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Dienstag, 29. Dezember 2020

MyLife 1982

 Hohe Zeit vor der hohen Hecke

Wir schmiedeten Hochzeitspläne, doch zunächst einmal stand mein Arbeitsbeginn beim Lang Verlag für mich im Vordergrund. In der Herstellungsabteilung war ich der Hahn im Korb, misstrauisch beäugt vom Chef. Ich hatte Kolleginnen aus der Pfalz ( Marianne St.), aus meiner Heimat Nordhessen (Eva E.) und aus Südhessen (Uschi S.). Letztere war meist als Teilzeitkraft tätig. Autorenbetreuer und im Endeffekt Verkäufer war Stefan K., dessen freundliche, bisweilen fast schleimig wirkende, Art mir wohl immer in Erinnerung bleiben wird. Er war Raucher und zumindest in der Firma Antialkoholiker. Insgesamt war ich froh, wieder zurück zu sein. Meine Hochzeitsplanungen waren schon bald Thema und die Begeisterung meiner Kolleginnen darüber hielt sich in Grenzen. Der Verlag zog im Laufe des Jahres um. "Hinter den Ulmen" im Stadtteil Eschersheim befand sich in einem rot gestrichenen Haus unser Domizil.   

Mit meinen Eltern gab es nach wie vor Auseinandersetzungen. Wir waren, um unsere Hochzeitsabsichten mitzuteilen, noch einmal zu Besuch. Mutter schrieb mir danach am 28.3.1982 u.a. das Folgende: "Dein Vater ist an einem Besuch mit deiner zukünftigen Frau nicht mehr interessiert. Du kannst natürlich gerne allein kommen.." Und weiter: "Du hast unsere Zusage, dass wir an der kirchlichen Trauung teilnehmen werden. Nach der Trauung fährt dein Vater sofort wieder nach Kassel zurück." Aus dem Besuch in Lemgo wurde zum Glück nichts. Stattdessen erhielt ich regelmäßige Nachrichten über den Zustand meines Bruders, der Anfang des Jahres zur Bundeswehr kam und wie er mir noch selbst schrieb, in Fuldatal stationiert war. Bei allem Hin und Her kannte ich die Gründe für die Ablehnung meiner Verlobten ziemlich genau. "Warum müsst ihr denn heiraten? Da nimmt man sich doch etwas Jüngeres." Das war Vaters Einstellung, der vermutlich an ein nettes junges Mädchen dachte, die man womöglich gut steuern konnte. An meinen Bedürfnissen ging das völlig vorbei. An eine Familiengründung dachte ich noch gar nicht, ich musste mich selbst erst mal in stabilere Zeiten begeben. Dazu kam, dass ich aufgrund meiner Erfahrungen in seiner Familie gar kein positives Bild von dieser Lebensform hatte. Ich war misstrauisch allen Oberflächlichkeiten gegenüber. Das spielte für meine Eltern keine Rolle, wussten sie doch von mir zeitweise nicht mehr, als das ich ein Mann mit Brille bin.

Im Februar verbrachte ich mit Ruth eine Woche in Neustift im Stubaital, wo ich erstmals auf Langlaufski wagte, ohne damit richtig zurecht zu kommen. Alle Arten von Gegenständen, die sich ohne meine Zutun bewegten resp. unter mir weg rutschten, waren mir suspekt. Im März fuhren wir an den Bodensee, hatten ein ganz nettes Hotel. Während tagsüber alles halbwegs in Ordnung war, litt ich  abends unter starken Angstzuständen. Es erinnerte mich an schwüle Frankfurter Sommertage, wo mein Kreislauf mich oft derart im Stich ließ, dass ich nervös wie ein Junkie auf Entzug durch die Straßen lief. Selbst vorbei fahrende Autos regten mich auf. Nichts war einfach, aber ich hielt stand. Je größer der Widerstand wurde. Auch mein Bruder Frank war wie ich als Soldat bei den Funkern und wie er mir schrieb, dauerte auch für ihn die Grundausbildung 1/4 Jahr. Bezüglich seiner Teilnahme an unserer Hochzeit äußerte er sich so, dass es für mich klar war, dass er nicht dabei sein wird. 

Im Verlag erfuhr ich dagegen durchaus mal positive Neuigkeiten. Ich bekam ein Einzelzimmer. Da ich mir eine Kaffeemaschine mitgebracht hatte, bekam ich stets auch Damenbesuch. 



Mein Arbeitsplatz noch ganz analog

Unser Büro war tatsächlich eine große Wohnung auf mehreren Ebenen. Die Herstellungsabteilung befand sich im ersten Stock. Es gab nur eine einzige Toilette für Frauen und Männer mit Ausblick auf die Straße. Das brachte mir bisweilen einige für mich aufschlussreiche Eindrücke, um die ich mich nicht gerissen habe. Die Abteilungsleitung war zunächst noch nicht geregelt, aber Marianne St. war die erste Anwärterin. Sie schien mir eine bisweilen zwiegespaltene Persönlichkeit zu haben. Während eines Mittagspaziergangs erzählte sie mir einiges über ihr seelisches Innenleben. Ich wusste nicht recht, was ich damit anfangen sollte, trat sie beruflich doch ganz anders auf. Mit unseren ausländischen Autoren konnte sie mittels ihres amerikanisch gefärbten Englisch gut kommunizieren und sie war erster Ansprechpartner unseres Chefs, für den der eigene Frauengeschmack wohl durchaus ein Einstellungskriterium war. Eva E., meine resolute Landsfrau, amüsierte sich sehr über mich, als ich Marianne einmal den Spitznamen "Schnuggl" verpasste. 

