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Dienstag, 29. Dezember 2020

MyLife 1982

 Hohe Zeit vor der hohen Hecke

Wir schmiedeten Hochzeitspläne, doch zunächst einmal stand mein Arbeitsbeginn beim Lang Verlag für mich im Vordergrund. In der Herstellungsabteilung war ich der Hahn im Korb, misstrauisch beäugt vom Chef. Ich hatte Kolleginnen aus der Pfalz ( Marianne St.), aus meiner Heimat Nordhessen (Eva E.) und aus Südhessen (Uschi S.). Letztere war meist als Teilzeitkraft tätig. Autorenbetreuer und im Endeffekt Verkäufer war Stefan K., dessen freundliche, bisweilen fast schleimig wirkende, Art mir wohl immer in Erinnerung bleiben wird. Er war Raucher und zumindest in der Firma Antialkoholiker. Insgesamt war ich froh, wieder zurück zu sein. Meine Hochzeitsplanungen waren schon bald Thema und die Begeisterung meiner Kolleginnen darüber hielt sich in Grenzen. Der Verlag zog im Laufe des Jahres um. "Hinter den Ulmen" im Stadtteil Eschersheim befand sich in einem rot gestrichenen Haus unser Domizil.   

Mit meinen Eltern gab es nach wie vor Auseinandersetzungen. Wir waren, um unsere Hochzeitsabsichten mitzuteilen, noch einmal zu Besuch. Mutter schrieb mir danach am 28.3.1982 u.a. das Folgende: "Dein Vater ist an einem Besuch mit deiner zukünftigen Frau nicht mehr interessiert. Du kannst natürlich gerne allein kommen.." Und weiter: "Du hast unsere Zusage, dass wir an der kirchlichen Trauung teilnehmen werden. Nach der Trauung fährt dein Vater sofort wieder nach Kassel zurück." Aus dem Besuch in Lemgo wurde zum Glück nichts. Stattdessen erhielt ich regelmäßige Nachrichten über den Zustand meines Bruders, der Anfang des Jahres zur Bundeswehr kam und wie er mir noch selbst schrieb, in Fuldatal stationiert war. Bei allem Hin und Her kannte ich die Gründe für die Ablehnung meiner Verlobten ziemlich genau. "Warum müsst ihr denn heiraten? Da nimmt man sich doch etwas Jüngeres." Das war Vaters Einstellung, der vermutlich an ein nettes junges Mädchen dachte, die man womöglich gut steuern konnte. An meinen Bedürfnissen ging das völlig vorbei. An eine Familiengründung dachte ich noch gar nicht, ich musste mich selbst erst mal in stabilere Zeiten begeben. Dazu kam, dass ich aufgrund meiner Erfahrungen in seiner Familie gar kein positives Bild von dieser Lebensform hatte. Ich war misstrauisch allen Oberflächlichkeiten gegenüber. Das spielte für meine Eltern keine Rolle, wussten sie doch von mir zeitweise nicht mehr, als das ich ein Mann mit Brille bin.

Im Februar verbrachte ich mit Ruth eine Woche in Neustift im Stubaital, wo ich erstmals auf Langlaufski wagte, ohne damit richtig zurecht zu kommen. Alle Arten von Gegenständen, die sich ohne meine Zutun bewegten resp. unter mir weg rutschten, waren mir suspekt. Im März fuhren wir an den Bodensee, hatten ein ganz nettes Hotel. Während tagsüber alles halbwegs in Ordnung war, litt ich  abends unter starken Angstzuständen. Es erinnerte mich an schwüle Frankfurter Sommertage, wo mein Kreislauf mich oft derart im Stich ließ, dass ich nervös wie ein Junkie auf Entzug durch die Straßen lief. Selbst vorbei fahrende Autos regten mich auf. Nichts war einfach, aber ich hielt stand. Je größer der Widerstand wurde. Auch mein Bruder Frank war wie ich als Soldat bei den Funkern und wie er mir schrieb, dauerte auch für ihn die Grundausbildung 1/4 Jahr. Bezüglich seiner Teilnahme an unserer Hochzeit äußerte er sich so, dass es für mich klar war, dass er nicht dabei sein wird. 

Im Verlag erfuhr ich dagegen durchaus mal positive Neuigkeiten. Ich bekam ein Einzelzimmer. Da ich mir eine Kaffeemaschine mitgebracht hatte, bekam ich stets auch Damenbesuch. 



