Montag, 7. Dezember 2020

Ohne Ende

 Die Regierenden lügen uns weiter an. Galt zu Beginn der Corona-Epidemie noch eine R-Zahl, die unter 1 bleiben sollte, so werden wir jetzt nur noch mit Infizierten-Zahlen konfrontiert. Während die R-Zahl nicht mehr in den Medien ist, gibt es nun die sogenannte Inzidenzzahl. Die wird nun zusammen mit der Zahl der Todesfälle zur Grundlage für weitere Eingriffe in die Bürgerrechte genommen. Die Inzidenzzahl gibt an wieviel Menschen sich innerhalb einer gewissen Zeit in einem gewissen Gebiet infiziert haben. Infizierte sind jedoch keine Kranken. Die Zahl der Testungen hat erheblich zugenommen, so dass es klar ist, dass auch die Zahl der Infizierten steigt. Der Prozentsatz der positiv Getesteten liegt nun bei etwas über 9 Prozent, also ungefähr so wie zu Anfang der Epidemie. Die als Coronatote bezeichneten Fälle nehmen jedoch prozentual ab, was man nicht sieht, wenn man nur die absolute Zahl sieht. Waren wir zu Beginn der Epidemie bei ca. 4,5% so sind es jetzt laut RKI 1,6% (4.12.2020). Dazu kommt noch, dass bei den Coronatoten auch die Menschen mit gerechnet werden, die mit Corona, aber nicht an Corona gestorben sind. Diese Differenzierung wäre wichtig. Es bleibt das Fazit, dass überwiegend alte Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen in erster Linie gefährdet sind. Zudem bringt der jetzige Lockdown nichts, da die Schulen und Kitas offen bleiben und der Einzelhandel ebenso. Die Politiker tun außerdem so, als seien die Bürger an der Zunahme der Infektionen schuld. Dabei ist es klar, dass die Winterzeit die Hochzeit für alle möglichen Lungenkrankheiten ist und die Zunahme jahreszeitlich bedingt zu erwarten war.  Statt die Alten- und Pflegeheime mit Schutzausstattungen zu versehen und die Schulen endlich zu digitalisieren und mit Lüftungsvorrichtungen zu versehen, geschah hier zu wenig. Man nahm den alten Menschen die Freiheit zu entscheiden, ob sie geschützt werden wollen oder nicht. Im Krankenhaus starben Menschen, ohne ihre Liebsten noch einmal zu sehen. Die Schäden existenzieller Art für viele Branchen werden noch zu Tage treten, die Kosten der Maßnahmen auf den sogenannten "kleinen Mann" abgewälzt werden, der jetzt noch nichts davon merkt. Personalmangel gibt es auch schon läner in Krankehäusern und Pflegheimen. Da nützen Beatmungsbetten wenig, auch das hat man schon gewusst. Menschen gehen aus Angst nicht mehr ins Krankenhaus oder zum Arzt, wie viele Tote wird das geben und wer zählt sie? Die Politik hält die Angst- und Panikmache über die Medien hoch, ohne vernünftig aufzuklären. Man präsentiert uns absolute Zahlen ohne Vergleichbarkeit. Man muss eben wissen, dass in Deutschland jeden Tag ca. 2200 Menschen, allein über 65, sterben. Auch ohne Covid-19 ist das so. Wir werden mit dem Virus leben müssen, der Lockdown light wird daran nichts ändern.


Mittwoch, 2. Dezember 2020

MyLife 1980

Am Ende steht der Anfang

Es musste sich etwas ändern. Die Arbeit beim Lang Verlag war nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Seit dem 1.7.1974 war ich in irgendeiner Mühle eingespannt und ich war nun ermutigt, meinen Plan, zu studieren, auch umzusetzen. Zunächst einmal bekam ich von meiner lieben Bundeswehr die Einberufung zu einer Wehrübung. Da ich Tauglichkeitsgrad 1 hatte, war das leider das leider absehbar. Wenn ich jetzt nicht verweigern würde, wäre ich tatsächlich dran. Also beschloss ich mithilfe eines Bekannten aus der Clique um Volker die Begründung für meine Wehrdienstverweigerung zu schreiben. Um studieren zu können, musste ich nun den Einkommensnachweis meines Vaters haben, damit ich Bafög bekommen könnte. Das war die Bedingung, um dem Arbeitsleben ein freundliches Goodbye zu hinterlassen. Mit Jochen, der immer wieder Bekanntschaften mit Frauen hatte, war ich öfter beisammen. Manchmal gingen wir im Malepartus in der Nähe von Jochens Wohnung in der Wittelsbacher Allee zusammen essen. 

Einen kleinen Rückgriff auf die vergangenen Jahre muss ich noch einmal nehmen. Es gab einige Erlebnisse, die ich nicht erwähnt habe. Ich erlebte ein Mädchen in Bremen, die mir zum Abschied mein Gesicht mit Vaseline einrieb. Eine andere, bei der ich übernachtete und die mir zum einen eine bedeutende Frage stellte und wo etwas Ungewöhnliches passierte. Ein Mädchen, was mich wohl gern geheiratet hätte und mit der ich zu einem Open-Air-Konzert reisen sollte, dazu kam es nicht. Einen schönen Abend in Würzburg bei einem Konzert mit Joan Baez. Eine rein platonische Verbindung, von der mir nur ein Zitat von Rabindranath Tagore geblieben ist. Nicht zu vergessen ist auch der gemeinsame Kinobesuch im Kino am Eschersheimer Turm. Auf dem Programm stand ein Softpornofilm, den ich mir mit einer Bekannten von Wolfgang R. angesehen habe. Nach dem Film gestand sie mir, dass sie geglaubt hatte, ich sei schwul. Ich sollte also umerzogen werden. Vermutlich war sie durch meine Bekanntschaft mit Wolfgang R. auf die  Idee  gekommen. Als sich nun heraus stellte, dass ich mit Frauen keine Schwierigkeiten hatte, flaute das Interesse schnell ab. Es war ein netter Kontakt, sonst nichts. Ich hatte selbst nicht den Wunsch, mich unbedingt mit einer „vorzeigbaren“ Frau zu präsentieren oder sie gar zu dominieren. Ich unterhielt mich gern mit Frauen, da ich Gespräche mit den Typen meiner Altersklasse als zu eindimensional empfand. Zu oft hatte ich gesehen, wie sie sich veränderten, wenn plötzlich eine Freundin im Schlepptau auftauchte. Da wurden sie langweilig, hatten keine Zeit mehr, waren abgelenkt, unter Kontrolle. Ich empfand mich weder als homo- noch als besonders heterosexuell, ich passte einfach in keine Schublade. Den Vogel schoss ich im Sinkkasten ab, als ich wieder mal mit einer Freundin eines Bekannten sprach und dabei äußerte, dass eine Beziehung ja auch ohne Sex möglich sei bzw. der Sex nicht die Hauptsache sei. Die Augen der Hübschen wurden immer größer. Mein Interesse galt im Grunde  mehr den Frauen, die nicht so sehr im Blickpunkt der Begierde vieler Männer standen. Im Sinkkasten tauchte die Begleiterin eines aus dem Kreis um Volker bekannten auf. Lucie war ihr Name, wir unterhielten uns seht gut und eines schönen Tages im Sommer lagen wir im Sommer auf einer Parkbank und es wurde intim. Sie zog sich nach einiger Zeit plötzlich zurück und rief „Scheiße“, was wohl ein Ausdruck des Bedauerns sein sollte. Näher kamen wir uns nie mehr, ohne dass ich wusste, warum. Möglicherweise war sie nicht von Anfang an eine Frau. Soweit die Erfahrungen mit der anderen Feldpostnummer bis zu diesem Jahr. 

Jochen hatte derweil immer mal wieder Kontakte mit englischen Mädchen. Sie waren offensichtlich mit seiner oberflächlichen Art zufrieden. Was sie von ihm wollten, war mir nicht klar. Denn wirklich bindungsfähig war er genauso wenig wie ich. Auch mit seinem Elternhaus schien er nicht die besten Beziehungen zu haben. Letztendlich landete er bei einer Nici, mit der er auch in Urlaub fuhr. Ab und zu war ich auch mit von der Partie.

