Dienstag, 29. Dezember 2020

MyLife 1982

 Hohe Zeit vor der hohen Hecke

Wir schmiedeten Hochzeitspläne, doch zunächst einmal stand mein Arbeitsbeginn beim Lang Verlag für mich im Vordergrund. In der Herstellungsabteilung war ich der Hahn im Korb, misstrauisch beäugt vom Chef. Ich hatte Kolleginnen aus der Pfalz ( Marianne St.), aus meiner Heimat Nordhessen (Eva E.) und aus Südhessen (Uschi S.). Letztere war meist als Teilzeitkraft tätig. Autorenbetreuer und im Endeffekt Verkäufer war Stefan K., dessen freundliche, bisweilen fast schleimig wirkende, Art mir wohl immer in Erinnerung bleiben wird. Er war Raucher und zumindest in der Firma Antialkoholiker. Insgesamt war ich froh, wieder zurück zu sein. Meine Hochzeitsplanungen waren schon bald Thema und die Begeisterung meiner Kolleginnen darüber hielt sich in Grenzen. Der Verlag zog im Laufe des Jahres um. "Hinter den Ulmen" im Stadtteil Eschersheim befand sich in einem rot gestrichenen Haus unser Domizil.   

Mit meinen Eltern gab es nach wie vor Auseinandersetzungen. Wir waren, um unsere Hochzeitsabsichten mitzuteilen, noch einmal zu Besuch. Mutter schrieb mir danach am 28.3.1982 u.a. das Folgende: "Dein Vater ist an einem Besuch mit deiner zukünftigen Frau nicht mehr interessiert. Du kannst natürlich gerne allein kommen.." Und weiter: "Du hast unsere Zusage, dass wir an der kirchlichen Trauung teilnehmen werden. Nach der Trauung fährt dein Vater sofort wieder nach Kassel zurück." Aus dem Besuch in Lemgo wurde zum Glück nichts. Stattdessen erhielt ich regelmäßige Nachrichten über den Zustand meines Bruders, der Anfang des Jahres zur Bundeswehr kam und wie er mir noch selbst schrieb, in Fuldatal stationiert war. Bei allem Hin und Her kannte ich die Gründe für die Ablehnung meiner Verlobten ziemlich genau. "Warum müsst ihr denn heiraten? Da nimmt man sich doch etwas Jüngeres." Das war Vaters Einstellung, der vermutlich an ein nettes junges Mädchen dachte, die man womöglich gut steuern konnte. An meinen Bedürfnissen ging das völlig vorbei. An eine Familiengründung dachte ich noch gar nicht, ich musste mich selbst erst mal in stabilere Zeiten begeben. Dazu kam, dass ich aufgrund meiner Erfahrungen in seiner Familie gar kein positives Bild von dieser Lebensform hatte. Ich war misstrauisch allen Oberflächlichkeiten gegenüber. Das spielte für meine Eltern keine Rolle, wussten sie doch von mir zeitweise nicht mehr, als das ich ein Mann mit Brille bin.

Im Februar verbrachte ich mit Ruth eine Woche in Neustift im Stubaital, wo ich erstmals auf Langlaufski wagte, ohne damit richtig zurecht zu kommen. Alle Arten von Gegenständen, die sich ohne meine Zutun bewegten resp. unter mir weg rutschten, waren mir suspekt. Im März fuhren wir an den Bodensee, hatten ein ganz nettes Hotel. Während tagsüber alles halbwegs in Ordnung war, litt ich  abends unter starken Angstzuständen. Es erinnerte mich an schwüle Frankfurter Sommertage, wo mein Kreislauf mich oft derart im Stich ließ, dass ich nervös wie ein Junkie auf Entzug durch die Straßen lief. Selbst vorbei fahrende Autos regten mich auf. Nichts war einfach, aber ich hielt stand. Je größer der Widerstand wurde. Auch mein Bruder Frank war wie ich als Soldat bei den Funkern und wie er mir schrieb, dauerte auch für ihn die Grundausbildung 1/4 Jahr. Bezüglich seiner Teilnahme an unserer Hochzeit äußerte er sich so, dass es für mich klar war, dass er nicht dabei sein wird. 

Im Verlag erfuhr ich dagegen durchaus mal positive Neuigkeiten. Ich bekam ein Einzelzimmer. Da ich mir eine Kaffeemaschine mitgebracht hatte, bekam ich stets auch Damenbesuch. 



Mein Arbeitsplatz noch ganz analog

Unser Büro war tatsächlich eine große Wohnung auf mehreren Ebenen. Die Herstellungsabteilung befand sich im ersten Stock. Es gab nur eine einzige Toilette für Frauen und Männer mit Ausblick auf die Straße. Das brachte mir bisweilen einige für mich aufschlussreiche Eindrücke, um die ich mich nicht gerissen habe. Die Abteilungsleitung war zunächst noch nicht geregelt, aber Marianne St. war die erste Anwärterin. Sie schien mir eine bisweilen zwiegespaltene Persönlichkeit zu haben. Während eines Mittagspaziergangs erzählte sie mir einiges über ihr seelisches Innenleben. Ich wusste nicht recht, was ich damit anfangen sollte, trat sie beruflich doch ganz anders auf. Mit unseren ausländischen Autoren konnte sie mittels ihres amerikanisch gefärbten Englisch gut kommunizieren und sie war erster Ansprechpartner unseres Chefs, für den der eigene Frauengeschmack wohl durchaus ein Einstellungskriterium war. Eva E., meine resolute Landsfrau, amüsierte sich sehr über mich, als ich Marianne einmal den Spitznamen "Schnuggl" verpasste. 

Unsere Hochzeitsvorbereitungen waren überschaubar. Ein Termin beim Standesamt musste gemacht werden. Mein "Freund" Jochen stand als Trauzeuge nicht zur Verfügung. Die ganze Sinkkastenclique inklusive Völkerchen sah ich nie wieder. Paradoxerweise stand uns nur Ruths Schwester als Trauzeugin zur Verfügung. Ausgerechnet die Frau, die gegen mich gesprochen hatte, weil sie befürchtete, dass mein Auftauchen die von ihr geplante Lebenspartnerschaft mit Ruth zerstören würde. An den Tagen vor unserer standesamtlichen Hochzeit waren wir beide sehr unsicher, jeder auf seine Weise. Dennoch tauchten am 14.5.1982 drei Personen vor dem Friedrichsdorfer Standesamt auf. "Meine" beiden Frauen ungewohnter Weise im Kleid, ich im blauen Anzug. Die Zeremonie war relativ kurz und schmerzlos. Mit dem neuen Familienstammbuch in der Hand stürmte ich aus dem Amt, fast hätte ich den Hochzeitskuss vergessen. Danach fuhren wir nach Bad Homburg zum Essen, was meiner Schwägerin nicht so gut bekam. Wir kehrten nach Burgholzhausen zurück, um unsere Sachen für Lemgo zu packen. Es gibt noch ein Foto, wo wir beide vor dem Haus standen. Die Hausgemeinschaft nahm auch von unserer Hochzeit wenig Kenntnis. Es herrschte, abgesehen von unseren direkten Nachbarn, eine unterkühlte Atmosphäre uns gegenüber. Man ließ uns es uns spüren, dass wir die einzigen Mieter waren und uns nicht an den anstehenden Arbeiten im Garten und der Hausordnung beteiligten. Dafür zahlten wir unserem Vermieter, einem Herrn Krause, unseren Obolus. Das rettete uns aber nicht, manchmal war es ein Spießrutenlauf, wenn die Herrschaften draußen zu Gange waren und wir das Haus verließen. Zum Glück war mittags an unserem Hochzeitstag niemand zugegen. Die Fahrt nach Lemgo konnte leichten Herzens beginnen.    

Die Zahl der Hochzeitsgäste war begrenzt auf Ruths Verwandtschaft mütterlicherseits. Mit mir und Ruth waren wir insgesamt etwa 16 Personen anwesend. Es störte insgesamt nicht, dass von meiner Seite niemand dabei war, für mich selbst war es ja auch leichter. Mit meinem Schwiegervater verstand ich mich gut. Er selbst war in Herten geboren und hatte vor dem Krieg bei seiner Mutter auf einem ostpreußischen Hof gearbeitet. Das Alleinsein kannte er gut, auch später Im Krieg in Russland war er oftmals auf sich selbst gestellt und auch schwer verwundet worden. Aufgrund der zeitlichen Wirren hatte er selbst erst spät eine Frau gefunden und die beiden hatten sich mit bloßen Händen und viel Arbeit Haus und Grund geschaffen. Er fragte mich auch später oft, wie es meiner Familie gehe. Am Vorabend der Hochzeit saßen wir im Wohnzimmer zusammen und er gab eine Runde Bärenfang nach der anderen aus, was ihm selbst am nächsten Tag nicht gut bekam, denn er trank für gewöhnlich nur wenig Alkohol. Auch ich war ein bisschen angeschossen, aber vielleicht ein bisschen routinierter und vor allem jünger. Mein Gewicht war immer noch so niedrig, dass meine Schwiegermutter mir die Hose meines Hochzeitsanzugs enger nähen musste. Diese Folge meines Israelaufenthalts vom letzten Jahr spürte ich immer noch.  Der Trauungsakt fand in der Kirche St. Johann statt. Das ist eine reformierte evangelische Kirche. Alles sah ein wenig schlicht aus und ich war nach wie vor nervös. Ich selbst war lutherisch getauft. das war aber kein Problem. Versehentlich hätte ich Ruth fast den Ring auf die falsche Hand gesteckt, aber es ging noch mal gut. Draußen versammelten sich alle zum gemeinsamen Foto und wir beide hatten einen Fototermin auf den Lemgoer Wallanlagen, wo schöne professionelle Bilder entstanden. Ruth trug ein in meinen Augen sehr schönes Hochzeitskleid an, nicht zu überkandidelt, aber doch sehr fraulich. Etwas Kopfschmuck, kein Schleier und vor allem keine Schleppe, so kamen ihre großen dunklen Augen auf den Bildern gut zur Geltung. Ich war ein stolzer Bräutigam. Das ich das in meinem 26. Lebensjahr schon geschafft hatte, machte mich auch ein bisschen stolz. Gefeiert wurde dann im Lemgoer Pulverturm, der damals noch ein Restaurant beherbergte. Der war fußläufig zu erreichen und ein Teil der ehemaligen Befestigungsanlagen der alten Hansestadt Lemgo. Es gab zunächst Kaffee, mein Schwager hielt eine kleine Rede und auf seine Frage, was ich meisten liebe, blieb mir nur eine Antwort: Ruth. Es folgte später das gemeinsame Essen. Da die meisten Hochzeitsgäste den Alkohol mieden, wurde es nicht sehr spät. War die Schlichtheit unserer reformierten Hochzeitskirche St. Johann schon etwas Neues für mich, so kannte ich es auch nicht, dass bei Feierlichkeiten Cola oder Limonade auf dem Tisch stand. Sinnigerweise trug auch meine Schwägerin an diesem unserem Tag eine Art Hochzeitskleid. Mit meinem Schwager fuhren wir dann in dem gemieteten Audi zum Haus meiner Schwiegereltern zurück. Wir übernachteten im eigens für uns frei geräumten Esszimmer des Hauses. In ihren Lebenserinnerungen schrieb meine Schwiegermutter später nur, dass unsere Hochzeit größer gewesen sei, als ihre eigene. Von meiner Verwandtschaft gab es eine Grußkarte von meinem Patenonkel Siegward Dreyer und seiner Frau. Die Stiefmutter meines Vaters sah die Sache allerdings anders. Als sie vom Fernbleiben meiner Eltern bei unserer Hochzeit erfuhr, fuhr sie zu meinen Eltern und nötigte meinen Vater, ein sechsteiliges Kaffeeservice einzupacken und als Hochzeitsgeschenk an uns abzuschicken. "Was macht ihr denn mit dem Jungen?" war ihre Frage an meine Eltern. "Oma" Paula war nicht meine richtige Oma, aber defacto war sie es. Sie schrieb auch immer wieder und sandte Fotos. Seit dem Tod meines Großvaters Kurt reiste sie oft und besuchte auch das Grab meines Onkels und Namensgebers Wolfgang Dreyer in Costermano am Gardasee. Dabei wurde sie zum Faktotum im Ort und lernte auch italienisch. Sie hatte auch Rudi Ullrich kennengelernt und sich lebhaft mit ihm ausgetauscht.  

Wir blieben noch am Tag danach in Lemgo und fuhren gemeinsam mit Schwager und dessen Freundin an die Weser zum Baden nach Borlefzen bei schönem Wetter. Nach Burgholzhausen ging es mitsamt Brautstrauß zurück, wo uns der Alltag schnell wieder hatte. Denn unsere "Flitterwochen" würden wir erst im September verleben. Mein Hochzeitsfotos waren in der Firma zur Ansicht bei meinen Kolleginnen begehrt. Allerdings begeisterte die vollendete Tatsache nicht jede, was ich merken konnte. Es war nicht das erste Mal, dass ich das Gefühl bekam, dass die Entscheidung für eine Frau gleichzeitig den Verlust vieler Möglichkeiten bedeutete. Aber wie hatte schon Rudi Ullrich immer gesagt "Safety First". Der Sommerurlaub führte uns in unserem ersten Jahr als Ehepaar nach Menorca. Am Abend vor dem Flug liefen wir beide etwas nervös durch die Anliegerstraßen unseres kleinen Wohngebiets in Burgholzhausen. Doch alles ging gut. Mit meiner Canonet-Kamera im Gepäck erreichten wir unser Hotel in der kleinen Ansiedlung Arenal d'en Castell. Es lag auf einer kleinen Anhöhe und war ein ziemlicher Betonklotz mit vier Sternen. Dennoch wurde der Urlaub ein ziemlicher Erfolg. Denn wir lernten drei weitere junge Paare kennen, mit denen wir unsere Zeit am Strand und abends an der Bar verbrachten. Ich verkostete gern meinen Gin Fizz und überhaupt der Likör ist eine Spezialität auf Menorca, wie wir in Mahon erfuhren. Mit einem Mietauto entdeckten wir die kleine Insel. Auch zu Fuß lohnte es sich mal in die Nachbarbucht  zu gehen, die Küstenlinie zu fotografieren oder aber in Fornells bei ziemlicher Menschenleere auf gutes Licht zu warten. Waren wir abends mal allein, so saßen wir in einer Bar außerhalb des Hotels, wo ich Ruths Erzählungen lauschte, während über unseren Köpfen die Fledermäuse durch die Nacht flogen.         