Mein Arbeitsplatz noch ganz analog

Unser Büro war tatsächlich eine große Wohnung auf mehreren Ebenen. Die Herstellungsabteilung befand sich im ersten Stock. Es gab nur eine einzige Toilette für Frauen und Männer mit Ausblick auf die Straße. Das brachte mir bisweilen einige für mich aufschlussreiche Eindrücke, um die ich mich nicht gerissen habe. Die Abteilungsleitung war zunächst noch nicht geregelt, aber Marianne St. war die erste Anwärterin. Sie schien mir eine bisweilen zwiegespaltene Persönlichkeit zu haben. Während eines Mittagspaziergangs erzählte sie mir einiges über ihr seelisches Innenleben. Ich wusste nicht recht, was ich damit anfangen sollte, trat sie beruflich doch ganz anders auf. Mit unseren ausländischen Autoren konnte sie mittels ihres amerikanisch gefärbten Englisch gut kommunizieren und sie war erster Ansprechpartner unseres Chefs, für den der eigene Frauengeschmack wohl durchaus ein Einstellungskriterium war. Eva E., meine resolute Landsfrau, amüsierte sich sehr über mich, als ich Marianne einmal den Spitznamen "Schnuggl" verpasste. 

Unsere Hochzeitsvorbereitungen waren überschaubar. Ein Termin beim Standesamt musste gemacht werden. Mein "Freund" Jochen stand als Trauzeuge nicht zur Verfügung. Die ganze Sinkkastenclique inklusive Völkerchen sah ich nie wieder. Paradoxerweise stand uns nur Ruths Schwester als Trauzeugin zur Verfügung. Ausgerechnet die Frau, die gegen mich gesprochen hatte, weil sie befürchtete, dass mein Auftauchen die von ihr geplante Lebenspartnerschaft mit Ruth zerstören würde. An den Tagen vor unserer standesamtlichen Hochzeit waren wir beide sehr unsicher, jeder auf seine Weise. Dennoch tauchten am 14.5.1982 drei Personen vor dem Friedrichsdorfer Standesamt auf. "Meine" beiden Frauen ungewohnter Weise im Kleid, ich im blauen Anzug. Die Zeremonie war relativ kurz und schmerzlos. Mit dem neuen Familienstammbuch in der Hand stürmte ich aus dem Amt, fast hätte ich den Hochzeitskuss vergessen. Danach fuhren wir nach Bad Homburg zum Essen, was meiner Schwägerin nicht so gut bekam. Wir kehrten nach Burgholzhausen zurück, um unsere Sachen für Lemgo zu packen. Es gibt noch ein Foto, wo wir beide vor dem Haus standen. Die Hausgemeinschaft nahm auch von unserer Hochzeit wenig Kenntnis. Es herrschte, abgesehen von unseren direkten Nachbarn, eine unterkühlte Atmosphäre uns gegenüber. Man ließ uns es uns spüren, dass wir die einzigen Mieter waren und uns nicht an den anstehenden Arbeiten im Garten und der Hausordnung beteiligten. Dafür zahlten wir unserem Vermieter, einem Herrn Krause, unseren Obolus. Das rettete uns aber nicht, manchmal war es ein Spießrutenlauf, wenn die Herrschaften draußen zu Gange waren und wir das Haus verließen. Zum Glück war mittags an unserem Hochzeitstag niemand zugegen. Die Fahrt nach Lemgo konnte leichten Herzens beginnen.    