Doch zunächst schrieb ich am 6. März 1980 die Begründung für meine Wehrdienstverweigerung. Ich stellte dabei auch auf meinen Schießunfall auf dem Truppenübungsplatz in Schwarzenborn ab, bei dem ich fast einen Menschen erschossen habe. Und natürlich ist es keine Ideologie wert, dass ein Mensch dafür getötet wird. Ich hatte zwei Verhandlungen zu überstehen, eine bei der Wehrbereichsverwaltung IV in Wiesbaden und eine in Eschborn. Bei der ersten Verhandlung wurde ich abgelehnt. Ein Mitglied aus der Prüfungskommission kam nach dem Ende der Verhandlung auf mich zu und meinte, dass ich es noch einmal versuchen sollte, denn ich sei glaubhaft. Gesagt. getan und beim zweiten Mal hatte ich Erfolg. Die noch bei mir befindliche Ausrüstung hatte ich abzugeben und damit war meine soldatische "Karriere" endgültig beendet.     

Nachdem Vater endlich nachgegeben hat und ich Bafög beantragen konnte, war der Weg zum Studium frei. Zunächst kündigte ich beim Lang Verlag zum 31.5.1980. Mein Chef quittierte das mit den Worten: "Sie wollen also die Frankfurter Universität beglücken." Das klang nicht nach Begeisterung. Ich schrieb mich zum Sommersemester 1980 an der Frankfurter Uni im Hauptfach Anglistik mit den Nebenfächern Amerikanistik und Philosophie ein. 


In meiner Wohnung stand nun auch wieder ein Zimmer leer, mein Marburger Student war bereits wieder ausgezogen und ich war wenig motiviert, wieder jemanden zu suchen. Ein kleines Abenteuer hatte ich zuvor noch zu bestehen. Mit zwei mir bekannten Mädchen machten wir uns auf eine Tramper-Tour Richtung Südfrankreich, doch wir kamen nur bis Appenweier. Danach nahm uns niemand mehr mit. Wir gingen dann zu Fuß in den Ort zum Bahnhof, die Bahnlinie war ja weithin zu sehen und wir fuhren nach Freiburg, wo wir in einer Pension ein Zimmer fanden. Allerdings taten wir so, als ob ich nur mit einem Mädchen dort übernachten wollte, das ging natürlich nicht gut. Unsere Dreisamkeit fiel der Wirtin unangenehm auf, was sie uns auch deutlich spüren ließ. So war eine weitere Übernachtung nicht möglich. Die Beiden wollten dann noch weiter reisen, ich dagegen hatte genug. Nach der Nacht mit zwei Mädchen im Zimmer war ich bedient und wollte nur nach hause. So kehrte ich nach Frankfurt per Bahn allein zurück. Bald schon ergab sich wieder die Gelegenheit, eine Frau kennenzulernen. Jochen K. hatte Geburtstag und er lud mich in seine Heimat ein, wo wir unter freien Himmel mit vielen seiner Bekannten und uns "Frankfurtern" feierten. Dabei aus Frankfurt auch eine gewisse Astrid. Sie hatte wohl schon einige Male das Interesse geäußert, mich zu treffen und so war es für mich nicht schwer, mit ihr in Kontakt zu kommen. Wir entdeckten viele Gemeinsamkeiten, obwohl sie von ganz anderer Herkunft war als ich. Ihr Vater lebte in Bergen/Norwegen, die Mutter in Newcastle upon Tyne/England. Sie war für mich naturgemäß eine ganz interessante Person. Sie verkörperte durch aus eine englische Frau mädchenhaften Typs, sie war ein paar Jahre älter als ich und war immer gern dabei, wo was los war. Der norwegische Einfluss war allerdings nicht zu übersehen. Blondes Haar und ein schmale Figur, das Gesicht klar gezeichnet, vielleicht ein bisschen herb. Unsere ersten Unterhaltungen inspirierten mich, wie vorher nie gekannt. Sie bemerkte, dass die Mädchen in Nordhessen eine gesündere Gesichtsfarbe hätten als in Frankfurt. Damit hatte sie wohl recht. Von Anfang an waren die Gedanken da, sich näher zu kommen. So besuchte ich sie in ihrem Apartment, das sich direkt in Alt-Sachsenhausen befand. Draußen war bis spät in die Nacht der Lärm der betrunkenen Besucher des Viertels zu hören. Als wir uns zum ersten Mal richtig nahe kamen, bemerkte ich ihren Blick, mit dem sie mich musterte und wusste von da an, size matters. Wir trafen uns hauptsächlich bei ihr, denn sie verfügte über ein großes Bett, anders als ich. Dennoch wusste sie von meinem leer stehenden Zimmer und der Gedanke, sie könnte nicht nur meine Partnerin sein, sondern auch jemand, der meine Miete teilt, war mit nicht unangenehm. Sie hatte den Vorteil in einer ruhigeren Wohnung zu leben. Mein eigenes Zimmer hatte ich ja schon längst renoviert, mit Rauhfasertapete tapeziert und ockergelb gestrichen. Auch das kleinere Zimmer ließe sich noch auf Vordermann bringen. Also kam es dazu, dass sie bei mir einzog. Den Umzug erledigten wir gemeinsam. Ich hatte zwar seit meiner Führerscheinprüfung kein Steuer mehr angefasst, fuhr aber den kleinen Transporter durch die enge Gasse in Sachsenhausen. Astrid veränderte mein Leben in jeder Weise. Nicht nur, dass ich endlich eine eigene Partnerin hatte, ich war auch nicht mehr abhängig von meinen Kneipenkontakten. Die Besuche im Sinkkasten, der sich mittlerweile in der Brönnerstraße und somit nicht mehr in meiner Nähe befand, ließen nach. Die Toleranz meiner "Freunde" gegenüber meiner Freundin war nicht besonders ausgeprägt. Astrid liebte Betty Barclay-Kleider, ihr Weetabix und wir kochten nun auch ab und zu Curry-Gerichte. Sie war als Volontärin in einem israelischen Kibbuz gewesen und hatte dort mit ihrem englischen Freund Bill eine gute Zeit gehabt. So richtig schien sie mir noch nicht damit fertig zu sein, denn sie erzählte oft davon. International war sie auch gut vernetzt, hatte noch viele Bekannte.

Davon sollte ich profitieren. Astrid wollte ihre Freundin Trudy, eine ehemalige Arbeitskollegin, die regelmäßig Urlaub mit ihrem Mann auf Malta machte, in ihrem dortigen Hotel besuchen. Vorher wollte sie sich mit etlichen Bekannten in Neapel treffen. Und ich sollte auch dort hin kommen. Ich buchte also mein Bahnticket und fuhr mit dem Zug von Frankfurt nach Neapel. Ich hatte Glück, dass im Zug etliche Neapolitaner auf Heimreise saßen, die mir beim Umstieg in Rom halfen, den richtigen Zug nach Neapel zu finden. Am Bahnhof in Neapel erwartete mich die ganze Gruppe um Astrid. Das war schon ein sehr netter Empfang. Wir übernachteten in einem schönen Hotel in der Nähe des Bahnhofs. So hatte ich mir Neapel nicht vorgestellt. Schon die Zugfahrt dorthin war sehr schön gewesen mit vielen Ausblicken  von der Steilküste herunter. Die nächsten Tage verbrachten wir damit wir damit, Pompeji zu besuchen. Dort fuhr man mit einer Regionalbahn direkt hin. Ein weiterer Ausflug war die Schifffahrt nach Capri. Unser nächstes Ziel war dann Sirakus, denn von dort ging die Fähre nach Malta ab. Auf der Fahrt nach Messina, noch bevor wir die Fähre dorthin erreichten, saß uns eine ältere italienische Frau gegenüber und Astrid meinte: "Pet, sie hat die dir die ganze Zeit auf deine Beine geschaut." Wir waren natürlich mit kurzen Hosen sommerlich unterwegs. Und das war ihr Humor. In Sirakus übernachteten wir auf einem Campingplatz und ich hatte vorbereiteter weise ein kleines Zweimannzelt dabei, leider ohne Heringe, die ich vergessen hatte. Nun war mein Ruf als ordentlicher Deutscher endgültig dahin. Wir hängten das Zelt dann irgendwie an den Bäumen auf. Die Nacht überstanden wir so, am nächsten Tag sollte die Fähre abgehen, doch daraus wurde nichts. Sie war nicht fahrtüchtig wegen eines Motorschadens. Ein Ingenieur aus Deutschland sollte kommen, um es zu richten. Das dauerte den ganzen Tag. Vor dem Schiff sammelte sich ein große Menschenmenge an, hauptsächlich natürlich Italiener. Als es dann gegen Abend los ging und die Passagiere einsteigen durften, war das Gedrängel groß. Es spielten sich dramatische Szenen ab, jeder versuchte zu beweisen, dass er nun zuerst an Bord müsse. Dadurch dauerte alles noch länger. Die Überfahrt nach Malta fand dann in der Dunkelheit statt, wir übernachteten an Deck des Schiffes und fuhren so am frühen Morgen in La Valletta ein. Vom Hafen stiegen wir in die Altstadt hinauf. Hinter uns die Italiener, Astrid meinte, die Malteser würden schon über die laute Menge stöhnen. Geplant waren dann ein paar Tage Urlaub im Ramla Bay Hotel, wo Trudy mit ihrem Mann uns treffen würde. Wir übernachteten im Hotel mit dem sehr schönen Poolbereich. Die übrige Gruppe zeltete außerhalb. Nach einigen Tagen flogen Astrid und ich zurück nach Frankfurt. Sie hatte eine Arbeit als Lehrerin bei der Frankfurt International School in Oberursel. 

