Die Bosetti, Sarah ist keine Freundin von der Jana aus Kassel. Sie ist sogar richtig böse mit ihr, weil sie denkt, sie hat sie in die Fresse gehauen und nun schlägt sie zurück. Die Vergleiche der Corona-Maßnahmen unserer Regierung mit der Nazizeit sind natürlich Mumpitz. Aber das eigentlich Schlimme an diesen Vergleichen ist, wie sie zustande kommen. Da wird aus irgendwelchen Quellen, die man gegoogelt hat, irgendeine Schlussfolgerung gezogen, ohne dass man sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt. Diese Oberflächlichkeit ist ein Zeichen unserer Zeit. Oberflächlich ist es allerdings auch, alle Menschen die auf Querdenkerdemonstrationen mit gehen, als Idioten zu bezeichnen. Die Medien sind es, die immer wieder Menschen mit idiotischen Denkansätzen vor die Kamera ziehen und damit alle anderen diffamieren, die mit den dort geäußerten Thesen nichts am Hut haben. Irgendwo ist ja immer ein Körnchen Wahrheit drin. Eine offene Diskussion über Corona und die getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung findet bezeichnenderweise nur in einem mir bekannten Privatsender statt und das ist servus-tv. In allen anderen Medien gibt es keine Wissenschaftler, die sich gegen die Regierungsbeschlüsse äußern bzw. äußern dürfen. Sie werden erst gar nicht eingeladen. Öffentliche Personen, die sich regierungskritisch äußern, werden kalt gestellt. Deren Lebensleistung zählt nicht mehr, man hackt auf ihnen herum. Man mag es ja für unangemessen, sich gegen den Mainstream zu stellen, wo doch auch die Bevölkerung in Blitz-Umfragen so zufrieden mit der Regierung ist. Eine Demokratie muss aber auch abweichende Meinungen aushalten. Jeder, der in den asozialen Medien unterwegs ist, weiß zudem, dass die gute Kinderstube dort kein Zuhause hat. Das gilt sowohl für die Befürworter der Maßnahmen als auch für deren Gegner. Es ist ein Leichtes über eine Jana aus Kassel herzuziehen, ebenso leicht wie sich gegen die Querdenker zu stellen. Wir können uns auch über Trump amüsieren, all das ist nicht gefährlich. Wie sehe es aus, wenn man sich gegen den Extremismus religiöser Prägung stellen würde? Gäbe es da auch Liebesgedichte von Frau Bosetti? Satire, denke ich darf überzeichnen, sie sollte aber da halt machen, wo Menschen Opfer ihrer eigenen Inkompetenz sind. Ansonsten macht man sich dem schuldig, was man den privaten Fernsehsendern vorwirft. Man zieht Menschen durch den sprichwörtlichen Kakao.
Montag, 30. November 2020
Freitag, 20. November 2020
Sing ein Lied
Ich sehe eine kleine, fast zierliche, Person. Sie ist gut angezogen, meine Schwiegermutter. Sie setzt sich neben mich. Die Figur wirkt nun etwas breiter, die Gesichtszüge bleiben aber deutlich erkennbar. Sie sagt: "Singe mir ein Weihnachtslied." Ich frage sie, warum ich ihr ein Weihnachtslied singen soll. Sie antwortet: "Weil doch bald Weihnachten ist."
Es herrscht ein großes Durcheinander. Viele Leute, jeder sollen etwas singen. Man fragt mich, was ich vortragen will. Ich entscheide mich für "Mmm mmm mmm mmm" von den Crashtest Dummies. Das sollte mir auch stimmlich liegen. Aber halt, da war doch dieser Text:
Once there was this kid who
Got into an accident and couldn't come to school
But when he finally came back
His hair had turned from black into bright white
..
In Memoriam 25.7.2020
Donnerstag, 19. November 2020
MyLife 1978-1979
Angestellt und umgezogen
Am 31, Januar 1978 endete meine Lehrzeit bei der Buchgroßhandlung Döll, um übergangslos in meine erste Anstellung überzugehen. Nun verdiente ich mein eigenes Geld, knapp 1100,- DM. Leider war es absehbar, dass meine berufliche Zukunft hier bald zu Ende sein würde. Die Angestelltenpositionen waren alle besetzt. Dass sich das ändert, war nicht zu erwarten. Einstweilen konnte ich unserem Lagerleiter zu arbeiten. Seine bisherige Unterstützung, sein Bruder bzw. Halbbruder, war mit Freundin nach Königstein im Taunus verzogen. Mein Chef, Herr Fuchslocher, war bereit, mir im Falle meiner Bewerbungen eine gute Empfehlung zu geben, die aufgrund meines guten Berufsschulabschlusses und meiner Leistungen in der Firma auch gerechtfertigt war.
