember erstmals ein Impfstoff gegen Covid-19 zur Verfügung stand. Silvester dagegen blieb relativ ruhig. Der Verkauf von Feuerwerk war zwischen den Jahren verboten worden. Dennoch knallte es hier und da ganz ordentlich. Symbolisch für die Spaltung unserer Gesellschaft, die längst begonnen hatte.

Nachdem ich nun meine Vergangenheit aufgeschrieben habe, möchte ich mich gleich für die Dinge entschuldigen, die ich vergessen oder übersehen habe. Sollte sich jemand auf die Füße getreten fühlen, kann er/sie sich gern melden. Dass es den Gasthof "Im Borke" in Lemgo nicht mehr gibt und das schon seit Ende 2019, das ist eine Geschichte für sich. Dieser Platz verkörperte für mich in unruhigen Zeiten immer das Inbild der lippischen Gemütlichkeit. Es schien mir unvorstellbar, dass es dieser Ort nun kein Leben mehr hat, nachdem der Wirt ganz plötzlich in der Weihnachtszeit verstorben ist und sich offensichtlich auch wegen Corona kein neuer Pächter in 2020 fand. Jetzt, wo ich mein "Wohin" entschieden habe (zugunsten der Alten Hansestadt Lemgo), werde ich mich wieder dem "Woher" widmen. Spuren verfolgen und nach langer Zeit mal wieder ein altes Adressbuch der Stadt Kolberg in Hinterpommern erfassen. Es führt mich in das Jahr 1878 zurück.
 

        

   

 

  


Samstag, 1. Januar 2022

MyLife 2012 - 2016

Das Ende von Vielem 

 Das Jahr 2012 beginnt mit einem Jubiläum. 60 Jahre Börsen-Zeitung, aus diesem Anlass gab es eine Sonderausgabe mit den Fotos aller Mitarbeiter/-innen. Auch ich durfte mein Konterfei dort wieder finden. 



Allerdings war es dann auch schon mit den positiven Nachrichten. Nachdem der an sich erfolgversprechende Versuch, einen neuen Verlagsleiter zu etablieren, gescheitert war, entschloss man sich, keinen Ersatz für diese Position zu suchen. Seit längerem war schon ein neuer Geschäftsführer in der Einarbeitung, der nun unser Vorgesetzter wurde. Er stammte aus dem familiären Umfeld der Firmeneigner und regierte nun nach patriarchalischer Art durch. Vorher hatte er die Abteilung Seminare geleitet. Das führte nun zu einiger Unruhe im Haus. Zugute halten musste man ihm, dass auch er unter Druck stand und zwar von dem bisherigen Geschäftsführer, der ja noch im Amt blieb und auch als Herausgeber und Verleger fungierte. Das hieß, er war Chef, aber auch er musste sich abstimmen. Was das bedeutete, konnte ich mir vorstellen. Anlässlich des 60. Geburtstags im Vorjahr wehrte sich unser Verleger quasi gegen meinen Glückwunsch anlässlich der Einladung der Mitarbeiter/-innen zu einem Umtrunk. Kollege B. stand auch in dessen Ansehen wesentlich besser da als ich. Was den neuen Geschäftsführer anging, er ignorierte mich weitgehend und auch ich suchte das Gespräch nicht, da ich mir nichts davon versprach. Schon bald bekam ich den neuen Ton zu spüren, den er pflegte. Als ein Kollege abends beim Spätdienst Probleme mit der Tabellenaktualisierung hatte, erhielt ich einen Anruf mit der Aufforderung, ich solle meinen Arsch noch am Abend in die Firma schwingen, um den Fehler zu finden und zu beseitigen. Kollege B. war in Urlaub und ich hatte Vertretung in seinem Bereich. Ich tat das natürlich nicht, sondern informierte den Betriebsratsvorsitzenden und die Personalabteilung über den Vorfall. Das brachte mir eine fade Entschuldigung ein, ersetzte mir aber nicht meine nervliche Erschütterung. Das Vertrauen in eine gute Zusammenarbeit war dahin. Stets hatte ich das Gefühl, einen Wolf im Schafspelz vor mir sitzen zu haben, wenn ich zu den Montagssitzungen erschien. Immer mit quasi zwei Chefs im Gespräch zu sitzen, war ohnehin schon eine unangenehme Sache. Zunächst prasselte auch arbeitsmäßig einiges auf mich ein. Die Sekretärin des Geschäftsführers, ohnehin fachlich nicht gut vorbereitet, war mit vielen Aufträgen überfordert und so landete manche Auswertung gerade im Bereich Investmentfonds auf meinem Schreibtisch. Dabei wusste ich in der Regel nie, warum die Auswertungen zu machen waren und welches Ziel dahinter steckte. So lieferte ich dann ab und an Ergebnisse, die unser Geschäftsführer für nicht ausreichend erachtete. Es war klar, wir mussten Kunden halten und dazu sollten auch neue gewonnen werden. Im Wesentlichen ging die Zielrichtung des Hauses aber in Richtung Einsparungen. Wenig gute Aussichten also insgesamt, zumal das Thema Zusammenlegung von Abteilungen, Automation von Datenübernahmen direkt auch Arbeitsplätze bedrohte. Ich war mittlerweile Ersatzmitglied im Betriebsrat, hatte die letzte Wahl als Mitglied im Wahlvorstand mit vorbereitet. Mit einem unserer Boten hatte ich eine kleine Liste gebildet, die sich zur Wahl stellte. Wir hatten naturgemäß wenig Aussichten bei der Wahl, zumal die Redaktion unserer Zeitung eine eigene Liste aufstellte. Ein Fakt, den unser Herausgeber mit Recht kritisierte. Ich stand nun dennoch auf der anderen Seite, wenn man so will.

Das Jahr 2012 begann auch privat mit einer Enttäuschung. Unseren Winterurlaub in Oberstdorf-Tiefenbach mussten wir wegen Grippe vorzeitig abbrechen. Die Krankmeldung eines Arztes vor Ort erreichte die Firma zunächst nicht. Die Post war an die Landesbank Hessen-Thüringen gegangen, anstatt an meine Firma. Das förderte meine Beziehungen zur Personalabteilung nicht gerade. Es gab immer mal wieder Meinungsverschiedenheiten und eine gewisse Beratungsresistenz seitens der Führung, obwohl ich mit meiner Frau eine Fachfrau und Abteilungsleiterin in der Personalabteilung an meiner Seite hatte. Während ich mich mit dem Verlust des Kontakts zu meinen Kindern abzufinden hatte, ging unser Leben aktiv weiter. Ich bearbeitete das Thema mit einem Acrylbild, das ich "Lost Faces" nannte. Bastelte weiter an meiner Modelleisenbahn und knüpfte Kontakte zur Familie meiner Mutter, den Keßlers. Zu meinem Geburtstag lud ich nach Bad Vilbel ein und es kamen sowohl mein ein paar Monate älterer Onkel mit Freundin sowie Cousin und Cousine, Kinder eines verstorbenen Onkels. Es war einer meiner besseren Geburtstage. Daraus ergab sich dann der Plan, die Geburtsstadt und Heimat der Familie Keßler in Glauchau entspannt gemeinsam mit der Bahn zu besuchen. Zu viert realisierten wir das. Die Taxifahrerin, die uns zum gebuchten Hotel bringen sollte, fragte nur "Was wollen Sie denn hier?" Wir ließen uns davon nicht beirren und liefen die uns bekannten Adressen in den Folgetagen ab. Das kleine Städtchen hat mit dem Schloss und einem Stausee auch touristisch genügend für die kurze Zeit zu bieten. Die Taufkirche meines Großvaters (Vater meines Onkels) besuchten wir natürlich auch. Diese gemeinsame Zeit machte uns bewusst, wie wenig wir eigentlich voneinander kannten. Mutter hatte nie geäußert, dass sie ihre Heimatstadt sehen wollte, dennoch das Gesehene war ein Teil der Aufarbeitung auch meiner Vergangenheit, die ich bezogen auf die Familie Dreyer schon hinter mir hatte. Ich lebte aber auch in der Gegenwart. Wann immer meine Zeit in den Mittagspausen erlaubte, streifte ich durch Frankfurt und fotografierte, wo es aus meiner Sicht etwas zu sehen gab, so zum Beispiel den Abriss des Theaters am Turm, dem Haus, in dem auch die Nitribitt einst ermordet wurde. Ich hatte natürlich auch nicht ganz die Hoffnung aufgegeben, den Kontakt zu den Kindern wieder aufleben zu lassen, aber mein Überraschungsbesuch stieß auf wenig Gegenliebe der Mutter und eines Kinder verhielt sich derart abweisend, dass mir nur der Rückzug übrig blieb. Mit den Worten der Mutter: "Mach' dir keine Gedanken, ich überlege mir was." gingen wir auseinander.  

Kulturell ging es uns in Schöneck gut. Dieter Hildebrandt gab sich im Oktober die Ehre. Wohnte im Hotel Lauer und aß in der kleinen Pizzeria von Rudolfo, die ihm wohl sehr gut gefiel. Mir blieb es im Gedächtnis, wie er sich über den Gemeinplatz "nach vorn schauen" lustig machte. Er habe immer nach vorn geschaut, meinte er, aber dabei meistens nichts gesehen. Auch unser Verein Leselust veranstaltete etliche Lesungen im Bürgertreff Schöneck. Manchmal verdienten wir uns dabei etwas durch die Bewirtung hinzu. Ich glaube, viele der Künstler schätzten die persönliche Atmosphäre des Ortes und der freundlichen Bewirtung durch Marianne Lauer in ihrem Hotel. 