Unbeschwerte Tage also, die mit dem Rückflug und einem sehnsüchtigen Blick zurück auf die Umrisse der Insel endeten. Zwischenzeitlich war mein Bruder bei der Bundeswehr ausgemustert worden. Berichtete er mir noch im Februar über gute Schießergebnisse und darüber, dass er beim Marschieren keine Probleme hatte, so haben sich die damaligen Tendenzen wohl so verstärkt, dass die Ausmusterung notwendig wurde. Denn Frank schrieb mir damals bereits: " Sie (die Ausbilder) unterhalten sich öfters mit mir und sehen trotz meiner Empfindlichkeit auch gute Seiten." Ich hatte Mutter auf ihren Wunsch hin Hochzeitsfotos geschickt und in ihrem Antwortbrief hieß es zu Frank: "Dein Vater hat nun Mitte August Urlaub und ich glaube doch, dass wir euch dann mal besuchen. Frank ist schon zuhause, er wird am 31.7. entlassen. Soll aber eine Behandlung mitmachen, was die Bundeswehr bezahlen will." Im Nachsatz schreibt sie: "Wie ich erfuhr, bezahlt die Bundeswehr keine Behandlung, da die Mängel schon vorher bestanden." Man hätte Frank das Ganze ersparen können, denn schon der Versuch eine Ausbildung im VW-Werk Baunatal zu absolvieren, war gescheitert. Das alles war sehr bedauerlich für ihn, denn seine beruflichen Aussichten wären zunächst mal deutlich besser als meine eigenen gewesen, wenn er sie hätte nutzen können.

Wir hatten in diesem Jahr also schon einige Reisen gemacht, eine Busfahrt führte uns noch ins Elsass, wo wir Colmar besichtigten. Die tägliche Fahrt an die Arbeit jedoch war eher etwas nervend. Manchmal verpasste ich in Friedrichsdorf den Anschluss nach Burgholzhausen und ging den Weg zu Fuß. Insbesondere morgens und im Winter war der Fußweg zum Bahnhof in Burgholzhausen zwar teilweise malerisch aber auch zeitraubend. In unserer Freizeit fuhren wir öfter nach Bad Homburg, wo es direkt an der Promenade ein chinesisches Lokal gab, dass uns auch vom Ambiente her ansprach. Unsere Spaziergänge führten uns durch den Hardtwald und den Kurpark. Manchmal war auch der Köpperner Wald unser Ziel. Unsere Wohnung war soweit gestaltet, wie es uns möglich war. Die kleine im Wohnzimmer integrierte Küche war mit einem Vorhang abgetrennt, unser Balkon bepflanz und bot uns einen guten Ausblick gen Süden. Für eine Familiengründung war die Wohnung jedoch eindeutig zu klein und der Weg zur Arbeit und in die Stadt war uns auf die Dauer zu weit. Zumal der Winter Schnee bringen sollte.   


   

 

Freitag, 18. Dezember 2020

Propaganda

Was ist Propaganda? Sie ist normalerweise positiv, da sie für etwas eintritt. Dann ist es Werbung. Meist wird sie jedoch dazu benutzt, um die vorherrschende Meinung zu verbreiten. Dies betrifft dann auch Personen und / oder meist eine Minderheit von Menschen, die nun entweder bekehrt werden soll oder zumindest für die vermeintliche Mehrheit diskreditiert werden muss. So rechtfertigten die Nazis die Vernichtung der Juden mit ihrer angeblichen Minderwertigkeit, die Unterjochung der slawischen Völker mit deren Untermenschentum. Um das Ganze zu verdeutlichen, benutzte man Bilder mit stereotypen Portraits von Juden oder feindlichen Soldaten, die möglichst abstoßend wirken sollten (Jud Süß als Beispiel). Mit dem Ende der Diktatur in Deutschland ist auch hierzulande die Propaganda nie gestorben. Sehr wirksam ist Propaganda dann, wenn man Vertreter der zu bekämpfenden Gruppierung vor die Kamera holt und dabei natürlich darauf achtet, dass diese möglichst unvorteilhaft gezeigt werden. Das gelingt am ehestens mit Menschen, die über geringe rhetorische Möglichkeiten verfügen und sich möglichst zu gewünschten Äußerungen hinreißen lassen. Das passiert derzeit mit der sogenannten "Querdenker-Bewegung". Man sucht sich einfach bei einer großen Demonstration, wie der in Berlin, die abstrusesten Typen heraus und lässt sie sich vor der Kamera produzieren. Da diese Typen meistens im Bereich Verschwörungstheorie unterwegs sind, ist der Eindruck auf den Betrachter natürlich extrem negativ. Schon hat man einen Grund, alle Teilnehmer der Großdemo als Idioten zu bezeichnen. Zudem kommt noch der Vorwurf der Nähe zum Rechtsradikalismus dazu, weil eben auch ein paar Rechte unter den Demonstranten sind. Wir haben die Nachkriegszeit mit Nazis in allen demokratischen Parteien vergessen. 

Diese Berichterstattung wird dann noch mit anscheinend objektivem Zahlenwerk untermauert. "Ich traue keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe." Das ist ein altbekanntes Zitat. Wer der Urheber ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Fakt ist, um die Gefährlichkeit der Corona-Epidemie zu untermauern, werden täglich Todeszahlen bekanntgegeben. Jeder verstorbene Mensch mit einem positiven Coronatest zählt als Coronatoter. Manche Medien sagen zumindest "an oder mit Corona verstorben". Das ändert allerdings wenig, da die Zahlen nicht einzeln ausgewiesen werden. Das ist genauso, als wenn ein tödlich im Straßenverkehr Verunglückter auch an Krebs erkrankt war und nun als Krebstoter gezählt werden würde. Es ist weiteres Merkmal von Propaganda, dass die Vergleichbarkeit von Angaben nicht hergestellt wird. Nur die verbreitete Behauptung zählt. Es gibt keine Angaben darüber, wie viele Menschen auch ohne Corona in Deutschland täglich sterben. Das auch die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung Tote fordern werden oder bereits gefordert haben, das ist mehr als wahrscheinlich. Die werden aber in keiner Statistik auftauchen. 

Propaganda kennt viele Instrumente. Etwa die vermeintlich authentischen Spots, die unter dem Deckmantel der Aufklärung gezeigt werden, also aktive Propaganda für etwas. Oder die vielen Meinungsumfragen, die die positive Einstellung der Bevölkerung zu den getroffenen Maßnahmen zeigen sollen. Merkwürdig daran ist es nur, dass die Meinungen der Menschen auf der Straße ganz anders klingen. Offene Schuldzuweisungen an das "Volk" gab es gerade als Rechtfertigung für den jetzt geltenden harten Lockdown von Seiten der Regierungspolitiker. Die SPD tut sich da wieder besonders hervor. Bratwurst und Glühwein müssen verboten werden und überhaupt, wenn der harte Lockdown nicht gekommen wäre, rechnete ein Herr Lauterbach mit weiteren 15000 Toten. Die Erzeugung von Angst ist offensichtlich immer noch propagandistisch beliebt. Andererseits nimmt man sich die Freiheit, die Zulassung des Impfstoffs, dessen Entwicklung mit 375 Millionen € vom Bund gefördert wurde, von der EU abhängig zu machen. Aus politischen Gründen will man die Partnerländer in der EU mit einem früheren Impfstart nicht vergrätzen. Die durch die verzögerte Zulassung des Impfstoffs zusätzlichen Toten werden dafür geopfert.     

Die Macht der Bilder bekommt der Fernsehzuschauer immer wieder zu spüren, wenn der Corona-Sender RTL in den Intensivstationen einiger wenigen Kliniken herum filmt, auch um zu beweisen, dass auch junge Menschen an Corona erkranken und schwere Verläufe haben. Zudem wir die völlige Überlastung dokumentiert. Dabei fällt unter den Tisch, warum die Situation so dramatisch ist. Das Gesundheitssystem in Deutschland soll profitabel arbeiten. darin liegt die Crux und deswegen fehlt uns jetzt das Personal in den Krankenhäusern. Zudem wurden unrentable Krankenhäuser geschlossen. Was hätte man auch im Sommer wissen können? Jedes Jahr sind die Intensivstationen der Krankenhäuser in den Wintermonaten gut ausgelastet, auch ohne Corona. Es gibt viele Viren, gegen die es keinen Impfstoff gibt, auch Influenzaviren. Immer noch sterben sehr viel mehr alte Menschen an und mit Corona als junge. Die Alten- und Pflegeheime sind die eigentlichen Hotspots, weil man weder die Bewohner noch das Personal rechtzeitig geschützt hat. Auch hier besteht Personalmangel. Es gäbe Personal, aber das erfüllt nicht unsere deutschen Kriterien. Auch in Corona-Zeiten lassen wir den Amtsschimmel weiter wiehern.

Immer wieder wird dem geeigneten Bürger die Notwendigkeit des harten Lockdowns vor Augen geführt. Es wimmelt nur so von Ermahnungen an die Bevölkerung, obwohl dieser Lockdown die Zahlen nicht verändern wird. Man schließt die Schulen vorzeitig, hat aber im Sommer nichts getan, um sie besser auszustatten (Digitalisierung/Belüftung). Man beschließt Kontaktbeschränkungen im privaten Bereich, die nicht kontrolliert werden können. Dazu fehlt auch das Personal. Es ist absehbar, dass die Zumutungen für die Bürger weiter gehen werden. Es ist absehbar, wer das alles bezahlen wird. Das sagt uns die Propaganda nicht, aber sie soll ja auch nicht aufklären.

Das wahre Leben ist anders. Schön wäre es gewesen, wenn die demokratisch gewählten Politiker, statt ihr eigenes Versagen mit Schuldzuweisungen an die Bürger zu kaschieren, offen und ehrlich ihrem Wahlvolk gegenüber gewesen wären. Und wenn schon Spots gedreht werden, dann müssten sie inhaltlich ungefähr so sein: als ich jung war, hatten wir Corona. Ich lernte niemanden mehr kennen und konnte nirgendwo hin. Als ich alt war, hatten wir Corona. Ich bekam keinen Besuch von meinen Lieben mehr und ich verging einsam und allein. 


Montag, 14. Dezember 2020

MyLife 1981

Hva heter du? (Over the bridge and far away)

Das wusste ich zu Beginn des Jahres kaum noch. Ein bisschen Norwegisch hatte ich von unserem Weihnachtsurlaub mitgebracht. Wir hatten Bekannte von Astrid besucht und uns auch da wieder gut unterhalten. Gefühlsmäßig kam ich wohl ganz gut an. In Bergen besuchten wir an einem Tag die Bibliothek. Nun nahm mich der Alltag wieder in seinen Besitz. Astrid hatte schon seit einiger Zeit eine Bekanntschaft mit einem Iren geschlossen und zu dem zog sie mit samt ihrem großen Bett. Ihre übrige Möblierung blieb weitgehend in meiner Wohnung. Ich selbst schlief nun auf meiner braunen Cordcouch, dachte über die Dinge nach, die zu unserer Trennung geführt haben konnten. Einen  Streit bekam ich mit ihr bei einer Diskussion darüber, warum das deutsche Volk sich nicht gegen Hitler aufgelehnt hatte, das war eine Auswirkung ihres VHS-Kurses, der sie noch einmal richtig hoch brachte. Ich erlaubte es mir zu sagen, das ich das verstünde. Im Englischen meint "to understand" nicht nur, dass man etwas versteht, sondern dass man es akzeptiert. Mir erscheint es noch heute als sehr klar, dass ein breiter Widerstand gegen Hitler nach dessen Machtergreifung gar nicht mehr oder nur unter Einsatz von Leib und Leben möglich war. Die meisten Menschen sind aber nicht zum Revolutionär geboren, schon gar nicht in Deutschland. Darüber konnten wir uns einfach nicht einigen, obwohl der Umstand für mich auch nicht akzeptabel war. 

Meine Englandpläne nahm sie nun auch nicht mehr ernst, was in dem Satz gipfelte: "Für dich war es schon viel, von Kassel nach Frankfurt zu ziehen." Dabei hatte ich nach wie vor auch aufgrund ihrer Erzählungen den Plan, in England mindestens ein Semester als Auslandsstudium zu absolvieren. Die Möglichkeit dafür ein Stipendium auf Bafög-Basis zu bekommen, bestand. Unterlagen der Universitäten in Norwich und Exeter lagen mir vor. Das Studium in England folgte einem festen Plan, es war sozusagen verschult, was mir sehr entgegen kam. Astrid erzählte mir auch, dass man in England nur Lehrer werden kann, wenn man sich erst einmal vor einer Klasse bewährt hat. Auch das erschien mir weitaus besser als das deutsche Bildungssystem. An der Frankfurter Universität war ich als Student vollkommen frei. Zwar musste man eine bestimmte Anzahl Scheine machen, die konnte man unterschiedliche Art und Weise erwerben, aber es gab zum Beispiel keine Zwischenprüfung. Es bestand also keine Notwendigkeit, die Dinge in einer bestimmten Zeit zu erledigen. Bei den Scheinen genügte es manchmal schon, ein Seminar zu belegen und einfach nur anwesend zu sein. Was mir bei vielen Seminaren aufstieß war, dass sie in deutscher Sprache gehalten wurden. Wie sollte ich da meine Englischkenntnisse verbessern, wie die Mentalität aufsaugen. Für mich war es wichtig, Menschen in ihrer Sprache sprechen zu hören. In Grammatik war ich nie gut, dennoch sprach ich meistens intuitiv richtig. Den Kontakt zu native speakern hielt ich für unumgänglich. Selbstverständlich war das in Philosophie etwas anderes. Die Vorlesungen im Philosophicum in der Gräfstraße besuchte ich gern. Manche Sachen blieben mir ein Rätsel, vor allem der Herr Kant mit seiner "Kritik der reinen Vernunft" stand eigentlich auch später nur nutzlos in meinem Buchregal herum. Interessant dagegen die Nikomachische Ethik von Aristoteles, die mir vor Augen führte, wie stark der Einfluss des antiken Griechenlands auf unsere heutige Denkweise ist. Mit dieser praktischen Seite der Philosophie konnte ich viel anfangen. Auch Descartes, dessen Zitat "Cogito ergo sum" auch der Titel dieses Blogs ist, war mit vertraut. Den Schopenhauer hatte mir noch Dorle ans Herz gelegt (das Schopenhäuerchen). Aber was meine anglistischen Ambitionen anging, da hätte die Beziehung zu Astrid mir sehr geholfen. Möglicherweise hätten wir ja zusammen nach England gehen können, da stellte ich mir vieles leichter vor. Aber sie war nun einmal nicht mehr da. Und die Frankfurter Uni gefiel bis auf die Mensa immer weniger. Irgendwo war in mir immer noch der Wunsch wach, Astrid besser verstehen zu können. Sie hatte mir soviel von ihrem gemeinsamen Leben mit ihrem damaligen Freund Bill im Kibbuz Tel Josef erzählt, dass ich beschloss, mich der Zentralen Verwaltung für Volontäre in einem Kibbuz in Tel Aviv anzumelden.