Es kam nun der Tag, an dem wir beide nach Kassel fuhren, um meine Eltern zu besuchen. Immerhin konnte ich jetzt stolz eine Freundin präsentieren. Meine Mutter war sehr reserviert, Astrid versuchte ein bisschen Stimmung zu machen, ließ sich wenig beeindrucken. Verschiedene Bilder in der Wohnung meiner Eltern hätte sie gern umgehängt und das äußerte sie auch. Meinen Vater schien das zu belustigen, doch im nachhinein erfuhr ich, dass er sich im Grunde darüber geärgert hatte. Obwohl er sich um einen jovialen Anschein bemühte, war der Eindruck, den Astrid mit nahm sehr schlecht, vor allem für mich. Sie sagte einmal: "Es ist ein Wunder, dass du da so heraus gekommen ist."  Und das war sehr vielsagend. Sie meinte zudem, dass wir eigene Kinder eher nicht haben sollten. Wir müssten an unsere Verhältnisse zuhause denken, das war der sinngemäße Inhalt. 

Auch über Deutschland machte sie sich so ihre eigenen Gedanken. Sie meinte, die Deutschen seien ein aggressiv. Sie beobachtete, wie ein Autofahrer Gas gab, obwohl ich gerade die Straße überquerte. Im Herbstsemester besuchte sie einen Kurs bei der VHS, der sich mit der Geschichte des Dritten Reichs beschäftigte. 

Im November flogen wir nach London, um von da aus mit dem Schnellzug nach Newcastle upon Tyne weiterzufahren, wo ihre Mutter wohnte. Kaum angekommen, klopfte mir ein älterer Mann freundlich auf die Schulter und meinte, ich sei in Ordnung. Astrid hatte einen Bruder, der uns abholte und wir fuhren zu ihrer Mutter. Die Beziehung zur Familie ihrer Mutter erschien mir problematisch. Ihr Bruder war ein netter, unauffälliger Engländer. Trotzdem schien mir die Beziehung eher kühl zu sein. Die Mutter war eine Verehrerin von Helmut Schmidt. Ein Bild von ihm stand im Wohnzimmer. Ich fand das alles sehr spannend und konnte mir kaum vorstellen, warum ihre Meinung so schlecht war. Oberflächlich war die Atmosphäre ja insgesamt sehr freundlich. Mittlerweile kannte ich den nordenglischen Dialekt schon, der etwas härter klingt als das Cockney-Englisch der Londoner. Der Geordie Accent ist dafür für uns Deutsche besser zu verstehen. Ich verstand mich gut mit der Familie, aber Astrid neigte ganz deutlich ihrem Vater zu. Vermutlich machte sie ihre Mutter für die Trennung der Eltern verantwortlich. 

Norwegen schien ihr als Heimat näher zu liegen. Die Deutschen hatten im Zweiten Weltkrieg ganze Dörfer während ihres Rückzugs angezündet. Das beschäftigte sie wohl mehr als ihren Vater. Denn sie erzählte, dieser habe sie in Deutschland besucht und dabei auch eine Schifffahrt auf dem Rhein mitgemacht. Mit den Deutschen verständigte er sich gut und die Vergangenheit war wohl kein Thema für ihn. Er selbst war währen seiner Berufslaufbahn als Koch auf einer Fähre tätig gewesen. Sie verkehrte regelmäßig zwischen Bergen in Norwegen und Newcastle in England. Astrid hatte nun die Absicht, ihren Vater zu Weihnachten zu besuchen. Zuvor teilte sie mir allerdings mit, dass sie nicht mehr mit mir schlafen wollte. Wir wären also Freunde, mehr nicht, zumindest für einige Zeit. Das war eine schwierige Situation für mich. Vermutlich aus Mitleid wollte sie mich auf ihre Fahrt nach hause mitnehmen. Dazu fand ich keine wirkliche Alternative. Sollte ich allein zuhause bleiben? In einer Wohnung mit den Möbeln meiner Ex?

Es erreichte uns die Nachricht vom Tod John Lennons, der am 8. Dezember vor seinem Haus in New York erschossen wurde. Astrid betraf das mehr als mich. Ich nahm ihm immer noch übel, dass sich die Beatles aus meiner Sicht wegen ihm aufgelöst hatten. Dennoch, es war ein Schock.

So flogen wir also zusammen getrennt nach Oslo, um von dort aus den Zug nach Bergen zu nehmen. Die Fahrt durch die tief verschneiten norwegischen Wälder, die menschenleeren Gegenden und die seltenen einsamen Bahnhaltstellen, das alles sind Eindrücke, die man nicht vergisst und die eine Weihnachtliche Stimmung erzeugten. Alles lief wie im Film ab, ich lebte eigentlich nicht mehr in der realen Welt. In Bergen erreichten wir in den Mindeveien das väterliche Holzhaus. Außer dem Vater waren da noch seine Frau und dazugehörige Kinder, eine richtige Familie also. Wir übernachteten in getrennten Räumen, ich feierte mit den Jugendlichen. Es gab für mich keinerlei Verständnisprobleme. Mit Englisch ging alles. Weihnachten wie in Deutschland, nur nicht in so trüber Stimmung.


Montag, 30. November 2020

Sarah

 Die Bosetti, Sarah ist keine Freundin von der Jana aus Kassel. Sie ist sogar richtig böse mit ihr, weil sie denkt, sie hat sie in die Fresse gehauen und nun schlägt sie zurück. Die Vergleiche der Corona-Maßnahmen unserer Regierung mit der Nazizeit sind natürlich Mumpitz. Aber das eigentlich Schlimme an diesen Vergleichen ist, wie sie zustande kommen. Da wird aus irgendwelchen Quellen, die man gegoogelt hat, irgendeine Schlussfolgerung gezogen, ohne dass man sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt. Diese Oberflächlichkeit ist ein Zeichen unserer Zeit. Oberflächlich ist es allerdings auch, alle Menschen die auf Querdenkerdemonstrationen mit gehen, als Idioten zu bezeichnen. Die Medien sind es, die immer wieder Menschen mit idiotischen Denkansätzen vor die Kamera ziehen und damit alle anderen diffamieren, die mit den dort geäußerten Thesen nichts am Hut haben. Irgendwo ist ja immer ein Körnchen Wahrheit drin. Eine offene Diskussion über Corona und die getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung findet bezeichnenderweise nur in einem mir bekannten Privatsender statt und das ist servus-tv. In allen anderen Medien gibt es keine Wissenschaftler, die sich gegen die Regierungsbeschlüsse äußern bzw. äußern dürfen. Sie werden erst gar nicht eingeladen. Öffentliche Personen, die sich regierungskritisch äußern, werden kalt gestellt. Deren Lebensleistung zählt nicht mehr, man hackt auf ihnen herum. Man mag es ja für unangemessen, sich gegen den Mainstream zu stellen, wo doch auch die Bevölkerung in Blitz-Umfragen so zufrieden mit der Regierung ist. Eine Demokratie muss aber auch abweichende Meinungen aushalten. Jeder, der in den asozialen Medien unterwegs ist, weiß zudem, dass die gute Kinderstube dort kein Zuhause hat. Das gilt sowohl für die Befürworter der Maßnahmen als auch für deren Gegner. Es ist ein Leichtes über eine Jana aus Kassel herzuziehen, ebenso leicht wie sich gegen die Querdenker zu stellen. Wir können uns auch über Trump amüsieren, all das ist nicht gefährlich. Wie sehe es aus, wenn man sich gegen den Extremismus religiöser Prägung stellen würde? Gäbe es da auch Liebesgedichte von Frau Bosetti?  Satire, denke ich darf überzeichnen, sie sollte aber da halt machen, wo Menschen Opfer ihrer eigenen Inkompetenz sind. Ansonsten macht man sich dem schuldig, was man den privaten Fernsehsendern vorwirft. Man zieht Menschen durch den sprichwörtlichen Kakao. 

