Samstag, 31. März 2012

1999 - XI

Athena

Bringen Sie die Karte morgen mit, sagt der Kellner.
Grosse Erleichterung macht sich in mir breit.
Glück gehabt, ich bekomme mein Abendessen in der byzantinischen Taverne,
ohne meine Zimmerkarte vorzulegen.
Was mit grossen Erwartungen beginnt, endet im Kleinkram.
Im Zweifelsfall mit einer dreistündigen Verspätung unseres Abflugs nach Frankfurt.
Aber soweit bin ich noch nicht.
Noch geniesse ich mein Dasein als Herr der 1000 Fliegen und Herrscher über die Gier aller Katzen.
Herrscher ? Mit der Tatze macht mir eine klar, dass der Fisch auch Katzen schmeckt.
Bitte sehr, abgeben ist hier Pflicht.
Der griechische Traum zerspringt manchmal wie das Geschirr auf dem Boden neben mir.
Die Scherben fügen sich zu einem Bild nicht zusammen.
Musik und Gesang stimmen immerhin.
Authentisch vom Busfahrer vorgefahren, begleitet uns die Musik zum Airport.
Im Gegensatz zu uns, weiss der Fahrer von der Verspätung.
Sie brauchen sich nicht zu beeilen, hören wir erst später.
Er teilt unsere Zeit ein bisschen ein, nutzt jede Bodenwelle auf der Autobahn fast zum Anhalten.
Sein Gesang steigert sich in eine wehmütige Ekstase.
Du glaubst, der Bus kann nicht mehr oder der Chauffeur will Dich nicht weglassen,
ohne Dir seine Musik zu zeigen.
Leider muss er das Steuer fest halten, tanzt nicht auf dem Lenkrad und hebt nur die eine Hand zum Gruss
ungefähr jedes zweiten Lkws oder Busses, der uns entgegenkommt, begleitet von einem tiefen Hupton.
Die Kilometer werden länger, das Terminal weiter und doch sitzen wir endlich davor in der Sonne.
Ein Gemisch aus Kindergebrüll, Ansagen und breiten Schultern auf schmalen Sitzen folgt.
Warum also nicht alles neu beginnen am Ankunftsterminal, wo die Bars billiger sind als in der Abflughalle.
Die Maschine schwebt über dem Golf von Orfanu ein.
Eine bräunliche, bergige, mit grünen Tupfen durchzogene Landschaft liegt unter uns.
Saloniki ist unser Ziel. Die Landung ist ein wenig holprig.
Mit modernen Bussen fahren wir zum Terminal. Der Koffer ist da.
Nun steht da unser Fahrer in der Erwartung neuer Gäste.
Ich nicke ihm zu, schließlich ist er auch ein guter Sänger.
Warum der Mond noch über dem rot-dunkelblauem Firmament schwebt,
das Meer so ruhig zwischen den drei Fingern Nordgriechenlands plätschert,
ich weiss es nicht.
Erfahren konnte ich, das Getränkekarten nicht so genau genommen werden wie in Deutschland,
das derselbe Wein mal als trocken, ein anderes mal als halbtrocken deklariert wird.
Das Zimmer mit Terrasse eben auch Souterrain sein können, beim Zeus.
So höre das melancholische Lied über Saloniki
und suche den Mythos der griechischen Sagen versteckt unter dem Zeitgeist.
Du wirst Modernität mit alten Wurzeln finden
und alten Stolz im Gewand der modernen Göttinnen Athenas.
Platz des Verharrens in Würde, wirklich sagenhaft.



 