Vorsorglich hatte ich mich um einen Studienplatz im Studienfach Jura beworben und ihn aufgrund des schwachen Numerus Clausus auch in Münster bekommen. Doch noch immer stand mir mein Vater wegen des Einkommensnachweises im Wege. Ein Besuch bei der Berufsberatung des Arbeitsamtes hatte für mich die Empfehlung, Jura zu studieren, durchaus nahe gelegt. Allerdings wusste ich, nun da mein Mentor verstorben war, würde mich niemand finanziell stützen, wenn ich wegen eines Rechtsstreits mit meinem Vater zunächst einmal nicht an die erhoffte Bafög-Förderung käme Mund das noch in einer völlig fremden Stadt. Ich bewarb mich also parallel dazu bei allen Firmen, die etwas mit Buchgroßhandel oder Verlagswesen zu tun hatten. Gern wäre ich in meiner Heimatstadt Kassel geblieben, wenn etwa der Baerenreiter-Verlag mir eine Chance geboten hätte. Aber man wollte mich nicht, obwohl ein verantwortlicher Mitarbeiter des Verlags in der Berufsschule mein Fachkundelehrer gewesen war. So fuhr ich erst nach Hamburg zum Grossohaus Wegner. Hier erinnerte mich vieles an die Firma Döll, leider war auch die Bezahlung nur unwesentlich besser, sodass ich das schnell ausschloss. Die nächste Station war die Firma Köhler & Volkmar in Köln. Doch hier endete das Gespräch beim Personalchef mit dessen Frage: “Glauben Sie wirklich, dass die Neger alles so gut können wie wir?” Der aufmerksame Mann hatte das Thema meiner Hausarbeit “Die Emanzipation der Afroamerikaner durch ein sozialistisches System” im Abiturzeugnis entdeckt und somit war ich erledigt. Meine nächste Bewerbung erfolgte in Gütersloh bei der Vereinigten Verlagsauslieferung, kurz VVA genannt. Mein Kumpel Bernd O. erklärte sich bereit, mich zu fahren, danach wollten wir weiter nach Amsterdam. Bernd meinte noch, in Westfalen sei alles sehr steif. Ich wusste, was er darüber dachte. Westfalen war uns nahe und doch von der nordhessischen Mentalität sehr fern. Bei der VVA zeigte man mir die großen und modernen Lager. Das war eine andere Welt als die Berufswelt, die ich kannte. Die Bezahlung sollte auch stimmen und das Gespräch war, jedenfalls aus meiner Sicht, positiv. In Amsterdam waren wir mit einem gewissen Reinhold, der mit uns mitgefahren war. Wir wohnten in einem kleinen Etablissement an der Herengracht. Hier muss ich einen kleinen Rückgriff auf das Jahr 1976 nehmen, denn da waren wir schon einmal zusammen in Holland. Damals fuhren Gerhard T. mit und die damalige Freundin vom Bernd namens Kai. Wir zelteten auf einem Campingplatz auf der Halbinsel Vlissingen. Wir besuchten das Städtchen Middelburg und verbrachten schöne Tage am Strand. Kai machte mir ein großes Kompliment. Ich wurde immer so ruhig bleiben, das gefiele ihr. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich einer Freundin eines Kumpels gut verstand. Es wäre mir aber nie in den Sinn gekommen, jemandem die Freundin auszuspannen. Selbst als wir einmal bei ihr zuhause übernachteten und Bernd seltsamerweise nicht mit ihr zusammen schlief, blieb ich für mich allein.
Es war immer so, dass ich mich gern mit den Mädchen/Frauen unterhielt, ohne dass ich damit ein direktes Ziel verfolgte. Das ich eine vermisste Mutterliebe kaum von einer Frau ersetzt bekäme, merkte ich schon bald und ebenso die Tatsache, dass mögliche Freundinnen eher etwas von mir erwarteten. Genau davor scheute ich zurück. Erwartungen hatte schon meine Mutter an mich genug. Mir fehlte, obwohl wir uns oft ohne Worte verstanden, das Vorbild einer Frau, die sich um ihre Familie kümmerte. Ein positives Frauenbild sozusagen, dem allerdings auch mein eifersüchtiger Vater entgegen stand. Es kam vor, dass ich abends des Wohnzimmers verwiesen wurde, obwohl wir uns vorher gut unterhalten hatten, weil er mit seiner Frau allein sein wollte.
Soweit die Rückbesinnung auf alte, schlechte, Zeiten. Als wir aus Amsterdam zurück kamen, wollte ich nun entscheiden, ob Gütersloh mir eine neue Heimat werden könnte. Von der Familie Mohn hatte man schon viel über soziale Wohltaten gelesen. Ich fühlte mich also durchaus ermutigt, bei der VVA mal nachzufragen, ob man mir beim Umzug von Kassel nach Gütersloh behilflich sein könnte. Daraufhin bekam ich auf meine Bewerbung eine Absage. Meine Tätigkeit bei Döll sollte aber doch noch von Vorteil für mich sein. Es hatte dort ein Fräulein Dröge gearbeitet, ich habe sie nicht mehr kennengelernt. Nun war sie bei der Buchhändlervereinigung in Frankfurt beschäftigt und man war dort wohl mit ihr zufrieden. Also bewarb ich mich dort und war nach dem Vorstellungsgespräch auch erfolgreich. Das Gehalt lag zwar weit unter 2000 DM, dafür aber auch weit über dem Döllschen Geld.