Freitag, 20. November 2020

Sing ein Lied

 Ich sehe eine kleine, fast zierliche, Person. Sie ist gut angezogen, meine Schwiegermutter. Sie setzt sich neben mich. Die Figur wirkt nun etwas breiter, die Gesichtszüge bleiben aber deutlich erkennbar. Sie sagt: "Singe mir ein Weihnachtslied." Ich frage sie, warum ich ihr ein Weihnachtslied singen soll. Sie antwortet: "Weil doch bald Weihnachten ist."

Es herrscht ein großes Durcheinander. Viele Leute, jeder sollen etwas singen. Man fragt mich, was ich vortragen will. Ich entscheide mich für "Mmm mmm mmm mmm" von den Crashtest Dummies. Das sollte mir auch stimmlich liegen. Aber halt, da war doch dieser Text: 

Once there was this kid who

Got into an accident and couldn't come to school

But when he finally came back

His hair had turned from black into bright white

.. 

In Memoriam 25.7.2020

 

 

Donnerstag, 19. November 2020

MyLife 1978-1979

 Angestellt und umgezogen

Am 31, Januar 1978 endete meine Lehrzeit bei der Buchgroßhandlung Döll, um übergangslos in meine erste Anstellung überzugehen. Nun verdiente ich mein eigenes Geld, knapp 1100,- DM. Leider war es absehbar, dass meine berufliche Zukunft hier bald zu Ende sein würde. Die Angestelltenpositionen waren alle besetzt. Dass sich das ändert, war nicht zu erwarten. Einstweilen konnte ich unserem Lagerleiter zu arbeiten. Seine bisherige Unterstützung, sein Bruder bzw. Halbbruder, war mit Freundin nach Königstein im Taunus verzogen. Mein Chef, Herr Fuchslocher, war bereit, mir im Falle meiner Bewerbungen eine gute Empfehlung zu geben, die aufgrund meines guten Berufsschulabschlusses und meiner Leistungen in der Firma auch gerechtfertigt war. 

Vorsorglich hatte ich mich um einen Studienplatz im Studienfach Jura beworben und ihn aufgrund des schwachen Numerus Clausus auch in Münster bekommen. Doch noch immer stand mir mein Vater wegen des Einkommensnachweises im Wege. Ein Besuch bei der Berufsberatung des Arbeitsamtes hatte für mich die Empfehlung, Jura zu studieren, durchaus nahe gelegt. Allerdings wusste ich, nun da mein Mentor verstorben war, würde mich niemand finanziell stützen, wenn ich wegen eines Rechtsstreits mit meinem Vater zunächst einmal nicht an die erhoffte Bafög-Förderung käme Mund das noch in einer völlig fremden Stadt. Ich bewarb mich also parallel dazu bei allen Firmen, die etwas mit Buchgroßhandel oder Verlagswesen zu tun hatten. Gern wäre ich in meiner Heimatstadt Kassel geblieben, wenn etwa der Baerenreiter-Verlag mir eine Chance geboten hätte. Aber man wollte mich nicht, obwohl ein verantwortlicher Mitarbeiter des Verlags in der Berufsschule mein Fachkundelehrer gewesen war. So fuhr ich erst nach Hamburg zum Grossohaus Wegner. Hier erinnerte mich vieles an die Firma Döll, leider war auch die Bezahlung nur unwesentlich besser, sodass ich das schnell ausschloss. Die nächste Station war die Firma Köhler & Volkmar in Köln. Doch hier endete das Gespräch beim Personalchef mit dessen Frage: “Glauben Sie wirklich, dass die Neger alles so gut können wie wir?” Der aufmerksame Mann hatte das Thema meiner Hausarbeit “Die Emanzipation der Afroamerikaner durch ein sozialistisches System” im Abiturzeugnis entdeckt und somit war ich erledigt. Meine nächste Bewerbung erfolgte in Gütersloh bei der Vereinigten Verlagsauslieferung, kurz VVA genannt. Mein Kumpel Bernd O. erklärte sich bereit, mich zu fahren, danach wollten wir weiter nach Amsterdam. Bernd meinte noch, in Westfalen sei alles sehr steif. Ich wusste, was er darüber dachte. Westfalen war uns nahe und doch von der nordhessischen Mentalität sehr fern. Bei der VVA zeigte man mir die großen und modernen Lager. Das war eine andere Welt als die Berufswelt, die ich kannte. Die Bezahlung sollte auch stimmen und das Gespräch war, jedenfalls aus meiner Sicht, positiv. In Amsterdam waren wir mit einem gewissen Reinhold, der mit uns mitgefahren war. Wir wohnten in einem kleinen Etablissement an der Herengracht. Hier muss ich einen kleinen Rückgriff auf das Jahr 1976 nehmen, denn da waren wir schon einmal zusammen in Holland. Damals fuhren Gerhard T. mit und die damalige Freundin vom Bernd namens Kai. Wir zelteten auf einem Campingplatz auf der Halbinsel Vlissingen. Wir besuchten das Städtchen Middelburg und verbrachten schöne Tage am Strand. Kai machte mir ein großes Kompliment. Ich wurde immer so ruhig bleiben, das gefiele ihr. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich einer Freundin eines Kumpels gut verstand. Es wäre mir aber nie in den Sinn gekommen, jemandem die Freundin auszuspannen. Selbst als wir einmal bei ihr zuhause übernachteten und Bernd seltsamerweise nicht mit ihr zusammen schlief, blieb ich für mich allein.

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Kai und ich / Vlissingen 1976

Es war immer so, dass ich mich gern mit den Mädchen/Frauen unterhielt, ohne dass ich damit ein direktes Ziel verfolgte. Das ich eine vermisste Mutterliebe kaum von einer Frau ersetzt bekäme, merkte ich schon bald und ebenso die Tatsache, dass mögliche Freundinnen eher etwas von mir erwarteten. Genau davor scheute ich zurück. Erwartungen hatte schon meine Mutter an mich genug. Mir fehlte, obwohl wir uns oft ohne Worte verstanden, das Vorbild einer Frau, die sich um ihre Familie kümmerte. Ein positives Frauenbild sozusagen, dem allerdings auch mein eifersüchtiger Vater entgegen stand. Es kam vor, dass ich abends des Wohnzimmers verwiesen wurde, obwohl wir uns vorher gut unterhalten hatten, weil er mit seiner Frau allein sein wollte. 

Soweit die Rückbesinnung auf alte, schlechte, Zeiten. Als wir aus Amsterdam zurück kamen, wollte ich nun entscheiden, ob Gütersloh mir eine neue Heimat werden könnte. Von der Familie Mohn hatte man schon viel über soziale Wohltaten gelesen. Ich fühlte mich also durchaus ermutigt, bei der VVA mal nachzufragen, ob man mir beim Umzug von Kassel nach Gütersloh behilflich sein könnte. Daraufhin bekam ich auf meine Bewerbung eine Absage. Meine Tätigkeit bei Döll sollte aber doch noch von Vorteil für mich sein. Es hatte dort ein Fräulein Dröge gearbeitet, ich habe sie nicht mehr kennengelernt. Nun war sie bei der Buchhändlervereinigung in Frankfurt beschäftigt und man war dort wohl mit ihr zufrieden. Also bewarb ich mich dort und war nach dem Vorstellungsgespräch auch erfolgreich. Das Gehalt lag zwar weit unter 2000 DM, dafür aber auch weit über dem Döllschen Geld. 