Freitag, 30. März 2012

1999 - XI

Deadly Unliving Show

Fakten, Fakten, Fakten, brüllte der Dicke, hieb mit der Faust auf den Tisch
und stierte ausdrucksvoll. Er war im falschen Film, nicht seine Redaktionssitzung lief hier ab,
Tatsache ist, dass Sie mit Ihren Gästen keine Zuschauer ansprechen.
Die Quoten sinken und das heißt: ganz schnell muß ein neues Konzept her.
Vielleicht ohne Sie ? Sie haben noch eine Chance ! Welche ?
Der Moderator grübelte, als wachte er aus einem bösen Traum auf.
Da war etwas, er mußte es einladen. Etwas, das es garnicht gibt, die Attraktion.
Keine anderer Sender hätte da eine Chance. Einladendes Es fesselt uns,
so sah er die Schlagzeilen, eine nach der anderen an sich vorbei laufen.
Moderator bietet dem Tod brillant die Stirn. Unmenschlich gut, schreiben Sie das.
Raus aus diesem Gefasel, ja dann will ich mal, an die Arbeit, Sie verstehen ?
Allgemeines Grinsen folgte im versteckt auf den Flur des endlosen Korridors,
trieb ihn in das kleine Aufnahmestudio.
Große Bühne, Vorhang auf !
Gelungen, ein selbstzufriedener Moderator tritt auf, lächelt und begrüsst das Publikum.
"Heute habe ich die Ehre, Ihnen einen ganz besonderen Talkgast vorzustellen.
Es ist etwas ganz persönlich anwesend, sozusagen das Ende am Anfang und das Beste ist,
es ist völlig inkognito. Stimme und Name sind tot. "
"Sehen Sie doch nur in den Spiegel, ich bin bei Ihnen !"
So bildeten sich Worte wie eine schweigsame Wolke und mündeten in ein Mikrofon zwecks Verdeutlichung.
"Nun, meine Damen und Herren, wir wissen schon, es zielt auf den Schwachpunkt unseres Lebens ab, das unvermeidbare Ende als Fanal unserer Körperlichkeit.
Selbst die größten Kulturleistungen der Menschheit verstummen am Ende.
Es zielt sicher auf das mit dem "Ackermann aus Böhmen" geführte Gespräch ab. Johannes von Tepl schrieb davon."
In den Raum gewandt sprach der Moderator es direkt an: "Sie führen die Schlechtigkeit und Nichtigkeit des menschlichen Seins an und setzen die menschliche Körperlichkeit mit einem Kotfass gleich.
Ihr Streit ging immerhin nur unentschieden aus, da Gott dem Mensch als Kläger die Ehre gab, ohne ihre Funktion auszusetzen.
Wäre es nicht an der Zeit, angesichts der sich verschiebenden Grenzen zwischen göttlicher Natur
und menschlicher Technik, den Dialog mit einem neuen Ergebnis wieder aufzunehmen ?"
Der Moderator lehnt sich nun souverän zurück im Angesicht seiner hohen Gedanken. Es aber sprach zu ihm: "So höre, wem Gehör gegeben: Gott bekennt sich zum Tod. Ihre Fragen danach sind ohne Sinn für Ihre Existenz.
Fragen bedeuten Suche nach Erkenntnis. Wollen Sie gottgleich erkennen ?"
Der Moderator räuspert sich und unterbricht: "Ein Kotfass kann sicher keine Erkenntnis gewinnen, ist es das, was Sie uns sagen wollen ?"
Es drängte, Energiewolken produzierend an die Öffentlkichkeit: "Sie fertigen Bilder an, die mit Erkenntnis nicht im Zusammenhang stehen.
Das materielle Erscheinungsbild schafft Grenzen, die Ihnen Bilder vermitteln.
Sie sehen, was Ihnen vorgesehen ist zu sehen und manchmal noch nicht einmal das.
Ihre Bestimmung können Sie nicht verleugnen. Sie stellen Fragen und werden vor den Ergebnissen geschützt."
Zum Publikum gewandt fragt der Moderator zwischen: "Wie erklärt es sich dann, dass der Mensch als einziges Lebewesen über ein bewusstes Denken und Handeln verfügt, dass ihm, wenn auch begrenzte, Erkenntnis verschafft ?
Wozu hat die Schöpfung uns so verschwenderisch ausgestattet ?"
"Sie brauchen Bilder um zu verstehen. Nehmen Sie ein Lebewesen wie einen Vogel, seine komplizierten Lebensvorgänge sind wie die Ihren auch vollkommen einprogrammiert in die unbewussten Bereiche seines Daseins.
Stellen Sie sich vor, der Vogel versucht bewusst, seine Flügelbewegungen zu steuern, er wird abstürzen.
Sie selbst schaffen es nicht, ihre inneren Abläufe zu ignorieren.
Ihre Welt funktioniert weitgehend ohne Sie und besteht auch ohne ihre Existenz.
Im kosmischen Sinn zeichnen sich Wesen mit "Bewusstsein" eher dadurch aus, dass sie schnell Materie, die sie umgibt, verändern.
Sie haben da so einen schönen Begriff: "Freie Radikale".
Da die Materie ohnehin nichts Bleibendes ist, wie manche von Ihnen glauben, richten Sie im Grunde keinen Schaden an.
Meine Funktion ist Ihrem Leben immanent.
In Ihrer Begrifflichkeit bin ich der "Tod",
Sie könnten mich auch Dateimanager nennen und mir einen Icon verpassen."
"Ein Skelett wäre da das passende Symbol ?" fragt ein nachdenklicher Moderator."
Ein tanzender Derwisch saugt sich mitten in der Bühne ein: "Sehen Sie nur Ihre Bilder an:
Ihr Skelett trägt den Körper, geradezu ein Symbol des Lebens, der Schädel schützt Ihr Gehirn, auf dass Sie so stolz sind.
Ein Wunderwerk, auf dass die Schöpfung kaum stolz ist.
Um nicht zu hart zu erscheinen, manches Mal stelle ich mir wie Sie die Sinnfrage, wie kann ich ohne Ihr Leben sein ?"
Der Moderator protestiert: "Sie jagen uns mit unseren eigenen Erkenntnissen ins Boxhorn, was sind Ihre originären Gedanken ?"
"Individualismus ist das Ergebnis Ihrer Relationen zur übrigen Materie. Ihr Geist scheint nicht materiell, ist dennoch das Ergebnis Ihrer körperlichen Energie.
Energie, die sich in Ihnen bricht und dennoch vervielfältigt.
Sinn Ihrer Form ist es sicher Erfahrungen zu sammeln. Egal welcher Art und wie elementar." "Vielen Dank für Ihre Ausführungen!" Der Moderator kratzt sich gelangweilt am Kopf. "Der Mensch ist Ihnen zufolge ein Teil des ewigen Lebens. Sie existieren also wirklich nicht ?"
"Es ist ein Grundthema des Bewusstseins, die Endlichkeit zu empfinden und nach der Überwindung dieser zu streben.
Dieses Streben ergibt den Sinn. Somit ist meine in Ihrem Körper integriertes Ableben sinnvoll.
Sie sollten ein wenig dankbar sein. "
"Ja, es heisst ja wohl, der Tod, das muss ein Wiener sein,
in diesem Fall ist er ein Schlawiner und setzt sich den Heiligenschein auf."
Es tönte: "Ich kann aber ooch sächseln !"
"Hervorragend, das erleichtert den Abschied. Das Ende ist also nicht real, ist es Ihr Bild ?"
"Sehen Sie es, wie Sie wollen, das ist nicht meine Sendung, aber sie ist zu Ende."
Ein überraschter Moderator: "Nicht wirklich ?"
Der Aufnahmeleiter nickt, der Abspann läuft.