Nun war ich in der Verlegenheit, mir in Frankfurt eine Bleibe suchen zu müssen. Zu oft konnte ich mir eine Zugfahrt dahin nicht leisten. Dennoch schlug mein erster Versuch fehl. Mir kam es zugute, dass der Halbbruder des Lagerleiters bei Döll mittlerweile mit seiner mir bekannten Freundin in Königstein im Taunus wohnte und ich somit für keine Übernachtung zu zahlen hatte. Noch einmal kaufte ich mir die Frankfurter Rundschau mitten in der Woche, dabei gab es die Immobilienanzeigen eigentlich in der Masse immer in der Ausgabe am Freitag nachmittags. Aber ich hatte Glück kund vor allem anscheinend keine Konkurrenz. Ich fuhr hin und besichtigte ein Apartment in der Schwalbacher Straße im Gallusviertel, wo ich gleich einen Mietvertrag ab 1.5.1978 unterschrieb. Die Entfernung zum Frankfurter Hauptbahnhof war nicht allzu weit und die Straßenbahnhaltestelle in der Nähe. Ein Lebensmittelmarkt befand sich im Haus. Als ich meinen Eltern erklärte, dass ich nach Frankfurt ziehe, wirkten sie jeder auf seine Weise, schockiert. Damit hatten sie nicht gerechnet, der Sohn nimmt sich das Beste und haut ab, so hieß es später.
Ausgerechnet Frankfurt, das war für Vater nicht leicht zu verdauen. Dabei hatte er meine Selbstständigkeit im Grunde durch sein Verhalten befeuert. Mein behinderter Bruder blieb nun allein zurück, die Schwierigkeiten mit ihm sollten noch größer werden. Vater glaubte aber noch, ihn, seinen Sohn, hinzukriegen. Viel schwerer als der Abschied von meinen Eltern fiel mir der von meinen Kneipenleuten. Einer kannte sich aus, er wusste, dass Offenbach und Frankfurt irgendwo im Wald ineinander übergehen n und, viel wichtiger noch, er konnte einen alten Ford Transit besorgen, mit dem er mich nach Frankfurt fahren wollte. Ein Mädchen nimmt aus dem Kreis derer, die sich wie ich gern bei Thomas trafen, äußerte, sie verstünde, warum ich weg ginge. Dabei strickte sie. Sollte ich darüber nachdenken? Ein bisschen musste ich mich für meinen Umzug rechtfertigen. Aber alles war längst geplant. Mein möbliertes Zimmer gekündigt.
Die Buchhändlervereinigung hatte mir aufgrund des Umzugs gestattet, meine Arbeit erst am 8.5.1978 aufzunehmen. Am Sonntagmorgen davor waren meine Freunde da und luden die paar Habseligkeiten ein, die ich hatte, u.a. ein Kühlschrank und eine Luftmatratze, die ich von zuhause mit bekommen hatte. Ein paar Koffer mit Habseligkeiten und Kleidung, das war es. In Frankfurt kamen wir nach nicht allzu schneller Fahrt am frühen Nachmittag an, wo das Ausladen nicht viel Zeit in Anspruch nahm. Bleiben wollte allerdings keiner von meinen Kasselern. Ich war allein im Kamerun, so hieß das Gallusviertel damals.
Anfangs hatte ich noch einiges zu tun, Ummeldung direkt bei mir in der Nähe, der Mainzer Landstraße und als ich an meiner Arbeitsstelle von meiner ärmlichen Möblierung berichtete, beschloss man, mir zu helfen. Der Hausmeister des Börsenvereins holte mir ein Stahlbett und einen Kleiderschrank, der allerdings nur eine Türe hatte, aus der Buchhändlerschule ab und brachte sie direkt zu mir. Die erste Nacht schlief ich ja noch auf meiner Luftmatratze, die allerdings die Luft verlor. Lediglich das Kopfteil war noch intakt. Mein Zimmer nahm nun etwas menschlichere Formen an. Meine Arbeit war es in der Redaktion des VLB (Verzeichnis Lieferbarer Bücher) die Meldeformulare der Verlage für die Erteilung der ISBN für die Datenerfassung vorzubereiten. Das VLB hatte ich schon bei Dölls zur Suche bestellter Bücher genutzt, der dicke Wälzer war damals ein Standardwerk aller Buchhändler, von dem es auch eine Microfich-Ausgabe gab. Das VLB-Team saß in einem Raum, den Vorsitz führte Elinor D., die uns rauchend überwachte. Mir gegenüber befand sich ein Hanauer Kollege namens Alfred Z., ein echt netter, langhaariger und bärtiger Typ, dessen Dialekt mir etwas Verständnisprobleme bereitete. Ich war es nicht gewohnt, stringent acht Stunden auf dem Hintern zu sitzen und immer die gleichen Vorgänge zu bearbeiten, das war mein größtes Problem. Die Kollegen und Kolleginnen waren nett. Wir nannten unsere Chefin Elli Pirelli. Das berühmte Fräulein Dröge bekam ich erst anlässlich eines Betriebsausfluges zu Gesicht. Für meine tägliche Verpflegung konnte ich in die Kantine des gegenüber liegenden Bundesrechnungshofes nutzen. Überhaupt arbeitete ich in einer prominenten Gegend: im Großen Hirschgraben, direkt neben dem Goethehaus und dem Frankfurter Volkstheater.