Unsere Hochzeitsvorbereitungen waren überschaubar. Ein Termin beim Standesamt musste gemacht werden. Mein "Freund" Jochen stand als Trauzeuge nicht zur Verfügung. Die ganze Sinkkastenclique inklusive Völkerchen sah ich nie wieder. Paradoxerweise stand uns nur Ruths Schwester als Trauzeugin zur Verfügung. Ausgerechnet die Frau, die gegen mich gesprochen hatte, weil sie befürchtete, dass mein Auftauchen die von ihr geplante Lebenspartnerschaft mit Ruth zerstören würde. An den Tagen vor unserer standesamtlichen Hochzeit waren wir beide sehr unsicher, jeder auf seine Weise. Dennoch tauchten am 14.5.1982 drei Personen vor dem Friedrichsdorfer Standesamt auf. "Meine" beiden Frauen ungewohnter Weise im Kleid, ich im blauen Anzug. Die Zeremonie war relativ kurz und schmerzlos. Mit dem neuen Familienstammbuch in der Hand stürmte ich aus dem Amt, fast hätte ich den Hochzeitskuss vergessen. Danach fuhren wir nach Bad Homburg zum Essen, was meiner Schwägerin nicht so gut bekam. Wir kehrten nach Burgholzhausen zurück, um unsere Sachen für Lemgo zu packen. Es gibt noch ein Foto, wo wir beide vor dem Haus standen. Die Hausgemeinschaft nahm auch von unserer Hochzeit wenig Kenntnis. Es herrschte, abgesehen von unseren direkten Nachbarn, eine unterkühlte Atmosphäre uns gegenüber. Man ließ uns es uns spüren, dass wir die einzigen Mieter waren und uns nicht an den anstehenden Arbeiten im Garten und der Hausordnung beteiligten. Dafür zahlten wir unserem Vermieter, einem Herrn Krause, unseren Obolus. Das rettete uns aber nicht, manchmal war es ein Spießrutenlauf, wenn die Herrschaften draußen zu Gange waren und wir das Haus verließen. Zum Glück war mittags an unserem Hochzeitstag niemand zugegen. Die Fahrt nach Lemgo konnte leichten Herzens beginnen.    

Die Zahl der Hochzeitsgäste war begrenzt auf Ruths Verwandtschaft mütterlicherseits. Mit mir und Ruth waren wir insgesamt etwa 16 Personen anwesend. Es störte insgesamt nicht, dass von meiner Seite niemand dabei war, für mich selbst war es ja auch leichter. Mit meinem Schwiegervater verstand ich mich gut. Er selbst war in Herten geboren und hatte vor dem Krieg bei seiner Mutter auf einem ostpreußischen Hof gearbeitet. Das Alleinsein kannte er gut, auch später Im Krieg in Russland war er oftmals auf sich selbst gestellt und auch schwer verwundet worden. Aufgrund der zeitlichen Wirren hatte er selbst erst spät eine Frau gefunden und die beiden hatten sich mit bloßen Händen und viel Arbeit Haus und Grund geschaffen. Er fragte mich auch später oft, wie es meiner Familie gehe. Am Vorabend der Hochzeit saßen wir im Wohnzimmer zusammen und er gab eine Runde Bärenfang nach der anderen aus, was ihm selbst am nächsten Tag nicht gut bekam, denn er trank für gewöhnlich nur wenig Alkohol. Auch ich war ein bisschen angeschossen, aber vielleicht ein bisschen routinierter und vor allem jünger. Mein Gewicht war immer noch so niedrig, dass meine Schwiegermutter mir die Hose meines Hochzeitsanzugs enger nähen musste. Diese Folge meines Israelaufenthalts vom letzten Jahr spürte ich immer noch.  Der Trauungsakt fand in der Kirche St. Johann statt. Das ist eine reformierte evangelische Kirche. Alles sah ein wenig schlicht aus und ich war nach wie vor nervös. Ich selbst war lutherisch getauft. das war aber kein Problem. Versehentlich hätte ich Ruth fast den Ring auf die falsche Hand gesteckt, aber es ging noch mal gut. Draußen versammelten sich alle zum gemeinsamen Foto und wir beide hatten einen Fototermin auf den Lemgoer Wallanlagen, wo schöne professionelle Bilder entstanden. Ruth trug ein in meinen Augen sehr schönes Hochzeitskleid an, nicht zu überkandidelt, aber doch sehr fraulich. Etwas Kopfschmuck, kein Schleier und vor allem keine Schleppe, so kamen ihre großen dunklen Augen auf den Bildern gut zur Geltung. Ich war ein stolzer Bräutigam. Das ich das in meinem 26. Lebensjahr schon geschafft hatte, machte mich auch ein bisschen stolz. Gefeiert wurde dann im Lemgoer Pulverturm, der damals noch ein Restaurant beherbergte. Der war fußläufig zu erreichen und ein Teil der ehemaligen Befestigungsanlagen der alten Hansestadt Lemgo. Es gab zunächst Kaffee, mein Schwager hielt eine kleine Rede und auf seine Frage, was ich meisten liebe, blieb mir nur eine Antwort: Ruth. Es folgte später das gemeinsame Essen. Da die meisten Hochzeitsgäste den Alkohol mieden, wurde es nicht sehr spät. War die Schlichtheit unserer reformierten Hochzeitskirche St. Johann schon etwas Neues für mich, so kannte ich es auch nicht, dass bei Feierlichkeiten Cola oder Limonade auf dem Tisch stand. Sinnigerweise trug auch meine Schwägerin an diesem unserem Tag eine Art Hochzeitskleid. Mit meinem Schwager fuhren wir dann in dem gemieteten Audi zum Haus meiner Schwiegereltern zurück. Wir übernachteten im eigens für uns frei geräumten Esszimmer des Hauses. In ihren Lebenserinnerungen schrieb meine Schwiegermutter später nur, dass unsere Hochzeit größer gewesen sei, als ihre eigene. Von meiner Verwandtschaft gab es eine Grußkarte von meinem Patenonkel Siegward Dreyer und seiner Frau. Die Stiefmutter meines Vaters sah die Sache allerdings anders. Als sie vom Fernbleiben meiner Eltern bei unserer Hochzeit erfuhr, fuhr sie zu meinen Eltern und nötigte meinen Vater, ein sechsteiliges Kaffeeservice einzupacken und als Hochzeitsgeschenk an uns abzuschicken. "Was macht ihr denn mit dem Jungen?" war ihre Frage an meine Eltern. "Oma" Paula war nicht meine richtige Oma, aber defacto war sie es. Sie schrieb auch immer wieder und sandte Fotos. Seit dem Tod meines Großvaters Kurt reiste sie oft und besuchte auch das Grab meines Onkels und Namensgebers Wolfgang Dreyer in Costermano am Gardasee. Dabei wurde sie zum Faktotum im Ort und lernte auch italienisch. Sie hatte auch Rudi Ullrich kennengelernt und sich lebhaft mit ihm ausgetauscht.  