Donnerstag, 29. März 2012

1999 - X

Aslema

Die Sandscheibe drehte sich in einem Spiegel des Meeres.
Sie tauchte auf und verwandelte sich in eine glasierte Tortenoberfläche.
Marzipancreme, bedeckt mit blauen und gelben Rändern, auf der grüne Zuckerpalmen ihr kurzes Dasein fristen.
Der Mann im schwarzen Anzug sagt, daß er den Tisch bis 19 Uhr reserviert,
oder auch nicht, und feiert weiter seine mediterran-arabische Männlichkeit, mehr Ober als -kellner eben.
Die Anzüge versammeln sich jeden Abend bei der Wacht am Buffet und über den Saal.
Die Herrschaft bleibt, auch wenn es am Strand tönt: Chef !
Der verschwindet im grünen Tang des Meeres, sanft vereinnahmend und pikend.
Natur ist das und kein kunstblau mit weißen Kunststoffschirmkontrasten.
Die Verpflegung ist gut.
Cola mit Sand, wieviel Dinar ?
Was gibt es zu kauen, außer einzelnen Halmen, die Gras nachahmen.
Schaukelnd im Meer, ein Schleier vor der Sonnenscheibe.
Die Erde ist was ?
Steinig: wieder eine Drehung, 1000 Jahre Oliven ohne Schütteln geerntet.
Ein weißer Streifen, wie Schuhe auf den Spitzen,
kein blaues Wasser oder gelber Sand,
alles hat sich verändert.

Mittwoch, 28. März 2012

1999 - IX

Es waren einmal 1000 Jahre

Nun Adé, Du altes Jahrtausend,
Zahlen verändern sich plötzlich sausend,
Januar, Februar habe ich genossen,
der März ist schon fast ganz verflossen,
April, Mai, Juni, Juli und August:
Monate voll Frühlings- und Sommerlust.
Im September dreht meine Lebensuhr
sich um die Schnapszahl der Jahre nur.
Oktober, November und Dezember,
zeitlose Weihnachten, Geplember.
Im nächsten Jahrtausend wird alles enden,
Leben und Schicksal zum Abschied sich wenden.
Vorbei, die Zeit bei der Mutter im Arme,
die Schule, Beruf, die Frau, die warme.
2000, die Zahl will mich fixieren,
soll ich jetzt noch einmal alles riskieren ?
Altes Jahrtausend, Du kannst ruhig gehen:
in mir wirst Du ewig weiter bestehen.