2013 holten wir nach, was wir bei der Silberhochzeit eigentlich schon realisieren wollten. Wir machten ein Shooting bei einer mir bekannten Frankfurter Fotografin. 31 statt 25 Jahre waren schon vergangen und trotz aller Krisen lebten wir noch zusammen. Die Bilder wurden sehr schön und ein gutes Essen bei einem Italiener in Eschersheim rundete den Tag für uns ab.  Der Sommer 2013 bescherte Frankfurt am Main ein Hochwasser und uns den Besuch von Finn, dem jüngeren Bruder von Niklas. Wir besuchten den Opel-Zoo in Kronberg und das Römerkastell auf der Saalburg. Wieder wurde mir der Unterschied im Verhältnis zu "meinen" Kindern bewusst. 

„Das traditionelle Zeitungsgeschäft wird auch für uns immer schwieriger. Auch wir verlieren Anzeigenerlöse.“ Diese Aussage stammt vom Chefredakteur der Börsen-Zeitung und aus dem Jahr 2013. Im Vorjahr war ein Konkurrenzblatt auch im Bereich der Investmentfondspreisveröffentlichungen geschlossen worden. Die Eigentümer der Firma, vertreten im Beirat, hatten einen Einstellungsstopp angeordnet, Entlassungen gab es im Großen und Ganzen keine. Das spiegelte gut wieder, was ich persönlich in meinem Arbeitsumfeld erlebte. 

Meinen Geburtstag verbrachte ich in Tallinn / Estland, was durchaus nicht meine Absicht gewesen war. Vom 5. bis zum 9.9. hatten wir zusammen mit meiner Schwägerin eine Pauschalreise nach Tallinn gebucht. Sie kam nur zustande, weil eine Gruppe von Marathonläufer/-innen genügend Plätze in der Maschine gebucht hatte, um am Tallinn Marathon teilzunehmen. Wir absolvierten ein schönes touristisches Programm in Tallinn, machten einen Ausflug in den Lahemaa-Nationalpark, nach Käsmu an der Ostsee, besuchten in Palmse ein altes Herrenhaus und landeten am Ende in Rakvere, wo wir eine alte Ordensburg sahen.  Das alles hatte soweit nichts mit dem Alltag in Estland zu tun. Über die gesamten Umstände der Reise habe ich ausführlich auch in diesem Blog berichtet.

Reise nach Tallinn 5.-14.9.2013  

 Daher hier nur eine Kurzfassung von dem, was geschah. Am vorletzten Tag hatten wir noch einen schönen Weg entlang am Ostseestrand Richtung Kadriorg gemacht und dabei die vielen Marathonläuferinnen und -läufer bewundert. Abends aßen wir in einem italienischen Lokal im Kneipenviertel Rotermann die beste Pizza ever. Am nächsten Morgen bereiteten wir uns bereits auf die anstehende Abreise vor. Doch beim Frühstück im Tallinn Express Hotel stolperte Ruth über ein Bein meines Plastikstuhls, dass ich aufgrund ihrer Ungeduld nicht rechtzeitig an den Tisch heran ziehen konnte. Mit der leeren Kaffeetasse in der Hand stürzte sie mit ausgestrecktem Arm der Länge nach auf die linke Seite. Schnell war klar, dass etwas Ernstes passiert war, sie konnte nicht mehr stehen. Der Notarzt musste kommen und ich fuhr mit ihr ins Ida-Tallinna Keskhaigla-Krankenhaus, während meine Schwägerin unsere kompletten Sachen packte, die unsere Reiseleiterin gottlob ins Krankenhaus nachlieferte. Ruth hatte einen Oberschenkelhalsbruch erlitten und es wurde schnell klar, die Lufthansa würde uns so nicht mit nach hause nehmen. Ich nahm Verbindung mit dem ADAC auf und geriet zum Glück an einen Arzt im Bayerischen Wald, der russisch konnte und die Verhandlungen mit den Ärzten vor Ort übernahm. Die Empfehlung war ganz klar: operieren schnell und in Tallinn. Eine Nacht durfte ich mit Ruth im Krankenhaus bleiben, wo wir auf eine Privatstation freundlich versorgt wurden. Am Folgetag fand die OP statt und ich musste in das Reval Park Casino-Hotel umziehen. Das hatte uns die Reiseleiterin organisiert. Hier konnte ich tageweise verlängern, bis es endlich am 14.9. eine Rückflugmöglichkeit nach Deutschland gab. Das lag daran, dass sechs Sitzplätze gebucht werden mussten, um Platz für Ruths Liegendtransport zu schaffen und natürlich Platz für den aus Deutschland angereisten Sanitäter und mich. Absurderweise mussten wir beide eine separate Sicherheitskontrolle am Flughafen über uns ergehen lassen, eher wir zur Maschine gelangen konnten. Die Tage davor werde ich wegen der vielen Ungewissheiten und den Eindrücken in Tallinn stets in Erinnerung behalten. Ich ging morgens in Krankenhaus und blieb stets, bis auf eine Mittagspause bis zum späten Nachmittag bei Ruth. Am meinem Geburtstag hatte sie besonders schlechte Laune und so beging ich die restlichen Stunden mit meinem üblichen Abendessen, erfreute mich an der freundlichen blonden Bedienung, um dann abends recht kraft- und ratlos in meinem Hotelzimmer zu sitzen. Unsere Reiseleiterin konnte ich schlecht als Gesellschafterin missbrauchen und zum um die Häuser ziehen fehlte mir die Lust und auch die Kraft. Zuhause hatte es wohl den üblichen Anruf meiner Kinder gegeben, von dem ich aber erst mit großer Verspätung und nach meiner Rückkehr Kenntnis nehmen konnte. Die Esten sind ruhige, freundliche Menschen und das fand ich sehr angenehm. Als wir im Frankfurter Markuskrankenhaus ankamen, wurden die Unterschiede schnell deutlich. Während sich in Tallinn viele Schwestern um Ruth kümmerten und sie sogar eine deutschsprachige Betreuung bekam, die ihre ersten Gehübungen begleitete, kam in Frankfurt vor allem abends ein Pfleger auf mehrere Stationen, ganz abgesehen von der sehr pampigen Notaufnahme. Ruth hatte allerdings Glück im Unglück, sie bekam ein Einzelzimmer, da die Mehrbettzimmer alle ausgelastet waren. Sie blieb nur wenige Tage und sollte dann direkt nach hause entlassen werden. Dagegen musste man natürlich protestieren, denn auch wenn die OP in Tallinn erstklassig ausgeführt worden war, versorgen konnte Ruth sich keinesfalls allein. Schließlich fanden wir einen verständigen Arzt, der sich durchsetzen konnte. Ruth kam in die Reha in die Wicker-Klinik Bad Homburg. Darüber war ich sehr froh, denn weitere Anfahrten hätte ich im Pendelverkehr kaum geschafft. Jedes Mal überlegte ich schon, ob ich die A661 benutze oder ab Bad Vilbel lieber die Landstraße fahre, was mir deutlich leichter fiel. 

Die Reaktionen auf den Unfall meiner Frau fielen sehr unterschiedlich aus. Während die Personalabteilung unserer Firma mit Verständnis reagierte, als ich um ein Paar Tage Urlaubsverlängerung in Tallinn gebeten hatte, fehlte Ruths Chef jegliche Empathie. Sie erhielt weder im Krankenhaus noch in der Reha irgendeinen Besuch, geschweige denn ein Zeichen der Anteilnahme. Herr Linne, Geschäftsführer der Frankfurter Filiale der in Hamburg ansässigen Steuerberatungsgesellschaft, erwartete ihr baldiges Erscheinen am Arbeitsplatz. Man stelle sich das bei einer derartig schweren Verletzung vor. Ich besuchte Ruth jeden zweiten Tag auch nach der Arbeit, am Wochenende hatten wir dann mehr Zeit und ich fuhr Ruth im Rollstuhl durch den Kurpark. Wir entdeckten bald ein Lokal an den Tennisplätzen, wo wir auch nach dem Ende ihrer Reha noch öfter Essen gingen. Nach meiner Rückkehr aus Tallinn kam ich dann endlich auch dazu, meine Kinder zurückzurufen, hatte aber nur die Mutter am Apparat. Die brauste ziemlich auf wegen meiner späten Reaktion. Es interessierte auch nicht, als ich ihr die Ursachen für die Verspätung zu erklären versuchte. Das interessierte sie schlichtweg nicht. 