Meine Lebensader war die Linie 14, die mich vom Gallus bis zum Hauptbahnhof brachte, wenn ich nach Kassel fahren wollte. Die Wochenenden im Sommer 1978 waren einsam und so manches mal war ich sehr depressiv. Trotz mancher nervlichen Schwierigkeiten lief ich abends manchmal die Mainzer Landstraße durch bis zu den Trümmern der Alten Oper in die Fressgasse hinein, wo sich der Club Voltaire befand. Hier trank man Flaschenbier und diskutierte politisch. Es war die hohe Zeit des KBW und der DKP. Anschluss fand ich keinen. Ich vermisste bald die gemütliche Atmosphäre der Kasseler Kneipen. Aber: gab es ein Zurück? Nicht wirklich, ich brauchte mein Geld und in Kassel war ich jetzt der “Frankfurter”. So titulierte mich eine alte Bekannte, die Jutta, die in Göttingen studierte. In Kassel schlief ich entweder bei Bernd O. oder bei Thomas. Meine Eltern sahen mich nur stundenweise. Überraschend erhielt ich eines Tages Besuch aus Kassel. Thomas war allein gekommen. Mein Apartment und das Gallusviertel müssen so ernüchternd auf ihn gewirkt haben, dass er, bevor es zum geplanten Kneipenbesuch kam, zurück nach Kassel fuhr. Seine Freundin war erst gar nicht mitgekommen.
Das ließ mich doch einigermaßen geschockt zurück. Ich versuchte nun über verschiedene alternative Blätter (az, Pflasterstrand) Bekanntschaften zu machen. Es kam dabei so eine Freizeitgruppe heraus, die sich ab und an traf, für längere Zeit blieb mir aber nur die Bekanntschaft mit Wolfgang R., einem Ulmer, der in einer Werbeagentur arbeitete. Er war deutlich älter, dass er auf Männer stand, störte mich nicht. Im Apartmenthaus sprach mich ein Mädchen an weil sie meine Musik gehört hatte. Man könnte doch mal zusammen Musik hören, meinte sie. Ich verfügte mittlerweile über einen Plattenspieler der Marke NAD und hörte meine Platten über eine eigene Anlage ab. Neben den mitgebrachten Platten hatte ich auch ein paar neue LPs gekauft, die Gruppe Lake zählte zu meinen Favoriten. Ich war immer wieder im Zweitausendeins-Laden in der Neuen Kräne, um etwas Günstiges abzustauben. Die Atmosphäre dort gefiel mir gut. Ich hatte auch meine Fühler ausgestreckt, um dort eventuell arbeiten zu können, aber eine richtig sichere Anstellung schien mir das doch nicht zu sein. Auch hatte ich den Sinkkasten kennen und schätzen verlernt. Hier konnte ich wie in der Hacienda allein auf die Tanzfläche gehen. Aber aus dem Gallus war das ohne Auto schwer zu erreichen. Zwischendurch hatte ich noch eine Frauenbekanntschaft. Bevor es jedoch zu näheren Intimitäten kam, wollte sie mich ihren Eltern vorstellen, das ließ ich lieber sein. Ich war nicht überzeugt davon, eine gute Partie zu sein. Auch das gemeinsame Musikhören fand nicht statt, wäre wohl mir zu einfach gewesen. Ich suchte zwar, aber im Endeffekt scheute ich gleichzeitig davor zurück.