Dienstag, 27. März 2012

1999 - VIII

Wonnemonat

Wenn die Hochzeitsglocken läuten,
über vielen glücklichen Bräuten
sich Feld und Kleider wiegen
im Pollenwind und fliegen,
das Weiß die Weisheit besiegt,
so plötzlich viel an Ringen liegt,
die über Finger gezogen,
so manches Glück verbogen,
doch auf dem Foto bedeuten
Ansehen und Liebe bei Leuten;
dann nimm es zur Kenntnis mit Freude:
die Zeit ist hier und heute
zum Höhepunkt gelangt,
dem Maibock sei gedankt

Freitag, 23. März 2012

1999 - VII

Abra.. ?

Abraxas schüttelt sein Gefieder
dunkle Schauer schwingend hernieder,
dabei ist doch dieses Federvieh
ein fetter Vogel und kein Genie.
Was will er voller Ahnung wissen,
ich lehne mich zurück ins Kissen,
schlummere halb und denke kaum,
spüre etwas, so zart wie Flaum.
Ein Luftzug streichelt mein Gesicht,
öffne die Augen, sehe noch nicht.
Was war das für eine Bewegung,
so unsichtbar und doch voll Regung.
Ähnliches habe ich nie gespürt,
als ob ein Engel Dich ganz verführt.
Dank der Inspiration,
sehe ich Abraxas schon,
wie er zum weißen Adler wird,
nicht müde und mir längst entschwirrt.

Donnerstag, 22. März 2012

1999 - VI

Soldat

Stets mahnte der Soldat des Lebens,
den Träumer im Gewandt des Strebens,
der seiner Uhr lauscht und die Minuten zählt,
sich Termine anschaut, ohne das ihn das quält.
Er weiß, die Zeit geht einmal um,
hält sie mit Lust: warum, darum !
Er breitet seine Arme aus,
spricht, brüskiert, verläßt das Haus.
Die Freiheit, wo ist sie gelegen ?
Er atmet und braucht keinen Segen.
Soldat des Lebens, setzt an sein Gewehr,
da denkt der Träumer den Schuß nicht mehr.
Der Soldat des Lebens stets Wache steht,
der Träumer schlafwandelnd die Runden dreht.

Mittwoch, 21. März 2012

1999 - V

Was ?

Geteiltes Huhn hat nichts zum tun,
geheilter Thun will gar nicht ruhn',
gebeiltes Teil mag seine Weil`',
geteiltes Heil hängt gern am Seil,
gestyltes Leid ist halbes Kleid,
geschrieben Seit' soll an die Leit',
gewickelt Vers rollt wie ein Laib,
gekrittelt schmollt der Zeitvertreib.
Faßt die Muße in der Bluse,
mußt' dann gleich zur großen Buße
.

Dienstag, 20. März 2012

1999 - IV

ASAP_IPO

sagte der Herr und das Geschirr blieb draußen.
Der Master der unlösbaren Terminpläne lächelte unwissend.
Die Indianer schwiegen und der große Berater fragte in ihre unbeirrbare Runde:
müssen wir das umsetzen oder ist es nur: nice to have ?
Der Gringo mit dem Sombrero unter ihnen murmelte: wir machen es quick und dirty, eh ?
Es fand sich keine Schürze, um die vielen herrenlosen Fragezeichen einzufangen,
die im Raum umherschwebten.
Auch die Bewegung der aufstehenden Krieger vertrieb sie nicht.
ASAP, bedeutete Ihnen der große Häuptling, bereit die Friedenspfeife anzuzünden,
obwohl es noch keinen Krieg gegeben hatte.
Als sich die Versammlung in Rauch auflöste,
blieben die großen Terminpläne für immer ein IPO,
leider hält das Papier nicht ewig.

Montag, 19. März 2012

1999 - III

Blues

Zum ersten Mal habe ich den Blues
vom Scheitel bis zu den Sohlen der Shoes
Du wirst den Kopf nicht mehr vorstrecken,
Dein Lachen wird mich nicht mehr necken,
Wolfgang! werde ich nicht mehr hören,
kein Anruf wird mich jemals stören.
Du wirst Dich nicht enttäuscht abwenden,
wenn Deine Hoffnungen plötzlich enden.
Ich kann mich nur noch still verneigen,
Du willst nun doch für immer schweigen.

Das Leben ruft, ich muß mich eilen,
kann leider nicht bei Dir verweilen.
Wieder fehlt ein Mensch im Stück,
suche ihn in mir, finde ihn zum Glück
.

Sonntag, 18. März 2012

1999 - II

Guten Tag

Guten Tag, ihr lieben Sorgen,
ich verschieb' euch gern auf Morgen.
Wollte ich mir gern was borgen,
wärs das Glück von übermorgen.
Der Reim sich hier zu Ende schüttelt,
es ist aus, ich hab' ihn gerüttelt.