Die Zahl der Hochzeitsgäste war begrenzt auf Ruths Verwandtschaft mütterlicherseits. Mit mir und Ruth waren wir insgesamt etwa 16 Personen anwesend. Es störte insgesamt nicht, dass von meiner Seite niemand dabei war, für mich selbst war es ja auch leichter. Mit meinem Schwiegervater verstand ich mich gut. Er selbst war in Herten geboren und hatte vor dem Krieg bei seiner Mutter auf einem ostpreußischen Hof gearbeitet. Das Alleinsein kannte er gut, auch später Im Krieg in Russland war er oftmals auf sich selbst gestellt und auch schwer verwundet worden. Aufgrund der zeitlichen Wirren hatte er selbst erst spät eine Frau gefunden und die beiden hatten sich mit bloßen Händen und viel Arbeit Haus und Grund geschaffen. Er fragte mich auch später oft, wie es meiner Familie gehe. Am Vorabend der Hochzeit saßen wir im Wohnzimmer zusammen und er gab eine Runde Bärenfang nach der anderen aus, was ihm selbst am nächsten Tag nicht gut bekam, denn er trank für gewöhnlich nur wenig Alkohol. Auch ich war ein bisschen angeschossen, aber vielleicht ein bisschen routinierter und vor allem jünger. Mein Gewicht war immer noch so niedrig, dass meine Schwiegermutter mir die Hose meines Hochzeitsanzugs enger nähen musste. Diese Folge meines Israelaufenthalts vom letzten Jahr spürte ich immer noch.  Der Trauungsakt fand in der Kirche St. Johann statt. Das ist eine reformierte evangelische Kirche. Alles sah ein wenig schlicht aus und ich war nach wie vor nervös. Ich selbst war lutherisch getauft. das war aber kein Problem. Versehentlich hätte ich Ruth fast den Ring auf die falsche Hand gesteckt, aber es ging noch mal gut. Draußen versammelten sich alle zum gemeinsamen Foto und wir beide hatten einen Fototermin auf den Lemgoer Wallanlagen, wo schöne professionelle Bilder entstanden. Ruth trug ein in meinen Augen sehr schönes Hochzeitskleid an, nicht zu überkandidelt, aber doch sehr fraulich. Etwas Kopfschmuck, kein Schleier und vor allem keine Schleppe, so kamen ihre großen dunklen Augen auf den Bildern gut zur Geltung. Ich war ein stolzer Bräutigam. Das ich das in meinem 26. Lebensjahr schon geschafft hatte, machte mich auch ein bisschen stolz. Gefeiert wurde dann im Lemgoer Pulverturm, der damals noch ein Restaurant beherbergte. Der war fußläufig zu erreichen und ein Teil der ehemaligen Befestigungsanlagen der alten Hansestadt Lemgo. Es gab zunächst Kaffee, mein Schwager hielt eine kleine Rede und auf seine Frage, was ich meisten liebe, blieb mir nur eine Antwort: Ruth. Es folgte später das gemeinsame Essen. Da die meisten Hochzeitsgäste den Alkohol mieden, wurde es nicht sehr spät. War die Schlichtheit unserer reformierten Hochzeitskirche St. Johann schon etwas Neues für mich, so kannte ich es auch nicht, dass bei Feierlichkeiten Cola oder Limonade auf dem Tisch stand. Sinnigerweise trug auch meine Schwägerin an diesem unserem Tag eine Art Hochzeitskleid. Mit meinem Schwager fuhren wir dann in dem gemieteten Audi zum Haus meiner Schwiegereltern zurück. Wir übernachteten im eigens für uns frei geräumten Esszimmer des Hauses. In ihren Lebenserinnerungen schrieb meine Schwiegermutter später nur, dass unsere Hochzeit größer gewesen sei, als ihre eigene. Von meiner Verwandtschaft gab es eine Grußkarte von meinem Patenonkel Siegward Dreyer und seiner Frau. Die Stiefmutter meines Vaters sah die Sache allerdings anders. Als sie vom Fernbleiben meiner Eltern bei unserer Hochzeit erfuhr, fuhr sie zu meinen Eltern und nötigte meinen Vater, ein sechsteiliges Kaffeeservice einzupacken und als Hochzeitsgeschenk an uns abzuschicken. "Was macht ihr denn mit dem Jungen?" war ihre Frage an meine Eltern. "Oma" Paula war nicht meine richtige Oma, aber defacto war sie es. Sie schrieb auch immer wieder und sandte Fotos. Seit dem Tod meines Großvaters Kurt reiste sie oft und besuchte auch das Grab meines Onkels und Namensgebers Wolfgang Dreyer in Costermano am Gardasee. Dabei wurde sie zum Faktotum im Ort und lernte auch italienisch. Sie hatte auch Rudi Ullrich kennengelernt und sich lebhaft mit ihm ausgetauscht.  