Es gab ein Lied, was meine damalige Situation gut beschrieb: Garry Rafferty, Baker Street. Fast jeden Abend lief es im Sinkkasten und ich hatte die LP dazu. Eines Abends hatte ich ein Schwarzweißrotes Oberhemd beim Tanzen an und wurde von einem gewissen Volker angesprochen, ein Student aus Dieburg, dem ich wohl wegen der Farben meines Hemds aufgefallen war. Die Bedeutung dieser Farbe war mir nicht bewusst. Durch ihn lernte ich noch mehrere Leute kennen. Auch außerhalb der Kneipenszene war ich aktiv. Die Volkshochschule bot einen gemischten Kurs “Volleyballspielen” für Männer und Frauen an. Es wurde nicht nur gemeinsam gespielt, sondern auch geduscht. Heutzutage undenkbar.. Mich sprach schon bald jemand an, der mir die Empfehlung gab, ich solle es doch mal mit dem Joggen probieren. Meine Teilnahme an diesem Mannschaftssport war also nicht besonders erfolgreich. Bei dem Tippgeber handelte es sich um Jochen K.,, der aus der Bad Wildunger Ecke stammte. Er nahm mich ein paar mal zum Lauftreff des Vereins Spiridon im Frankfurter Stadtwald mit. Hier konnte man in Etappen das lange Laufen erlernen. Hatte ich zu Beginn noch Seitenstiche, so legte sich das bald. Ich stieg langsam in stärkere Gruppen auf. Ich kümmerte mich nun auch um eine richtige Wohnung. Ich fand eine Zwei-Zimmerwohnung in der Mainstraße direkt schräg gegenüber vom Sinkkasten. Da ich einen Berechtigungsschein bekommen konnte, war es mir möglich, diese Sozialwohnung anzumieten. Das Verwalter-Ehepaar war mir gegenüber sehr freundlich und hatte nichts gegen den langhaarigen jungen Mann. Sie handelten im Auftrag einer Stiftung, der etliche Häuser in der Mainstraße und auch “Hinter der Schönen Aussicht” gehörten. Die Bekanntschaft mit Jochen half mir insofern, als er ja Autofahrer war und mir beim Umzug vom Gallus in die Stadt behilflich sein konnte. Wir Nordhessen mussten ja zusammen halten.
Die neue Wohnung eröffnete mir ganz andere Möglichkeiten: Jochen traf ich meistens in Sachsenhausen in einem Pub, wo viele Engländer verkehrten. Volker wohnte in einer WG in der Darmstädter Landstraße. Durch ihn konnte ich einen großen Schreibtisch auf dem Frankfurter Flohmarkt am Mainufer nach hause bringen (auf dem Dach seines Käfers) und bald hatte ich auch ein braunes Cord Sofa. Die Einrichtung eines Zimmers war nun abgeschlossen. Das kleinere Zimmer stand allerdings leer. Wenn man in die Wohnung rein kam, ging es links in mein größeres Zimmer mit einer scheußlichen roten Mustertapete mit Blick in den Hinterhof. Rechts führte der Flur zunächst links zum kleineren Zimmer als Mittelpunkt der Wohnung mit Blick zum Gast- und Logiehaus Gassner. Dort gingen sehr viele abgebrochene Gestalten ein und aus. Geradeaus ging es dann zum Bad mit Therme und rechts zur Wohnküche mit einem einfachen Spülbecken. Der Blick ging hier über die Mainstraße zu den gegenüberliegenden Häusern. Die Beheizung der Wohnung erfolgte über ein elektrisches Gebläse, dass unter der Decke im Flur montiert war und warme Luft durch Schächte in die einzelnen Zimmer blies. Die Wärme kam also von oben, was nicht schlimm war, da ich im ersten Stock wohnte.
Der Winter 1978/79 war hart. Selbst in Frankfurt viel Glatteis und Schnee, ich fürchtete rum den Weg nach Hause, das war immer noch Kassel. Heiligabend blieb ich nicht lange bei den Eltern, übernachtete auswärts und hatte ein feuchtfröhliches Weihnachten bei Thomas. Das neue Jahr begann ebenso kalt wie das alte aufgehört hatte. Mein Weg zur Arbeit führte nun zu Fuß Sam Frankfurter Dom vorbei über den Römer. Das war einst der Krönungsweg der deutschen Kaiser. An der Quelle saß der Knabe, so hieß es einstmals und das kam mir in der VLB-Redaktion zugute. Aus dem Adressbuch für den deutschen Buchhandel suchte ich mir die Adressen Frankfurter Verlage heraus und bewarb mich initiativ. Unter anderem hatte ich ein erfolgreiches Gespräch beim Verlag Peter Lang. Zum 1.4.1979 konnte ich dort die vakante Stelle eines Buchherstellers besetzen. Gehaltlich war ich nicht viel besser dran als bei der Buchhändlervereinigung, aber die Arbeit schien mir viel interessanter zu sein. Als Elinor D. von meiner Kündigung erfuhr, sagte sie, dass ich zu früh ginge. Mir blieben schöne Erinnerungen u.a. an einen sommerlichen Betriebsausflug, bei dem ich auch Fräulein Dröge kennen lernte. Ich begleitete sie mit meiner sehr netten Kollegin Anne Guckes auf dem Nachhauseweg. Beide Damen zogen sich kichernd für dringende Geschäfte ins Gebüsch zurück. Warum ich das nicht vergessen habe, ich weiß es nicht.