Samstag, 17. März 2012

1999 - I

Schwester

Die tiefgründige Schwester der Melancholie legte sich um sein Herz
wie eine leichte, wärmende Decke.
Sie schützte ihn vor der Hektik einer sinnlosen Zeit.
Seine Sicht der Dinge änderte sich in der Geborgenheit eines Verlustes.
Er lernte es, sich damit abzufinden.
Schwermütige Zufriedenheit löste seine kleinen Launen ab,
ohne den Unruhezustand seiner Seele zu verdecken.
So gedachte er still und stets ohne das Aufleben von Bitternis.
Gefragt nach den Empfindungen, fand er stets keine Antwort,
die es würdig wäre, gegeben zu werden.
Stets kehrte er in den Mantel der Trauer zurück.
Etwas war zu Ende, aber was ist das Ende ?

Freitag, 16. März 2012

Vollzug

"Sei allem Abschied voran, als wäre er hinter
dir, wie der Winter, der eben geht."
Dieses Zitat aus einem Rilke-Gedicht findet sich auf der Homepage eines letzte Woche Verstorbenen, der zwei Stunden vor seinem Tod diese Seite noch aktualisiert hat.
So hat es auch mein längst verstorbener Vater stets gehalten, wenn er den Zeitpunkt des Abschieds bestimmen wollte, er gab mir die Hand und den Satz mit "Mach' Dich dünne."


Aber es gibt aus eben jenem Gedicht noch eine weitere Passage:
"Sei - und wisse zugleich des Nicht-Seins Bedingung,
den unendlichen Grund deiner innigen Schwingung,
daß du sie völlig vollziehst dieses einzige Mal."
Es ist wahr, der Tod ist des Lebens Antriebsquelle, er gehört dazu, auch wenn er
so plötzlich auf den Plan tritt wie im obigen Fall.


Du merkst es nicht, es ist vorbei,
die lebenslange Leiderei.
Unbegreiflich nur für die Lebenden..

Donnerstag, 15. März 2012

1998 - IX

Heiligabend

Stille Nacht, Heilige Nacht,
nur der Tod einsam wacht,
Einst wurde am Heiligabend ein Kind geboren,
ich habe am Heiligabend die Mutter verloren,
nichts ist auf dieser Welt von Dauer,
Gevatter Tod liegt auf der Lauer,
in stiller, hoch heiliger Nacht,
hat er sie auf den Weg gebracht.
Stille Nacht, Heilige Nacht,
nur der Tod hat einsam Macht.

Mittwoch, 14. März 2012

1998 - VIII

Ein kleines Lied

In mir spielte einst ein kleines Lied,
Armeen von Bildern brachten mich dazu,
es nicht mehr zu hören.
Die Zahlenkolonnen marschieren in wirrer Ordnung
und tertrampeln die Noten im Takt eines ekstatischen Hammers.
Sie nisten in meinem Gehirn und bringen es dazu,
wie ein Computer zu reagieren.
Einst kannte ich Menschen und litt.
Nun beherrsche ich den Zustand und fühle mich leidlos.
Ich trinke kein fremdes Bier (aphoristische Anlehnung)
und singe niemandes Lied.
Aber wo ist mein kleines Lied ?
Gefühlsschwankungen formieren sich in Aktienkursen.
Tabellarisch vermittelt das Chaos auf dem Papier ein Gefühl der Ordnung.
Kurvenreich so manche Darstellung,
aber was bewegt sich eigentlich ?
Warum nutze ich den Wirtschaftsteil einer Tageszeitung,
ich brauche doch auch keine Noten.
Stehe auf und schreibe
mir diese Welt vom Leibe.
Blaumänner sollen scheiden,
graue Anzüge, mag sie nicht leiden.
Zeige Euch meine Welt,
auch, wenn sie nicht gefällt.
Mir egal, wenn Ihr spottet
und lieber alltagstrottet.
So einsam kann ich garnicht sein,
das ich da bin, nur zum Schein.
In mir spielt dieses kleine Lied,
wer es nicht hören kann, der flieht.

Dienstag, 13. März 2012

1998 - VII

Zeit ?

Dem Fleißigen läuft die Zeit davon,
der Faule langweilt sich, weil er sie hat.