Nun war ich in der Verlegenheit, mir in Frankfurt eine Bleibe suchen zu müssen. Zu oft konnte ich mir eine Zugfahrt dahin nicht leisten. Dennoch schlug mein erster Versuch fehl. Mir kam es zugute, dass der Halbbruder des Lagerleiters bei Döll mittlerweile mit seiner mir bekannten Freundin in Königstein im Taunus wohnte und ich somit für keine Übernachtung zu zahlen hatte. Noch einmal kaufte ich mir die Frankfurter Rundschau mitten in der Woche, dabei gab es die Immobilienanzeigen eigentlich in der Masse immer in der Ausgabe am Freitag nachmittags. Aber ich hatte Glück kund vor allem anscheinend keine Konkurrenz. Ich fuhr hin und besichtigte ein Apartment in der Schwalbacher Straße im Gallusviertel, wo ich gleich einen Mietvertrag ab 1.5.1978 unterschrieb. Die Entfernung zum Frankfurter Hauptbahnhof war nicht allzu weit und die Straßenbahnhaltestelle in der Nähe. Ein Lebensmittelmarkt befand sich im Haus. Als ich meinen Eltern erklärte, dass ich nach Frankfurt ziehe, wirkten sie jeder auf seine Weise, schockiert. Damit hatten sie nicht gerechnet, der Sohn nimmt sich das Beste und haut ab, so hieß es später.

Ausgerechnet Frankfurt, das war für Vater nicht leicht zu verdauen. Dabei hatte er meine Selbstständigkeit  im Grunde durch sein Verhalten befeuert. Mein behinderter Bruder blieb nun allein zurück, die Schwierigkeiten mit ihm sollten noch größer werden. Vater glaubte aber noch, ihn, seinen Sohn, hinzukriegen. Viel schwerer als der Abschied von meinen Eltern fiel mir der von meinen Kneipenleuten. Einer kannte sich aus, er wusste, dass Offenbach und Frankfurt irgendwo im Wald ineinander übergehen n und, viel wichtiger noch, er konnte einen alten Ford Transit besorgen, mit dem er mich nach Frankfurt fahren wollte. Ein Mädchen nimmt aus dem Kreis derer, die sich wie ich gern bei Thomas trafen, äußerte, sie verstünde, warum ich weg ginge. Dabei strickte sie. Sollte ich darüber nachdenken? Ein bisschen musste ich mich für meinen Umzug rechtfertigen. Aber alles war längst geplant. Mein möbliertes Zimmer gekündigt.

Die Buchhändlervereinigung hatte mir aufgrund des Umzugs gestattet, meine Arbeit erst am 8.5.1978 aufzunehmen. Am Sonntagmorgen davor waren meine Freunde da und luden die paar Habseligkeiten ein, die ich hatte, u.a. ein Kühlschrank und eine Luftmatratze, die ich von zuhause mit bekommen hatte. Ein paar Koffer mit Habseligkeiten und Kleidung, das war es. In Frankfurt kamen wir nach nicht allzu schneller Fahrt am frühen Nachmittag an, wo das Ausladen nicht viel Zeit in Anspruch nahm. Bleiben wollte allerdings keiner von meinen Kasselern. Ich war allein im Kamerun, so hieß das Gallusviertel damals. 

Anfangs hatte ich noch einiges zu tun, Ummeldung direkt bei mir in der Nähe, der Mainzer Landstraße und als ich an meiner Arbeitsstelle von meiner ärmlichen Möblierung berichtete, beschloss man, mir zu helfen. Der Hausmeister des Börsenvereins holte mir ein Stahlbett und einen Kleiderschrank, der allerdings nur eine Türe hatte, aus der Buchhändlerschule ab und brachte sie direkt zu mir. Die erste Nacht schlief ich ja noch auf meiner Luftmatratze, die allerdings die Luft verlor. Lediglich das Kopfteil war noch intakt. Mein Zimmer nahm nun etwas menschlichere Formen an. Meine Arbeit war es in der Redaktion des VLB (Verzeichnis Lieferbarer Bücher) die Meldeformulare der Verlage für die Erteilung der ISBN für die Datenerfassung vorzubereiten. Das VLB hatte ich schon bei Dölls zur Suche bestellter Bücher genutzt, der dicke Wälzer war damals ein Standardwerk aller Buchhändler, von dem es auch eine Microfich-Ausgabe gab. Das VLB-Team saß in einem Raum, den Vorsitz führte Elinor D., die uns rauchend überwachte. Mir gegenüber befand sich ein Hanauer Kollege namens Alfred Z., ein echt netter, langhaariger und bärtiger Typ, dessen Dialekt mir etwas Verständnisprobleme bereitete. Ich war es nicht gewohnt, stringent acht Stunden auf dem Hintern zu sitzen und immer die gleichen Vorgänge zu bearbeiten, das war mein größtes Problem. Die Kollegen und Kolleginnen waren nett. Wir nannten unsere Chefin Elli Pirelli. Das berühmte Fräulein Dröge bekam ich erst anlässlich eines Betriebsausfluges zu Gesicht. Für meine tägliche Verpflegung konnte ich in die Kantine des gegenüber liegenden Bundesrechnungshofes nutzen. Überhaupt arbeitete ich in einer prominenten Gegend: im Großen Hirschgraben, direkt neben dem Goethehaus und dem Frankfurter Volkstheater. 

Meine Lebensader war die Linie 14, die mich vom Gallus bis zum Hauptbahnhof brachte, wenn ich nach Kassel fahren wollte. Die Wochenenden im Sommer 1978 waren einsam und so manches mal war ich sehr depressiv. Trotz mancher nervlichen Schwierigkeiten lief ich abends manchmal die Mainzer Landstraße durch bis zu den Trümmern der Alten Oper in die Fressgasse hinein, wo sich der Club Voltaire befand. Hier trank man Flaschenbier und diskutierte politisch. Es war die hohe Zeit des KBW und der DKP. Anschluss fand ich keinen. Ich vermisste bald die gemütliche Atmosphäre der Kasseler Kneipen. Aber: gab es ein Zurück? Nicht wirklich, ich brauchte mein Geld und in Kassel war ich jetzt der “Frankfurter”. So titulierte mich eine alte Bekannte, die Jutta, die in Göttingen studierte. In Kassel schlief ich entweder bei Bernd O. oder bei Thomas. Meine Eltern sahen mich nur stundenweise. Überraschend erhielt ich eines Tages Besuch aus Kassel. Thomas war allein gekommen. Mein Apartment und das Gallusviertel müssen  so ernüchternd auf ihn gewirkt haben, dass er, bevor es zum geplanten Kneipenbesuch kam, zurück nach Kassel fuhr. Seine Freundin war erst gar nicht mitgekommen.

Das ließ mich doch einigermaßen geschockt zurück. Ich versuchte nun über verschiedene alternative Blätter  (az, Pflasterstrand) Bekanntschaften zu machen. Es kam dabei so eine Freizeitgruppe heraus, die sich ab und an traf, für längere Zeit blieb mir aber nur die Bekanntschaft mit Wolfgang R., einem Ulmer, der in einer Werbeagentur arbeitete. Er war deutlich älter, dass er auf Männer stand, störte mich nicht. Im Apartmenthaus sprach mich ein Mädchen an weil sie meine Musik gehört hatte. Man könnte doch mal zusammen Musik hören, meinte sie. Ich verfügte mittlerweile über einen Plattenspieler der Marke NAD und hörte meine Platten über eine eigene Anlage ab. Neben den mitgebrachten Platten hatte ich auch ein paar neue LPs gekauft, die Gruppe Lake zählte zu meinen Favoriten. Ich war immer wieder im Zweitausendeins-Laden in der Neuen Kräne, um etwas Günstiges abzustauben. Die Atmosphäre dort gefiel mir gut. Ich hatte auch meine Fühler ausgestreckt, um dort eventuell arbeiten zu können, aber eine richtig sichere Anstellung schien mir das doch nicht zu sein. Auch hatte ich den Sinkkasten kennen und schätzen verlernt. Hier konnte ich wie in der Hacienda allein auf die Tanzfläche gehen. Aber aus dem Gallus war das ohne Auto schwer zu erreichen. Zwischendurch hatte ich noch eine Frauenbekanntschaft. Bevor es jedoch zu näheren Intimitäten kam, wollte sie mich ihren Eltern vorstellen, das ließ ich lieber sein. Ich war nicht überzeugt davon, eine gute Partie zu sein. Auch das gemeinsame Musikhören fand nicht statt, wäre wohl mir zu einfach gewesen. Ich suchte zwar, aber im Endeffekt scheute ich gleichzeitig davor zurück.