Ruth hatte relativ früh beschlossen, dass sie ihr berufliches Dasein beenden wollte. Die gleiche Ärztin, die auch mir schon mit einem Attest geholfen hatte, half auch ihr über die Zeit mit Krankschreibungen hinweg. Das war durchaus vertretbar, denn es waren immer noch Kontrolluntersuchungen notwendig und sie keineswegs wieder vollkommen genesen. Dennoch erklärte sie sich schweren Herzens zu einem Gespräch mit ihrem Chef bereit. Der eröffnete ihr gleich, dass sie ihren Abteilungsleiterposten verlieren würde und er auch die bisher gezahlte Prämie nicht mehr zahlt. Er wollte ohnehin überhaupt keine Abteilungsleiter/-innen mehr unter sich dulden. Das Ganze war also eine geplante Degradierung, die eigentlich einer Änderungskündigung erfordert hätte. Das wir das nicht hinnehmen würden, war klar und so gingen wir zum Anwalt. Nach dem Auslauf der Krankschreibungen, bat Ruth darum, den ihr zustehenden Resturlaub nehmen zu dürfen. Auch das missfiel Herrn Linne, der sich mittlerweile eine Untergebene von Ruth als Vertrauensperson ausgesucht hatte und sie fühlte sich deshalb wohl ermuntert, schlecht über Ruths Arbeit zu reden. Vor dem Ende ihres Urlaubs hatte ihr Chef Ruth zu einem weiteren Gespräch gebeten. Auf Ruths Wunsch hin hatte ich den Hamburger Geschäftsführer der Firma kontaktiert. Es kam zu einem Gespräch am Frankfurter Flughafen, bei dem ich meine Entrüstung über das Vorgehen des Frankfurter Geschäftsführers zum Ausdruck brachte. Was mich besonders ärgerte, war dass es sich bei Herrn Linne um einen nordhessischen Landsmann handelte. Ich hatte ihn schnell als den Typ eingeordnet, der aus der Provinz kommend, im Frankfurter Haifischbecken skrupellos den Weg nach oben suchte. Der integrierte sich ja nicht einmal in die Regeln der Hamburger Hauptniederlassung. Er ließ seine Mitarbeiter/-innen nur ungern nach Hamburg zu Seminarbesuchen reisen. Dennoch vertrat ihn sein Chef mir gegenüber und behauptete, er habe von Entscheidungen meiner Frau gehört, die sinngemäß unverständlich gewesen seien. Ganz offensichtlich glaubte er diesen Behauptungen, musste ihnen ja glauben schenken, obwohl er meinen Unmut spürte. Er fragte, warum sie meiner Frau überhaupt etwas anbieten sollten, schließlich könne sie ja arbeiten kommen. Das verneinte ich natürlich entschieden. Ich hatte nach dem durchaus freundlichen Gespräch, das Gefühl, es werde sich eine Einigung finden lassen. Allerdings ließ man uns zappeln und ich musste im April noch einmal schriftlich nachhaken. Geheime Korrespondenz über verschlüsselte Mails und SMS-Nachrichten, das war alles sehr spannend. Ruth ließ sich nach dem Urlaub weiterhin krank schreiben und schließlich erfolgte dann doch eine Einigung. Eine Änderungskündigung wollte man ihr nicht ausstellen, stattdessen erfolgte die Freistellung bis zum Ende des Jahres 2014 bei weiterer Gehaltszahlung. Ein gutes Zeugnis war versprochen, wurde aber aus unserer Sicht nicht geliefert. Da Ruth ohnehin in Rente gehen wollte, nun früher als beabsichtigt, verzichteten wir auf weitere Auseinandersetzungen und unser Anwalt musste nicht weiter tätig werden. 

Wie so oft in unserer Ehe, waren unseren Gemeinsamkeiten doch sehr stark. Sowohl Ruth als auch ich, wir beide haben immer unser Bestes im Job gegeben und waren bei den externen Kunden gut angesehen, an unseren Arbeitsplätzen jedoch gab es oft Schwierigkeiten. Und auch das Ende unserer Berufstätigkeiten wies Ähnlichkeiten auf. 

Noch 2013 hatte in über meine Ärztin ein Attest bekommen, in dem meine Freistellung vom Spätdienst empfohlen wurde. Meine Ärztin kannte meine gesundheitliche Verfassung inklusive des Tinnitus ganz gut und unterstützte mich. In der Firma führte dazu, dass ich nur noch einmal in der Woche Spätdienst zu leisten hatte, was in der Abteilung naturgemäß nicht begeistert aufgenommen wurde. 

Anfang 2014 wurde Ruth 60 und wir feierten das, trotz der Umstände, in einem Vogelsberger Hotel. Ruth hatte die Lemgoer auf ihre Kosten eingeladen, was die Übernachtung als auch alles andere betraf. Bei einem gemütlichen Abendessen wurde das Jubiläum begangen, was nun auch mir deutlich vor Augen zu stehen begann. Ich musste allerdings die Teilnahme an der Hochzeit meines Onkel Michael und seiner Freundin absagen, da Ruth noch nicht wieder gehfähig war. Im Mai schließlich feierte mein Patenkind Niklas seine Konfirmation und wir waren natürlich dabei. Ansonsten zog es uns ans Meer. Wir leisteten uns einen Flug nach Usedom, wo wir die Weltmeisterschaft 2014 verfolgten. Im Oktober testeten wir ein Erdgasauto auf Sylt. Noch in den Sommerferien besuchte uns Niklas. Vom Keltenmuseum am Glauberg war er nicht so begeistert wie wir. Sein Interesse galt eher der Markenkleidung und da gab es einige Geschäfte in Frankfurt, die für ihn von Interesse waren. Er reiste selbstständig mit dem Zug an und wurde von uns abgeholt und gebracht. Schon im September sahen wir uns in Lemgo wieder. Wir nahmen dort gemeinsam am Hanselauf teil. Niklas hatte ich ja vor Jahren in Bad Vilbel an der Nidda ans Laufen gebracht. Bei seinen ersten Versuchen lief er zwar schneller als ich, musste dann aber immer zwischendrin gehen. Die Strecke von Gronau nach Dortelweil und zurück war da schon eine Herausforderung gewesen für ihn. Mittlerweile hatte er mich längst hinter sich gelassen. So lief er mit mir zusammen los, aber schon bald war ich für mich allein. Der Hanselauf hatte immerhin eine Länge von 6,6 km und verlief ringförmig am Wall um die ganze Stadt herum. Zusätzlich gab es noch eine längere Strecke von 10 km. Die lief ich allerdings schon länger nicht mehr. Niklas war zu der Zeit läuferisch sehr interessiert und so kam er schon im Oktober wieder, um mit mir zusammen am Offenbacher Mainuferlauf teilzunehmen, da wählten wir die 5km. Am nebeligen Morgen des 13. Oktober ließ mich Niklas ganze 6 Minuten hinter sich, ich war es bereits gewohnt, mit ihm nur den Start zusammen zu erleben. Dennoch war ich ein bisschen stolz drauf, ihn als Läufer zu sehen.

In Schöneck liefen die Geschehnisse wieder mal zweigeteilt. In unserem Haus für uns schlechte Stimmung, seit unter uns nun Mieter wohnten, mit Migrationshintergrund, wie es so schön heißt. Die Wohnung war von einer älteren Dame (für das Alter) gekauft worden. Kamen wir schon mit der vorgehenden Eigentümern schlecht aus, so wurde es nun noch schlechter. Unser Verein Leselust hingegen lieferte weiterhin Veranstaltungen ab, die meist im Bürgertreff von Kilianstädten stattfanden. So gastierte im Oktober Dietrich Faber bei uns, ein Autor aus dem Vogelsberg, der auch mal in die Rolle eines Countrymusikers schlüpfen konnte. Es war sehr unterhaltsam, aber für den Geschmack der Damen unseres Vereins eher unter ihrem Niveau. Der Hanauer Anzeiger aber schrieb: "Dietrich Faber gibt in Schöneck den Kommissar Bröhmann. Es war mehr als nur eine Lesung, die Dietrich Faber im Kilianstädter Bürgertreff präsentierte. Der Krimi-Autor, Musiker und Kabarettist verkörperte seine Romanfiguren regelrecht. Unter anderem ließ er Kommissar Henning Bröhmann höchstpersönlich aus seinem Leben erzählen. Das kam beim Publikum bestens an." Das machte schon Spaß, wenn es den Leuten gefiel und auch die Presse zufrieden war. Ich hatte mir schon lange einen Presseverteiler aufgebaut, den ich regelmäßig mit unseren Veranstaltungen bestückte. 

Das Jahr endete urlaubsmäßig in einer traurig machenden (weil herunter gekommenen) Ferienwohnung in Berlin-Moabit. Ich denke, es war ein Beispiel dafür, wie man aus Altbauwohnungen im Viertel noch Geld heraus holen kann, ohne selbst viel zu investieren. Die Rückfahrt nach Frankfurt mit der Deutschen Bahn fand dann angepasst in einem der älteren Waggons statt und der Zug hatte auch kein Bordbistro. Die Schaffnerin erklärte, da hätten sie wohl noch ein paar alte Wagen aus Reichsbahnzeiten angehängt. Wenn man das touristische Berlin ein paar Mal abgearbeitet hat, muss man nicht mehr hin. Das dachten wir so. 