Wir blieben noch am Tag danach in Lemgo und fuhren gemeinsam mit Schwager und dessen Freundin an die Weser zum Baden nach Borlefzen bei schönem Wetter. Nach Burgholzhausen ging es mitsamt Brautstrauß zurück, wo uns der Alltag schnell wieder hatte. Denn unsere "Flitterwochen" würden wir erst im September verleben. Mein Hochzeitsfotos waren in der Firma zur Ansicht bei meinen Kolleginnen begehrt. Allerdings begeisterte die vollendete Tatsache nicht jede, was ich merken konnte. Es war nicht das erste Mal, dass ich das Gefühl bekam, dass die Entscheidung für eine Frau gleichzeitig den Verlust vieler Möglichkeiten bedeutete. Aber wie hatte schon Rudi Ullrich immer gesagt "Safety First". Der Sommerurlaub führte uns in unserem ersten Jahr als Ehepaar nach Menorca. Am Abend vor dem Flug liefen wir beide etwas nervös durch die Anliegerstraßen unseres kleinen Wohngebiets in Burgholzhausen. Doch alles ging gut. Mit meiner Canonet-Kamera im Gepäck erreichten wir unser Hotel in der kleinen Ansiedlung Arenal d'en Castell. Es lag auf einer kleinen Anhöhe und war ein ziemlicher Betonklotz mit vier Sternen. Dennoch wurde der Urlaub ein ziemlicher Erfolg. Denn wir lernten drei weitere junge Paare kennen, mit denen wir unsere Zeit am Strand und abends an der Bar verbrachten. Ich verkostete gern meinen Gin Fizz und überhaupt der Likör ist eine Spezialität auf Menorca, wie wir in Mahon erfuhren. Mit einem Mietauto entdeckten wir die kleine Insel. Auch zu Fuß lohnte es sich mal in die Nachbarbucht  zu gehen, die Küstenlinie zu fotografieren oder aber in Fornells bei ziemlicher Menschenleere auf gutes Licht zu warten. Waren wir abends mal allein, so saßen wir in einer Bar außerhalb des Hotels, wo ich Ruths Erzählungen lauschte, während über unseren Köpfen die Fledermäuse durch die Nacht flogen.         

Unbeschwerte Tage also, die mit dem Rückflug und einem sehnsüchtigen Blick zurück auf die Umrisse der Insel endeten. Zwischenzeitlich war mein Bruder bei der Bundeswehr ausgemustert worden. Berichtete er mir noch im Februar über gute Schießergebnisse und darüber, dass er beim Marschieren keine Probleme hatte, so haben sich die damaligen Tendenzen wohl so verstärkt, dass die Ausmusterung notwendig wurde. Denn Frank schrieb mir damals bereits: " Sie (die Ausbilder) unterhalten sich öfters mit mir und sehen trotz meiner Empfindlichkeit auch gute Seiten." Ich hatte Mutter auf ihren Wunsch hin Hochzeitsfotos geschickt und in ihrem Antwortbrief hieß es zu Frank: "Dein Vater hat nun Mitte August Urlaub und ich glaube doch, dass wir euch dann mal besuchen. Frank ist schon zuhause, er wird am 31.7. entlassen. Soll aber eine Behandlung mitmachen, was die Bundeswehr bezahlen will." Im Nachsatz schreibt sie: "Wie ich erfuhr, bezahlt die Bundeswehr keine Behandlung, da die Mängel schon vorher bestanden." Man hätte Frank das Ganze ersparen können, denn schon der Versuch eine Ausbildung im VW-Werk Baunatal zu absolvieren, war gescheitert. Das alles war sehr bedauerlich für ihn, denn seine beruflichen Aussichten wären zunächst mal deutlich besser als meine eigenen gewesen, wenn er sie hätte nutzen können.

Wir hatten in diesem Jahr also schon einige Reisen gemacht, eine Busfahrt führte uns noch ins Elsass, wo wir Colmar besichtigten. Die tägliche Fahrt an die Arbeit jedoch war eher etwas nervend. Manchmal verpasste ich in Friedrichsdorf den Anschluss nach Burgholzhausen und ging den Weg zu Fuß. Insbesondere morgens und im Winter war der Fußweg zum Bahnhof in Burgholzhausen zwar teilweise malerisch aber auch zeitraubend. In unserer Freizeit fuhren wir öfter nach Bad Homburg, wo es direkt an der Promenade ein chinesisches Lokal gab, dass uns auch vom Ambiente her ansprach. Unsere Spaziergänge führten uns durch den Hardtwald und den Kurpark. Manchmal war auch der Köpperner Wald unser Ziel. Unsere Wohnung war soweit gestaltet, wie es uns möglich war. Die kleine im Wohnzimmer integrierte Küche war mit einem Vorhang abgetrennt, unser Balkon bepflanz und bot uns einen guten Ausblick gen Süden. Für eine Familiengründung war die Wohnung jedoch eindeutig zu klein und der Weg zur Arbeit und in die Stadt war uns auf die Dauer zu weit. Zumal der Winter Schnee bringen sollte.