Montag, 12. März 2012

1998 - VI

Schall und Hauch

Mit dem Rauch der Zigarette
zieht sie die Welt ein, die nette.
Wozu die Wohnung noch verlassen,
die Menschen draußen will sie verpassen.
Sie sieht alles im TV
und weiß daher ganz genau,
die Welt, die ist, so wie sie ist,
nicht die ihre, zuviel Mist.
Sie will nur das an sich ran lassen,
was ihr gefällt, gut anzufassen,
der Glimmstengel und der Wein,
darauf geht sie zu gern ein.
Sie mag ihr eigenes Erleben
und davon viel, ein ganzes Beben.
Sie ist wirklich gut informiert,
liest Zeitung und telefoniert.
Sich wirklich etwas anzusehen,
wie schrecklich, schnell, noch Eine drehen.
Sie saugt den Hauch der Welt hinein,
hört sich nicht mehr und sagt nie: Nein !
Sie ist schon lieb, doch leider Gottes,
verpasst sie das Ende, genug des Spottes.
Manchmal weißt Du mehr in der Ferne,
die Nähe hätte sie wohl gerne.
Doch mit eigenen Bedingungen,
ich glaube, ich kenne da die Regelungen.
Trinke den Wein des edlen Spenders,
die Seele gegeben, in die Hand des Pfänders.

Sonntag, 11. März 2012

1998 - V

Goldener Oktober

Du sitzt im Pullover, die Blätter, sie fallen,
beschrieben kaum, Du willst Dich reinkrallen.
Schien eben noch die Sommersonne,
rennt das Leben mit großer Wonne
dem Ende aller Zahlen zu,
kommst Du dabei wirklich zur Ruh' ?
Bilanz zu ziehen fällt Dir nicht schwer,
da war nichts, nur sehr viel Verkehr.
Doch eins ist klar, Du hast es geschafft,
wieder mal nur mit eigener Kraft.
Gibt es einen Lohn in irgendeinem Reich ?
Nein, nur die Blätter fallen golden gleich.
Du darfst durch einen Herbstwald laufen,
wer will sich da noch etwas kaufen ?
Der Boden schwingt unter Deinem Schritte,
Du bist allein, des Lebens Mitte.

Samstag, 10. März 2012

1998 - IV

Portugal

Das ist so eine gute Wahl,
im Sommer geht's nach Portugal.
Wir fahren garnicht nach Spanien,
auch nicht nach Mesopotamien,
im Thüringer Wald ist es zu kalt,
die Nordsee langweilt einen doch sehr bald !
Ich glaube es nun auf jeden Fall:
Urlaub ist nur gut in Portugal !

Freitag, 9. März 2012

1998 - III

Artikel

Ich wollte, ich könnte die Zeitung verstehen.
Ein Bild der Welt mir machen, unbesehen.
Mein Leben ist jedoch ganz anders,
ich heiße auch nicht Lilo Wanders.
Ich bin erschreckend und normal,
keinen Artikel ziert mein Initial.

Donnerstag, 8. März 2012

1998 - II

Ein deutscher Gruß

Danke schön und bitte sehr,
so liebt es der deutsche Herr.
Guten Tag, auf Wiedersehen,
darauf will er immer bestehen.
Sein "Was haste, was kannste, was biste",
es verfolgt Dich bis in die Kiste.
Am Himmelstor der Herr wird sitzen
mit irgendwelchen dicken Listen.
Du sollst in der Hölle schwitzen,
dabei wird er Dich dann siezen.
Er fragt Dich nach der Reservierung, Mann.
Du hast sie nicht, verschwinde dann !
So merke: Freundlichkeit, die gibt es nur,
hast Du gesellschaftlich Statur.
Es bleibt Dir nur zum Abschied zu singen,
in Dir will es die ganze Zeit schon swingen:
danke schön und auf Wiedersehen ...

Mittwoch, 7. März 2012

1998 - I

Kleiner Teufel

Er liegt gern auf der faulen Haut,
schaut ewiglich nach einer Braut,
das Heiligtum ist seine Ruhe,
Genuß des Vino immer zue ,
ein bißchen spielen mit den Karten,
den Lauf des Lebens gern abwarten.

Nichts ist ihm wirklich wichtig,
was er denkt, ist einzig, richtig.
Die Lust ist seine ganze Quelle,
wenn sie versiegt, vergeht er schnelle.
Immer stellt sich ihm die Frage,
was hält am Leben seine Tage ?

Ich will ihm die Leviten lesen,
doch bin ich selbst, gehörnt, das Wesen.