Das Jahr 2015 hatte es in jeder Beziehung in sich. Für die Familie Keßler lagen Freud und Leid beisammen. Mit meiner Cousine Stefanie hatte ich seit der Beerdigung ihres Vaters (meines Onkels Ulli) noch immer Kontakt. Sie hatte im Internet einen Amerikaner asiatischer Abstammung kennengelernt und (wo die Liebe hinfällt) wartete zum Jahresende auf ihre Aufenthaltsgenehmigung zur Einreise in die USA. Die beiden wollten heiraten und wir waren als Hochzeitsgäste eingeplant. Nachdem wir zunächst dachten, wir müssten nur den Flug buchen, für die Unterkunft wäre gesorgt, stellte es sich bald gegenteilig heraus. Meine Cousine beherbergte in erster Linie die Verwandtschaft ihres Mannes sowie ihren Bruder Andreas. Das würde die Kosten für uns erheblich in die Höhe treiben. Zudem hätten wir touristisch gesehen gar nichts davon gehabt. Gerade dieser Aspekt wäre aber für uns ein Anreiz gewesen, denn so gut kannten wir Stefanie ja nicht. Infolgedessen sagten wir unsere Teilnahme ab. Meine Tante Ute in Trier erkrankte in diesem Jahr an Krebs, der sich bald als unheilbar erwies (trotz der Teilnahme an einer Studie). Öfter telefonierte ich mit Michael während dieser Zeit, Überlegungen wurden ausgetauscht. Letztendlich war die Mühe vergebens, sie starb und wurde im Juli beerdigt. Zu dieser Zeit war ich krank geschrieben und mehr als ein Gesteck hinzuschicken und unsere Anteilnahme zu bekunden, blieb mir nicht übrig. Es schien nicht so einfach, die jahrelanger Trennung von der mütterlichen Familie zu überwinden. Selbst auf der Beerdigung meines Onkels Ulli war niemand von der Verwandtschaft auf die Idee gekommen, Ruth und mich mit ins Bild zu nehmen, als das Verwandtschaftsfoto gemacht wurde. Wir waren genauso Außenseiter in der Familie wie meine Mutter es gewesen war, seit sie ihre Familie verlassen hatte. Es wunderte mich nicht, dass wir noch nicht einmal die obligatorische Danksagung seitens der Familie Cartus erhielten (der Name von Utes Mann). Ute hatte ich nur ein einziges Mal besucht, als ich aus beruflichem Anlass an einer Veranstaltung in Trier teilnahm. Als ich mich von ihr verabschiedete, gab sie mir einen Kuss auf den Mund. Ich muss zugeben, dass irritierte mich, hatte doch ihr eigener Mann noch während unseres Aufenthalts moniert, wie herzlos der Umgang in der Familie Keßler gewesen sei. Doch wie auch immer, es war ein bleibender Eindruck, den ich mit nahm. 

Im Mai noch reisten wir nach Island. Die Reise war bei einem speziellen Reiseveranstalter gebucht worden und so waren wir bei unserer Ankunft in Reykjavik von der Situation am Hotel doch sehr enttäuscht. Die dennoch sehr nette Geschäftsführerin des Veranstalters schrieb uns zu unseren folgenden Beschwerden: "Es ist ein Dilemma mit Reykjavik, dass inzwischen nur noch Luxushotel entstehen, wo das Doppelzimmer über 300,- Euro die Nacht kostet. Die Auswahl an bezahlbaren Hotels ist nicht groß. Als ich die angebotenen Hotels angesehen habe, störte mich am meisten, dass die Zimmer oft alt und verbraucht waren, oft Raucherzimmer, schlecht gelüftet und unattraktiv. Da fand ich das Hotel Klettur am besten, moderne Einrichtung und nicht so verbraucht." Ein kleines Schlaglicht abseits des touristischen Alltags auch in Island. Die Zimmer, auf deren Bezug wir nach der Ankunft warten mussten, weil sich eine ganze Reisegruppe vordrängte, waren mit die schlechtesten im ganzen Hotel. Immerhin konnten wir sie wechseln, was die Sache etwas entschärfte. Ich schrieb:                         "Der Zimmerwechsel hat geklappt. Es muss jedoch gesagt werden: das Hotel Klettur ist ein einfaches Hotel mit einem sehr holprigen Service. Die Bar ist indiskutabel. Lediglich eine Mitarbeiterin spricht etwas deutsch und ist hilfsbereit. Darüber hinaus finden rings um das Hotel umfangreiche Bauarbeiten statt." Ja, über das Hotel könnte noch mehr gesagt werden, aber das würde dem Eindruck, den diese Reise hinterlassen hat, Unrecht tun. Die Isländer sind sehr ruhige, etwas sture Leute und im Umgang mit Touristen nicht so wirklich erfolgsorientiert. So hatten wir auch eine Schweizer Reiseleiterin, die uns zunächst auf den Ausflügen begleitete und die uns sehr informativ unterhielt. Sie hatte ihr Glück in Island gefunden. Leider war dann ein sehr bemühter, aber leider mit etwas undeutlichem Deutsch arbeitender isländischer Reiseleiter ein weniger guter Ersatz. Auch die Busse waren qualitativ sehr unterschiedlich. Aber die einsamen Landschaften, Fjorde, Wasserfälle und Vulkane entschädigten für vieles. Auch in Reykjavik hatten wir genügend Zeit uns umzusehen und absolvierten längere Spaziergänge, aßen bei einem Italiener, wo einer der Kellner schon mal in Frankfurt tätig war und genossen das Stadtleben der einzig wirklichen Stadt auf Island. Als Fotofreund kam ich auf meine Kosten. Obwohl es mir gesundheitlich nicht besonders gut ging, ließ ich mich doch immer wieder motivieren, den Auslöser zu betätigen. Die schwarzen Basaltnadeln von Reynisdrangar sind ein ebenso bekanntes Motiv am schwarzen Lavastrand der Südküste Island, wie der Gullfoss-Wasserfall oder die Geysire. Auch kann man von der eurasischen Kontinentalplatte auf die amerikanische überwechseln, ohne das Land zu verlassen und so kann ich sagen, auch ich war geographisch einmal auf Amerika. Viele meiner Sehnsüchte sprach die Reise an. Sah ich die vielen amerikanischen Touristinnen, dachte ich immer daran, wie gern ich mal nach Toronto geflogen wäre. Ein Zwischenstopp auf so einer Reise von Europa in die USA oder Kanada wird auch gern auf Island gemacht. Ich vergaß die Anstrengungen der Reise und blickte mit Wehmut auf die karge und im Innern unbewohnte Insel aus dem Flugzeug zurück. Immerhin sie endete diese Mal ohne größere Katastrophen. 

   Gerne machte ich Videos von den vielen Wasserfällen in Island. Das rauschende Wasser schien mir das ewige Leben und vor allem eine unendliche Ruhe zu versprechen. Ruhe fand ich in meinem Einzelzimmer-Büro nun genug. Nur konnte ich sie immer weniger aushalten. Ab und zu hatte auch ich noch einen Termin im Haus, nämlich zu Betriebsratssitzungen. Auch bei der turnusgemäß anstehenden Neuwahl des Betriebsrates im Vorjahr war ich wieder nur Ersatzmitglied geworden, obwohl ich Vorsitzender des vorbereitenden Wahlausschusses gewesen war. Ich durfte dann, so wie vorgeschrieben an der ersten Sitzung des Betriebsrates zu Beginn teilnehmen und mich dann verabschieden. Das alles lag dran, dass ich dieses Mal mit einem unserer Boten auf einer eigenen Liste kandidiert hatte. Unser Betriebsratsvorsitzenden hatte uns trotz gegenteiliger Versprechungen per Ordre de Mufti in der großen Liste "WM" so schlecht positioniert, dass unsere Chancen, gewählt zu werden, gering waren. Dennoch reichte es für mich nicht. In unserer kleinen Liste top positioniert, musste ich einer Frau den Vortritt lassen, die weniger Stimmen als ich erzielt hatte. Wäre ich eine Frau gewesen, hätte ich es ins Gremium geschafft. Betriebsräte müssen eben per Gesetz paritätisch besetzt werden. Als die Stimmen ausgezählt wurden, herrschte gespannte Aufmerksamkeit sowohl bei meinem Kollegen B. als auch unserem Geschäftsführer. Ich war ebenso bedient vom Ergebnis wie unser Betriebsratsvorsitzender von der schlechten Wahlbeteiligung. Er kandidierte daraufhin nicht mehr als Vorsitzender. So war ich letztlich auf meine Investmentfondsverwaltung zurück geworfen, die Zahl der zu betreuenden Kunden ging allerdings mehr und mehr zurück. Ein schwacher Trost für mich war, dass es ein konkurrierender Kollege aus meiner Abteilung es auch nicht mehr geschafft hatte. Tragischerweise schied er wenig später, gesundheitlich schwer angeschlagen, aus unserer Arbeit aus. Eine Stunde am Tag beschäftigte ich mich ab und an mit der Eingabe der Daten für unseren Tabellenteil, das war sein Metier gewesen. Längst hätten wir die Datenübernahme automatisieren können, Kollege B. spielte aber auf Zeit. Das Gespenst der Zusammenlegung unserer Abteilung mit der Anzeigenabteilung schwebte über unseren Köpfen und da mussten wir zusammen halten. Ich schlug mich weiter mit einem ungeeigneten Programm herum, aus dem sowohl der Kursteil als auch die Investmentfondstabelle produziert werden mussten. Konnte ich früher meine Eingaben in einer Hostdatenbank machen und hier auch größere Mutationen selbst durchführen, musste ich nun an das betreuende Team wenden, um Massenlöschungen oder auch -änderungen durchführen zu können. Bei Terminsachen kam ich da manchmal den Kunden gegenüber in Kalamitäten, wenn gerade niemand meinen Auftrag ausführen konnte. Die Abhängigkeit von unserer IT war groß geworden, sie entschied letztlich, was im Hause ging und was nicht. Keine Spur von Dienstleistungsgedanke, zudem hatte sich die Kostenstellenrechnerei im Hause breit gemacht. Meine Funktion als Datenbeschaffer für die Zeitung war ebenfalls obsolet geworden. Denn mittlerweile holte sich die IT, was sie brauchte, direkt von den Fachabteilungen. Was mich noch in der Firma hielt, war eine gewissen Freiheit. Ich genoss es, in den Pausen heraus zu gehen oder mir ab und zu bei einer mir lange bekannten Masseurin Entspannung zu genehmigen. Auch der Kontakt zu meinem spanischen Kollegen riss nicht ab. Dennoch brauchte ich immer öfter die Unterstützung meiner Ärztin. 