Es gab ein Lied, was meine damalige Situation gut beschrieb: Garry Rafferty, Baker Street. Fast jeden Abend lief es im Sinkkasten und ich hatte die LP dazu. Eines Abends hatte ich ein Schwarzweißrotes Oberhemd beim Tanzen an und wurde von einem gewissen Volker angesprochen, ein Student aus Dieburg, dem ich wohl wegen der Farben meines Hemds aufgefallen war. Die Bedeutung dieser Farbe war mir nicht bewusst. Durch ihn lernte ich noch mehrere Leute kennen. Auch außerhalb der Kneipenszene war ich aktiv. Die Volkshochschule bot einen gemischten Kurs “Volleyballspielen” für Männer und Frauen an. Es wurde nicht nur gemeinsam gespielt, sondern auch geduscht. Heutzutage undenkbar.. Mich sprach schon bald jemand an, der mir die Empfehlung gab, ich solle es doch mal mit dem Joggen probieren. Meine Teilnahme an diesem Mannschaftssport war also nicht besonders erfolgreich. Bei dem Tippgeber handelte es sich um Jochen K.,, der aus der Bad Wildunger Ecke stammte. Er nahm mich ein paar mal zum Lauftreff des Vereins Spiridon im Frankfurter Stadtwald mit. Hier konnte man in Etappen das lange Laufen erlernen. Hatte ich zu Beginn noch Seitenstiche, so legte sich das bald. Ich stieg langsam in stärkere Gruppen auf. Ich kümmerte mich nun auch um eine richtige Wohnung. Ich fand eine Zwei-Zimmerwohnung in der Mainstraße direkt schräg gegenüber vom Sinkkasten. Da ich einen Berechtigungsschein bekommen konnte, war es mir möglich, diese Sozialwohnung anzumieten. Das Verwalter-Ehepaar war mir gegenüber sehr freundlich und hatte nichts gegen den langhaarigen jungen Mann. Sie handelten im Auftrag einer Stiftung, der etliche Häuser in der Mainstraße und auch “Hinter der Schönen Aussicht” gehörten. Die Bekanntschaft mit Jochen half mir insofern, als er ja Autofahrer war und mir beim Umzug vom Gallus in die Stadt behilflich sein konnte. Wir Nordhessen mussten ja zusammen halten.

Die neue Wohnung eröffnete mir ganz andere Möglichkeiten: Jochen traf ich meistens in Sachsenhausen in einem Pub, wo viele Engländer verkehrten. Volker wohnte in einer WG in der Darmstädter Landstraße. Durch ihn konnte ich einen großen Schreibtisch auf dem Frankfurter Flohmarkt am Mainufer nach hause bringen (auf dem Dach seines Käfers) und bald hatte ich auch ein braunes Cord Sofa. Die Einrichtung eines Zimmers war nun abgeschlossen. Das kleinere Zimmer stand allerdings leer. Wenn man in die Wohnung rein kam, ging es links in mein größeres Zimmer mit einer scheußlichen roten Mustertapete mit Blick in den Hinterhof. Rechts führte der Flur zunächst links zum kleineren Zimmer als Mittelpunkt der Wohnung mit Blick zum Gast- und Logiehaus Gassner. Dort gingen sehr viele  abgebrochene Gestalten ein und aus. Geradeaus ging es dann zum Bad mit Therme und rechts zur Wohnküche mit einem einfachen Spülbecken. Der Blick ging hier über die Mainstraße zu den gegenüberliegenden Häusern. Die Beheizung der Wohnung erfolgte über ein elektrisches Gebläse, dass unter der Decke im Flur montiert war und warme Luft durch Schächte in die einzelnen Zimmer blies. Die Wärme kam also von oben, was nicht schlimm war, da ich im ersten Stock wohnte. 

Der Winter 1978/79 war hart. Selbst in Frankfurt viel Glatteis und Schnee, ich fürchtete rum den Weg nach Hause, das war immer noch Kassel. Heiligabend blieb ich nicht lange bei den Eltern, übernachtete auswärts und hatte ein feuchtfröhliches Weihnachten bei Thomas. Das neue Jahr begann ebenso kalt wie das alte aufgehört hatte. Mein Weg zur Arbeit führte nun zu Fuß Sam Frankfurter Dom vorbei über den  Römer. Das war einst der Krönungsweg der deutschen Kaiser. An der Quelle saß der Knabe, so hieß es einstmals und das kam mir in der VLB-Redaktion zugute. Aus dem Adressbuch für den deutschen Buchhandel suchte ich mir die Adressen Frankfurter Verlage heraus und bewarb mich initiativ. Unter anderem hatte ich ein erfolgreiches Gespräch beim Verlag Peter Lang. Zum 1.4.1979 konnte ich dort die vakante Stelle eines Buchherstellers besetzen. Gehaltlich war ich nicht viel besser dran als bei der Buchhändlervereinigung, aber die Arbeit schien mir viel interessanter zu sein. Als Elinor D. von meiner Kündigung erfuhr, sagte sie, dass ich zu früh ginge. Mir blieben schöne Erinnerungen u.a. an einen sommerlichen Betriebsausflug, bei dem ich auch Fräulein Dröge kennen lernte. Ich begleitete sie mit meiner sehr netten Kollegin Anne Guckes auf dem Nachhauseweg. Beide Damen zogen sich kichernd für dringende Geschäfte ins Gebüsch zurück. Warum ich das nicht vergessen habe, ich weiß es nicht.

Mit der U-Bahn ging es nun zum Grüneburgweg und zu Fuß in die Wolfsgangstrasse, wo der Verlag in einem alten Bürgerhaus sein Büro hatte. Geschäftsführer und alleiniger Chef war Rainer J. , der gern den dominanten Patriarch spielte, der ab und zu seinen guten Seiten zeigte. Ich saß nun mit einem Fräulein Riebe zusammen. Sie hatte einen eigenen Humor. Einmal äußerte sie wolle mich zu sich nach Hause einladen, um mir ihren Papagei zu zeigen. Dabei lachte sie sich halbtot. Ich war also wieder einmal Zielscheibe weiblicher Ambitionen. Es war nicht so, dass ich in dieser Zeit keine Empfindungen für Frauen gehabt hätte. Das sexuelle Verlangen schlief nicht. Manches Mal stand ich abends hinter der Gardine und beobachtete im gegenüberliegenden Haus des Hinterhofs seltsame Vorgänge. Es sah so aus, als ob dort jemand in einem beleuchteten Raum auf einer Art Thron saß. Die Person war kostümiert und wurde von verschiedenen Gestalten umschwärmt. Gut möglich, dass ich mir einen Teil davon einbildete, Phantasievoll bin ich von Natur aus. Über die Zeitungen, die ich las, stieß ich auch auf Anzeigen von Mädchen, die eindeutige Polaroids von sich verschickten. Aber außer dem sexuellen Interesse hatte ich keines an Frauen. Ich fühlte, dass ich von meinen Eltern die jeweils besten Anteile in mir trug. Das Pflichtbewusstsein des Vaters, due Lebenslust der Mutter. Ich fühlte mich als androgyne Seele, die durch enge Kontakte nichts gewinnen konnte, eher Gefahr lief, das mühsam gehaltene innere Gleichgewicht zu verlieren. Nur die Einsamkeit trieb mich abends in den Sinkkasren und manchmal noch in andere Lokale wie das Mackie Messer oder wenn der Hunger kam, zum Kochersperger nach Sachsenhausen. Mit Alkohol konnte ich meine innere Unruhe beruhigen. Manche Verzweiflung ertrank im Bier an der Theke.