Über meinen Aufenthalt dort habe ich bereits ausführlich geschrieben <a href='https://wolfgang-dreyer.blogspot.com/2012/11/israel.html'> .

Unter dem Label "Israel" findet sich alles, was es über den März 1981 zu berichten gibt. Meine Zeit in Israel brachte entscheidende Auswirkungen. Ich möchte aber hier durchaus andere Stimmen zitieren. Ich jedenfalls brauchte auch nach der Rückkehr in Deutschland eine längere Zeit, um vollständig gesund zu werden. Mein Gewichtsverlust war beträchtlich, um fast 10 kg war ich leichter. Und die Gewichtszunahme ließ auf sich warten. Astrid war so gut wie nie da. Nur zum Abholen von Sachen ließ sie sich blicken. Sie machte auch eine Prüfung in der Zeit und schrieb mir, als sie im Juni wieder in Israel war. Tatsächlich befand sie sich wieder In Tel Josef und traf dort noch Mädchen, die mit mir bekannt waren. Jane und Debbie warteten auf Post von mir, die ich nie schrieb. Sie wechselte dann in ein anderes Kibbuz in Hefzi Bah, schrieb aber, Das Tel Josef immer noch eine Art Zuhause in Israel für sie sei. Sie besuchte da auch immer noch andere Volontäre. Monty Python's als Vertreter des englischen Humors, das verband uns noch. Sie hatte von einem Volontär Cassetten bekommen. Mir gab Astrid noch den Tip, es mit Arbeit in einem Moschav zu versuchen, falls ich Geld bräuchte. Irgendwo geisterten Bilder von uns herum und mit verschiedenen Bekannten hatte ich noch Kontakt in einer Zeit in der ich mich längst neu orientiert hatte. Da ich Geld brauchte, arbeitete ich beim Kaufhaus M. Schneider, wo ich Besucher des Restaurants zählen musste. Mir blieb genügend Zeit, die Frankfurter Rundschau zu lesen.

Im Mai traf ich eine Frau, mit der ich einen schönen Abend in Sachsenhausen verbrachte. Dies hatte Folgen, wir verabredeten uns für einen Abend in meiner Wohnung, ich wollte kochen. Fabrizierte einen Nudelauflauf und lud auch meinen "Freund" Jochen dazu ein. Schließlich wollte ich eine zweite Meinung heraus kitzeln. Er sagte aber später nur: "Die will was von dir." So habe ich sogenannte Freunde immer kennengelernt. Meine neue Freundin imponierte mir dagegen sehr. Es fühlte sich so an, als würde man nach ewigem Waten im Sumpf plötzlich festen Boden unter den Füßen haben. Das Elternhaus von Ruth befand sich in Lemgo und sie wollte zu Pfingsten dorthin. Ich dagegen würde mich in Kassel absetzen lassen und zu meinen Eltern gehen. Einen Kontakt zwischen ihr und meinen Eltern fand nicht statt. Im weiteren Verlauf des Juni "musste" sie mit Mutter und Schwester nach Zermatt fahren, das war wohl schon vor meinem Erscheinen geplant. Sie schrieb mir, dass sie sich darauf freue, wieder nach Frankfurt zu kommen. Ich war hin und weg, vor allem entschlossen, es mit ihr zu versuchen. Doch noch immer schickte ich Astrid ihre Post nach, wenn welche kam und noch immer stand ihre Möblierung in meiner Wohnung.

Während Ruth in Zermatt urlaubte, fand ich eine Mitfahrgelegenheit nach Berlin mit einem jungen Studentenpaar. Dort wollte ich Steffen, einen Bekannten aus dem Kibbuz besuchen. Die Grenzkontrollen in Helmstedt waren schon ein wenig belastend. Man war froh, wenn West-Berlin erreicht war. Hier suchte ich Steffen in seiner Wohnung im Wedding auf und konnte dort auch übernachten. Für meine Verhältnisse war seine Wohnung ziemlich unordentlich und ein bisschen ein Kulturschock. Da Steffen anderes zu tun hatte, nutzte ich die Zeit für Erkundungen in Berlin. So besuchte ich die FU und wagte an einem Tag den Übergang nach Ost-Berlin. Über die Station Friedrichstraße gelangte ich nach mehreren Kontrollen in den Osten der Stadt. 25 DM waren in Ostmark einzutauschen. Anfangen konnte man damit nicht viel. Günstig waren vor allen Dingen Bücher. Da interessierte mich die Philosophie natürlich hauptsächlich. Auf der Straße "Unter den Linden" wurde ich gleich von zwei freundlichen Herren angesprochen, die von mir gern DM bekommen hätten im Tausch gegen ihre Ostmark. Ich lehnte trotz mehrerer Überredungsversuche ab, was vermutlich mein Glück war. Ich sah mir dann noch den Alexanderplatz an und fuhr auf den Fernsehturm hoch. 


Am Alexanderplatz gab es ein recht modern wirkendes Schnellrestaurant. Aber weder die Speisen noch das Bier reichten an die gewohnte Qualität im Westen heran. Ich fotografierte damals noch nicht all zu viel, aber vom Alex musste das natürlich sein. Letztlich war ich froh, als ich am Ende des Aufenthalts meine Fahrer wieder zur Rückreise traf.

Mittlerweile passierte auch bei meinen Eltern in Kassel etwas. Die Situation mit meinem Bruder Frank begann sich zu verschärfen. Im Juli wollten sie nach Mainz zu meiner Großmutter fahren, aber meinen Bruder Frank nicht mitnehmen. Ich sollte nun seine Aufsicht in Kassel übernehmen. Das bedeutete für mich, dass meine Eltern nicht den Wunsch verspürten, meine Wohnung zu sehen bzw. mich zu besuchen. Zusätzlich hätte ich die Kosten für die Zugfahrt nach Kassel zu tragen. Das kam für mich überhaupt nicht in Frage und ich verweigerte mich hier. Zu groß war bereits meine Distanz zum Elternhaus. Auch mit der Verwandtschaft in Mainz hatte ich keine Verbindung, man hatte bei der Familie Keßler nicht die Absicht, meine Selbstständigkeit wahrzunehmen. Mutter schrieb dazu später: "Ich möchte Dir nur deinen Brief beantworten. Frank wollte eben doch mit nach Mainz fahren. Wir hätten Dich sicher auf der Rückfahrt mal besucht, aber dein Vater fühlte sich bereits einige Tage vor der Mainzfahrt nicht wohl, sodass ich froh war, überhaupt fahren zu können." Alles nicht so schlimm, wenn Vater nicht immer auf der anderen Seite den starken Mann spielen würde. Mutter rief mich öfter von der Telefonzelle aus an, da Vater sich verweigerte, ein Telefon anzuschaffen. Das war ihm zu teuer, da er befürchtete, dass sie dann zu viel telefonieren würde. Er ließ sie lieber zur Zelle laufen, in deren Nähe sich ein Kiosk mit einer Räumlichkeit befand, in der einige Säufer herum hingen. Mutter hatte dann auch manchmal Kontakt. 

Bei mir lief sozusagen alles nach Plan. Ruth und ich, wir kamen uns näher, besuchten uns gegenseitig und letztlich öfter in ihrem Apartment in Frankfurt-Hausen. Sie gab mir ihr Auto und ich war der Fahrschüler. Ihr Auto, ein goldfarbener Ford Fiesta 1,0, war nicht leicht zu fahren. Die Schaltung sehr hakelig, oft stocherte man erst herum, bis sich der richtige Gang fand. Vor dem Anlassen musste der Choke gezogen werden. Manche Fahrt im Taunus endete in Feldwegen abschüssiger Art, wo ich das Anfahren und generell das Meistern schwieriger Situationen meistern musste. An die Ausflügelei musste ich mich gewöhnen. Ich kannte es von zuhause nicht, dass man einfach zum Spaß in eine fremde Gegend oder Stadt fuhr. Das gab es bei uns nicht. Und auch in Frankfurt fühlte ich mich immer in der Stadt am wohlsten. Als ich noch mit Kumpeln unterwegs war, fühlte ich stets eine gewisse Erleichterung, wenn wir von Fahrten übers Land wieder zurück in die Stadt kamen. Ich hatte mich dennoch als reiselustig bezeichnet, was in Bezug auf Reisen ins Ausland auch stimmte. Ruth war da ganz anders, schon früh automobil unterwegs. Aber auch mein übriges Leben würde sich ändern. Ich hatte unsere Bekanntschaft zum Anlass genommen, endlich ganz mit dem Rauchen aufzuhören. Zwar rauchte ich tagsüber wenig, dafür abends in der Kneipe um so mehr, sodass ein Kneipenbesuch auch manchmal fast eine ganze Packung Zigaretten bedeutete, die ich zum Schluss selbst drehte. Aber auch die Hygiene wurde anders, denn nun benutzte ich ein Deo. Vorher kam nur Wasser und Seife an mich heran. 

Ruth hatte eine gleichnamige Tante, deren Name sie trug. Diese war kurze Zeit nach unserem Kennenlernen an Krebs verstorben. Ruth hatte mir schon von ihr erzählt, sodass ich ein bisschen überrascht war, dass die Nachricht sie doch mehr traf, als ich vermutet hätte. Im Sommer unternahmen wir, nun gemeinsam, unsere erste Fahrt nach Lemgo zu ihren Eltern. Ein Zwischenstopp war in Kassel bei meinen Eltern vorgesehen. Wir hätten dort in der elterlichen Mietwohnung nicht übernachten können. Es war also sinnvoll, so zu planen. Als wir die Treppen in unserem Mietshaus hoch gingen und sich die Wohnungstür öffnete, streckte wie üblich meine Mutter verlegen lachend den Kopf hinaus. Als sie Ruth sah, murmelte sie nur "Das wird schwer." Ruth hat das wohl nicht gehört, es wäre bereits der erste Affront gewesen. Das weitere Prozedere war so wie immer. Vater saß auf einem Stuhl im Wohnzimmer, beide Eltern rauchten, entsprechend roch es verräuchert in der ganzen Wohnung. Meinen Bruder bekam ich nicht zu Gesicht. Aufgrund seiner Behinderung war er eigentlich mittlerweile die Hauptperson in der Familie. Mein Werdegang interessierte da weniger. Im Vorjahr erst hatte ich eine Augen-OP hinter mich gebracht, mit der mein Schielen korrigiert wurde. Das war im Bürgerhospital in Frankfurt geschehen, ohne dass ich da eine Anteilnahme erfahren hätte. Das Ganze hätte längst noch im Kindesalter passieren können und müssen, mein Schielen störte meine Eltern nicht. Unsere "Gespräche" wurden stets von Vater gesteuert. Meist forderte er mich auf, etwas aus meinem Leben zu erzählen. Wenn ich dann anfing und ich hatte viel zu erzählen, wollte natürlich auch mit dem ein oder anderen Erfolg glänzen, winkte er meist ab oder relativierte manchmal mit dem Ausspruch "Jo, nu". Schnalle waren das meist Erzählungen über Frank das Hauptthema. Was Ruth besonders irritierte, das war das gegenseitige Übereinander-Reden als "Dein Vater" oder "Deine Mutter" in der Gegenwart der jeweiligen Person. Sie bemerkte von Anfang an meine Verhaltensänderung, mein angespanntes Reden und meine Körperhaltung. Es war klar, ich wollte keinen Konflikt, eigentlich nur aus der Nummer raus. Mutter war keine Hilfe, stets stimmte sie Ihrem Mann zu. Sicher merkte auch sie meine Spannung, aber aus einem gelegentlichen Lachen kam nichts von ihr. "Das kann möglich sein." Das war so eine Art Zustimmung von ihrer Seite. Nach einer halben Stunde war die Situation perdu. Obwohl ich mich mit meinem Vater nicht gestritten hatte, reichten die Eindrücke für Ruth. Sie verließ uns und wollte in ihrem Auto auf mich warten. Ich musste mich nun entscheiden und das fiel mir auf der einen Seite schwer, war auf der anderen Seite leicht. So fuhren wir weiter nach Lemgo. Hier lernte ich die Schwiegereltern und meinen Schwager kennen. Sie wohnten in einem Jahrhunderte alten Fachwerkhaus. In Ruths ehemaligen Zimmer konnten wir übernachten. Hier fühlte ich mich wieder als Mensch. Meine studentische Art kam irgendwie gut an. Erste Fotos von der Lemgoer Altstadt entstanden mit meiner Canonet 28, die ich im Frankfurter Bahnhofsviertel in einem Fotoladen gekauft hatte. Wenigstens in ihrem Elternhaus hatten wir Unterstützung. Denn Ruth hatte eine Schwester, die fleißig gegen unsere Beziehung intervenierte. Bei gemeinsamen Treffen mit ihr fanden teils heftige Dispute statt, einer davon ging um das Thema Autofahren. Für die beiden Schwestern war das essentiell, für mich ein ideologisches rotes Tuch. Ruth war dennoch entschlossen, mit mir zusammen zu bleiben, allerdings, ohne auf mich warten zu wollen, sollte ich in England ein Studium aufnehmen. Auch da entschied ich mich für Ruth. Ich verstand sie auch deshalb, weil ich selbst nicht auf Astrid warten wollte, sollte sie eventuell zu mir zurück kommen. Mit dem Studium in Frankfurt war ich ohnehin überfordert, nicht fachlich, aber mental. Und Ruth verdiente gutes Geld, aber von ihr abhängig sein wollte ich nicht. Bisher hatte ich von der Hand in den Mund gelebt, das musste sich ändern.     