Im Juli hatte ich Urlaub und wir fuhren nach Lemgo, wobei ich aber schon kein Stück Autobahn mehr fahren konnte und selbst die Ostwestfalenstraße war schon fast zu viel. Die gebuchte Ferienwohnung hatte lediglich den Vorteil, einen schönen Gartenanteil zu haben, von dem aus fotografierte ich dann den Himmel. Überhaupt wandte ich mich den kleinen Dingen zu, etliche Schmetterlingsfotos auf Lavendel entstanden, die sich immer wieder als schöne Hintergrundbilder eigneten. Trotz aller Probleme hörte ich nicht auf kreativ zu sein. Aber die Angst bestimmte nun oft mein Leben. So bekam ich von meiner Schönecker Ärztin ein Psychopharmaka verschrieben, aber sie merkte auch gleich an, ich solle nicht zu viel erwarten. Erfreulicherweise blieb mein Kontakt mit meinem letzten verbliebenen "Onkel" Michael und seiner Frau erhalten. Wir erinnerten uns gern an die gemeinsame Fahrt nach Glauchau und als neues Ziel war Erfurt ausgemacht. Ich schrieb am 19.5.2015 anlässlich seines 60. Geburtstags: 

"Ich bin beruflich etwas angespannt, meine Vollzeit-Tätigkeit mit Wechseldienst nervt schon. Ruth ist seit Januar Rentnerin. Sie fährt Ruth mit ihrer Schwester für eine Woche im Urlaub, der mir leider zur Zeit nicht vergönnt ist, da ein Kollege recht überraschend eine Kur angetreten hat."

Die Buchung eines Hotels vor Ort übernahm Michaels Freundin, während ich mich als Bahncard-Besitzer um die Fahrkarten kümmerte. So ging es Ende August für ein verlängertes Wochenende los, wobei mir bis zum Morgen noch nicht klar war, ob ich das Ganze überstehen würde. Meine Hoffnung für die Zukunft bestand nun in der Einweisung in eine psychosomatische Klinik, um der Situation am Arbeitsplatz zeitweilig zu entgehen. Andererseits konnte ich mir mein Rentnerdasein noch gar nicht vorstellen. Das Zurückgeworfen Sein auf meine enge Zweier-Beziehung erschien mir nicht aushaltbar und wie eine Bedrohung. Die Auswahl an in Frage kommenden Kliniken war nicht groß, ich entschied mich aber für die Uniklinik Frankfurt. Dort hatte ich vorab ein Gespräch mit dem Verantwortlichen für die teilstationäre Abteilung der psychosomatischen Klinik. Nun hieß es, die Wartezeit zu überbrücken. Ich hoffte auch, dass wenn mein 60. Geburtstag endlich vorbei wäre, eine gewisse seelische Beruhigung eintreten würde. Schweißnass stand ich am Morgen unseres Reisetags nach Erfurt auf und wir machten unseren Weg zum Bahnhof. Ich redete mir im Zug die ganze Nervosität von der Seele, unterstützt von der Versorgung mit Piccolos, die Michaels Frau im Vorfeld besorgt hatte.   

Das Hotel Viktors strahlte nicht wirklich eine große Gemütlichkeit aus. Eine riesige Halle beherbergte sowohl den Empfang als auch die Gastronomie und den Speisesaal. Zur Erfurter Altstadt ging man am Bahnhof vorbei ein Stück des Wegs. Am Abend erwartete uns eine Kabarettvorstellung in der Arche. Das war alles sehr schön, vorher waren wir ja noch essen. Und irgendwie beruhigte mich das alles. Die beschauliche Gemütlichkeit der Landeshauptstadt beruhigte mich ein wenig und ich half hier noch abends an der Hotelbar mit ein paar Bieren kräftig nach. Es war offensichtlich, dass es Michael nicht besonders begeisterte, dass der Alkohol hier so schön konsumiert werden konnte. Seine Frau wollte er nicht zu viel Gelegenheit zum öffentlichen Konsum geben, so zogen sich die beiden schnell auf das Zimmer zurück. Immerhin gab es noch etwas zu sehen. Claudia Pechstein, die Eisschnellläuferin schien im Viktors ihr Quartier zu haben, denn sie passierte die Hotelhalle mehrfach. Der nächste Tag war für eine Stadtführung vorgesehen. Die geriet so ausführlich, dass wir fast schon den Glauben verloren, sie wäre jemals zu Ende. Das Erfurt stinkt bzw. stank, das blieb hängen. Man hatte bei der Herstellung eines Farbstoffs aus der Waidpflanze Urin zur Gärung verwendet. Das brachte der Stadt viel Geld, da blaues Tuch im Mittelalter sehr begehrt war, dazu wurde eben die blaue Farbe benötigt. Den Gestank nahm man da in Kauf. Nach Trennung in der Stadt verbrachten wir den Abend wieder gemeinsam bei einem Italiener und nahmen später noch einen Cocktail in einer der Bars im Kneipenviertel der Stadt. Zwei Mädels saßen mir dabei schräg gegenüber, die eine mit einem so kurzen Rock, dass es meine Blicke fast magisch anzog. Michael müsste es gemerkt haben, während wir unsere familiären Vergangenheiten redeten. Ich musste daran denken, dass ich in einem Forum eine junge Frau aus Erfurt kennengelernt hatte, die sich mir allerdings nicht bildlich offenbaren wollte. Unser Kontakt blieb auf Emails beschränkt. Telefonieren wollte sie auch nicht mit mir, weil sie sich angeblich für ihren Dialekt schämte. Aus dem Geschriebenen vermutete ich, dass sie in einem Museum im Empfang gearbeitet hatte. Von Publikumsverkehr und Stress war immer die Rede. Ich erinnerte mich aber auch an unsere frühere Reise nach Thüringen, wo wir in Weimar und Eisenach übernachtet hatten. Erfurt hatten wir nur eine Stippvisite gegönnt. Der Erfurter Dialekt erinnerte mich jedenfalls an Sachsen. Noch in der Bar beschäftigte mich der Vollmond und mir gelangen aus der Lameng die besten Schnappschüsse des Mondes ever. Der Abend wurde dann auch nicht mehr lange fortgesetzt. Der Spaziergang zum Hotel durch die nächtliche Altstadt war quasi der Abschluss. Am nächsten Morgen stand ich, ängstlich wie die ganze Zeit schon, unter der Dusche und mir fiel tatsächlich fast der Brausekopf auf den Kopf. Man musste nicht allzu traurig sein, diesen gastlichen Ort zu verlassen. Nach einer kurzen Runde zum Stadion ging es zum Bahnhof nach hause. Ich war erleichtert, alles überstanden zu haben. Je näher wir in Richtung Heimat kamen, desto mehr wurden zukünftige Pläne besprochen. Michaels Frau bekundete ihr Interesse an einem mittelalterlichen Markt in Büdingen, den sie gern besuchen wollte. Der fand zufällig am dem Wochenende statt, an dem mein 60. Geburtstag anstand. Da lag es für mich nahe, die beiden einzuladen. Endlich würden die Lemgoer auch einmal jemanden von meiner angeheirateten Verwandtschaft kennen lernen.

 Die Idee erwies sich nicht als besonders gut. Gab es ein paar Tage vor meinem Geburtstag noch eine Anfrage wegen eines Geschenks für mich, so erfolgte kurzfristig einen Tag vorher noch eine Absage. Michael war unpässlich und damit für mich der Traum aus. Der Gedanke, dass es sich um eine Retourkutsche für unsere Absage zu seiner Hochzeit handelte, lag mir zudem nahe. Ich war mal wieder allein. Lediglich auf die Lemgoer war Verlass. Mein Schwager mit Familie nächtigte in einem Hotel in Bad Vilbel, meine Schwiegermutter bei Marianne Lauer im Hotel. Dieses Mal zahlten wir nur das Taxt nach Bad Vilbel und das gemeinsame Abendessen. Für das Festmahl hatten wir uns für die Esskapaden in Kilianstädten entschieden. Wir hatten hier zum Jahreswechsel gut gegessen und uns deshalb gegen ein anderes, uns vertrautes, Lokal in Bad Vilbel entschieden. Auch das war insgesamt ein Fehler. Zwar war die Qualität des Essens gut, aber es dauerte alles viel zu lange. Letztlich fehlte auch noch das Dessert bei mehreren Personen. Der Name dieser Nachspeise "Dreyerlei" war eines der netten Wortspiele, an die ich mich schon lange gewöhnt hatte, ohne sie als besonders niveauvoll einzustufen. Entsprechend war dann auch der Umgang mit uns, nachdem mein Schwager es unternommen hatte, zu reklamieren. Das Restaurant wurde von einer Dame geführt, die vorher keinerlei gastronomische Erfahrung aufwies. Und das machte sich eben beim Service und der Behandlung von Beschwerden deutlich bemerkbar. Insgesamt stand ich während der gesamten Unruhe ziemlich neben mir und war froh, dass wenigstens am nächsten Tag mit der Organisation des Abholens alles klappte.