Mit der U-Bahn ging es nun zum Grüneburgweg und zu Fuß in die Wolfsgangstrasse, wo der Verlag in einem alten Bürgerhaus sein Büro hatte. Geschäftsführer und alleiniger Chef war Rainer J. , der gern den dominanten Patriarch spielte, der ab und zu seinen guten Seiten zeigte. Ich saß nun mit einem Fräulein Riebe zusammen. Sie hatte einen eigenen Humor. Einmal äußerte sie wolle mich zu sich nach Hause einladen, um mir ihren Papagei zu zeigen. Dabei lachte sie sich halbtot. Ich war also wieder einmal Zielscheibe weiblicher Ambitionen. Es war nicht so, dass ich in dieser Zeit keine Empfindungen für Frauen gehabt hätte. Das sexuelle Verlangen schlief nicht. Manches Mal stand ich abends hinter der Gardine und beobachtete im gegenüberliegenden Haus des Hinterhofs seltsame Vorgänge. Es sah so aus, als ob dort jemand in einem beleuchteten Raum auf einer Art Thron saß. Die Person war kostümiert und wurde von verschiedenen Gestalten umschwärmt. Gut möglich, dass ich mir einen Teil davon einbildete, Phantasievoll bin ich von Natur aus. Über die Zeitungen, die ich las, stieß ich auch auf Anzeigen von Mädchen, die eindeutige Polaroids von sich verschickten. Aber außer dem sexuellen Interesse hatte ich keines an Frauen. Ich fühlte, dass ich von meinen Eltern die jeweils besten Anteile in mir trug. Das Pflichtbewusstsein des Vaters, due Lebenslust der Mutter. Ich fühlte mich als androgyne Seele, die durch enge Kontakte nichts gewinnen konnte, eher Gefahr lief, das mühsam gehaltene innere Gleichgewicht zu verlieren. Nur die Einsamkeit trieb mich abends in den Sinkkasren und manchmal noch in andere Lokale wie das Mackie Messer oder wenn der Hunger kam, zum Kochersperger nach Sachsenhausen. Mit Alkohol konnte ich meine innere Unruhe beruhigen. Manche Verzweiflung ertrank im Bier an der Theke.
Die Geschäftsidee des Lang Verlags war es im Wesentlichen, den Druckzwang für Dissertationen auszunutzen und den Doktoranden die Abgabe einer großen Zahl von Pflichtexemplaren an die Universitätsbibliotheken zu ersparen. Erschien die Dissertation als Buch im Lang Verlag, so reduzierte sich die Zahl der Pflichtexemplare auf ein Zehntel. Der Doktorand hatte aber den Vorteil, dass sein Werk der Öffentlichkeit zugänglich war. Ein Lektorat gab es also nicht. Peter Lang war Schweizer, die Zentrale befand sich in Bern. Mit dieser Idee war er in einem alten Straßenkreuzer nach Frankfurt gefahren und hatte dort das Büro eröffnet. Neben der Herstellungsabteilung gab es die Autorenbetreuer, die Aufträge generierten und die Typoskripte an uns weiter gaben. Jeglicher Termindruck wurde an uns weiter gegeben. Die Druckvorlagen waren entweder druckfertig vom Autor geliefert oder mussten von uns entsprechend vorbereitet werden, meist am Leuchttisch mit Schere und Kleber. Teilweise wurden von externen Schreibbüros Neuschriften angefertigt, die der Autor bezahlen musste. Die Aufträge wurden von uns erteilt und überwacht. Wir erteilten Druckaufträge und prüften fertige Vorabexemplare zur Druckfreigabe. Gedruckt wurde filmlos, sozusagen direkt von der belichteten Platte. Das ging bei den meist kleinen Auflagen. Was mich bei all dem Druck aufrecht erhielt, war das Miteinander in der Gruppe, ich war der Hahn im Korb, misstrauisch beäugt vom Chef. Solange ich meine Arbeit gut machte, gab es auch mal ein Lob, Fehler konnten aber schon mal in einer unangenehmen Unterhaltung enden. Die Arbeit war vielseitig und interessant, aber alles hat seine zwei Seiten. Ich kam manchmal zu spät, und fiel auch schon mal aus. „Was haben wir denn?“ war die Standardfrage von Frau Dr. Ott-Strueder. Sie saß rauchend an ihrem Schreibtisch und hatte die gelben Zettel bereits vor sich liegen. Die Diagnose lautete dann meistens auf "Vegetative Dystonie". Sie war eine der Frankfurter Ärzte, die einem weiter halfen. Erzählen musste man als Patient nicht viel. Tatsächlich hatte ich immer wieder Phasen, in denen bei mir nicht viel ging. Ich war schon immer ein Saisonarbeiter, mal lud ich mir viel auf, dann ging es mir zeitweise schlecht.