Dienstag, 6. März 2012

"Melancholie unter Palmen" oder 1980


'Das Boot', 'Heißer Stein', 'Königin', 'Mann nehme' und 'Rubbish' sind bereits 1994 erschienen im Sammelband: Unser Bestes - Neue Autoren ...; Herausgeber: Förderkreis Buch und Kunst, Gütersloh
im Autorenverlag im Weserhof

Montag, 5. März 2012

1980 - LI

Königin

Meine Königin hat schöne Beine,
mein Königreich ist 78qm groß
und liegt auf einer Etage,
meine Königin hat einen Purpurumhang,
meine Droschke hat kw,
sie zeigt mir ihr Perlmutt
und ich verliere mich in den zarten
Windungen der Muschel,
kein Anschluß unter der Nummer
meines Telefons,
selbst fahre ich zur Jagd,
die Königin sitzt neben mir
im Wolfspelz,
knirschend rutschende Räder,
Schnee,
die Zentralheizung meines
Königreiches lärmt
und verursacht quellende Augen,
Durst und ausgetrocknete Hälse
trotz preußischblauem Hintergrund
für die Orangen im Fernsehen,
das schale Bier und die Qual der Prospekte,
tausendfach weiches Papier gespült
im Schlund der Abflußrohre,
kistenweise Papier und Glas vom
Wochenende mit der Königin,
die Fata Morgana zeigt ihr wirkliches Gesicht,
die Kehrseite, die trennt und doch verbindet,
wo ist das Königreich des Herzens ?
Der weiße Held, der schwarze Dämon.

Sonntag, 4. März 2012

1980 - L

Auch die Hessen haben süße Töchter

Sportliche junge Damen kennen kaum Probleme mit den Pfunden und der Figur.
Ehefrau Andrea: "Wir haben nicht den geringsten Grund, das Geschäft zu bedauern,
so angenehm sind wir noch nie ins neue Jahr gerutscht."
Kein Wunder bei dem Talent.
Durch einen unwahrscheinlichen Zufall ist jetzt entdeckt worden,
daß vor 20 Jahren eine Mutter ihren dreijährigen Jungen verhungern ließ.
Die Waschmaschine der Kompanie blieb leer,
das Geld stecken wir lieber ins neue Haus.
Aber jetzt schon damit posieren ?
Mannequins haben's halt auch manchmal schwer,
meist gebe es keine Leistungssteigerung,
Marion und Vicky überlegen aber,
ob sie die Hüllen fallen lassen.
Im Kaisersaal sorgen sie "für das gewisse Extra" und
verleihen dem Frankfurter Rathaus bei großen Empfängen den festlichen Glanz.
Auf diese Weise soll die nach wie vor weitverbreitete und
umweltfeindliche Öl- und Kohle-Einzelheizung drastisch zurück gedrängt werden.
Mitmenschlichkeit, die Bundespräsident von Weizsäcker forderte,
ist kein leeres Wort.
Schön und gut - ein aufregender Einteiler im Leopardenlook,
find' ich auch chic.
"Lady Tiger", die bei einem Aufenthalt ihrer Familie im Airporthotel
in eine Klimaanlage gelaufen ist
und daher in Deutschland bleiben mußte,
kommt vermutlich zu einer Dame.
Die Studiochefin macht derzeit verstärkt Jagd
auf die schönen Mädchen von Rhein-Main,
um sie gegen Honorar, nackt oder zumindest halbnackt,
ins Blatt zu kriegen.
Wer nimmt da noch ein Blatt vor den Mund ?

aus: Armenlust Nacktausgabe

Samstag, 3. März 2012

1980 - XLIX

Errare humanum est - let's go west

Automatisieren wir unsere orgiastischen Bemühungen,
möglichst viel des kostbaren Geldgutes zu subsumieren,
stabilisieren wir uns, indem wir statt
mit unmoralischer Gewalt, uns dialogisierend, einzelne Monologe infiltrieren.
Substitute - me for him, unser Video läuft aus in den Alltag,
läßt sich nicht konsumieren, sondern konsumiert, deformiert,
und degeneriert unsere Phantasie zu einer Second-Hand-Erscheinung,
bereits mutiert, erblickt der Gedanke das Abblendlicht der Existenz,
die sich als Lichthupe entpuppt und nach einer kräftigen Tastatur verlangt.
Tja, Freunde, wir alle hängen fest im Netz der Kreuzspinne
und bald wird das letzte bißchen unseres Inhalts ausgelutscht sein.
Der Nihilismus greift greift um sich, er expandiert
mit dem Bruttosozialprodukt, spasmiert sich in Optimismen.
Positivistisch birnengleich entsteht der Konsens in diesem unseren Raumzeitkontinuum,
welches nur durch das schwarze Loch zu beenden ist, doch dafür addiert sich nicht die ausreichende Materialmaterie.
Eine kleine Eruktation kulminiert die Historie des Homo Sapiens.