Wir blieben noch am Tag danach in Lemgo und fuhren gemeinsam mit Schwager und dessen Freundin an die Weser zum Baden nach Borlefzen bei schönem Wetter. Nach Burgholzhausen ging es mitsamt Brautstrauß zurück, wo uns der Alltag schnell wieder hatte. Denn unsere "Flitterwochen" würden wir erst im September verleben. Mein Hochzeitsfotos waren in der Firma zur Ansicht bei meinen Kolleginnen begehrt. Allerdings begeisterte die vollendete Tatsache nicht jede, was ich merken konnte. Es war nicht das erste Mal, dass ich das Gefühl bekam, dass die Entscheidung für eine Frau gleichzeitig den Verlust vieler Möglichkeiten bedeutete. Aber wie hatte schon Rudi Ullrich immer gesagt "Safety First". Der Sommerurlaub führte uns in unserem ersten Jahr als Ehepaar nach Menorca. Am Abend vor dem Flug liefen wir beide etwas nervös durch die Anliegerstraßen unseres kleinen Wohngebiets in Burgholzhausen. Doch alles ging gut. Mit meiner Canonet-Kamera im Gepäck erreichten wir unser Hotel in der kleinen Ansiedlung Arenal d'en Castell. Es lag auf einer kleinen Anhöhe und war ein ziemlicher Betonklotz mit vier Sternen. Dennoch wurde der Urlaub ein ziemlicher Erfolg. Denn wir lernten drei weitere junge Paare kennen, mit denen wir unsere Zeit am Strand und abends an der Bar verbrachten. Ich verkostete gern meinen Gin Fizz und überhaupt der Likör ist eine Spezialität auf Menorca, wie wir in Mahon erfuhren. Mit einem Mietauto entdeckten wir die kleine Insel. Auch zu Fuß lohnte es sich mal in die Nachbarbucht  zu gehen, die Küstenlinie zu fotografieren oder aber in Fornells bei ziemlicher Menschenleere auf gutes Licht zu warten. Waren wir abends mal allein, so saßen wir in einer Bar außerhalb des Hotels, wo ich Ruths Erzählungen lauschte, während über unseren Köpfen die Fledermäuse durch die Nacht flogen.         

Unbeschwerte Tage also, die mit dem Rückflug und einem sehnsüchtigen Blick zurück auf die Umrisse der Insel endeten. Zwischenzeitlich war mein Bruder bei der Bundeswehr ausgemustert worden. Berichtete er mir noch im Februar über gute Schießergebnisse und darüber, dass er beim Marschieren keine Probleme hatte, so haben sich die damaligen Tendenzen wohl so verstärkt, dass die Ausmusterung notwendig wurde. Denn Frank schrieb mir damals bereits: " Sie (die Ausbilder) unterhalten sich öfters mit mir und sehen trotz meiner Empfindlichkeit auch gute Seiten." Ich hatte Mutter auf ihren Wunsch hin Hochzeitsfotos geschickt und in ihrem Antwortbrief hieß es zu Frank: "Dein Vater hat nun Mitte August Urlaub und ich glaube doch, dass wir euch dann mal besuchen. Frank ist schon zuhause, er wird am 31.7. entlassen. Soll aber eine Behandlung mitmachen, was die Bundeswehr bezahlen will." Im Nachsatz schreibt sie: "Wie ich erfuhr, bezahlt die Bundeswehr keine Behandlung, da die Mängel schon vorher bestanden." Man hätte Frank das Ganze ersparen können, denn schon der Versuch eine Ausbildung im VW-Werk Baunatal zu absolvieren, war gescheitert. Das alles war sehr bedauerlich für ihn, denn seine beruflichen Aussichten wären zunächst mal deutlich besser als meine eigenen gewesen, wenn er sie hätte nutzen können.

Wir hatten in diesem Jahr also schon einige Reisen gemacht, eine Busfahrt führte uns noch ins Elsass, wo wir Colmar besichtigten. Die tägliche Fahrt an die Arbeit jedoch war eher etwas nervend. Manchmal verpasste ich in Friedrichsdorf den Anschluss nach Burgholzhausen und ging den Weg zu Fuß. Insbesondere morgens und im Winter war der Fußweg zum Bahnhof in Burgholzhausen zwar teilweise malerisch aber auch zeitraubend. In unserer Freizeit fuhren wir öfter nach Bad Homburg, wo es direkt an der Promenade ein chinesisches Lokal gab, dass uns auch vom Ambiente her ansprach. Unsere Spaziergänge führten uns durch den Hardtwald und den Kurpark. Manchmal war auch der Köpperner Wald unser Ziel. Unsere Wohnung war soweit gestaltet, wie es uns möglich war. Die kleine im Wohnzimmer integrierte Küche war mit einem Vorhang abgetrennt, unser Balkon bepflanz und bot uns einen guten Ausblick gen Süden. Für eine Familiengründung war die Wohnung jedoch eindeutig zu klein und der Weg zur Arbeit und in die Stadt war uns auf die Dauer zu weit. Zumal der Winter Schnee bringen sollte.   