Die Geschäftsidee des Lang Verlags war es im Wesentlichen, den Druckzwang für Dissertationen auszunutzen und den Doktoranden die Abgabe einer großen Zahl von Pflichtexemplaren an die Universitätsbibliotheken zu ersparen. Erschien die Dissertation als Buch im Lang Verlag, so reduzierte sich die Zahl der Pflichtexemplare auf ein Zehntel. Der Doktorand hatte aber den Vorteil, dass sein Werk der Öffentlichkeit zugänglich war. Ein Lektorat gab es also nicht. Peter Lang war Schweizer, die Zentrale befand sich in Bern. Mit dieser Idee war er in einem alten Straßenkreuzer nach Frankfurt gefahren und hatte dort das Büro eröffnet. Neben der Herstellungsabteilung gab es die Autorenbetreuer, die Aufträge generierten und die Typoskripte an uns weiter gaben. Jeglicher Termindruck wurde an uns weiter gegeben. Die Druckvorlagen waren entweder druckfertig vom Autor geliefert oder mussten von uns entsprechend vorbereitet werden, meist am Leuchttisch mit Schere und Kleber. Teilweise wurden von externen Schreibbüros  Neuschriften angefertigt, die der Autor bezahlen musste. Die Aufträge wurden von uns erteilt und überwacht. Wir erteilten Druckaufträge und prüften fertige Vorabexemplare zur Druckfreigabe. Gedruckt wurde filmlos, sozusagen direkt von der belichteten Platte. Das ging bei den meist kleinen Auflagen. Was mich bei all dem Druck aufrecht erhielt, war das Miteinander in der Gruppe, ich war der Hahn im Korb, misstrauisch beäugt vom Chef. Solange ich meine Arbeit gut machte, gab es auch mal ein Lob, Fehler konnten aber schon mal in einer unangenehmen Unterhaltung enden. Die Arbeit war vielseitig und interessant, aber alles hat seine zwei Seiten. Ich kam manchmal zu spät, und fiel auch schon mal aus. „Was haben wir denn?“ war die Standardfrage von Frau Dr. Ott-Strueder. Sie saß rauchend an ihrem Schreibtisch und hatte die gelben Zettel bereits vor sich liegen. Die Diagnose lautete dann meistens auf "Vegetative Dystonie". Sie war eine der Frankfurter Ärzte, die einem weiter halfen. Erzählen musste man als Patient nicht viel. Tatsächlich hatte ich immer wieder Phasen, in denen bei mir nicht viel ging. Ich war schon immer ein Saisonarbeiter, mal lud ich mir viel auf, dann ging es mir zeitweise schlecht. 

Immerhin, ich lernte kochen. Im VHS-Kurs lernte ich viele Grundrezepte kennen, die mich mein Leben lang begleiten sollten. Einmal gelang mir im Kurs eine gute Salatsauce, die mir von eine der Frauen fast im Alleingang weg probiert wurde. Auch hier war ich einer der wenigen Männer. Hatte ich bisher hauptsächlich Baked Beans, Miracoli oder Risotto aus der Packung mit gebratenen Dosenchampignons und Hackfleisch genossen, so konnte ich mich nun dem Kochen diverser Eintöpfe sowie Aufläufe u.v.m. zu wenden, alles dank der Kursleiterin Frau Semmler, deren maschinengeschriebene Rezeptseiten mir nun gute Dienste leisteten. Ich hielt sie in einem separaten Ordner jahrzehntelang in Ehren.  

Zwischenzeitlich war bereits 1978 der Mann gestorben, dem ich so ähnlich sein sollte: mein Großvater Gerhard Keßler. 

                                                                      hier rechts neben mir 

Meine Eltern waren ohne mich zur Beerdigung nach Mainz gefahren, aber mit meinen Bruder Frank. Das bedeutete für mich, dass meine Eltern nicht den Wunsch verspürt hatten, meine Wohnung zu sehen bzw. mich zu besuchen. 

Mit solchen Kapriolen hatte ich immer wieder umzugehen. Die Missachtung, so wie ich es sah, meiner Existenz, die ich von den Menschen erfuhr, die mir am nächsten in meinem Leben standen, war eine Konstante meines Daseins, seit ich allein dafür verantwortlich war. Dennoch schlug ich mich ganz gut. Seit ich über ein zusätzliches Zimmer verfügte, kam mir der Gedanke dieses unterzuvermieten. Ich fragte bei der Verwalterfamilie nach und bekam die Erlaubnis. Mein erster Untermieter, Martin Tr., zog in das kleinere Zimmer ein. Er war Arztsohn aus gutem Haus, hatte natürlich eine deutlich jüngere Freundin und war, wie ich dann im Verlauf seines Wohnens merkte, Alkoholiker. Eines Tages saßen wir in meiner Wohnküche, so einen alten Küchenschrank, wie ich ihn damals hatte, wünsche ich mir heute noch, und tranken Apfelwein. Er soff mich glatt unter den Tisch und und ging dann noch auf die Walz. Ich war bedient. Ab und zu brachte er seine Freundin mit und es gab Tage, da hatten die beiden richtig Spaß miteinander, den ich mir anhören durfte. Da half mir auch meine Musik vom Tonband nichts. Die Ausdauer der Beiden war gewaltig und vermutlich durch Drogen gesteigert. Ansonsten war die Martin ein feiner Kerl, der auch auf gute Sachen stand. Einmal brachte er Schweinelende mit, die dann mit Knoblauch gebarten kredenzt wurde. Dennoch war ich froh, als das Intermezzo vorbei war. Seine nette Freundin hatte ein neues gemeinsames Liebesnest aufgetan. Der nächste Untermieter war etwas ruhiger, hatte natürlich auch eine nette Freundin, die natürlich auch bei ihm übernachtete. Eines Tages klingelte mein mittlerweile vorhandenes Telefon und ich rannte nackt in den Flur wo es stand. Da ging die Tür auf und ich wurde einer eingehenden Musterung unterzogen, die Freundin meines Untermieters fand gut, was sie sah. 

Mein neuer Freund Volker fand, dass es für mich an der Zeit war, eine Frau zu finden. Wir fuhren öfter nach dem Sinkkasten ins Mackie Messer. Eines Abends entdeckte er zwei Freundinnen, eine blond, due andere dunkelhaarig, und bat mich, sie anzusprechen. Da ich mich weigerte, zögerte er zunächst, ging dann aber doch hin. So ergaben sich zwei Bekanntschaften. Leonie war die Blonde, Dorle die dunkelhaarige Frau. Irgendwann landeten wir in der Wohnung von Leonie Sch. In Frankfurt-Hiechst. Während Volker mit Dorle in einem Bett landete, blieben Leonie und ich schön in getrennten Betten und Zimmern. Volker fragte mich am nächsten Tag nur, warum ich die Leonie allein hätte liegen lassen. Das wusste ich selbst nicht, ich war mir nie sicher und fürchtete immer, zurück gewiesen zu werden. Leonie war ganz stolz auf ihren Bruder, der bei der gerade gegründeten „Frankfurt City Blues Band“ spielte. Ein Frankfurter Mädchen eben, die sich nicht vorstellen konnte, wie es bei meinen Eltern zu ging. Die seien doch sicher ganz stolz auf ihren Bub. Dorle hingegen war deutlich offensiver gestrickt. Sie kam aus Zeilsheim, wo sich etliche Sinti- und Romafamilien sesshaft gemacht hatten. Sie war bereits Mutter eines kleinen Sohnes, dessen Vater nicht nur gekifft hatte, sondern der auch verschwunden war. Volker oder Völkerchen, wie sie ihn nannte, genoss die nächsten Monate eine gute Zeit, während aus mir und Leonie nichts wurde. Leonie besuchte mich sogar einmal überraschend in meiner Wohnung, da war mein anfänglicher Elan allerdings bereits dahin. Dorle kommentierte einmal: "Frauen sind blöd."