Immerhin, ich lernte kochen. Im VHS-Kurs lernte ich viele Grundrezepte kennen, die mich mein Leben lang begleiten sollten. Einmal gelang mir im Kurs eine gute Salatsauce, die mir von eine der Frauen fast im Alleingang weg probiert wurde. Auch hier war ich einer der wenigen Männer. Hatte ich bisher hauptsächlich Baked Beans, Miracoli oder Risotto aus der Packung mit gebratenen Dosenchampignons und Hackfleisch genossen, so konnte ich mich nun dem Kochen diverser Eintöpfe sowie Aufläufe u.v.m. zu wenden, alles dank der Kursleiterin Frau Semmler, deren maschinengeschriebene Rezeptseiten mir nun gute Dienste leisteten. Ich hielt sie in einem separaten Ordner jahrzehntelang in Ehren.
Zwischenzeitlich war bereits 1978 der Mann gestorben, dem ich so ähnlich sein sollte: mein Großvater Gerhard Keßler.
hier rechts neben mirMeine Eltern waren ohne mich zur Beerdigung nach Mainz gefahren, aber mit meinen Bruder Frank. Das bedeutete für mich, dass meine Eltern nicht den Wunsch verspürt hatten, meine Wohnung zu sehen bzw. mich zu besuchen.
Mit solchen Kapriolen hatte ich immer wieder umzugehen. Die Missachtung, so wie ich es sah, meiner Existenz, die ich von den Menschen erfuhr, die mir am nächsten in meinem Leben standen, war eine Konstante meines Daseins, seit ich allein dafür verantwortlich war. Dennoch schlug ich mich ganz gut. Seit ich über ein zusätzliches Zimmer verfügte, kam mir der Gedanke dieses unterzuvermieten. Ich fragte bei der Verwalterfamilie nach und bekam die Erlaubnis. Mein erster Untermieter, Martin Tr., zog in das kleinere Zimmer ein. Er war Arztsohn aus gutem Haus, hatte natürlich eine deutlich jüngere Freundin und war, wie ich dann im Verlauf seines Wohnens merkte, Alkoholiker. Eines Tages saßen wir in meiner Wohnküche, so einen alten Küchenschrank, wie ich ihn damals hatte, wünsche ich mir heute noch, und tranken Apfelwein. Er soff mich glatt unter den Tisch und und ging dann noch auf die Walz. Ich war bedient. Ab und zu brachte er seine Freundin mit und es gab Tage, da hatten die beiden richtig Spaß miteinander, den ich mir anhören durfte. Da half mir auch meine Musik vom Tonband nichts. Die Ausdauer der Beiden war gewaltig und vermutlich durch Drogen gesteigert. Ansonsten war die Martin ein feiner Kerl, der auch auf gute Sachen stand. Einmal brachte er Schweinelende mit, die dann mit Knoblauch gebarten kredenzt wurde. Dennoch war ich froh, als das Intermezzo vorbei war. Seine nette Freundin hatte ein neues gemeinsames Liebesnest aufgetan. Der nächste Untermieter war etwas ruhiger, hatte natürlich auch eine nette Freundin, die natürlich auch bei ihm übernachtete. Eines Tages klingelte mein mittlerweile vorhandenes Telefon und ich rannte nackt in den Flur wo es stand. Da ging die Tür auf und ich wurde einer eingehenden Musterung unterzogen, die Freundin meines Untermieters fand gut, was sie sah.
Mein neuer Freund Volker fand, dass es für mich an der Zeit war, eine Frau zu finden. Wir fuhren öfter nach dem Sinkkasten ins Mackie Messer. Eines Abends entdeckte er zwei Freundinnen, eine blond, due andere dunkelhaarig, und bat mich, sie anzusprechen. Da ich mich weigerte, zögerte er zunächst, ging dann aber doch hin. So ergaben sich zwei Bekanntschaften. Leonie war die Blonde, Dorle die dunkelhaarige Frau. Irgendwann landeten wir in der Wohnung von Leonie Sch. In Frankfurt-Hiechst. Während Volker mit Dorle in einem Bett landete, blieben Leonie und ich schön in getrennten Betten und Zimmern. Volker fragte mich am nächsten Tag nur, warum ich die Leonie allein hätte liegen lassen. Das wusste ich selbst nicht, ich war mir nie sicher und fürchtete immer, zurück gewiesen zu werden. Leonie war ganz stolz auf ihren Bruder, der bei der gerade gegründeten „Frankfurt City Blues Band“ spielte. Ein Frankfurter Mädchen eben, die sich nicht vorstellen konnte, wie es bei meinen Eltern zu ging. Die seien doch sicher ganz stolz auf ihren Bub. Dorle hingegen war deutlich offensiver gestrickt. Sie kam aus Zeilsheim, wo sich etliche Sinti- und Romafamilien sesshaft gemacht hatten. Sie war bereits Mutter eines kleinen Sohnes, dessen Vater nicht nur gekifft hatte, sondern der auch verschwunden war. Volker oder Völkerchen, wie sie ihn nannte, genoss die nächsten Monate eine gute Zeit, während aus mir und Leonie nichts wurde. Leonie besuchte mich sogar einmal überraschend in meiner Wohnung, da war mein anfänglicher Elan allerdings bereits dahin. Dorle kommentierte einmal: "Frauen sind blöd."