   

 

Montag, 14. Dezember 2020

MyLife 1981

Hva heter du? (Over the bridge and far away)

Das wusste ich zu Beginn des Jahres kaum noch. Ein bisschen Norwegisch hatte ich von unserem Weihnachtsurlaub mitgebracht. Wir hatten Bekannte von Astrid besucht und uns auch da wieder gut unterhalten. Gefühlsmäßig kam ich wohl ganz gut an. In Bergen besuchten wir an einem Tag die Bibliothek. Nun nahm mich der Alltag wieder in seinen Besitz. Astrid hatte schon seit einiger Zeit eine Bekanntschaft mit einem Iren geschlossen und zu dem zog sie mit samt ihrem großen Bett. Ihre übrige Möblierung blieb weitgehend in meiner Wohnung. Ich selbst schlief nun auf meiner braunen Cordcouch, dachte über die Dinge nach, die zu unserer Trennung geführt haben konnten. Einen  Streit bekam ich mit ihr bei einer Diskussion darüber, warum das deutsche Volk sich nicht gegen Hitler aufgelehnt hatte, das war eine Auswirkung ihres VHS-Kurses, der sie noch einmal richtig hoch brachte. Ich erlaubte es mir zu sagen, das ich das verstünde. Im Englischen meint "to understand" nicht nur, dass man etwas versteht, sondern dass man es akzeptiert. Mir erscheint es noch heute als sehr klar, dass ein breiter Widerstand gegen Hitler nach dessen Machtergreifung gar nicht mehr oder nur unter Einsatz von Leib und Leben möglich war. Die meisten Menschen sind aber nicht zum Revolutionär geboren, schon gar nicht in Deutschland. Darüber konnten wir uns einfach nicht einigen, obwohl der Umstand für mich auch nicht akzeptabel war. 

Meine Englandpläne nahm sie nun auch nicht mehr ernst, was in dem Satz gipfelte: "Für dich war es schon viel, von Kassel nach Frankfurt zu ziehen." Dabei hatte ich nach wie vor auch aufgrund ihrer Erzählungen den Plan, in England mindestens ein Semester als Auslandsstudium zu absolvieren. Die Möglichkeit dafür ein Stipendium auf Bafög-Basis zu bekommen, bestand. Unterlagen der Universitäten in Norwich und Exeter lagen mir vor. Das Studium in England folgte einem festen Plan, es war sozusagen verschult, was mir sehr entgegen kam. Astrid erzählte mir auch, dass man in England nur Lehrer werden kann, wenn man sich erst einmal vor einer Klasse bewährt hat. Auch das erschien mir weitaus besser als das deutsche Bildungssystem. An der Frankfurter Universität war ich als Student vollkommen frei. Zwar musste man eine bestimmte Anzahl Scheine machen, die konnte man unterschiedliche Art und Weise erwerben, aber es gab zum Beispiel keine Zwischenprüfung. Es bestand also keine Notwendigkeit, die Dinge in einer bestimmten Zeit zu erledigen. Bei den Scheinen genügte es manchmal schon, ein Seminar zu belegen und einfach nur anwesend zu sein. Was mir bei vielen Seminaren aufstieß war, dass sie in deutscher Sprache gehalten wurden. Wie sollte ich da meine Englischkenntnisse verbessern, wie die Mentalität aufsaugen. Für mich war es wichtig, Menschen in ihrer Sprache sprechen zu hören. In Grammatik war ich nie gut, dennoch sprach ich meistens intuitiv richtig. Den Kontakt zu native speakern hielt ich für unumgänglich. Selbstverständlich war das in Philosophie etwas anderes. Die Vorlesungen im Philosophicum in der Gräfstraße besuchte ich gern. Manche Sachen blieben mir ein Rätsel, vor allem der Herr Kant mit seiner "Kritik der reinen Vernunft" stand eigentlich auch später nur nutzlos in meinem Buchregal herum. Interessant dagegen die Nikomachische Ethik von Aristoteles, die mir vor Augen führte, wie stark der Einfluss des antiken Griechenlands auf unsere heutige Denkweise ist. Mit dieser praktischen Seite der Philosophie konnte ich viel anfangen. Auch Descartes, dessen Zitat "Cogito ergo sum" auch der Titel dieses Blogs ist, war mit vertraut. Den Schopenhauer hatte mir noch Dorle ans Herz gelegt (das Schopenhäuerchen). Aber was meine anglistischen Ambitionen anging, da hätte die Beziehung zu Astrid mir sehr geholfen. Möglicherweise hätten wir ja zusammen nach England gehen können, da stellte ich mir vieles leichter vor. Aber sie war nun einmal nicht mehr da. Und die Frankfurter Uni gefiel bis auf die Mensa immer weniger. Irgendwo war in mir immer noch der Wunsch wach, Astrid besser verstehen zu können. Sie hatte mir soviel von ihrem gemeinsamen Leben mit ihrem damaligen Freund Bill im Kibbuz Tel Josef erzählt, dass ich beschloss, mich der Zentralen Verwaltung für Volontäre in einem Kibbuz in Tel Aviv anzumelden.