Während ich so abends an der Theke stand, meist nach den Auftritten der Bands, passierte manchmal doch etwas. Mal bekam ich einen Kuss von einem Mann mit dem Spruch "Das tut doch gut:" Ein anderes mal drängte sich Dorle an mich heran und schob ihr Bein zwischen meine. Es schien mir, als ob Völkerchen langsam aber sicher ein Auslaufmodell zu werden drohte. Er selbst war wohl auch nicht an einer längerfristigen Bindung interessiert. Völkerchen, das war ein genauso großer, aber kräftigerer Kerl wie ich, ebenso langhaarig und dazu noch bärtig. Wir beide, er mit seinem langen Ledermantel, ich mit Lederjacke und Beret (das hatte ich mir auf einer Busfahrt nach Paris gekauft, Reminiszenz an die Baskenmütze von Rudi Ullrich) hatten schon einmal unsere beiden Mädchen (Dorle und Leonie) vor zwei zudringlichen GIs in Schutz genommen. Sie zuckten sofort zurück, als sie uns beide zur Verabredung mit den beiden kommen sahen. Wenn sie gewusst hätten, dass insbesondere ich nicht so stark war, wie ich aussah. Jedenfalls war ich nun wohl das Ziel der Begierde und konnte dem Hundeblick von Dorle kaum wieder stehen. Ich fand sie sehr attraktiv, aber ich wusste auch, sie hatte Volker mir vorgezogen. Eines Tages übernachteten wir beide in Dorles Wohnung in Unterliederbach.
Dorle alberte morgens noch in Unterwäsche herum, sie hatte auch einen Kuchen gebacken. Als ich bemerkte, der sei "locker gebacken" kriegte sie sich kaum wieder ein. Volker verschwand dann, musste irgendwie weg. Vorher hatte mir Dorle noch meine Zukunft aus ihren Karten vorher gesagt. Ich müsse sehr viel schießen, so ihr Fazit. Volker übersetzte das ins Sexuelle. Auch ich verließ Dorles Wohnung schließlich, ohne dass wir uns näher gekommen. Es war eine merkwürdige, fast traurige Atmosphäre zwischen uns. Wir sollten uns nicht wiedersehen. Mir blieb nur ihre, auf einen Bierdeckel geschriebene, Adresse. 

Es gab noch mehr Kontakte zu Frauen, aus Kassel übernachtete einmal eine Bekannte, die ich aus der Siedlung Süsterfeld (nahe der elterlichen Wohnung in Helleböhn) kannte, bei mir. Für Volker war ich offensichtlich ein Rätsel. Er besuchte auch einmal in meiner Wohnung. Er sagte: " Du suchst nach Zusammenhängen." Das war mal nachts zu später Stunde. Ja, der Mensch sucht und findet manchmal welche, wo es keine gibt. In dieser Lebensphase war ich für Frauen schwer zu ertragen. Ich trug schwarze Hemden, hing anarchistischen Ideen an und war doch eigentlich konservativ. Mit Sponties hatte ich im Grunde nichts am Hut. Die verkehrten in der Batchkapp in Frankfurt-Eschersheim. Da war ich nur gelegentlich. Ich konnte mit meinen melancholischen Anfällen Mitleid bei Frauen erwecken, das wusste ich. Aber das war nur ein Spiel. Ich nahm Einflüsse auf, entwickelte mich. Durch Volker lernte ich die Musik von Jean-Luc Ponty kennen, auch Al Jarreau stand auf meinem Spielplan und natürlich Frank Zappa, der dabei war, kommerziell zu werden. Studentische Einflüsse, die für das nächste Jahr Wirkung zeigen sollten. 

Weihnachten 1979 konnte ich mich nicht entscheiden, nach Kassel zu den Eltern zu fahren. In Frankfurt fühlte ich mich mittlerweile heimischer. Ich machte einen innerlichen Kompromiss, ich würde am zweiten Feiertag, wenn alles nicht mehr so bedeutungsschwer ist, den Zug nehmen. Mittags kam ich an, Vater lag im Bett, was nach dem Mittagessen oft der Fall war, und stand nicht auf. Mutter saß achselzuckend im Wohnzimmer, meinte ich solle Geduld haben. Ich wartete auch einige Zeit, wollte nicht so schnell aufgeben. Aber innerlich war ich, wie so oft, wenn ich nach hause kam, sehr erregt. 
Mutter tat es leid, aber sie griff nicht ein. Eine Unterhaltung zwischen uns wäre jetzt Majestätsbeleidigung gewesen. Was genug war, war genug. Vater fasste es offensichtlich als Affront auf, dass ich erst am zweiten Weihnachtsfeiertag erschienen war. Ohnehin wäre für mich nichts mehr drin gewesen. Ich verließ die elterliche Wohnung und fuhr zum Bahnhof-Wilhelmshöhe, um den Zug nach Frankfurt zu nehmen, erleichtert letztendlich, darüber das die Scharade ein Ende hatte. 


















Donnerstag, 12. November 2020

Ghost

 Hast Du schon mal einen Besen in der Hand gehabt? An sich eine harmlose Frage, die ich aufgrund einer satirischen Bemerkung über Laubbläser plötzlich gestellt kriege. Ernster wird es schon, als ich meine Meinung zur großen Anti-Coronademonstration in Leipzig kundtue und am Anfang klar stelle, dass ich weder ein Coronaleugner, noch  Verschwörungstheoretiker oder Querdenker bin. Daraufhin belehrt mich ein User, das sei schon mal ein ganz schlechter Anfang und fragt, wer ich denn überhaupt sei und woher ich meine wissenschaftlichen Erkenntnisse nähme. Es folgen weiter im Thread pauschale Brandnarkungen der Demonstranten als Idioten und natürlich Schuldzuweisungen an die Polizei, die ja einfach mal die Kundgebung haette auflösen können. Der ganze Unsinn stand unter dem Banner der taz, die es ja seit Neuestem sowieso mit der Polizei hat. Überflüssig ist es, zu sagen, dass ich mit meinem Versuch, Verständnis für die Mehrzahl der friedlichen Demonstranten und ihre Gründe zu wecken, nicht beachtet wurde. 

So ist es dieser Tage und es erscheint überflüssig, die eigene Meinung überhaupt noch kundzutun, wo doch der Kabarettist Florian Schröder schon Leuten, die vom gesunden Menschenverstand reden, ein schlechtes Zeugnis ausstellte.

Da schreibe ich lieber weiter an meiner Biographie, habe aber leider keinen Ghostwriter, der verhindert, dass ich mich immer mehr in meinen Erinnerungen verheddere. Bin bis zum Jahr 1978 vorgedrungen, aber es ist kein Spaß, die Zeit war sehr ereignisreich. Als einzige Konstante in meinem Leben wird sich wohl die Unnachgiebigkeit meiner Zeitgenossen mit mir herausstellen. Ob zu recht oder nicht, das bleibt dem subjektiven Gedanken / Gedenken überlassen.



Mittwoch, 4. November 2020

Bunch of Loonies

 Nun lässt sich diese, unsere Bundesregierung, dazu herab, das Infektionsschutzgesetz rechtlich wasserdicht zu machen. Darüber soll im Bundestag am Freitag in erster Lesung beraten werden. Einmal also darf das Parlament mit reden. Ansonsten gilt es ohne zeitliche Begrenzung. Wann hat man so etwas in dieser Republik erlebt? Ein Großteil des Volks duckt sich unter der Panikmache der Medien und dem martialischen Auftreten unserer obersten Virenbekaempfer. Die Ministerpräsidenten der Bundesländer, der Bundesgesundheitsminister und unsere allerbeste Kanzlerin, die schaffen das. Diese “bunch of loonies” glauben, man könne ein Virus in den Griff kriegen. Tolle Maßnahmen wie das erfolglose Beherbungsverbot und nun die Schließung der Gastronomie sollen es bringen. Dabei ist eines klar: prozentual sind von den getesteten Menschen momentan weniger positiv als noch im März/April. Das liest sich in den Seiten des RKI. Man wird mit dem Virusleben müssen und wir haben jetzt eine jahreszeitlich bedingte Steigerung der Fallzahlen, die von selbst wieder sinken wird. Aber diese Tatsache passt nicht ins Bild, die Politik ist im Wahlkampfmodus und besonders die CDU braucht den vermeintlichen Erfolg in der Pandemiebekaempfung. Die Folgen der Corona-Maßnahmen werden noch bis zur Bundestagswahl mit Geld ausgeglichen, was der Staat nicht hat. Der Corona bewegte Bürger hat den Schuss großenteils noch nicht gehört. Denn es ist sein Geld und das der kommenden Generationen. Nach der Wahl wird uns die Politik gestehen, man habe es nicht besser gewusst und nun müsse der Gürtel enger geschnallt werden. Und wo schnallt es sich besser als da, wo er schon eng ist? Corona-Soli und Rentenkuerzung, ich höre dir trapsen.