Auch mit 60 wurde ich nicht wirklich ruhiger. Vor unserer Reise ins Kleinwalsertal im September ließ ich mit noch eine Notfalltablette von meiner Frankfurter Ärztin mitgeben. Meine nervliche Zerrüttung blieb in der Firma weitgehend unbemerkt. Sehr kurzfristig teilte ich meinem Kollegen mit, dass es sein könnte, dass ich für längere Zeit in eine Klinik gehen würde. Daraufhin brach er in eine gewisse Panik aus und wollte jetzt von mir eine schnelle Einarbeitung in "meinen" Bereich, das waren im Großen und Ganzen die Kundenbetreuung und die Investmentfondsverwaltung und -veröffentlichung. Innerhalb von zwei Tagen hechelten wir das durch, was er als im Haus geführter Abteilungsleiter und Kollege B.  längst hätte wissen müssen. Er meinte zudem, es müsse doch auch möglich sein, dass ich nach meiner täglichen Anwesenheit im Krankenhaus auch immer noch mal ins Büro kommen könnte. Mir war insgesamt der Druck zu viel. Da er täglich nur eine Stunde Zeit für die Einarbeitung aufbrachte, würden wir weitere Tage brauchen. So wurde ich bereits vor dem Beginn meiner Therapie krank.  

Am 1. Oktober wanderten wir mal wieder im Vogelsberg am Hoherodskopf. Beim Essen in der Taufsteinhütte erreichte mich der Anruf von der Uni-Klinik. Man wollte mich als Patient in die Psychosomatische Klinik zur teilstationären Behandlung aufnehmen und zwar schon ab dem 14. Oktober. Ich fasste wieder neuen Mut. Alles würde besser werden. Vor allem würde ich die Zeit bis zu meiner Rente überbrücken können. Am Tag meines Therapiebeginns brachte mich Ruth zur Klinik. Schon im Urlaub war ich kein Stück Autobahn mehr gefahren, hatte es lediglich geschafft, das letzte Stück von Oberstdorf nach Riezlern selbst zu fahren. Aber diese Angst vor dem Autofahren sollte nun therapiert werden. Ruth ließ mich schließlich mit ein paar Leuten der Therapiegruppe zurück, die viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren, als mich zur Kenntnis zu nehmen. Die Abteilung insgesamt machte auf mich keinen guten Eindruck, es begann für mich eine schwere Zeit. Zunächst mal klar war, ich durfte keinen Alkohol während der Dauer meines Aufenthalts trinken. Bestandteil der Therapie waren aber Psychopharmaka, für mich waren das Escitalopram und Amitriptylin. Beide Medikamente wurden mir einschleichend verordnet. Nach dem Erstgespräch mit dem mir zugeordneten Arzt war der erste Tag recht belanglos. Schon am Folgetag wurde es ernst, in einer Morgenrunde hatte jeder über seine persönlichen Zustände und Empfindungen zu berichten. Zudem musste ich wesentlich früher nach Frankfurt fahren, als wenn ich gearbeitet hätte, um zur besagten Runde pünktlich zu sein. Meine Zeit in der Klinik habe ich schon in diesem Blog beschrieben:

Ein Kliniktagebuch

Daher sei hier nur die Quintessenz des Ganzen geschildert. Meine Ängste und Symptome verschärften sich in der Klinik. Das Sitzen in den mit Neonlicht beleuchteten Fluren fachte die Häufigkeit meines Augenflimmerns an. Meine Angst vor der Zukunft stieg, Ich hielt die Klinik kaum aus und zur Arbeit zurück konnte ich nicht. Diese scheinbare Ausweglosigkeit machte mich so unsicher, dass ich beim normalen Gehen draußen außerhalb der Klinik stets nach Haltepunkten suchte. Ich musste mir zu Anfang einen Treckingstock zu Hilfe nehmen, um überhaupt eine gewisse Sicherheit zu fühlen. Mir wurde gesagt, dass ich damit meine Angst vermeide. Andererseits habe ich keine Hilfestellung bezüglich meiner Angst vor dem Autofahren bekommen, insbesondere keine Konfrontationstherapie. Die Angebote waren ausschließlich auf Entspannung und Achtsamkeit ausgelegt, was sicher ganz nützlich ist, zuhause im Alltag aber schnell verfliegt. Auch während der Therapie ging mein Leben weiter. Am ersten Wochenende wanderten wir bereits wieder einmal, es ging in den Westerwald. Meine Angst beim Gehen konnte ich in der Gruppe gut verbergen, sodass die Tour ein Erfolg war. Am 15. Oktober war Wilhelm Genazino Gast unseres Vereins im Brendelsaal des Büdesheimer Schlosses. Es war eine unserer besseren Veranstaltungen. Sein Buchtitel "Tarzan am Main" hatte mich bereits zu einem kurzem Beitrag in diesem Blog inspiriert, denn genauso fühlte ich mich bei meinen Spaziergängen in den Elly Lucht-Park und zum Licht- und Luftbad am Mainufer in Niederrad. Er las aber aus dem nicht weniger amüsanten Buch "Bei Regen im Saal". Von meinem Zustand bemerkte niemand etwas. Eine Kollegin fotografierte u.a. auch mich. 


Abwechslung hatte ich zudem bei unserer Bahnreise nach Wuppertal. Ausgerechnet in der Nacht vor unserer Abreise wurde es in unserem Haus richtig laut. Die Feierei ging bis in die frühen Morgenstunden mit lauter Musik und grässlicher Singerei. Auf meine Beschwerde hin, ließ mich der Herr des Hauses wissen, dass er Geburtstag habe. Für mich die denkbar schlechtesten Voraussetzungen für unsere Fahrt. Ohnehin wusste ich kaum, wie ich das alles überstehen sollte. Die Fahrten mit der Wuppertaler Schwebebahn waren für mich entsprechend aufregend. Unser Hotel lag zum Glück in der Nähe des damals im Umbau befindlichen Hauptbahnhofs. Abends saß ich in der Bar bei alkoholfreien Cocktails, was mir überraschend wenig ausmachte. Highlight war für mich der botanische Garten, der mich fotografisch sehr inspirierte. Das berühmte Tanztheater, ehemalige Wirkungsstätte von Pina Bausch, empfand ich nicht als touristisches Juwel. Die Atmosphäre in den Lokalen und die Gesprächigkeit der Menschen wirkten positiv. Auf unserer Rückfahrt bekamen wir die politische Situation in Deutschland, die durch die Aufnahme von Migranten in hoher Zahl hervorgerufen worden war, zu spüren. Das ganze Jahr war schon unruhig gewesen, Demonstrationen gegen die EZB in Frankfurt, gegen den G-20-Gipfel und nun gegen die Asylpolitik der Bundesregierung. Unser Zug musste mehrfach stehen bleiben, da auch der Bahnverkehr durch verschiedene Demonstrationen gestört war. Wieder zurück im Klinikalltag sehnte ich das Ende meiner Zeit dort einerseits herbei, andererseits hatte ich Menschen kennen gelernt, deren Kontakt ich verlieren würde. Abschiede sind nicht meine Sache. Aber von meiner Mitpatientin aus Schöneck war es schon berührend, als wir uns nach unserer letzten Bahnfahrt wenigstens einmal umarmten. Sie allerdings hatte da bereits einen Verehrer. Über das Thema Hund blieben wir in Kontakt. Ich hatte mich stets gegen eine Erhöhung meiner Medikamentendosis gewehrt, Ruth meinte allerdings trotzdem, ich hätte mich verändert und könne nicht mehr so gut zuhören. Von meiner Firma hatte ich die ganze Zeit erwartungsgemäß nichts gehört. Lediglich die Personalabteilung ließ mich in Beantwortung einer Mitteilung über den Stand der Dinge wissen: "Ich wünsche Ihnen gute Besserung und vor allen Dingen möglichst schnell." Nun stand die Wiedereingliederung an. 

Glück hatte ich bei der Suche nach einer Psychotherapeutin bzw. einem -therapeuten. Bereits vor meinem Klinikaufenthalt hatte ich mir eine ambulante Psychotherapie bei einer Psychotherapeutin in Maintal gesichert. Sie hatte ihre Praxis gerade neu eröffnet und baute sich nun ihren Patientenstamm auf. Das ich hier nicht ins Leere fiel, war sehr stützend für mich, ebenso wie die Tatsache, dass ich durch meine stundenweise Wiedereingliederung meinem Abschied aus dem Berufsleben noch ein Stück näher kam. Bis zur endgültigen Genehmigung meines Rentenantrags wollte ich aber in der Firma noch niemanden informieren. Die medizinische Quintessenz aus meinem Klinikaufenthalt bestand aus dem Verdacht auf Multiple Sklerose, der sich aber nach MRTs des Kopfes und der Wirbelsäule nicht bestätigte. Die Untersuchungen waren für mich teuer, da ich wegen meiner Platzangst nur in einem offenen MRT untersucht werden konnte und die Krankenkasse so etwas nicht bezahlte. Eine Entnahme von Nervenwasser zum endgültigen Ausschluss sah ich nicht als notwendig an, weil auch die Klinik hier wenig Interesse zeigte und dies einen stationären Aufenthalt bedingt hätte. Es blieb nur die festgestellte langsame Nervenleitgeschwindigkeit und die Unklarheit über die Ursache des nach wie vor auftretenden Augenflimmers, an das ich mich allmählich gewöhnte. Ich führte auf Empfehlung der Klinik sogar ein Tagebuch. Gebracht hat mir das nichts. 