Über meinen Aufenthalt dort habe ich bereits ausführlich geschrieben <a href='https://wolfgang-dreyer.blogspot.com/2012/11/israel.html'> .

Unter dem Label "Israel" findet sich alles, was es über den März 1981 zu berichten gibt. Meine Zeit in Israel brachte entscheidende Auswirkungen. Ich möchte aber hier durchaus andere Stimmen zitieren. Ich jedenfalls brauchte auch nach der Rückkehr in Deutschland eine längere Zeit, um vollständig gesund zu werden. Mein Gewichtsverlust war beträchtlich, um fast 10 kg war ich leichter. Und die Gewichtszunahme ließ auf sich warten. Astrid war so gut wie nie da. Nur zum Abholen von Sachen ließ sie sich blicken. Sie machte auch eine Prüfung in der Zeit und schrieb mir, als sie im Juni wieder in Israel war. Tatsächlich befand sie sich wieder In Tel Josef und traf dort noch Mädchen, die mit mir bekannt waren. Jane und Debbie warteten auf Post von mir, die ich nie schrieb. Sie wechselte dann in ein anderes Kibbuz in Hefzi Bah, schrieb aber, Das Tel Josef immer noch eine Art Zuhause in Israel für sie sei. Sie besuchte da auch immer noch andere Volontäre. Monty Python's als Vertreter des englischen Humors, das verband uns noch. Sie hatte von einem Volontär Cassetten bekommen. Mir gab Astrid noch den Tip, es mit Arbeit in einem Moschav zu versuchen, falls ich Geld bräuchte. Irgendwo geisterten Bilder von uns herum und mit verschiedenen Bekannten hatte ich noch Kontakt in einer Zeit in der ich mich längst neu orientiert hatte. Da ich Geld brauchte, arbeitete ich beim Kaufhaus M. Schneider, wo ich Besucher des Restaurants zählen musste. Mir blieb genügend Zeit, die Frankfurter Rundschau zu lesen.

Im Mai traf ich eine Frau, mit der ich einen schönen Abend in Sachsenhausen verbrachte. Dies hatte Folgen, wir verabredeten uns für einen Abend in meiner Wohnung, ich wollte kochen. Fabrizierte einen Nudelauflauf und lud auch meinen "Freund" Jochen dazu ein. Schließlich wollte ich eine zweite Meinung heraus kitzeln. Er sagte aber später nur: "Die will was von dir." So habe ich sogenannte Freunde immer kennengelernt. Meine neue Freundin imponierte mir dagegen sehr. Es fühlte sich so an, als würde man nach ewigem Waten im Sumpf plötzlich festen Boden unter den Füßen haben. Das Elternhaus von Ruth befand sich in Lemgo und sie wollte zu Pfingsten dorthin. Ich dagegen würde mich in Kassel absetzen lassen und zu meinen Eltern gehen. Einen Kontakt zwischen ihr und meinen Eltern fand nicht statt. Im weiteren Verlauf des Juni "musste" sie mit Mutter und Schwester nach Zermatt fahren, das war wohl schon vor meinem Erscheinen geplant. Sie schrieb mir, dass sie sich darauf freue, wieder nach Frankfurt zu kommen. Ich war hin und weg, vor allem entschlossen, es mit ihr zu versuchen. Doch noch immer schickte ich Astrid ihre Post nach, wenn welche kam und noch immer stand ihre Möblierung in meiner Wohnung.

Während Ruth in Zermatt urlaubte, fand ich eine Mitfahrgelegenheit nach Berlin mit einem jungen Studentenpaar. Dort wollte ich Steffen, einen Bekannten aus dem Kibbuz besuchen. Die Grenzkontrollen in Helmstedt waren schon ein wenig belastend. Man war froh, wenn West-Berlin erreicht war. Hier suchte ich Steffen in seiner Wohnung im Wedding auf und konnte dort auch übernachten. Für meine Verhältnisse war seine Wohnung ziemlich unordentlich und ein bisschen ein Kulturschock. Da Steffen anderes zu tun hatte, nutzte ich die Zeit für Erkundungen in Berlin. So besuchte ich die FU und wagte an einem Tag den Übergang nach Ost-Berlin. Über die Station Friedrichstraße gelangte ich nach mehreren Kontrollen in den Osten der Stadt. 25 DM waren in Ostmark einzutauschen. Anfangen konnte man damit nicht viel. Günstig waren vor allen Dingen Bücher. Da interessierte mich die Philosophie natürlich hauptsächlich. Auf der Straße "Unter den Linden" wurde ich gleich von zwei freundlichen Herren angesprochen, die von mir gern DM bekommen hätten im Tausch gegen ihre Ostmark. Ich lehnte trotz mehrerer Überredungsversuche ab, was vermutlich mein Glück war. Ich sah mir dann noch den Alexanderplatz an und fuhr auf den Fernsehturm hoch. 


Am Alexanderplatz gab es ein recht modern wirkendes Schnellrestaurant. Aber weder die Speisen noch das Bier reichten an die gewohnte Qualität im Westen heran. Ich fotografierte damals noch nicht all zu viel, aber vom Alex musste das natürlich sein. Letztlich war ich froh, als ich am Ende des Aufenthalts meine Fahrer wieder zur Rückreise traf.