So planten wir unsere erste gemeinsame Reise, die wieder nach Italien gehen sollte, dieses mal auf die schöne Insel Elba. Ich war nun Co-Fahrer. Im September ging es los. Ich sehe mich im Fiesta über das Frankfurter Kreuz Richtung Basel fahren, durch die Schweiz nach Mailand und dann an Genua vorbei in Richtung Toskana. Die Strecke für einen quasi Fahranfänger ein echter Ritterschlag, dunkle Tunnel wechselten sich mit hohen Brücken ab. Erst als wir die Ausläufer der Toskana erreichten, wurde es flacher und wir fuhren in Pietrasanta ab. In Marina du Pietrasanta kamen wir im Hotel Mistral unter. Das lag direkt an einer Durchgangsstraße und der Lärm der unaufhörlich fahrenden Mofas und Motorroller nervte mich. Immerhin, das Hotel hatte einen schönen Garten und der breite Sandstrand war fußläufig erreichbar. Wer italienische Badeorte kennt, der weiß, außer für Kinder ist hier nicht viel los, vor allem nicht zur damaligen Zeit. Die Hotels haben ihre eigenen Abschnitte am Strand und das haben wir genutzt. Keine Hektik wegen irgendeiner Reservierung von Liegen, Abends spazierten wir durch die Straßen des Ortes und gingen hier und da was trinken. Ein anscheinend sehr verliebtes, schon etwas älteres Paar fiel mir auf. War das mein zukünftiges Schicksal, immer mit ein und derselben Frau irgendwo herum zu sitzen und harmonisch auszusehen. Irgendwie schloss ich das für mich noch aus. Aber unser Abenteuer ging weiter, denn um nach Elba zu gelangen, mussten wir nach Piombino weiter reisen. Da wir nichts vorher gebucht hatten, kaufte ich die Tickets immer erst vor Ort. Die Fähre setzte uns dann nach Porto Azzuro auf der Insel Elba über. Unseren Aufenthalt verbrachten wir in Marina di Campo. Dort fanden wir eine kleine Ferienwohnung. Die Dusche im Badezimmer stand mitten im Raum. Wenn man duschte, war der komplette Boden nass, so etwas kannte ich noch nicht. Bald gab es auch unseren ersten Streit. Wir wollten Geld abheben und ich hatte meine EC-Karte in der Wohnung gelassen. Dennoch, wir fanden ein schönes, aus unserer Sicht typisches Lokal und bestellten uns Fisch. Was dann kam, war aber ein kompletter Fisch, meine Augen wurden groß. So etwas kannte ich auch noch nicht. Ein bisschen ängstigte mich das, aber nachdem der Kopf erst mal ab war, schaffte ich es doch ihn zu verzehren. Der örtliche Weißwein half dabei und wir tankten ganz schön davon. Die folgenden Tage verbrachten wir am Strand und hatten schnell ein ruhiges Plätzchen am felsigen Teil für uns entdeckt. Wir blieben eine Woche, fuhren auch mit dem Auto auf der ganzen Insel mit immer wieder schönen Ausblicken herum. Im Kassettendeck liefen die Boomtown Rats mit "I don't like Mondays" . Nach einer Woche war unser Urlaub beendet und wieder wollten wir uns ein Ticket für die Fähre nach Piombino kaufen. Gesagt, getan. Als wir zu unserem Auto zurück kehrten, fanden wir die Fahrertür eingedrückt vor. Jemand war hinein gefahren und hatte sich aus dem Staub gemacht. Vermutlich hatte er hinter uns in der Schlange gestanden und da wir nicht im Auto waren und somit nicht aufrücken konnten, wollte er vermutlich in die Lücke vor uns fahren, dabei unseren kleinen Fiesta übersehend. Da das Auto noch fahrtüchtig war, die Tür zum Glück noch schloss, verzichteten wir auf die italienische Polizei. Wir fuhren nach der Überfahrt direkt zurück nach Frankfurt ohne eine Zwischenübernachtung. 

So einen ersten, schönen Urlaub musste man erst einmal gemacht haben. Viele schöne Dia-Fotos erinnern daran. Zunächst wollte ich nun für Klarheit in meiner Wohnung sorgen. Von Astrid wusste ich, dass sie am 21. August nach Frankfurt zurück fliegen wollte. Sie besuchte aber auch noch ihren ehemaligen Freund Bill in London, war also immer noch nicht da. Ruth und ich wollten nicht immer zwischen unseren Wohnungen hin und her pendeln. Wir suchten nach Wohnungen, doch es war nicht leicht in Frankfurt. Wir beiden "Eigeplackten" sprachen eben auch nicht den richtigen Dialekt. Außerdem waren wir nicht verheiratet. Die Frage nach eventuellen Kindern kam auch immer wieder. Es blieb uns also nichts übrig, als im Umland nach einer Wohnung zu suchen. In Friedberg vermittelte uns eine Maklerin eine Zweizimmerwohnung in Friedrichsdorf-Burgholzhausen. 

Mittlerweile war Astrid mit dem Schulbeginn auch wieder in Frankfurt aufgetaucht und ich bat sie zum Gespräch. Sie meinte, es sei gut, jemanden wie mich zu treffen, der so geblieben war wie vorher. Das konnte ich wohl als Kompliment auffassen. Ich sagte ihr, dass ich eine neue Freundin hätte und erzählte von unserem Urlaub. Sie fragte sehr interessiert nach, sie war ja Italienfan, hatte von Perugia und Assisi geschwärmt. Sie schien mir nicht enttäuscht zu sein. Als ich ihr aber sagte, dass sie ihre Habseligkeiten entfernen müsse, da auch ich ausziehe, wurde ihr wohl klar, es ist vorbei. Ich war eben doch nicht mehr derjenige, den sie kennengelernt hatte. Sie sollte den Schlüssel in der Wohnung hinterlegen, wenn sie ihre Sachen abgeholt hätte. Wir haben uns nicht mehr wieder gesehen, geschweige denn irgend etwas voneinander gehört.

Ich war erleichtert, die Angelegenheit, die es für mich nur noch war, hinter mir zu haben. Im November stand unser Umzug an. Das erste Mal, dass ich Frankfurt verließ. Ruth hatte die Möglichkeit, über ihren Arbeitgeber, die Börsen-Daten-Zentrale, einen VW-Bus auszuleihen. Wir leerten zunächst meine Wohnung und hatten eine volle Ladung in unserem Bus. Wir stellten das Auto über Nacht auf dem privaten Parkplatz vor ihrem Apartmenthaus in Frankfurt-Hausen ab. Leider hatte das Auto hintere Fenster, sodass man sehen konnte, was sich im Laderaum befand. Am nächsten Morgen fanden wir den Wagen mit eingeschlagener vorderer Seitenscheibe vor. Es fehlte meine komplette Stereoanlage samt Bandmaschine sowie ein Koffer mit persönlichen Dingen. Am meisten traf mich der Verlust meines aus Paris mitgebrachten Bérets und der Urkunde aus dem Krankenhaus, indem meine Daten als Säugling eingetragen waren. Es war, als solle mein bisheriges Leben ausgelöscht werden. Noch ärgerlicher ist das alles, wenn man weiß, dass diese Dinge dann irgendwann alle auf dem Müll landen, weil sie für andere Menschen völlig ohne Wert sind. Wir hatten einfach am Vortag nicht mehr die Kraft gehabt, noch raus zu fahren und alles in die neue Wohnung zu schleppen. Insofern mussten wir beide die Schuld auf uns nehmen. Es war ein Erfahrungswert, der mich in der Ansicht bestätigte, dass man in Frankfurt vorsichtig sein muss. 

Erstmals machten wir in Burgholzhausen die Bekanntschaft mit einer Eigentümergemeinschaft. Nur unsere Wohnung war vermietet. Die Vormieter waren gehörlos, sodass erst einmal die Klingel in Ordnung gebracht werden musste. Doch das sollte unser geringstes Problem sein. Unser Vermieter, ein Herr Krause war in Ordnung. Ich brauchte Geld, zwar verdiente Ruth gut und es hätte für uns beide gereicht, aber Abhängigkeit war meine Sache nicht. So kam ich auf die Idee bei meinem ehemaligen Arbeitgeber anzurufen und siehe da, eine Stelle als Buchhersteller war wieder frei ab dem 1.2.1982. Herr J. war auch bereit , mich wieder einzustellen.  Noch im November verlobten wir uns. In einem Brief wünschte Mutter mir Glück und ließ "meine Braut" grüßen. Derweil richteten wir uns so gut ein, wie es ging, lernten unsere neue Umgebung kennen. Doch Weihnachten verbrachten wir erstmals in Lemgo bei meinen Schwiegereltern und dem Schwager. Ein Weihnachten ohne Alkoholexzess meiner Mutter, ohne gegenseitige Attacken oder Spitzen zwischen Vater und mir und ohne Probleme des Bruders. Friedlich eben, das war mich das größte Geschenk neben anderen.


 

Montag, 7. Dezember 2020

Ohne Ende

 Die Regierenden lügen uns weiter an. Galt zu Beginn der Corona-Epidemie noch eine R-Zahl, die unter 1 bleiben sollte, so werden wir jetzt nur noch mit Infizierten-Zahlen konfrontiert. Während die R-Zahl nicht mehr in den Medien ist, gibt es nun die sogenannte Inzidenzzahl. Die wird nun zusammen mit der Zahl der Todesfälle zur Grundlage für weitere Eingriffe in die Bürgerrechte genommen. Die Inzidenzzahl gibt an wieviel Menschen sich innerhalb einer gewissen Zeit in einem gewissen Gebiet infiziert haben. Infizierte sind jedoch keine Kranken. Die Zahl der Testungen hat erheblich zugenommen, so dass es klar ist, dass auch die Zahl der Infizierten steigt. Der Prozentsatz der positiv Getesteten liegt nun bei etwas über 9 Prozent, also ungefähr so wie zu Anfang der Epidemie. Die als Coronatote bezeichneten Fälle nehmen jedoch prozentual ab, was man nicht sieht, wenn man nur die absolute Zahl sieht. Waren wir zu Beginn der Epidemie bei ca. 4,5% so sind es jetzt laut RKI 1,6% (4.12.2020). Dazu kommt noch, dass bei den Coronatoten auch die Menschen mit gerechnet werden, die mit Corona, aber nicht an Corona gestorben sind. Diese Differenzierung wäre wichtig. Es bleibt das Fazit, dass überwiegend alte Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen in erster Linie gefährdet sind. Zudem bringt der jetzige Lockdown nichts, da die Schulen und Kitas offen bleiben und der Einzelhandel ebenso. Die Politiker tun außerdem so, als seien die Bürger an der Zunahme der Infektionen schuld. Dabei ist es klar, dass die Winterzeit die Hochzeit für alle möglichen Lungenkrankheiten ist und die Zunahme jahreszeitlich bedingt zu erwarten war.  Statt die Alten- und Pflegeheime mit Schutzausstattungen zu versehen und die Schulen endlich zu digitalisieren und mit Lüftungsvorrichtungen zu versehen, geschah hier zu wenig. Man nahm den alten Menschen die Freiheit zu entscheiden, ob sie geschützt werden wollen oder nicht. Im Krankenhaus starben Menschen, ohne ihre Liebsten noch einmal zu sehen. Die Schäden existenzieller Art für viele Branchen werden noch zu Tage treten, die Kosten der Maßnahmen auf den sogenannten "kleinen Mann" abgewälzt werden, der jetzt noch nichts davon merkt. Personalmangel gibt es auch schon läner in Krankehäusern und Pflegheimen. Da nützen Beatmungsbetten wenig, auch das hat man schon gewusst. Menschen gehen aus Angst nicht mehr ins Krankenhaus oder zum Arzt, wie viele Tote wird das geben und wer zählt sie? Die Politik hält die Angst- und Panikmache über die Medien hoch, ohne vernünftig aufzuklären. Man präsentiert uns absolute Zahlen ohne Vergleichbarkeit. Man muss eben wissen, dass in Deutschland jeden Tag ca. 2200 Menschen, allein über 65, sterben. Auch ohne Covid-19 ist das so. Wir werden mit dem Virus leben müssen, der Lockdown light wird daran nichts ändern.


Mittwoch, 2. Dezember 2020

MyLife 1980

Am Ende steht der Anfang

Es musste sich etwas ändern. Die Arbeit beim Lang Verlag war nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Seit dem 1.7.1974 war ich in irgendeiner Mühle eingespannt und ich war nun ermutigt, meinen Plan, zu studieren, auch umzusetzen. Zunächst einmal bekam ich von meiner lieben Bundeswehr die Einberufung zu einer Wehrübung. Da ich Tauglichkeitsgrad 1 hatte, war das leider das leider absehbar. Wenn ich jetzt nicht verweigern würde, wäre ich tatsächlich dran. Also beschloss ich mithilfe eines Bekannten aus der Clique um Volker die Begründung für meine Wehrdienstverweigerung zu schreiben. Um studieren zu können, musste ich nun den Einkommensnachweis meines Vaters haben, damit ich Bafög bekommen könnte. Das war die Bedingung, um dem Arbeitsleben ein freundliches Goodbye zu hinterlassen. Mit Jochen, der immer wieder Bekanntschaften mit Frauen hatte, war ich öfter beisammen. Manchmal gingen wir im Malepartus in der Nähe von Jochens Wohnung in der Wittelsbacher Allee zusammen essen. 