Schon seit 2014 waren wir auf der Suche nach einem Familienzuwachs in Gestalt eines Hundes. Ruth war ja den ganzen Tag zuhause und meine Mitpatientin hatte mir auch immer von ihren Hunden erzählt, die eine große Stütze für sie zu sein schienen. Ich liebäugelte damit, dass sie uns als Neulinge der Hundehaltung etwas Hilfestellung geben könnte. Nachdem wir im Januar umsonst in den Taunus gefahren waren, da die uns dort angebotene kleine Chihuahua-Mischlingshündin mit dem Namen Peanut bereits wider Erwarten vergeben war, stießen wir in der weiteren Suche im Internet auf den Chihuahua-Pinscher-Mischling Mecki. Im Februar 2016 trafen wir ihn das erste Mal und er kam direkt auf mich zu gespurtet. Seine Wahl war klar. Das alte Bahnwärterhaus in Frankfurt-Berkersheim war bis dahin sein zuhause. Von seinen fast vier Lebensjahren hatte er die meiste Zeit in der Küche des Hauses bei der Leiterin des Tierschutzvereins "Tiere und Menschen" verbracht. In Baja in Ungarn geboren, hatte man ihn relativ schnell eingefangen. In der Nähe des Plattensees wartete er dann, mittlerweile kastriert und gechipt, auf seine Ausreise. Ein Transport nahm ihn schließlich nach Deutschland mit, wo er in der beschriebenen Unterkunft wartete, vor allem auf Gassigeher. Wir durften ihn dann mal mit zu uns nach hause nehmen, er stank allerdings entsetzlich. Als wir in der Küche saßen, wir hatten ihm im Flur ein Handtuch auf einem Streifen Malervlies ausgebreitet, kam er nachschauen und stellte sich sogar auf zwei Beine, um besser sehen zu können. Nach einem gemeinsamen Spaziergang allerdings war seine Zeit bei uns vorerst vorbei. Er wäre wohl am liebsten direkt bei uns geblieben, denn er stand vor unserer Haustür. Das er sehr gut an der Leine ging hatten wir schon gemerkt, als wir das erste Mal in Berkersheim mit ihm gehen durften. Unser Eindruck war insgesamt positiv von dem kleinen Kerl. Patrizia (die Leiterin des Tierschutzvereins) meinte denn auch, er würde zu uns passen und sei als Anfängerhund geeignet. Wir hatten nun allerdings für März eine Busreise nach Hluboka (Frauenberg) in Böhmen gebucht in Unkenntnis der Möglichkeit, einen Hund bekommen zu können. Denn bei der Tierheimen, die wir auch besucht hatten, hielt man uns oft nicht für gute Hundehalter, vor allem weil Ruth sich oft sehr zurück hielt beim Kontakt mit fremdem Hunden. Wir fragten also, ob wir Mecki quasi reservieren könnten, wollten auch eine Anzahlung für ihn leisten. Das wurde uns aber barsch beantwortet. Wir sollten erst mal in Urlaub fahren und wenn er dann noch zu vermitteln sei, könnten wir ihn bekommen. Somit war das Thema erst einmal erledigt.               

Die Urlaubsreise brachte viele Besuche an historischen Orten in Böhmen mit sich und natürlich damit auch wieder jede Menge Fotos. Das Hotel in Hluboka und das Osterfest in Südböhmen hätten wir uns sparen können. Der Service im Hotel war lausig, das Essen teilweise wenig. Der Bus war auch nicht der beste, was wir auf der Rückfahrt zu spüren bekamen. Im Ort selbst war touristisch nicht viel zu holen, selbst beim Eiskauf hatte man Sprachprobleme. In der Firma neigte sich meine Wiedereingliederung dem Ende zu. 

Im April hatten wir noch von "Hunden in Not Rhein-Main" eine Hündin vermittelt bekommen, die aber in ihrer Pflegestelle schon so gut integriert war, dass wir es nicht übers Herz brachten, sie bei uns zu behalten, da sie offensichtlich trauerte. Ich selbst hatte immer den kleinen Mecki im Kopf. Mit einer gewissen Rückversicherung meiner ehemaligen Mitpatientin aus Schöneck fasste ich neuen Mut und schrieb Patrizia am 3.5.2016 an: "Nachdem ich nun selbst längere Zeit krank war, komme ich heute noch mal auf unseren zuletzt abgebrochenen Dialog zurück." Nun ging alles ganz schnell. Es war der 8.5. 2016, als wir Mecki wieder sahen. Mittlerweile lebte er in einer Pflegestelle mit einer anderen größeren Hündin zusammen und hörte auf den unsinnigen Namen Siggi. Wir durften ihn zum Spaziergang an den Main mitnehmen und für uns war nun spätestens klar, dass wir ihn zu uns holen wollten. Schon zwei Tage später brachte ihn das Ehepaar, mittlerweile schweren Herzens, nach Berkersheim, wo wir ihn übernahmen. Wiederum zwei Tage später waren wir mit Mecki unterwegs an die Ostsee nach Niendorf. Das durfte Patrizia nicht wissen, verlief aber ohne Probleme, da Mecki sich ohne weiteres bei uns integrierte. Ich selbst schaffte es sogar, große Etappen auf der Autobahn zu fahren. Ich hatte meine Psychopharmaka mittlerweile zwar abgesetzt, vertraute aber vor größeren Fahrten auf ein paar Tropfen Amitryptilin. Ich bildete mir ein, ich könne dann keine Angst mehr bekommen und diese Autosuggestion wirkte zunächst. In diesem Blog ist einiges zu Mecki, der für mich bald zu Mecky wurde, zu lesen. Speziell zum Urlaub an der Ostsee sei hier auf den Beitrag per Link verwiesen.

                                                               Mecki an der Ostsee    

Es war einfach schön zu sehen, wie Mecky sich an der langen Schleppleine über den Strand freute. Er rannte im Kreis und genoss es, mit seinen Hinterpfoten den Sand aufzuwirbeln. Vor der Rückfahrt suchte mich das Augenflimmern auf. Aber ich musste ja noch den Schlüssel unserer Ferienwohnung abgeben bei dem Touristenamt, bevor es auf die Autobahn nach hause ging. Künftig war Mecky auch bei unseren Wanderungen dabei, was bei Wandervereinen wie dem Odenwaldklub nicht immer auf Begeisterung stieß. Wenigstens einen Fan in unserem Haus hatten Mecky und ich, das war die Tochter unseres amerikanischen/litauischen Paares im Erdgeschoß, deren Gelüste nach einer Sauna im Garten wir als einzige Miteigentümer abgelehnt hatten. Die Frau des Hauses mochte uns überhaupt nicht, umso verwunderlicher war es, dass ihre älteste Tochter mir ein Bild malte. Es mag allerdings auch die Dankbarkeit dafür gewesen sein, dass ich ihr immer meine Sammelbilder zur Fußball-EM 2016 weiter reichte. Mein Leben änderte sich durch Mecky gründlich. Noch am Vatertag, an dem ich wie an anderen Feiertag Dienst hatte, schlich ich in meiner Pause allein durch Frankfurt und fotografierte die Wolkenkratzer bei allerbestem Wetter. Ruth musste nun tagsüber das Gassigehen mit Mecky übernehmen, da ich ja noch ganztags arbeitete, wenngleich auch mit weniger Spätdiensten als früher. Ein Grund mehr, meinen Rentenantrag baldmöglichst abzugeben. Ab dem 1.7.2016 wäre mein frühestmöglicher Rententermin gewesen. Ich hielt aber bis zum 30.9.2016 durch. 

Am 15.6.2016 fand ein Firmenlauf, der J.P. Morgan Corporate Challenge Frankfurt über 5,6 km in Frankfurt statt. An sich ist die Idee des Laufs, dass ein Team zusammen läuft. Aber wer hat schon Lust, mit dem langsamsten Läufer oder der Läuferin des Teams durch Frankfurt zu laufen? So bestand die einzige gemeinsame Unternehmung darin, auf dem Teamfoto möglichst so zu tun, als sei man ein Team. Danach löste sich das Team auf und ich sah keine einzige Kollegin und keinen einzigen Kollegen währen der ganzen Veranstaltung wieder. Bereits 2003 und 2004 hatte ich an diesem Firmenlauf teilgenommen. Dabei befand ich mich in einer unsinnigen Konkurrenz mit einem Kollegen aus unserer Buchhaltung, der es nicht fassen konnte, dass ich 2003 eine bessere Zeit lief, als er selbst. Prompt übertrumpfte er mich 2004, sah mich auf der Strecke noch und fragte mich scheinheilig, wie es mir geht. Nun schrieben war das Jahr 2016, er war nicht mehr dabei. War wohl stärker ins Laufgeschäft eingestiegen und hatte sich wahrscheinlich, wie so viele, die Knochen kaputt gelaufen. Ich hatte 2016 schon zwei Volksläufe bestritten (Altenstadt und Hanau-Wilhelmsbad) und wollte nun meinen Abschied von der Stadt Frankfurt vorweg nehmen. Ich genoss das Alleinsein in den Straßen meiner Stadt unter so vielen Menschen. Völlig ohne Druck lief ich eine passable Zeit (immerhin war ich mehr als 9 km schnell) und ließ es mich mir nicht nehmen kurz vor dem Zieleinlauf an der Bockenheimer Warte beide Arme hoch zum Zeichen meines Sieges hoch zu nehmen. Diese Geste wurde nur von mir völlig fremden Menschen beobachtet und, denke ich, amüsiert zur Kenntnis genommen. Mich umziehen und ab in die Bahn nach Glauburg-Stockheim, dem Stockheimer Lieschen, nach hause zu Mecky zum Abendspaziergang, das war es.