Mittlerweile passierte auch bei meinen Eltern in Kassel etwas. Die Situation mit meinem Bruder Frank begann sich zu verschärfen. Im Juli wollten sie nach Mainz zu meiner Großmutter fahren, aber meinen Bruder Frank nicht mitnehmen. Ich sollte nun seine Aufsicht in Kassel übernehmen. Das bedeutete für mich, dass meine Eltern nicht den Wunsch verspürten, meine Wohnung zu sehen bzw. mich zu besuchen. Zusätzlich hätte ich die Kosten für die Zugfahrt nach Kassel zu tragen. Das kam für mich überhaupt nicht in Frage und ich verweigerte mich hier. Zu groß war bereits meine Distanz zum Elternhaus. Auch mit der Verwandtschaft in Mainz hatte ich keine Verbindung, man hatte bei der Familie Keßler nicht die Absicht, meine Selbstständigkeit wahrzunehmen. Mutter schrieb dazu später: "Ich möchte Dir nur deinen Brief beantworten. Frank wollte eben doch mit nach Mainz fahren. Wir hätten Dich sicher auf der Rückfahrt mal besucht, aber dein Vater fühlte sich bereits einige Tage vor der Mainzfahrt nicht wohl, sodass ich froh war, überhaupt fahren zu können." Alles nicht so schlimm, wenn Vater nicht immer auf der anderen Seite den starken Mann spielen würde. Mutter rief mich öfter von der Telefonzelle aus an, da Vater sich verweigerte, ein Telefon anzuschaffen. Das war ihm zu teuer, da er befürchtete, dass sie dann zu viel telefonieren würde. Er ließ sie lieber zur Zelle laufen, in deren Nähe sich ein Kiosk mit einer Räumlichkeit befand, in der einige Säufer herum hingen. Mutter hatte dann auch manchmal Kontakt. 

Bei mir lief sozusagen alles nach Plan. Ruth und ich, wir kamen uns näher, besuchten uns gegenseitig und letztlich öfter in ihrem Apartment in Frankfurt-Hausen. Sie gab mir ihr Auto und ich war der Fahrschüler. Ihr Auto, ein goldfarbener Ford Fiesta 1,0, war nicht leicht zu fahren. Die Schaltung sehr hakelig, oft stocherte man erst herum, bis sich der richtige Gang fand. Vor dem Anlassen musste der Choke gezogen werden. Manche Fahrt im Taunus endete in Feldwegen abschüssiger Art, wo ich das Anfahren und generell das Meistern schwieriger Situationen meistern musste. An die Ausflügelei musste ich mich gewöhnen. Ich kannte es von zuhause nicht, dass man einfach zum Spaß in eine fremde Gegend oder Stadt fuhr. Das gab es bei uns nicht. Und auch in Frankfurt fühlte ich mich immer in der Stadt am wohlsten. Als ich noch mit Kumpeln unterwegs war, fühlte ich stets eine gewisse Erleichterung, wenn wir von Fahrten übers Land wieder zurück in die Stadt kamen. Ich hatte mich dennoch als reiselustig bezeichnet, was in Bezug auf Reisen ins Ausland auch stimmte. Ruth war da ganz anders, schon früh automobil unterwegs. Aber auch mein übriges Leben würde sich ändern. Ich hatte unsere Bekanntschaft zum Anlass genommen, endlich ganz mit dem Rauchen aufzuhören. Zwar rauchte ich tagsüber wenig, dafür abends in der Kneipe um so mehr, sodass ein Kneipenbesuch auch manchmal fast eine ganze Packung Zigaretten bedeutete, die ich zum Schluss selbst drehte. Aber auch die Hygiene wurde anders, denn nun benutzte ich ein Deo. Vorher kam nur Wasser und Seife an mich heran. 

Ruth hatte eine gleichnamige Tante, deren Name sie trug. Diese war kurze Zeit nach unserem Kennenlernen an Krebs verstorben. Ruth hatte mir schon von ihr erzählt, sodass ich ein bisschen überrascht war, dass die Nachricht sie doch mehr traf, als ich vermutet hätte. Im Sommer unternahmen wir, nun gemeinsam, unsere erste Fahrt nach Lemgo zu ihren Eltern. Ein Zwischenstopp war in Kassel bei meinen Eltern vorgesehen. Wir hätten dort in der elterlichen Mietwohnung nicht übernachten können. Es war also sinnvoll, so zu planen. Als wir die Treppen in unserem Mietshaus hoch gingen und sich die Wohnungstür öffnete, streckte wie üblich meine Mutter verlegen lachend den Kopf hinaus. Als sie Ruth sah, murmelte sie nur "Das wird schwer." Ruth hat das wohl nicht gehört, es wäre bereits der erste Affront gewesen. Das weitere Prozedere war so wie immer. Vater saß auf einem Stuhl im Wohnzimmer, beide Eltern rauchten, entsprechend roch es verräuchert in der ganzen Wohnung. Meinen Bruder bekam ich nicht zu Gesicht. Aufgrund seiner Behinderung war er eigentlich mittlerweile die Hauptperson in der Familie. Mein Werdegang interessierte da weniger. Im Vorjahr erst hatte ich eine Augen-OP hinter mich gebracht, mit der mein Schielen korrigiert wurde. Das war im Bürgerhospital in Frankfurt geschehen, ohne dass ich da eine Anteilnahme erfahren hätte. Das Ganze hätte längst noch im Kindesalter passieren können und müssen, mein Schielen störte meine Eltern nicht. Unsere "Gespräche" wurden stets von Vater gesteuert. Meist forderte er mich auf, etwas aus meinem Leben zu erzählen. Wenn ich dann anfing und ich hatte viel zu erzählen, wollte natürlich auch mit dem ein oder anderen Erfolg glänzen, winkte er meist ab oder relativierte manchmal mit dem Ausspruch "Jo, nu". Schnalle waren das meist Erzählungen über Frank das Hauptthema. Was Ruth besonders irritierte, das war das gegenseitige Übereinander-Reden als "Dein Vater" oder "Deine Mutter" in der Gegenwart der jeweiligen Person. Sie bemerkte von Anfang an meine Verhaltensänderung, mein angespanntes Reden und meine Körperhaltung. Es war klar, ich wollte keinen Konflikt, eigentlich nur aus der Nummer raus. Mutter war keine Hilfe, stets stimmte sie Ihrem Mann zu. Sicher merkte auch sie meine Spannung, aber aus einem gelegentlichen Lachen kam nichts von ihr. "Das kann möglich sein." Das war so eine Art Zustimmung von ihrer Seite. Nach einer halben Stunde war die Situation perdu. Obwohl ich mich mit meinem Vater nicht gestritten hatte, reichten die Eindrücke für Ruth. Sie verließ uns und wollte in ihrem Auto auf mich warten. Ich musste mich nun entscheiden und das fiel mir auf der einen Seite schwer, war auf der anderen Seite leicht. So fuhren wir weiter nach Lemgo. Hier lernte ich die Schwiegereltern und meinen Schwager kennen. Sie wohnten in einem Jahrhunderte alten Fachwerkhaus. In Ruths ehemaligen Zimmer konnten wir übernachten. Hier fühlte ich mich wieder als Mensch. Meine studentische Art kam irgendwie gut an. Erste Fotos von der Lemgoer Altstadt entstanden mit meiner Canonet 28, die ich im Frankfurter Bahnhofsviertel in einem Fotoladen gekauft hatte. Wenigstens in ihrem Elternhaus hatten wir Unterstützung. Denn Ruth hatte eine Schwester, die fleißig gegen unsere Beziehung intervenierte. Bei gemeinsamen Treffen mit ihr fanden teils heftige Dispute statt, einer davon ging um das Thema Autofahren. Für die beiden Schwestern war das essentiell, für mich ein ideologisches rotes Tuch. Ruth war dennoch entschlossen, mit mir zusammen zu bleiben, allerdings, ohne auf mich warten zu wollen, sollte ich in England ein Studium aufnehmen. Auch da entschied ich mich für Ruth. Ich verstand sie auch deshalb, weil ich selbst nicht auf Astrid warten wollte, sollte sie eventuell zu mir zurück kommen. Mit dem Studium in Frankfurt war ich ohnehin überfordert, nicht fachlich, aber mental. Und Ruth verdiente gutes Geld, aber von ihr abhängig sein wollte ich nicht. Bisher hatte ich von der Hand in den Mund gelebt, das musste sich ändern.     