Einen kleinen Rückgriff auf die vergangenen Jahre muss ich noch einmal nehmen. Es gab einige Erlebnisse, die ich nicht erwähnt habe. Ich erlebte ein Mädchen in Bremen, die mir zum Abschied mein Gesicht mit Vaseline einrieb. Eine andere, bei der ich übernachtete und die mir zum einen eine bedeutende Frage stellte und wo etwas Ungewöhnliches passierte. Ein Mädchen, was mich wohl gern geheiratet hätte und mit der ich zu einem Open-Air-Konzert reisen sollte, dazu kam es nicht. Einen schönen Abend in Würzburg bei einem Konzert mit Joan Baez. Eine rein platonische Verbindung, von der mir nur ein Zitat von Rabindranath Tagore geblieben ist. Nicht zu vergessen ist auch der gemeinsame Kinobesuch im Kino am Eschersheimer Turm. Auf dem Programm stand ein Softpornofilm, den ich mir mit einer Bekannten von Wolfgang R. angesehen habe. Nach dem Film gestand sie mir, dass sie geglaubt hatte, ich sei schwul. Ich sollte also umerzogen werden. Vermutlich war sie durch meine Bekanntschaft mit Wolfgang R. auf die  Idee  gekommen. Als sich nun heraus stellte, dass ich mit Frauen keine Schwierigkeiten hatte, flaute das Interesse schnell ab. Es war ein netter Kontakt, sonst nichts. Ich hatte selbst nicht den Wunsch, mich unbedingt mit einer „vorzeigbaren“ Frau zu präsentieren oder sie gar zu dominieren. Ich unterhielt mich gern mit Frauen, da ich Gespräche mit den Typen meiner Altersklasse als zu eindimensional empfand. Zu oft hatte ich gesehen, wie sie sich veränderten, wenn plötzlich eine Freundin im Schlepptau auftauchte. Da wurden sie langweilig, hatten keine Zeit mehr, waren abgelenkt, unter Kontrolle. Ich empfand mich weder als homo- noch als besonders heterosexuell, ich passte einfach in keine Schublade. Den Vogel schoss ich im Sinkkasten ab, als ich wieder mal mit einer Freundin eines Bekannten sprach und dabei äußerte, dass eine Beziehung ja auch ohne Sex möglich sei bzw. der Sex nicht die Hauptsache sei. Die Augen der Hübschen wurden immer größer. Mein Interesse galt im Grunde  mehr den Frauen, die nicht so sehr im Blickpunkt der Begierde vieler Männer standen. Im Sinkkasten tauchte die Begleiterin eines aus dem Kreis um Volker bekannten auf. Lucie war ihr Name, wir unterhielten uns seht gut und eines schönen Tages im Sommer lagen wir im Sommer auf einer Parkbank und es wurde intim. Sie zog sich nach einiger Zeit plötzlich zurück und rief „Scheiße“, was wohl ein Ausdruck des Bedauerns sein sollte. Näher kamen wir uns nie mehr, ohne dass ich wusste, warum. Möglicherweise war sie nicht von Anfang an eine Frau. Soweit die Erfahrungen mit der anderen Feldpostnummer bis zu diesem Jahr. 

Jochen hatte derweil immer mal wieder Kontakte mit englischen Mädchen. Sie waren offensichtlich mit seiner oberflächlichen Art zufrieden. Was sie von ihm wollten, war mir nicht klar. Denn wirklich bindungsfähig war er genauso wenig wie ich. Auch mit seinem Elternhaus schien er nicht die besten Beziehungen zu haben. Letztendlich landete er bei einer Nici, mit der er auch in Urlaub fuhr. Ab und zu war ich auch mit von der Partie.

Doch zunächst schrieb ich am 6. März 1980 die Begründung für meine Wehrdienstverweigerung. Ich stellte dabei auch auf meinen Schießunfall auf dem Truppenübungsplatz in Schwarzenborn ab, bei dem ich fast einen Menschen erschossen habe. Und natürlich ist es keine Ideologie wert, dass ein Mensch dafür getötet wird. Ich hatte zwei Verhandlungen zu überstehen, eine bei der Wehrbereichsverwaltung IV in Wiesbaden und eine in Eschborn. Bei der ersten Verhandlung wurde ich abgelehnt. Ein Mitglied aus der Prüfungskommission kam nach dem Ende der Verhandlung auf mich zu und meinte, dass ich es noch einmal versuchen sollte, denn ich sei glaubhaft. Gesagt. getan und beim zweiten Mal hatte ich Erfolg. Die noch bei mir befindliche Ausrüstung hatte ich abzugeben und damit war meine soldatische "Karriere" endgültig beendet.     

Nachdem Vater endlich nachgegeben hat und ich Bafög beantragen konnte, war der Weg zum Studium frei. Zunächst kündigte ich beim Lang Verlag zum 31.5.1980. Mein Chef quittierte das mit den Worten: "Sie wollen also die Frankfurter Universität beglücken." Das klang nicht nach Begeisterung. Ich schrieb mich zum Sommersemester 1980 an der Frankfurter Uni im Hauptfach Anglistik mit den Nebenfächern Amerikanistik und Philosophie ein. 


In meiner Wohnung stand nun auch wieder ein Zimmer leer, mein Marburger Student war bereits wieder ausgezogen und ich war wenig motiviert, wieder jemanden zu suchen. Ein kleines Abenteuer hatte ich zuvor noch zu bestehen. Mit zwei mir bekannten Mädchen machten wir uns auf eine Tramper-Tour Richtung Südfrankreich, doch wir kamen nur bis Appenweier. Danach nahm uns niemand mehr mit. Wir gingen dann zu Fuß in den Ort zum Bahnhof, die Bahnlinie war ja weithin zu sehen und wir fuhren nach Freiburg, wo wir in einer Pension ein Zimmer fanden. Allerdings taten wir so, als ob ich nur mit einem Mädchen dort übernachten wollte, das ging natürlich nicht gut. Unsere Dreisamkeit fiel der Wirtin unangenehm auf, was sie uns auch deutlich spüren ließ. So war eine weitere Übernachtung nicht möglich. Die Beiden wollten dann noch weiter reisen, ich dagegen hatte genug. Nach der Nacht mit zwei Mädchen im Zimmer war ich bedient und wollte nur nach hause. So kehrte ich nach Frankfurt per Bahn allein zurück. Bald schon ergab sich wieder die Gelegenheit, eine Frau kennenzulernen. Jochen K. hatte Geburtstag und er lud mich in seine Heimat ein, wo wir unter freien Himmel mit vielen seiner Bekannten und uns "Frankfurtern" feierten. Dabei aus Frankfurt auch eine gewisse Astrid. Sie hatte wohl schon einige Male das Interesse geäußert, mich zu treffen und so war es für mich nicht schwer, mit ihr in Kontakt zu kommen. Wir entdeckten viele Gemeinsamkeiten, obwohl sie von ganz anderer Herkunft war als ich. Ihr Vater lebte in Bergen/Norwegen, die Mutter in Newcastle upon Tyne/England. Sie war für mich naturgemäß eine ganz interessante Person. Sie verkörperte durch aus eine englische Frau mädchenhaften Typs, sie war ein paar Jahre älter als ich und war immer gern dabei, wo was los war. Der norwegische Einfluss war allerdings nicht zu übersehen. Blondes Haar und ein schmale Figur, das Gesicht klar gezeichnet, vielleicht ein bisschen herb. Unsere ersten Unterhaltungen inspirierten mich, wie vorher nie gekannt. Sie bemerkte, dass die Mädchen in Nordhessen eine gesündere Gesichtsfarbe hätten als in Frankfurt. Damit hatte sie wohl recht. Von Anfang an waren die Gedanken da, sich näher zu kommen. So besuchte ich sie in ihrem Apartment, das sich direkt in Alt-Sachsenhausen befand. Draußen war bis spät in die Nacht der Lärm der betrunkenen Besucher des Viertels zu hören. Als wir uns zum ersten Mal richtig nahe kamen, bemerkte ich ihren Blick, mit dem sie mich musterte und wusste von da an, size matters. Wir trafen uns hauptsächlich bei ihr, denn sie verfügte über ein großes Bett, anders als ich. Dennoch wusste sie von meinem leer stehenden Zimmer und der Gedanke, sie könnte nicht nur meine Partnerin sein, sondern auch jemand, der meine Miete teilt, war mit nicht unangenehm. Sie hatte den Vorteil in einer ruhigeren Wohnung zu leben. Mein eigenes Zimmer hatte ich ja schon längst renoviert, mit Rauhfasertapete tapeziert und ockergelb gestrichen. Auch das kleinere Zimmer ließe sich noch auf Vordermann bringen. Also kam es dazu, dass sie bei mir einzog. Den Umzug erledigten wir gemeinsam. Ich hatte zwar seit meiner Führerscheinprüfung kein Steuer mehr angefasst, fuhr aber den kleinen Transporter durch die enge Gasse in Sachsenhausen. Astrid veränderte mein Leben in jeder Weise. Nicht nur, dass ich endlich eine eigene Partnerin hatte, ich war auch nicht mehr abhängig von meinen Kneipenkontakten. Die Besuche im Sinkkasten, der sich mittlerweile in der Brönnerstraße und somit nicht mehr in meiner Nähe befand, ließen nach. Die Toleranz meiner "Freunde" gegenüber meiner Freundin war nicht besonders ausgeprägt. Astrid liebte Betty Barclay-Kleider, ihr Weetabix und wir kochten nun auch ab und zu Curry-Gerichte. Sie war als Volontärin in einem israelischen Kibbuz gewesen und hatte dort mit ihrem englischen Freund Bill eine gute Zeit gehabt. So richtig schien sie mir noch nicht damit fertig zu sein, denn sie erzählte oft davon. International war sie auch gut vernetzt, hatte noch viele Bekannte.

Davon sollte ich profitieren. Astrid wollte ihre Freundin Trudy, eine ehemalige Arbeitskollegin, die regelmäßig Urlaub mit ihrem Mann auf Malta machte, in ihrem dortigen Hotel besuchen. Vorher wollte sie sich mit etlichen Bekannten in Neapel treffen. Und ich sollte auch dort hin kommen. Ich buchte also mein Bahnticket und fuhr mit dem Zug von Frankfurt nach Neapel. Ich hatte Glück, dass im Zug etliche Neapolitaner auf Heimreise saßen, die mir beim Umstieg in Rom halfen, den richtigen Zug nach Neapel zu finden. Am Bahnhof in Neapel erwartete mich die ganze Gruppe um Astrid. Das war schon ein sehr netter Empfang. Wir übernachteten in einem schönen Hotel in der Nähe des Bahnhofs. So hatte ich mir Neapel nicht vorgestellt. Schon die Zugfahrt dorthin war sehr schön gewesen mit vielen Ausblicken  von der Steilküste herunter. Die nächsten Tage verbrachten wir damit wir damit, Pompeji zu besuchen. Dort fuhr man mit einer Regionalbahn direkt hin. Ein weiterer Ausflug war die Schifffahrt nach Capri. Unser nächstes Ziel war dann Sirakus, denn von dort ging die Fähre nach Malta ab. Auf der Fahrt nach Messina, noch bevor wir die Fähre dorthin erreichten, saß uns eine ältere italienische Frau gegenüber und Astrid meinte: "Pet, sie hat die dir die ganze Zeit auf deine Beine geschaut." Wir waren natürlich mit kurzen Hosen sommerlich unterwegs. Und das war ihr Humor. In Sirakus übernachteten wir auf einem Campingplatz und ich hatte vorbereiteter weise ein kleines Zweimannzelt dabei, leider ohne Heringe, die ich vergessen hatte. Nun war mein Ruf als ordentlicher Deutscher endgültig dahin. Wir hängten das Zelt dann irgendwie an den Bäumen auf. Die Nacht überstanden wir so, am nächsten Tag sollte die Fähre abgehen, doch daraus wurde nichts. Sie war nicht fahrtüchtig wegen eines Motorschadens. Ein Ingenieur aus Deutschland sollte kommen, um es zu richten. Das dauerte den ganzen Tag. Vor dem Schiff sammelte sich ein große Menschenmenge an, hauptsächlich natürlich Italiener. Als es dann gegen Abend los ging und die Passagiere einsteigen durften, war das Gedrängel groß. Es spielten sich dramatische Szenen ab, jeder versuchte zu beweisen, dass er nun zuerst an Bord müsse. Dadurch dauerte alles noch länger. Die Überfahrt nach Malta fand dann in der Dunkelheit statt, wir übernachteten an Deck des Schiffes und fuhren so am frühen Morgen in La Valletta ein. Vom Hafen stiegen wir in die Altstadt hinauf. Hinter uns die Italiener, Astrid meinte, die Malteser würden schon über die laute Menge stöhnen. Geplant waren dann ein paar Tage Urlaub im Ramla Bay Hotel, wo Trudy mit ihrem Mann uns treffen würde. Wir übernachteten im Hotel mit dem sehr schönen Poolbereich. Die übrige Gruppe zeltete außerhalb. Nach einigen Tagen flogen Astrid und ich zurück nach Frankfurt. Sie hatte eine Arbeit als Lehrerin bei der Frankfurt International School in Oberursel. 

Es kam nun der Tag, an dem wir beide nach Kassel fuhren, um meine Eltern zu besuchen. Immerhin konnte ich jetzt stolz eine Freundin präsentieren. Meine Mutter war sehr reserviert, Astrid versuchte ein bisschen Stimmung zu machen, ließ sich wenig beeindrucken. Verschiedene Bilder in der Wohnung meiner Eltern hätte sie gern umgehängt und das äußerte sie auch. Meinen Vater schien das zu belustigen, doch im nachhinein erfuhr ich, dass er sich im Grunde darüber geärgert hatte. Obwohl er sich um einen jovialen Anschein bemühte, war der Eindruck, den Astrid mit nahm sehr schlecht, vor allem für mich. Sie sagte einmal: "Es ist ein Wunder, dass du da so heraus gekommen ist."  Und das war sehr vielsagend. Sie meinte zudem, dass wir eigene Kinder eher nicht haben sollten. Wir müssten an unsere Verhältnisse zuhause denken, das war der sinngemäße Inhalt. 

Auch über Deutschland machte sie sich so ihre eigenen Gedanken. Sie meinte, die Deutschen seien ein aggressiv. Sie beobachtete, wie ein Autofahrer Gas gab, obwohl ich gerade die Straße überquerte. Im Herbstsemester besuchte sie einen Kurs bei der VHS, der sich mit der Geschichte des Dritten Reichs beschäftigte. 