Freitag, 2. März 2012

1980 - XLVIII

Das Boot

Stille herrscht im Boot. Tauchfahrt, doch die Ortung besagt: Zerstörer im Anmarsch.
Schraubengeräusche, Maschinen halbe Kraft zurück. Der Bildschirm flimmert unruhig. Nicht abzuschütteln, Maschinen stop und tauchen, weit über die Werksgarantie hinaus. Der Stahl stöhnt, Knacken im roten Bereich des Tiefenmessers oder war es das Aufeinanderschlagen der Zähne beim vergeblichen Versuch eine Salznuß zu zermalmen. Chips stehen bereit. Drangvolle Enge und der Mief von fuffzig Mann plötzlich im Wohnzimmer. Jetzt rechnen wir ab, das Boot verharrt regungslos, der Zerstörer rauscht darüber. Tief durchatmen, gleich explodieren die Wasserbomben, vielleicht zum allerletzten Mal.
Das abgebrochene Messer schlitzt den Karton auf, jeder Handgriff muß sitzen. Die Bücher sind in Folie eingeschweißt und fliegen fast von allein auf den Packtisch in Stapeln zu Fünfen, kein Lieferschein, doch da die Rechnung, komm' Junge, hak' die Positionen ab: 5 x Pucki im Wald, 5 x Pucki lernt laufen, 5 x Pucki in der Schule, das wars. Stempel, Eingangsdatum, Herr Pfennischfuchs legt den nächsten Karton vor. Immer wenn Fracht im Hof abgeladen wird, stürmt er über eine Wendeltreppe in den Keller, um seinen Mannen beim Auspacken zu helfen. Auf dem Boot hat er sich um den Diesel gekümmert, da war's noch enger als im Keller.
Volle Paletten in den Aufzug wuchten, Türe zu, klingeln, ab geht die Post. Oben entfernt sich das Mahlen der Schrauben. Detonation !! Eine nach der anderen, alles fliegt durcheinander, die Vormerkungen sind nicht gezogen: Bücher zurückholen. Endlich Stille, das Boot ist noch ganz. Schleichfahrt, bis es wieder heißt: Schiffe im Anmarsch.
Aufzugtüren auf, Vormerkungen rausziehen, Torpedorohre eins bis vier wässern. Es sind dicke Pötte, Frachter, auftauchen, der Aufzug fährt wieder nach oben, Maschinen volle Kraft voraus, alles klarmachen zum Überwasserschuß, Rohre eins bis vier: Feuer! Warten, die Palette wird oben aus dem Aufzug geschoben, Treffer mittschiffs, da und noch einer, Feuer, das Geräusch einer leeren Palette, die in den Aufzug gestellt wird. Zerstörer, volle Fahrt zurück, Tauchen, tiefer, tiefer. Der Aufzug kommt zurück.
Tolle Männer, diese Milchbubis, die naßforschen Typen, was können sie schon einem alten Bücherhasen anhaben. Die Schotten der untergehenden Schiffe krachen wie Paprikachips. Blättern im Bordbuch: Girls in 3-D, Taucherbrille aufsetzen, so richtig treten sie nicht hervor, die Mädels, sehen eher aus wie Pappkameraden, wie sie da in oder ohne Höschen stehen. Heute morgen war die Ampel zwanzig Mal auf rot, komische Schaltung, jetzt auch noch der Bus und jede Menge Kinder zu umkurven. Wieder bummelt der Vordermann.
Der Aufzug mit der leeren Palette ist angekommen. Die Druckwellen der Wasserbomben schütteln das Boot ein letztes Mal, ein schwarzer Finger verdeckt das Bild zunehmend, Beethovens Neunte ertönt, Kartons zerschlagen mit der Faust, falten, pressen, Zeitungspakete schnüren, auf den LKW werfen, das Band läuft schnell, bald endet die Reihe der Pakete. Übrigens, das Sehen mit der 3-D - Brille strengt mehr an, als Fernsehen. Rot und grün bleibt der vorherrschende Eindruck nach Absetzen der Brille. Ich liege nackt im Park und sonne mich. Dorle, Deine Augen sind braun. Mein Nachbar spielt mit seinem Glied. Der Diesel rattert in meinem Kopf.

Donnerstag, 1. März 2012

1980 - XLVII

Kinderbild

Im Zimmer steht ein Kinderbild von mir,
das gleiche wie in Euren Köpfen,
doch ich kehre nicht mehr zurück,
habe den Schlüssel weggeworfen,
weil mich Euer Bild bedrückt wie ein Gefängnis,
ein neues Verließ aus Gedanken umgibt mich
und ich weiß,
das Ihr mich nicht besuchen könnt,
meine Seele schreit nach Freiheit,
aber der Verstand kesselt mich ein,
formuliert die Ängste und bedrückt die Sinne,
schluckt das Gefühl weg wie ein Schalldämpfer.
Herrgott, ich glaube,
ich tausche immer nur eine Zelle mit einer anderen.
Gib' mir endlich ein Zuhause,
eine Zuflucht vor den Übervätern, -müttern meines Kopfes.