So planten wir unsere erste gemeinsame Reise, die wieder nach Italien gehen sollte, dieses mal auf die schöne Insel Elba. Ich war nun Co-Fahrer. Im September ging es los. Ich sehe mich im Fiesta über das Frankfurter Kreuz Richtung Basel fahren, durch die Schweiz nach Mailand und dann an Genua vorbei in Richtung Toskana. Die Strecke für einen quasi Fahranfänger ein echter Ritterschlag, dunkle Tunnel wechselten sich mit hohen Brücken ab. Erst als wir die Ausläufer der Toskana erreichten, wurde es flacher und wir fuhren in Pietrasanta ab. In Marina du Pietrasanta kamen wir im Hotel Mistral unter. Das lag direkt an einer Durchgangsstraße und der Lärm der unaufhörlich fahrenden Mofas und Motorroller nervte mich. Immerhin, das Hotel hatte einen schönen Garten und der breite Sandstrand war fußläufig erreichbar. Wer italienische Badeorte kennt, der weiß, außer für Kinder ist hier nicht viel los, vor allem nicht zur damaligen Zeit. Die Hotels haben ihre eigenen Abschnitte am Strand und das haben wir genutzt. Keine Hektik wegen irgendeiner Reservierung von Liegen, Abends spazierten wir durch die Straßen des Ortes und gingen hier und da was trinken. Ein anscheinend sehr verliebtes, schon etwas älteres Paar fiel mir auf. War das mein zukünftiges Schicksal, immer mit ein und derselben Frau irgendwo herum zu sitzen und harmonisch auszusehen. Irgendwie schloss ich das für mich noch aus. Aber unser Abenteuer ging weiter, denn um nach Elba zu gelangen, mussten wir nach Piombino weiter reisen. Da wir nichts vorher gebucht hatten, kaufte ich die Tickets immer erst vor Ort. Die Fähre setzte uns dann nach Porto Azzuro auf der Insel Elba über. Unseren Aufenthalt verbrachten wir in Marina di Campo. Dort fanden wir eine kleine Ferienwohnung. Die Dusche im Badezimmer stand mitten im Raum. Wenn man duschte, war der komplette Boden nass, so etwas kannte ich noch nicht. Bald gab es auch unseren ersten Streit. Wir wollten Geld abheben und ich hatte meine EC-Karte in der Wohnung gelassen. Dennoch, wir fanden ein schönes, aus unserer Sicht typisches Lokal und bestellten uns Fisch. Was dann kam, war aber ein kompletter Fisch, meine Augen wurden groß. So etwas kannte ich auch noch nicht. Ein bisschen ängstigte mich das, aber nachdem der Kopf erst mal ab war, schaffte ich es doch ihn zu verzehren. Der örtliche Weißwein half dabei und wir tankten ganz schön davon. Die folgenden Tage verbrachten wir am Strand und hatten schnell ein ruhiges Plätzchen am felsigen Teil für uns entdeckt. Wir blieben eine Woche, fuhren auch mit dem Auto auf der ganzen Insel mit immer wieder schönen Ausblicken herum. Im Kassettendeck liefen die Boomtown Rats mit "I don't like Mondays" . Nach einer Woche war unser Urlaub beendet und wieder wollten wir uns ein Ticket für die Fähre nach Piombino kaufen. Gesagt, getan. Als wir zu unserem Auto zurück kehrten, fanden wir die Fahrertür eingedrückt vor. Jemand war hinein gefahren und hatte sich aus dem Staub gemacht. Vermutlich hatte er hinter uns in der Schlange gestanden und da wir nicht im Auto waren und somit nicht aufrücken konnten, wollte er vermutlich in die Lücke vor uns fahren, dabei unseren kleinen Fiesta übersehend. Da das Auto noch fahrtüchtig war, die Tür zum Glück noch schloss, verzichteten wir auf die italienische Polizei. Wir fuhren nach der Überfahrt direkt zurück nach Frankfurt ohne eine Zwischenübernachtung. 