Im November flogen wir nach London, um von da aus mit dem Schnellzug nach Newcastle upon Tyne weiterzufahren, wo ihre Mutter wohnte. Kaum angekommen, klopfte mir ein älterer Mann freundlich auf die Schulter und meinte, ich sei in Ordnung. Astrid hatte einen Bruder, der uns abholte und wir fuhren zu ihrer Mutter. Die Beziehung zur Familie ihrer Mutter erschien mir problematisch. Ihr Bruder war ein netter, unauffälliger Engländer. Trotzdem schien mir die Beziehung eher kühl zu sein. Die Mutter war eine Verehrerin von Helmut Schmidt. Ein Bild von ihm stand im Wohnzimmer. Ich fand das alles sehr spannend und konnte mir kaum vorstellen, warum ihre Meinung so schlecht war. Oberflächlich war die Atmosphäre ja insgesamt sehr freundlich. Mittlerweile kannte ich den nordenglischen Dialekt schon, der etwas härter klingt als das Cockney-Englisch der Londoner. Der Geordie Accent ist dafür für uns Deutsche besser zu verstehen. Ich verstand mich gut mit der Familie, aber Astrid neigte ganz deutlich ihrem Vater zu. Vermutlich machte sie ihre Mutter für die Trennung der Eltern verantwortlich. 

Norwegen schien ihr als Heimat näher zu liegen. Die Deutschen hatten im Zweiten Weltkrieg ganze Dörfer während ihres Rückzugs angezündet. Das beschäftigte sie wohl mehr als ihren Vater. Denn sie erzählte, dieser habe sie in Deutschland besucht und dabei auch eine Schifffahrt auf dem Rhein mitgemacht. Mit den Deutschen verständigte er sich gut und die Vergangenheit war wohl kein Thema für ihn. Er selbst war währen seiner Berufslaufbahn als Koch auf einer Fähre tätig gewesen. Sie verkehrte regelmäßig zwischen Bergen in Norwegen und Newcastle in England. Astrid hatte nun die Absicht, ihren Vater zu Weihnachten zu besuchen. Zuvor teilte sie mir allerdings mit, dass sie nicht mehr mit mir schlafen wollte. Wir wären also Freunde, mehr nicht, zumindest für einige Zeit. Das war eine schwierige Situation für mich. Vermutlich aus Mitleid wollte sie mich auf ihre Fahrt nach hause mitnehmen. Dazu fand ich keine wirkliche Alternative. Sollte ich allein zuhause bleiben? In einer Wohnung mit den Möbeln meiner Ex?

Es erreichte uns die Nachricht vom Tod John Lennons, der am 8. Dezember vor seinem Haus in New York erschossen wurde. Astrid betraf das mehr als mich. Ich nahm ihm immer noch übel, dass sich die Beatles aus meiner Sicht wegen ihm aufgelöst hatten. Dennoch, es war ein Schock.

So flogen wir also zusammen getrennt nach Oslo, um von dort aus den Zug nach Bergen zu nehmen. Die Fahrt durch die tief verschneiten norwegischen Wälder, die menschenleeren Gegenden und die seltenen einsamen Bahnhaltstellen, das alles sind Eindrücke, die man nicht vergisst und die eine Weihnachtliche Stimmung erzeugten. Alles lief wie im Film ab, ich lebte eigentlich nicht mehr in der realen Welt. In Bergen erreichten wir in den Mindeveien das väterliche Holzhaus. Außer dem Vater waren da noch seine Frau und dazugehörige Kinder, eine richtige Familie also. Wir übernachteten in getrennten Räumen, ich feierte mit den Jugendlichen. Es gab für mich keinerlei Verständnisprobleme. Mit Englisch ging alles. Weihnachten wie in Deutschland, nur nicht in so trüber Stimmung.


Montag, 30. November 2020

Sarah

 Die Bosetti, Sarah ist keine Freundin von der Jana aus Kassel. Sie ist sogar richtig böse mit ihr, weil sie denkt, sie hat sie in die Fresse gehauen und nun schlägt sie zurück. Die Vergleiche der Corona-Maßnahmen unserer Regierung mit der Nazizeit sind natürlich Mumpitz. Aber das eigentlich Schlimme an diesen Vergleichen ist, wie sie zustande kommen. Da wird aus irgendwelchen Quellen, die man gegoogelt hat, irgendeine Schlussfolgerung gezogen, ohne dass man sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt. Diese Oberflächlichkeit ist ein Zeichen unserer Zeit. Oberflächlich ist es allerdings auch, alle Menschen die auf Querdenkerdemonstrationen mit gehen, als Idioten zu bezeichnen. Die Medien sind es, die immer wieder Menschen mit idiotischen Denkansätzen vor die Kamera ziehen und damit alle anderen diffamieren, die mit den dort geäußerten Thesen nichts am Hut haben. Irgendwo ist ja immer ein Körnchen Wahrheit drin. Eine offene Diskussion über Corona und die getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung findet bezeichnenderweise nur in einem mir bekannten Privatsender statt und das ist servus-tv. In allen anderen Medien gibt es keine Wissenschaftler, die sich gegen die Regierungsbeschlüsse äußern bzw. äußern dürfen. Sie werden erst gar nicht eingeladen. Öffentliche Personen, die sich regierungskritisch äußern, werden kalt gestellt. Deren Lebensleistung zählt nicht mehr, man hackt auf ihnen herum. Man mag es ja für unangemessen, sich gegen den Mainstream zu stellen, wo doch auch die Bevölkerung in Blitz-Umfragen so zufrieden mit der Regierung ist. Eine Demokratie muss aber auch abweichende Meinungen aushalten. Jeder, der in den asozialen Medien unterwegs ist, weiß zudem, dass die gute Kinderstube dort kein Zuhause hat. Das gilt sowohl für die Befürworter der Maßnahmen als auch für deren Gegner. Es ist ein Leichtes über eine Jana aus Kassel herzuziehen, ebenso leicht wie sich gegen die Querdenker zu stellen. Wir können uns auch über Trump amüsieren, all das ist nicht gefährlich. Wie sehe es aus, wenn man sich gegen den Extremismus religiöser Prägung stellen würde? Gäbe es da auch Liebesgedichte von Frau Bosetti?  Satire, denke ich darf überzeichnen, sie sollte aber da halt machen, wo Menschen Opfer ihrer eigenen Inkompetenz sind. Ansonsten macht man sich dem schuldig, was man den privaten Fernsehsendern vorwirft. Man zieht Menschen durch den sprichwörtlichen Kakao. 

Freitag, 20. November 2020

Sing ein Lied

 Ich sehe eine kleine, fast zierliche, Person. Sie ist gut angezogen, meine Schwiegermutter. Sie setzt sich neben mich. Die Figur wirkt nun etwas breiter, die Gesichtszüge bleiben aber deutlich erkennbar. Sie sagt: "Singe mir ein Weihnachtslied." Ich frage sie, warum ich ihr ein Weihnachtslied singen soll. Sie antwortet: "Weil doch bald Weihnachten ist."

Es herrscht ein großes Durcheinander. Viele Leute, jeder sollen etwas singen. Man fragt mich, was ich vortragen will. Ich entscheide mich für "Mmm mmm mmm mmm" von den Crashtest Dummies. Das sollte mir auch stimmlich liegen. Aber halt, da war doch dieser Text: 

Once there was this kid who

Got into an accident and couldn't come to school

But when he finally came back

His hair had turned from black into bright white

.. 

In Memoriam 25.7.2020

 

 

Donnerstag, 19. November 2020

MyLife 1978-1979

 Angestellt und umgezogen

Am 31, Januar 1978 endete meine Lehrzeit bei der Buchgroßhandlung Döll, um übergangslos in meine erste Anstellung überzugehen. Nun verdiente ich mein eigenes Geld, knapp 1100,- DM. Leider war es absehbar, dass meine berufliche Zukunft hier bald zu Ende sein würde. Die Angestelltenpositionen waren alle besetzt. Dass sich das ändert, war nicht zu erwarten. Einstweilen konnte ich unserem Lagerleiter zu arbeiten. Seine bisherige Unterstützung, sein Bruder bzw. Halbbruder, war mit Freundin nach Königstein im Taunus verzogen. Mein Chef, Herr Fuchslocher, war bereit, mir im Falle meiner Bewerbungen eine gute Empfehlung zu geben, die aufgrund meines guten Berufsschulabschlusses und meiner Leistungen in der Firma auch gerechtfertigt war. 

Vorsorglich hatte ich mich um einen Studienplatz im Studienfach Jura beworben und ihn aufgrund des schwachen Numerus Clausus auch in Münster bekommen. Doch noch immer stand mir mein Vater wegen des Einkommensnachweises im Wege. Ein Besuch bei der Berufsberatung des Arbeitsamtes hatte für mich die Empfehlung, Jura zu studieren, durchaus nahe gelegt. Allerdings wusste ich, nun da mein Mentor verstorben war, würde mich niemand finanziell stützen, wenn ich wegen eines Rechtsstreits mit meinem Vater zunächst einmal nicht an die erhoffte Bafög-Förderung käme Mund das noch in einer völlig fremden Stadt. Ich bewarb mich also parallel dazu bei allen Firmen, die etwas mit Buchgroßhandel oder Verlagswesen zu tun hatten. Gern wäre ich in meiner Heimatstadt Kassel geblieben, wenn etwa der Baerenreiter-Verlag mir eine Chance geboten hätte. Aber man wollte mich nicht, obwohl ein verantwortlicher Mitarbeiter des Verlags in der Berufsschule mein Fachkundelehrer gewesen war. So fuhr ich erst nach Hamburg zum Grossohaus Wegner. Hier erinnerte mich vieles an die Firma Döll, leider war auch die Bezahlung nur unwesentlich besser, sodass ich das schnell ausschloss. Die nächste Station war die Firma Köhler & Volkmar in Köln. Doch hier endete das Gespräch beim Personalchef mit dessen Frage: “Glauben Sie wirklich, dass die Neger alles so gut können wie wir?” Der aufmerksame Mann hatte das Thema meiner Hausarbeit “Die Emanzipation der Afroamerikaner durch ein sozialistisches System” im Abiturzeugnis entdeckt und somit war ich erledigt. Meine nächste Bewerbung erfolgte in Gütersloh bei der Vereinigten Verlagsauslieferung, kurz VVA genannt. Mein Kumpel Bernd O. erklärte sich bereit, mich zu fahren, danach wollten wir weiter nach Amsterdam. Bernd meinte noch, in Westfalen sei alles sehr steif. Ich wusste, was er darüber dachte. Westfalen war uns nahe und doch von der nordhessischen Mentalität sehr fern. Bei der VVA zeigte man mir die großen und modernen Lager. Das war eine andere Welt als die Berufswelt, die ich kannte. Die Bezahlung sollte auch stimmen und das Gespräch war, jedenfalls aus meiner Sicht, positiv. In Amsterdam waren wir mit einem gewissen Reinhold, der mit uns mitgefahren war. Wir wohnten in einem kleinen Etablissement an der Herengracht. Hier muss ich einen kleinen Rückgriff auf das Jahr 1976 nehmen, denn da waren wir schon einmal zusammen in Holland. Damals fuhren Gerhard T. mit und die damalige Freundin vom Bernd namens Kai. Wir zelteten auf einem Campingplatz auf der Halbinsel Vlissingen. Wir besuchten das Städtchen Middelburg und verbrachten schöne Tage am Strand. Kai machte mir ein großes Kompliment. Ich wurde immer so ruhig bleiben, das gefiele ihr. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich einer Freundin eines Kumpels gut verstand. Es wäre mir aber nie in den Sinn gekommen, jemandem die Freundin auszuspannen. Selbst als wir einmal bei ihr zuhause übernachteten und Bernd seltsamerweise nicht mit ihr zusammen schlief, blieb ich für mich allein.

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Kai und ich / Vlissingen 1976

Es war immer so, dass ich mich gern mit den Mädchen/Frauen unterhielt, ohne dass ich damit ein direktes Ziel verfolgte. Das ich eine vermisste Mutterliebe kaum von einer Frau ersetzt bekäme, merkte ich schon bald und ebenso die Tatsache, dass mögliche Freundinnen eher etwas von mir erwarteten. Genau davor scheute ich zurück. Erwartungen hatte schon meine Mutter an mich genug. Mir fehlte, obwohl wir uns oft ohne Worte verstanden, das Vorbild einer Frau, die sich um ihre Familie kümmerte. Ein positives Frauenbild sozusagen, dem allerdings auch mein eifersüchtiger Vater entgegen stand. Es kam vor, dass ich abends des Wohnzimmers verwiesen wurde, obwohl wir uns vorher gut unterhalten hatten, weil er mit seiner Frau allein sein wollte. 

Soweit die Rückbesinnung auf alte, schlechte, Zeiten. Als wir aus Amsterdam zurück kamen, wollte ich nun entscheiden, ob Gütersloh mir eine neue Heimat werden könnte. Von der Familie Mohn hatte man schon viel über soziale Wohltaten gelesen. Ich fühlte mich also durchaus ermutigt, bei der VVA mal nachzufragen, ob man mir beim Umzug von Kassel nach Gütersloh behilflich sein könnte. Daraufhin bekam ich auf meine Bewerbung eine Absage. Meine Tätigkeit bei Döll sollte aber doch noch von Vorteil für mich sein. Es hatte dort ein Fräulein Dröge gearbeitet, ich habe sie nicht mehr kennengelernt. Nun war sie bei der Buchhändlervereinigung in Frankfurt beschäftigt und man war dort wohl mit ihr zufrieden. Also bewarb ich mich dort und war nach dem Vorstellungsgespräch auch erfolgreich. Das Gehalt lag zwar weit unter 2000 DM, dafür aber auch weit über dem Döllschen Geld. 

