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Gold - XXV


Es fällt mir nicht schwer, die vorzeitige Heimreise zu organisieren, obwohl wir kein Geld zurück bekommen. 
Einen Tag später kaufen wir für Vater eine Tasche, so daß seine Sachen endlich einen Platz finden, nehmen noch eine Waschzeugtasche mit und beschließen nun, einen Tagesbesuch in Kassel zu machen. Als wir das Krankenzimmer betreten wollen, sehe ich, wie Vater von einer Schwester geführt, die Toilette verläßt. Er trägt einen Schlafanzug. Es ist schmal geworden und geht langsam zu seinem Bett, als er sich setzt, sieht er uns. Er bricht in Tränen aus, „weil ich mich so freue!“. Nachdem er sich beruhigt hat, berichtet er voller Entrüstung, aber fast entschuldigend, dass er auch auf mich geschimpft hat. Kein Besuch zu Weihnachten, keiner zu Silvester..
Da hilft es kaum, dass ich ihm von dem Päckchen berichte. Die Weihnachtskarte ist nicht da.
Das kleine Radio kann er gar nicht bedienen, es funktioniert auch nicht. Mir ist es sehr peinlich. Vater liegt nun allein in dem Zweibettzimmer, hat einen Platz am Fenster. Wir waren zuvor noch in seiner Wohnung und haben die große Pflanze im Wohnzimmer gegossen. Die Nachbarin hat keine Post für ihn entgegen genommen, es liegt noch alles im Briefkasten. Unter anderem hat er Post von der Klinik in Bad Wildungen. Sie informieren ihn über ein neues Behandlungskonzept.
Wir fragen nach der behandelnden Ärztin und sie gibt uns wegen dem Tumorverdacht Auskunft. Der Blutungsrest läßt eine klare Diagnose nicht zu. Erst wenn sich dieser zurück bildet, kann man etwas sehen. Daher soll erneut eine CT vom Schädel gemacht werden. Ich werde gebeten, die Genehmigung erforderlichenfalls per Fax zu geben. Einstweilen wird er medikamentös sowohl wegen der Blutung als auch gegen einen Hirntumor behandelt.
Vater will nicht viel wissen, von dem was ich in Erfahrung brachte. Er bemerkt nur, dass ich hätte Arzt werden können, halbwegs an meine Frau gewandt.
Ich sage Vater, dass ich nun sein Betreuer bin. Darauf lacht er und meint, ich solle aufpassen. Der Gedanke an seine Wohnung beschäftigt ihn noch immer. Ich soll ihm seine Lederjacke und eine gute Hose beim nächsten Mal mit bringen. Er müßte nur mal ein paar Tage zu hause vernünftig essen, dann könne er mit dem Fahrrad wieder weg fahren. Ich zeige ihm seinen Schlüssel, nachdem er mich fragt. Er läßt die einzelnen Schlüssel bedächtig durch seine Finger gleiten und ich halte den Atem an. Schließlich gibt er ihn mir doch zurück.

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