So einen ersten, schönen Urlaub musste man erst einmal gemacht haben. Viele schöne Dia-Fotos erinnern daran. Zunächst wollte ich nun für Klarheit in meiner Wohnung sorgen. Von Astrid wusste ich, dass sie am 21. August nach Frankfurt zurück fliegen wollte. Sie besuchte aber auch noch ihren ehemaligen Freund Bill in London, war also immer noch nicht da. Ruth und ich wollten nicht immer zwischen unseren Wohnungen hin und her pendeln. Wir suchten nach Wohnungen, doch es war nicht leicht in Frankfurt. Wir beiden "Eigeplackten" sprachen eben auch nicht den richtigen Dialekt. Außerdem waren wir nicht verheiratet. Die Frage nach eventuellen Kindern kam auch immer wieder. Es blieb uns also nichts übrig, als im Umland nach einer Wohnung zu suchen. In Friedberg vermittelte uns eine Maklerin eine Zweizimmerwohnung in Friedrichsdorf-Burgholzhausen. 

Mittlerweile war Astrid mit dem Schulbeginn auch wieder in Frankfurt aufgetaucht und ich bat sie zum Gespräch. Sie meinte, es sei gut, jemanden wie mich zu treffen, der so geblieben war wie vorher. Das konnte ich wohl als Kompliment auffassen. Ich sagte ihr, dass ich eine neue Freundin hätte und erzählte von unserem Urlaub. Sie fragte sehr interessiert nach, sie war ja Italienfan, hatte von Perugia und Assisi geschwärmt. Sie schien mir nicht enttäuscht zu sein. Als ich ihr aber sagte, dass sie ihre Habseligkeiten entfernen müsse, da auch ich ausziehe, wurde ihr wohl klar, es ist vorbei. Ich war eben doch nicht mehr derjenige, den sie kennengelernt hatte. Sie sollte den Schlüssel in der Wohnung hinterlegen, wenn sie ihre Sachen abgeholt hätte. Wir haben uns nicht mehr wieder gesehen, geschweige denn irgend etwas voneinander gehört.

Ich war erleichtert, die Angelegenheit, die es für mich nur noch war, hinter mir zu haben. Im November stand unser Umzug an. Das erste Mal, dass ich Frankfurt verließ. Ruth hatte die Möglichkeit, über ihren Arbeitgeber, die Börsen-Daten-Zentrale, einen VW-Bus auszuleihen. Wir leerten zunächst meine Wohnung und hatten eine volle Ladung in unserem Bus. Wir stellten das Auto über Nacht auf dem privaten Parkplatz vor ihrem Apartmenthaus in Frankfurt-Hausen ab. Leider hatte das Auto hintere Fenster, sodass man sehen konnte, was sich im Laderaum befand. Am nächsten Morgen fanden wir den Wagen mit eingeschlagener vorderer Seitenscheibe vor. Es fehlte meine komplette Stereoanlage samt Bandmaschine sowie ein Koffer mit persönlichen Dingen. Am meisten traf mich der Verlust meines aus Paris mitgebrachten Bérets und der Urkunde aus dem Krankenhaus, indem meine Daten als Säugling eingetragen waren. Es war, als solle mein bisheriges Leben ausgelöscht werden. Noch ärgerlicher ist das alles, wenn man weiß, dass diese Dinge dann irgendwann alle auf dem Müll landen, weil sie für andere Menschen völlig ohne Wert sind. Wir hatten einfach am Vortag nicht mehr die Kraft gehabt, noch raus zu fahren und alles in die neue Wohnung zu schleppen. Insofern mussten wir beide die Schuld auf uns nehmen. Es war ein Erfahrungswert, der mich in der Ansicht bestätigte, dass man in Frankfurt vorsichtig sein muss. 

Erstmals machten wir in Burgholzhausen die Bekanntschaft mit einer Eigentümergemeinschaft. Nur unsere Wohnung war vermietet. Die Vormieter waren gehörlos, sodass erst einmal die Klingel in Ordnung gebracht werden musste. Doch das sollte unser geringstes Problem sein. Unser Vermieter, ein Herr Krause war in Ordnung. Ich brauchte Geld, zwar verdiente Ruth gut und es hätte für uns beide gereicht, aber Abhängigkeit war meine Sache nicht. So kam ich auf die Idee bei meinem ehemaligen Arbeitgeber anzurufen und siehe da, eine Stelle als Buchhersteller war wieder frei ab dem 1.2.1982. Herr J. war auch bereit , mich wieder einzustellen.  Noch im November verlobten wir uns. In einem Brief wünschte Mutter mir Glück und ließ "meine Braut" grüßen. Derweil richteten wir uns so gut ein, wie es ging, lernten unsere neue Umgebung kennen. Doch Weihnachten verbrachten wir erstmals in Lemgo bei meinen Schwiegereltern und dem Schwager. Ein Weihnachten ohne Alkoholexzess meiner Mutter, ohne gegenseitige Attacken oder Spitzen zwischen Vater und mir und ohne Probleme des Bruders. Friedlich eben, das war mich das größte Geschenk neben anderen.