Nun war ich in der Verlegenheit, mir in Frankfurt eine Bleibe suchen zu müssen. Zu oft konnte ich mir eine Zugfahrt dahin nicht leisten. Dennoch schlug mein erster Versuch fehl. Mir kam es zugute, dass der Halbbruder des Lagerleiters bei Döll mittlerweile mit seiner mir bekannten Freundin in Königstein im Taunus wohnte und ich somit für keine Übernachtung zu zahlen hatte. Noch einmal kaufte ich mir die Frankfurter Rundschau mitten in der Woche, dabei gab es die Immobilienanzeigen eigentlich in der Masse immer in der Ausgabe am Freitag nachmittags. Aber ich hatte Glück kund vor allem anscheinend keine Konkurrenz. Ich fuhr hin und besichtigte ein Apartment in der Schwalbacher Straße im Gallusviertel, wo ich gleich einen Mietvertrag ab 1.5.1978 unterschrieb. Die Entfernung zum Frankfurter Hauptbahnhof war nicht allzu weit und die Straßenbahnhaltestelle in der Nähe. Ein Lebensmittelmarkt befand sich im Haus. Als ich meinen Eltern erklärte, dass ich nach Frankfurt ziehe, wirkten sie jeder auf seine Weise, schockiert. Damit hatten sie nicht gerechnet, der Sohn nimmt sich das Beste und haut ab, so hieß es später.

Ausgerechnet Frankfurt, das war für Vater nicht leicht zu verdauen. Dabei hatte er meine Selbstständigkeit  im Grunde durch sein Verhalten befeuert. Mein behinderter Bruder blieb nun allein zurück, die Schwierigkeiten mit ihm sollten noch größer werden. Vater glaubte aber noch, ihn, seinen Sohn, hinzukriegen. Viel schwerer als der Abschied von meinen Eltern fiel mir der von meinen Kneipenleuten. Einer kannte sich aus, er wusste, dass Offenbach und Frankfurt irgendwo im Wald ineinander übergehen n und, viel wichtiger noch, er konnte einen alten Ford Transit besorgen, mit dem er mich nach Frankfurt fahren wollte. Ein Mädchen nimmt aus dem Kreis derer, die sich wie ich gern bei Thomas trafen, äußerte, sie verstünde, warum ich weg ginge. Dabei strickte sie. Sollte ich darüber nachdenken? Ein bisschen musste ich mich für meinen Umzug rechtfertigen. Aber alles war längst geplant. Mein möbliertes Zimmer gekündigt.

Die Buchhändlervereinigung hatte mir aufgrund des Umzugs gestattet, meine Arbeit erst am 8.5.1978 aufzunehmen. Am Sonntagmorgen davor waren meine Freunde da und luden die paar Habseligkeiten ein, die ich hatte, u.a. ein Kühlschrank und eine Luftmatratze, die ich von zuhause mit bekommen hatte. Ein paar Koffer mit Habseligkeiten und Kleidung, das war es. In Frankfurt kamen wir nach nicht allzu schneller Fahrt am frühen Nachmittag an, wo das Ausladen nicht viel Zeit in Anspruch nahm. Bleiben wollte allerdings keiner von meinen Kasselern. Ich war allein im Kamerun, so hieß das Gallusviertel damals. 

Anfangs hatte ich noch einiges zu tun, Ummeldung direkt bei mir in der Nähe, der Mainzer Landstraße und als ich an meiner Arbeitsstelle von meiner ärmlichen Möblierung berichtete, beschloss man, mir zu helfen. Der Hausmeister des Börsenvereins holte mir ein Stahlbett und einen Kleiderschrank, der allerdings nur eine Türe hatte, aus der Buchhändlerschule ab und brachte sie direkt zu mir. Die erste Nacht schlief ich ja noch auf meiner Luftmatratze, die allerdings die Luft verlor. Lediglich das Kopfteil war noch intakt. Mein Zimmer nahm nun etwas menschlichere Formen an. Meine Arbeit war es in der Redaktion des VLB (Verzeichnis Lieferbarer Bücher) die Meldeformulare der Verlage für die Erteilung der ISBN für die Datenerfassung vorzubereiten. Das VLB hatte ich schon bei Dölls zur Suche bestellter Bücher genutzt, der dicke Wälzer war damals ein Standardwerk aller Buchhändler, von dem es auch eine Microfich-Ausgabe gab. Das VLB-Team saß in einem Raum, den Vorsitz führte Elinor D., die uns rauchend überwachte. Mir gegenüber befand sich ein Hanauer Kollege namens Alfred Z., ein echt netter, langhaariger und bärtiger Typ, dessen Dialekt mir etwas Verständnisprobleme bereitete. Ich war es nicht gewohnt, stringent acht Stunden auf dem Hintern zu sitzen und immer die gleichen Vorgänge zu bearbeiten, das war mein größtes Problem. Die Kollegen und Kolleginnen waren nett. Wir nannten unsere Chefin Elli Pirelli. Das berühmte Fräulein Dröge bekam ich erst anlässlich eines Betriebsausfluges zu Gesicht. Für meine tägliche Verpflegung konnte ich in die Kantine des gegenüber liegenden Bundesrechnungshofes nutzen. Überhaupt arbeitete ich in einer prominenten Gegend: im Großen Hirschgraben, direkt neben dem Goethehaus und dem Frankfurter Volkstheater. 

Meine Lebensader war die Linie 14, die mich vom Gallus bis zum Hauptbahnhof brachte, wenn ich nach Kassel fahren wollte. Die Wochenenden im Sommer 1978 waren einsam und so manches mal war ich sehr depressiv. Trotz mancher nervlichen Schwierigkeiten lief ich abends manchmal die Mainzer Landstraße durch bis zu den Trümmern der Alten Oper in die Fressgasse hinein, wo sich der Club Voltaire befand. Hier trank man Flaschenbier und diskutierte politisch. Es war die hohe Zeit des KBW und der DKP. Anschluss fand ich keinen. Ich vermisste bald die gemütliche Atmosphäre der Kasseler Kneipen. Aber: gab es ein Zurück? Nicht wirklich, ich brauchte mein Geld und in Kassel war ich jetzt der “Frankfurter”. So titulierte mich eine alte Bekannte, die Jutta, die in Göttingen studierte. In Kassel schlief ich entweder bei Bernd O. oder bei Thomas. Meine Eltern sahen mich nur stundenweise. Überraschend erhielt ich eines Tages Besuch aus Kassel. Thomas war allein gekommen. Mein Apartment und das Gallusviertel müssen  so ernüchternd auf ihn gewirkt haben, dass er, bevor es zum geplanten Kneipenbesuch kam, zurück nach Kassel fuhr. Seine Freundin war erst gar nicht mitgekommen.

Das ließ mich doch einigermaßen geschockt zurück. Ich versuchte nun über verschiedene alternative Blätter  (az, Pflasterstrand) Bekanntschaften zu machen. Es kam dabei so eine Freizeitgruppe heraus, die sich ab und an traf, für längere Zeit blieb mir aber nur die Bekanntschaft mit Wolfgang R., einem Ulmer, der in einer Werbeagentur arbeitete. Er war deutlich älter, dass er auf Männer stand, störte mich nicht. Im Apartmenthaus sprach mich ein Mädchen an weil sie meine Musik gehört hatte. Man könnte doch mal zusammen Musik hören, meinte sie. Ich verfügte mittlerweile über einen Plattenspieler der Marke NAD und hörte meine Platten über eine eigene Anlage ab. Neben den mitgebrachten Platten hatte ich auch ein paar neue LPs gekauft, die Gruppe Lake zählte zu meinen Favoriten. Ich war immer wieder im Zweitausendeins-Laden in der Neuen Kräne, um etwas Günstiges abzustauben. Die Atmosphäre dort gefiel mir gut. Ich hatte auch meine Fühler ausgestreckt, um dort eventuell arbeiten zu können, aber eine richtig sichere Anstellung schien mir das doch nicht zu sein. Auch hatte ich den Sinkkasten kennen und schätzen verlernt. Hier konnte ich wie in der Hacienda allein auf die Tanzfläche gehen. Aber aus dem Gallus war das ohne Auto schwer zu erreichen. Zwischendurch hatte ich noch eine Frauenbekanntschaft. Bevor es jedoch zu näheren Intimitäten kam, wollte sie mich ihren Eltern vorstellen, das ließ ich lieber sein. Ich war nicht überzeugt davon, eine gute Partie zu sein. Auch das gemeinsame Musikhören fand nicht statt, wäre wohl mir zu einfach gewesen. Ich suchte zwar, aber im Endeffekt scheute ich gleichzeitig davor zurück.

Es gab ein Lied, was meine damalige Situation gut beschrieb: Garry Rafferty, Baker Street. Fast jeden Abend lief es im Sinkkasten und ich hatte die LP dazu. Eines Abends hatte ich ein Schwarzweißrotes Oberhemd beim Tanzen an und wurde von einem gewissen Volker angesprochen, ein Student aus Dieburg, dem ich wohl wegen der Farben meines Hemds aufgefallen war. Die Bedeutung dieser Farbe war mir nicht bewusst. Durch ihn lernte ich noch mehrere Leute kennen. Auch außerhalb der Kneipenszene war ich aktiv. Die Volkshochschule bot einen gemischten Kurs “Volleyballspielen” für Männer und Frauen an. Es wurde nicht nur gemeinsam gespielt, sondern auch geduscht. Heutzutage undenkbar.. Mich sprach schon bald jemand an, der mir die Empfehlung gab, ich solle es doch mal mit dem Joggen probieren. Meine Teilnahme an diesem Mannschaftssport war also nicht besonders erfolgreich. Bei dem Tippgeber handelte es sich um Jochen K.,, der aus der Bad Wildunger Ecke stammte. Er nahm mich ein paar mal zum Lauftreff des Vereins Spiridon im Frankfurter Stadtwald mit. Hier konnte man in Etappen das lange Laufen erlernen. Hatte ich zu Beginn noch Seitenstiche, so legte sich das bald. Ich stieg langsam in stärkere Gruppen auf. Ich kümmerte mich nun auch um eine richtige Wohnung. Ich fand eine Zwei-Zimmerwohnung in der Mainstraße direkt schräg gegenüber vom Sinkkasten. Da ich einen Berechtigungsschein bekommen konnte, war es mir möglich, diese Sozialwohnung anzumieten. Das Verwalter-Ehepaar war mir gegenüber sehr freundlich und hatte nichts gegen den langhaarigen jungen Mann. Sie handelten im Auftrag einer Stiftung, der etliche Häuser in der Mainstraße und auch “Hinter der Schönen Aussicht” gehörten. Die Bekanntschaft mit Jochen half mir insofern, als er ja Autofahrer war und mir beim Umzug vom Gallus in die Stadt behilflich sein konnte. Wir Nordhessen mussten ja zusammen halten.

Die neue Wohnung eröffnete mir ganz andere Möglichkeiten: Jochen traf ich meistens in Sachsenhausen in einem Pub, wo viele Engländer verkehrten. Volker wohnte in einer WG in der Darmstädter Landstraße. Durch ihn konnte ich einen großen Schreibtisch auf dem Frankfurter Flohmarkt am Mainufer nach hause bringen (auf dem Dach seines Käfers) und bald hatte ich auch ein braunes Cord Sofa. Die Einrichtung eines Zimmers war nun abgeschlossen. Das kleinere Zimmer stand allerdings leer. Wenn man in die Wohnung rein kam, ging es links in mein größeres Zimmer mit einer scheußlichen roten Mustertapete mit Blick in den Hinterhof. Rechts führte der Flur zunächst links zum kleineren Zimmer als Mittelpunkt der Wohnung mit Blick zum Gast- und Logiehaus Gassner. Dort gingen sehr viele  abgebrochene Gestalten ein und aus. Geradeaus ging es dann zum Bad mit Therme und rechts zur Wohnküche mit einem einfachen Spülbecken. Der Blick ging hier über die Mainstraße zu den gegenüberliegenden Häusern. Die Beheizung der Wohnung erfolgte über ein elektrisches Gebläse, dass unter der Decke im Flur montiert war und warme Luft durch Schächte in die einzelnen Zimmer blies. Die Wärme kam also von oben, was nicht schlimm war, da ich im ersten Stock wohnte. 

Der Winter 1978/79 war hart. Selbst in Frankfurt viel Glatteis und Schnee, ich fürchtete rum den Weg nach Hause, das war immer noch Kassel. Heiligabend blieb ich nicht lange bei den Eltern, übernachtete auswärts und hatte ein feuchtfröhliches Weihnachten bei Thomas. Das neue Jahr begann ebenso kalt wie das alte aufgehört hatte. Mein Weg zur Arbeit führte nun zu Fuß Sam Frankfurter Dom vorbei über den  Römer. Das war einst der Krönungsweg der deutschen Kaiser. An der Quelle saß der Knabe, so hieß es einstmals und das kam mir in der VLB-Redaktion zugute. Aus dem Adressbuch für den deutschen Buchhandel suchte ich mir die Adressen Frankfurter Verlage heraus und bewarb mich initiativ. Unter anderem hatte ich ein erfolgreiches Gespräch beim Verlag Peter Lang. Zum 1.4.1979 konnte ich dort die vakante Stelle eines Buchherstellers besetzen. Gehaltlich war ich nicht viel besser dran als bei der Buchhändlervereinigung, aber die Arbeit schien mir viel interessanter zu sein. Als Elinor D. von meiner Kündigung erfuhr, sagte sie, dass ich zu früh ginge. Mir blieben schöne Erinnerungen u.a. an einen sommerlichen Betriebsausflug, bei dem ich auch Fräulein Dröge kennen lernte. Ich begleitete sie mit meiner sehr netten Kollegin Anne Guckes auf dem Nachhauseweg. Beide Damen zogen sich kichernd für dringende Geschäfte ins Gebüsch zurück. Warum ich das nicht vergessen habe, ich weiß es nicht.