Dem endgültigen Ziel, meiner Rente, kam ich am 27.6.2016 näher, als ich problemlos meinen Rentenantrag einreichte. In der Firma lief ohnehin nichts so, wie man es brauchte. Selbst der Betriebsrat hatte mittlerweile vor dem Herausgeber kapituliert. Die ihm zustehenden Rechte auf Information sowie die weiteren, eigentlich per Betriebsverfassungsgesetz abgedeckten Rechte, z.B. auf Freistellung eines Betriebsrats, wurden nicht durchgesetzt. So etwas wurde zwar immer wieder von der Redaktion des Hauses thematisiert, aber der neue Vorsitzende des Betriebsrats war gar nicht in der Lage, so etwas durchzusetzen, wobei die Schuld nicht allein bei ihm lag. Einen Betriebsausschuss gab es ja nicht und obwohl bereits Betriebsratsmitglieder bestimmt waren, die mit der Geschäftsführung in Kontakt treten sollten, kam dies nach Widerstand von oben gar nicht erst zustande. Aber das passte für mich ins Bild, schließlich verhinderte dieser Betriebsrat schon seit eh und je die Wahl eines Behindertenvertreters. Insofern hielt sich meine Trauer über das Ende meiner Berufstätigkeit in engen Grenzen. Als ich Michael verspätet zu seinem 61. Geburtstag gratulieren wollte, schrieb ich am 12.7.2016:

"Ich bin jetzt wieder in Arbeit, werde es aber wohl nur noch bis zum 30.9. sein. Danach geht es in die Rente, der Antrag ist schon gestellt."

Dennoch war ich emotional sehr zerrissen. Eine Fahrt für ein paar Tage in den Odenwald brachte mich an die Grenze meiner Möglichkeiten. Wir fuhren am 22.7.2016 über Hanau ab und stoppten vorher noch in Hanau-Wilhelmsbad, um Mecky auszuführen. Hier war ich immer gern und das machte die Weiterfahrt nicht einfacher. Über die zweispurig ausgebaute B43a ging es weiter auf der B45. Auch hier war zügige Fahrweise notwendig und das fiel mir schon schwer. Zum Schluss wurde uns die direkte Zufahrt nach Hesselbach-Hesseneck zur gebuchten Ferienwohnung durch eine Baustelle versperrt. Wir mussten einen weiten Umweg nehmen und wussten teilweise nicht, wo wir waren, da es auch keinen Satellitenempfang für das Navi gab. Der eigentliche Grund für unsere Reise war, dass Niklas um die deutsche Jugendmeisterschaft im Minigolf in Weinheim spielte und mit seiner Familie in Beerfelden untergekommen war.  In Hesseneck angekommen, fragte ich mich, warum wir immer in den Allgäu fahren mussten, denn auf dem Hochplateau, auf dem der kleine Ort lag, sah es aus fast genauso aus. Es war ein schönes verlängertes Wochenende. Am 24.7. war das Turnier bereits vorbei und wir trafen uns in Beerfelden zu einem gemeinsamen Ausflug mit Schifffahrt auf dem Neckar, die uns bis nach Eberbach zur Schleuse führte und zurück nach Hirschhorn. Niklas hatte sich über die mitgebrachten Marken T-Shirts gefreut und ich selbst trug auch eins. Am nächsten Tag ging es wieder nach hause und meine Erleichterung, als ich Hanau-Steinheim erreichte, war riesengroß. 

In der Firma musste ich Farbe bekennen. Zwar hatte ich noch keinen endgültigen Rentenbescheid, aber die Bearbeitung lief. Die Überraschung bei Kollege B. war einigermaßen groß. Wohl auf seine Initiative hin, machte man mir das Angebot, ab 1.10. als Minijobber noch weiterhin zur Verfügung stehen zu können. Bei der Festlegung meiner zu leistenden Stundenanzahl wirkte er natürlich mit. Welchen Beleg dafür brauchte ich noch, dass zwischen uns eben nicht alles geblieben war wie vorher. Die monatliche Stundenzahl betrug nun 23,5 Stunden, für die ich 450 € verdiente. Das war nicht schlecht. Ich hatte das den Umstand zu verdanken, dass man sicher froh war, ein Gehalt weniger auf der Kostenstelle zu haben, sich aber andererseits mein Knowhow noch weiterhin sicherte. Eine Win-Win-Situation für beide Seiten.    

Unsere Reisetätigkeit ging weiter. Im August waren wir wieder einmal in Lemgo, die Gedanken an eine Immobilie in Lemgo kam auf. Im Juli hatte ich bereits ein Foto unseres Hauses in Kilianstädten gemacht, um eine Verkaufsanzeige vorzubereiten. Im September fuhren wir dann nach Oberstdorf, dieses Mal mit Mecky.  

Das Ende in der Firma war sehr diskret. Ich selbst hatte noch gute Erinnerungen daran, wie schwer es für mich in der Vergangenheit gewesen war, bei Einladungen meinerseits überhaupt jemanden motivieren zu können, dieser zu folgen. Das wollte ich mir zum Abschluss unbedingt ersparen, davon abgesehen, dass die Auswahl eines Personenkreises zum einen von der Firma zahlenmäßig begrenzt war und zudem immer heikel gewesen wäre. Ich hatte bei meinen Festivitäten immer Mühe gehabt, meine eingekauften Getränkelos zu werden und konnte sie dann meist zuhause selbst trinken. Natürlich traf ich mich abends noch einmal mit meinem spanischen Ex-Kollegen José auf eine gute Flasche Rotwein. Wir philosophierten wie immer und er nahm wie immer ein paar Börsen-Zeitungen mit nach hause. Natürlich wollten wir in Kontakt bleiben. Die Firma plante ganz offensichtlich keine offizielle Verabschiedung meiner Wenigkeit. So blieb es mir nur, an meinem letzten Vollzeit-Arbeitstag noch einmal eine Massage am Nachmittag zu nehmen. Wegen Urlaubs von Kollegen hatte ich auch am 30.9. noch gearbeitet. Es blieb letztlich bei einem erfolglosen Anruf unseres Geschäftsführers. Es war Freitag und schon am folgenden Montag würde ich meinen ersten Einsatz als Urlaubsvertretung absolvieren. Es war also auch noch kein endgültiger Abschied, wenngleich für mich ein sehr bedeutender Einschnitt.    

Nun hatte ich mich hauptamtlich um Mecky zu kümmern, schließlich war er offiziell mein Hund. Viele redeten aber in seiner Erziehung mit. Dazu kam, dass Mecky absolut kein Anfängerhund war. Wie Patrizia schon gesagt hatte, er ist ein Schisser, aber einer, der forsch mit erhobenem Schwanz durch die Gegend geht und alles anbellt, was ihm nicht passt. So landeten wir bei einer Hundeschule und Hundetrainerinnen. Meine Bekannte schied da schon längst aus, ihre Versprechungen konnten wir nicht wahrnehmen. Zu konservativ war uns die von ihr favorisierte Erziehungsmethode. Generell waren in den von uns besuchten Hundeschulen fast nur große Hunde, was im freien Spiel für unseren Hund immer wieder zu gefährlichen Kollisionen führen konnte. Zudem durchschaute Mecky schnell die angebotenen Aufgaben. Er schauspielerte ganz gut, um zuhause wieder genauso zu sein, wie er immer war, ein Hund mit Herz und Charakter. Die üblichen Hundespielereien mochte er nicht. Lediglich ein bisschen mit mir zerren, das war es. Seine Stimmung kippte manchmal schnell. Sah es manchmal so aus, als würde er mit unserem Nachbarskind gut auskommen, so fiel er schnell wieder in die Bellerei zurück. Es blieb uns nichts übrig, als solche Situationen zu meiden, wollten wir ihn nicht mit Leckerlies dick füttern. Unsere Wanderungen machte er problemlos mit und verhielt sich im vertrauten Umfeld immer ruhig. So wanderten wir im Oktober von Düdelsheim über die Steinerne zum Glauberg und zurück in eigener Regie. Die Mitarbeit im Odenwaldklub hatten wir aufgegeben. Da suchte man erst Leute, die aktiv im Verein eine Funktion übernehmen wollten und als ich mich als Kassenwart meldete, hieß es in einer Versammlung, man müsse sich doch erst kennenlernen. Ein Phänomen in vielen Wandervereinen, die Alten können nicht mehr, halten aber die Stellung, blockieren Nachrücker. Mein Rentnerdasein hatte also begonnen. Am Heiligabend waren wir mit Mecky am Mainufer und hörten uns das beeindruckende Frankfurter Stadtgeläut an. Mecky parierte die Menschenmassen erstaunlich gut. Seine Heimat waren nun die Kilianstädter Felder, die wir im Winter sogar ganz allein in der Dunkelheit, nur von meiner Stirnlampe beleuchtet, genossen.