Mit der U-Bahn ging es nun zum Grüneburgweg und zu Fuß in die Wolfsgangstrasse, wo der Verlag in einem alten Bürgerhaus sein Büro hatte. Geschäftsführer und alleiniger Chef war Rainer J. , der gern den dominanten Patriarch spielte, der ab und zu seinen guten Seiten zeigte. Ich saß nun mit einem Fräulein Riebe zusammen. Sie hatte einen eigenen Humor. Einmal äußerte sie wolle mich zu sich nach Hause einladen, um mir ihren Papagei zu zeigen. Dabei lachte sie sich halbtot. Ich war also wieder einmal Zielscheibe weiblicher Ambitionen. Es war nicht so, dass ich in dieser Zeit keine Empfindungen für Frauen gehabt hätte. Das sexuelle Verlangen schlief nicht. Manches Mal stand ich abends hinter der Gardine und beobachtete im gegenüberliegenden Haus des Hinterhofs seltsame Vorgänge. Es sah so aus, als ob dort jemand in einem beleuchteten Raum auf einer Art Thron saß. Die Person war kostümiert und wurde von verschiedenen Gestalten umschwärmt. Gut möglich, dass ich mir einen Teil davon einbildete, Phantasievoll bin ich von Natur aus. Über die Zeitungen, die ich las, stieß ich auch auf Anzeigen von Mädchen, die eindeutige Polaroids von sich verschickten. Aber außer dem sexuellen Interesse hatte ich keines an Frauen. Ich fühlte, dass ich von meinen Eltern die jeweils besten Anteile in mir trug. Das Pflichtbewusstsein des Vaters, due Lebenslust der Mutter. Ich fühlte mich als androgyne Seele, die durch enge Kontakte nichts gewinnen konnte, eher Gefahr lief, das mühsam gehaltene innere Gleichgewicht zu verlieren. Nur die Einsamkeit trieb mich abends in den Sinkkasren und manchmal noch in andere Lokale wie das Mackie Messer oder wenn der Hunger kam, zum Kochersperger nach Sachsenhausen. Mit Alkohol konnte ich meine innere Unruhe beruhigen. Manche Verzweiflung ertrank im Bier an der Theke.

Die Geschäftsidee des Lang Verlags war es im Wesentlichen, den Druckzwang für Dissertationen auszunutzen und den Doktoranden die Abgabe einer großen Zahl von Pflichtexemplaren an die Universitätsbibliotheken zu ersparen. Erschien die Dissertation als Buch im Lang Verlag, so reduzierte sich die Zahl der Pflichtexemplare auf ein Zehntel. Der Doktorand hatte aber den Vorteil, dass sein Werk der Öffentlichkeit zugänglich war. Ein Lektorat gab es also nicht. Peter Lang war Schweizer, die Zentrale befand sich in Bern. Mit dieser Idee war er in einem alten Straßenkreuzer nach Frankfurt gefahren und hatte dort das Büro eröffnet. Neben der Herstellungsabteilung gab es die Autorenbetreuer, die Aufträge generierten und die Typoskripte an uns weiter gaben. Jeglicher Termindruck wurde an uns weiter gegeben. Die Druckvorlagen waren entweder druckfertig vom Autor geliefert oder mussten von uns entsprechend vorbereitet werden, meist am Leuchttisch mit Schere und Kleber. Teilweise wurden von externen Schreibbüros  Neuschriften angefertigt, die der Autor bezahlen musste. Die Aufträge wurden von uns erteilt und überwacht. Wir erteilten Druckaufträge und prüften fertige Vorabexemplare zur Druckfreigabe. Gedruckt wurde filmlos, sozusagen direkt von der belichteten Platte. Das ging bei den meist kleinen Auflagen. Was mich bei all dem Druck aufrecht erhielt, war das Miteinander in der Gruppe, ich war der Hahn im Korb, misstrauisch beäugt vom Chef. Solange ich meine Arbeit gut machte, gab es auch mal ein Lob, Fehler konnten aber schon mal in einer unangenehmen Unterhaltung enden. Die Arbeit war vielseitig und interessant, aber alles hat seine zwei Seiten. Ich kam manchmal zu spät, und fiel auch schon mal aus. „Was haben wir denn?“ war die Standardfrage von Frau Dr. Ott-Strueder. Sie saß rauchend an ihrem Schreibtisch und hatte die gelben Zettel bereits vor sich liegen. Die Diagnose lautete dann meistens auf "Vegetative Dystonie". Sie war eine der Frankfurter Ärzte, die einem weiter halfen. Erzählen musste man als Patient nicht viel. Tatsächlich hatte ich immer wieder Phasen, in denen bei mir nicht viel ging. Ich war schon immer ein Saisonarbeiter, mal lud ich mir viel auf, dann ging es mir zeitweise schlecht. 

Immerhin, ich lernte kochen. Im VHS-Kurs lernte ich viele Grundrezepte kennen, die mich mein Leben lang begleiten sollten. Einmal gelang mir im Kurs eine gute Salatsauce, die mir von eine der Frauen fast im Alleingang weg probiert wurde. Auch hier war ich einer der wenigen Männer. Hatte ich bisher hauptsächlich Baked Beans, Miracoli oder Risotto aus der Packung mit gebratenen Dosenchampignons und Hackfleisch genossen, so konnte ich mich nun dem Kochen diverser Eintöpfe sowie Aufläufe u.v.m. zu wenden, alles dank der Kursleiterin Frau Semmler, deren maschinengeschriebene Rezeptseiten mir nun gute Dienste leisteten. Ich hielt sie in einem separaten Ordner jahrzehntelang in Ehren.  

Zwischenzeitlich war bereits 1978 der Mann gestorben, dem ich so ähnlich sein sollte: mein Großvater Gerhard Keßler. 

                                                                      hier rechts neben mir 

Meine Eltern waren ohne mich zur Beerdigung nach Mainz gefahren, aber mit meinen Bruder Frank. Das bedeutete für mich, dass meine Eltern nicht den Wunsch verspürt hatten, meine Wohnung zu sehen bzw. mich zu besuchen. 

Mit solchen Kapriolen hatte ich immer wieder umzugehen. Die Missachtung, so wie ich es sah, meiner Existenz, die ich von den Menschen erfuhr, die mir am nächsten in meinem Leben standen, war eine Konstante meines Daseins, seit ich allein dafür verantwortlich war. Dennoch schlug ich mich ganz gut. Seit ich über ein zusätzliches Zimmer verfügte, kam mir der Gedanke dieses unterzuvermieten. Ich fragte bei der Verwalterfamilie nach und bekam die Erlaubnis. Mein erster Untermieter, Martin Tr., zog in das kleinere Zimmer ein. Er war Arztsohn aus gutem Haus, hatte natürlich eine deutlich jüngere Freundin und war, wie ich dann im Verlauf seines Wohnens merkte, Alkoholiker. Eines Tages saßen wir in meiner Wohnküche, so einen alten Küchenschrank, wie ich ihn damals hatte, wünsche ich mir heute noch, und tranken Apfelwein. Er soff mich glatt unter den Tisch und und ging dann noch auf die Walz. Ich war bedient. Ab und zu brachte er seine Freundin mit und es gab Tage, da hatten die beiden richtig Spaß miteinander, den ich mir anhören durfte. Da half mir auch meine Musik vom Tonband nichts. Die Ausdauer der Beiden war gewaltig und vermutlich durch Drogen gesteigert. Ansonsten war die Martin ein feiner Kerl, der auch auf gute Sachen stand. Einmal brachte er Schweinelende mit, die dann mit Knoblauch gebarten kredenzt wurde. Dennoch war ich froh, als das Intermezzo vorbei war. Seine nette Freundin hatte ein neues gemeinsames Liebesnest aufgetan. Der nächste Untermieter war etwas ruhiger, hatte natürlich auch eine nette Freundin, die natürlich auch bei ihm übernachtete. Eines Tages klingelte mein mittlerweile vorhandenes Telefon und ich rannte nackt in den Flur wo es stand. Da ging die Tür auf und ich wurde einer eingehenden Musterung unterzogen, die Freundin meines Untermieters fand gut, was sie sah. 

Mein neuer Freund Volker fand, dass es für mich an der Zeit war, eine Frau zu finden. Wir fuhren öfter nach dem Sinkkasten ins Mackie Messer. Eines Abends entdeckte er zwei Freundinnen, eine blond, due andere dunkelhaarig, und bat mich, sie anzusprechen. Da ich mich weigerte, zögerte er zunächst, ging dann aber doch hin. So ergaben sich zwei Bekanntschaften. Leonie war die Blonde, Dorle die dunkelhaarige Frau. Irgendwann landeten wir in der Wohnung von Leonie Sch. In Frankfurt-Hiechst. Während Volker mit Dorle in einem Bett landete, blieben Leonie und ich schön in getrennten Betten und Zimmern. Volker fragte mich am nächsten Tag nur, warum ich die Leonie allein hätte liegen lassen. Das wusste ich selbst nicht, ich war mir nie sicher und fürchtete immer, zurück gewiesen zu werden. Leonie war ganz stolz auf ihren Bruder, der bei der gerade gegründeten „Frankfurt City Blues Band“ spielte. Ein Frankfurter Mädchen eben, die sich nicht vorstellen konnte, wie es bei meinen Eltern zu ging. Die seien doch sicher ganz stolz auf ihren Bub. Dorle hingegen war deutlich offensiver gestrickt. Sie kam aus Zeilsheim, wo sich etliche Sinti- und Romafamilien sesshaft gemacht hatten. Sie war bereits Mutter eines kleinen Sohnes, dessen Vater nicht nur gekifft hatte, sondern der auch verschwunden war. Volker oder Völkerchen, wie sie ihn nannte, genoss die nächsten Monate eine gute Zeit, während aus mir und Leonie nichts wurde. Leonie besuchte mich sogar einmal überraschend in meiner Wohnung, da war mein anfänglicher Elan allerdings bereits dahin. Dorle kommentierte einmal: "Frauen sind blöd."



Während ich so abends an der Theke stand, meist nach den Auftritten der Bands, passierte manchmal doch etwas. Mal bekam ich einen Kuss von einem Mann mit dem Spruch "Das tut doch gut:" Ein anderes mal drängte sich Dorle an mich heran und schob ihr Bein zwischen meine. Es schien mir, als ob Völkerchen langsam aber sicher ein Auslaufmodell zu werden drohte. Er selbst war wohl auch nicht an einer längerfristigen Bindung interessiert. Völkerchen, das war ein genauso großer, aber kräftigerer Kerl wie ich, ebenso langhaarig und dazu noch bärtig. Wir beide, er mit seinem langen Ledermantel, ich mit Lederjacke und Beret (das hatte ich mir auf einer Busfahrt nach Paris gekauft, Reminiszenz an die Baskenmütze von Rudi Ullrich) hatten schon einmal unsere beiden Mädchen (Dorle und Leonie) vor zwei zudringlichen GIs in Schutz genommen. Sie zuckten sofort zurück, als sie uns beide zur Verabredung mit den beiden kommen sahen. Wenn sie gewusst hätten, dass insbesondere ich nicht so stark war, wie ich aussah. Jedenfalls war ich nun wohl das Ziel der Begierde und konnte dem Hundeblick von Dorle kaum wieder stehen. Ich fand sie sehr attraktiv, aber ich wusste auch, sie hatte Volker mir vorgezogen. Eines Tages übernachteten wir beide in Dorles Wohnung in Unterliederbach.
Dorle alberte morgens noch in Unterwäsche herum, sie hatte auch einen Kuchen gebacken. Als ich bemerkte, der sei "locker gebacken" kriegte sie sich kaum wieder ein. Volker verschwand dann, musste irgendwie weg. Vorher hatte mir Dorle noch meine Zukunft aus ihren Karten vorher gesagt. Ich müsse sehr viel schießen, so ihr Fazit. Volker übersetzte das ins Sexuelle. Auch ich verließ Dorles Wohnung schließlich, ohne dass wir uns näher gekommen. Es war eine merkwürdige, fast traurige Atmosphäre zwischen uns. Wir sollten uns nicht wiedersehen. Mir blieb nur ihre, auf einen Bierdeckel geschriebene, Adresse. 

Es gab noch mehr Kontakte zu Frauen, aus Kassel übernachtete einmal eine Bekannte, die ich aus der Siedlung Süsterfeld (nahe der elterlichen Wohnung in Helleböhn) kannte, bei mir. Für Volker war ich offensichtlich ein Rätsel. Er besuchte auch einmal in meiner Wohnung. Er sagte: " Du suchst nach Zusammenhängen." Das war mal nachts zu später Stunde. Ja, der Mensch sucht und findet manchmal welche, wo es keine gibt. In dieser Lebensphase war ich für Frauen schwer zu ertragen. Ich trug schwarze Hemden, hing anarchistischen Ideen an und war doch eigentlich konservativ. Mit Sponties hatte ich im Grunde nichts am Hut. Die verkehrten in der Batchkapp in Frankfurt-Eschersheim. Da war ich nur gelegentlich. Ich konnte mit meinen melancholischen Anfällen Mitleid bei Frauen erwecken, das wusste ich. Aber das war nur ein Spiel. Ich nahm Einflüsse auf, entwickelte mich. Durch Volker lernte ich die Musik von Jean-Luc Ponty kennen, auch Al Jarreau stand auf meinem Spielplan und natürlich Frank Zappa, der dabei war, kommerziell zu werden. Studentische Einflüsse, die für das nächste Jahr Wirkung zeigen sollten. 

Weihnachten 1979 konnte ich mich nicht entscheiden, nach Kassel zu den Eltern zu fahren. In Frankfurt fühlte ich mich mittlerweile heimischer. Ich machte einen innerlichen Kompromiss, ich würde am zweiten Feiertag, wenn alles nicht mehr so bedeutungsschwer ist, den Zug nehmen. Mittags kam ich an, Vater lag im Bett, was nach dem Mittagessen oft der Fall war, und stand nicht auf. Mutter saß achselzuckend im Wohnzimmer, meinte ich solle Geduld haben. Ich wartete auch einige Zeit, wollte nicht so schnell aufgeben. Aber innerlich war ich, wie so oft, wenn ich nach hause kam, sehr erregt. 
Mutter tat es leid, aber sie griff nicht ein. Eine Unterhaltung zwischen uns wäre jetzt Majestätsbeleidigung gewesen. Was genug war, war genug. Vater fasste es offensichtlich als Affront auf, dass ich erst am zweiten Weihnachtsfeiertag erschienen war. Ohnehin wäre für mich nichts mehr drin gewesen. Ich verließ die elterliche Wohnung und fuhr zum Bahnhof-Wilhelmshöhe, um den Zug nach Frankfurt zu nehmen, erleichtert letztendlich, darüber das die Scharade ein Ende hatte.