Donnerstag, 12. November 2020
Ghost
Hast Du schon mal einen Besen in der Hand gehabt? An sich eine harmlose Frage, die ich aufgrund einer satirischen Bemerkung über Laubbläser plötzlich gestellt kriege. Ernster wird es schon, als ich meine Meinung zur großen Anti-Coronademonstration in Leipzig kundtue und am Anfang klar stelle, dass ich weder ein Coronaleugner, noch Verschwörungstheoretiker oder Querdenker bin. Daraufhin belehrt mich ein User, das sei schon mal ein ganz schlechter Anfang und fragt, wer ich denn überhaupt sei und woher ich meine wissenschaftlichen Erkenntnisse nähme. Es folgen weiter im Thread pauschale Brandnarkungen der Demonstranten als Idioten und natürlich Schuldzuweisungen an die Polizei, die ja einfach mal die Kundgebung haette auflösen können. Der ganze Unsinn stand unter dem Banner der taz, die es ja seit Neuestem sowieso mit der Polizei hat. Überflüssig ist es, zu sagen, dass ich mit meinem Versuch, Verständnis für die Mehrzahl der friedlichen Demonstranten und ihre Gründe zu wecken, nicht beachtet wurde.
So ist es dieser Tage und es erscheint überflüssig, die eigene Meinung überhaupt noch kundzutun, wo doch der Kabarettist Florian Schröder schon Leuten, die vom gesunden Menschenverstand reden, ein schlechtes Zeugnis ausstellte.
Da schreibe ich lieber weiter an meiner Biographie, habe aber leider keinen Ghostwriter, der verhindert, dass ich mich immer mehr in meinen Erinnerungen verheddere. Bin bis zum Jahr 1978 vorgedrungen, aber es ist kein Spaß, die Zeit war sehr ereignisreich. Als einzige Konstante in meinem Leben wird sich wohl die Unnachgiebigkeit meiner Zeitgenossen mit mir herausstellen. Ob zu recht oder nicht, das bleibt dem subjektiven Gedanken / Gedenken überlassen.
Mittwoch, 4. November 2020
Bunch of Loonies
Nun lässt sich diese, unsere Bundesregierung, dazu herab, das Infektionsschutzgesetz rechtlich wasserdicht zu machen. Darüber soll im Bundestag am Freitag in erster Lesung beraten werden. Einmal also darf das Parlament mit reden. Ansonsten gilt es ohne zeitliche Begrenzung. Wann hat man so etwas in dieser Republik erlebt? Ein Großteil des Volks duckt sich unter der Panikmache der Medien und dem martialischen Auftreten unserer obersten Virenbekaempfer. Die Ministerpräsidenten der Bundesländer, der Bundesgesundheitsminister und unsere allerbeste Kanzlerin, die schaffen das. Diese “bunch of loonies” glauben, man könne ein Virus in den Griff kriegen. Tolle Maßnahmen wie das erfolglose Beherbungsverbot und nun die Schließung der Gastronomie sollen es bringen. Dabei ist eines klar: prozentual sind von den getesteten Menschen momentan weniger positiv als noch im März/April. Das liest sich in den Seiten des RKI. Man wird mit dem Virusleben müssen und wir haben jetzt eine jahreszeitlich bedingte Steigerung der Fallzahlen, die von selbst wieder sinken wird. Aber diese Tatsache passt nicht ins Bild, die Politik ist im Wahlkampfmodus und besonders die CDU braucht den vermeintlichen Erfolg in der Pandemiebekaempfung. Die Folgen der Corona-Maßnahmen werden noch bis zur Bundestagswahl mit Geld ausgeglichen, was der Staat nicht hat. Der Corona bewegte Bürger hat den Schuss großenteils noch nicht gehört. Denn es ist sein Geld und das der kommenden Generationen. Nach der Wahl wird uns die Politik gestehen, man habe es nicht besser gewusst und nun müsse der Gürtel enger geschnallt werden. Und wo schnallt es sich besser als da, wo er schon eng ist? Corona-Soli und Rentenkuerzung, ich höre dir trapsen.
Sonntag, 25. Oktober 2020
Der arme Poet
Montag, 19. Oktober 2020
MyLife 1975 -1977
1975 - 1977 Bundeswehr / Lehre
Das Jahr 1975 war in vielerlei Hinsicht ein Wendepunkt. Zum 1. Januar wurde ich per Gesetz volljährig, da das Alter hierfür von 21 auf 18 Jahre herab gesetzt wurde. Nach einem halben Jahr Wehrdienst war ich nun Gefreiter. Das bedeutete allerdings lediglich, dass ich nun als GvD den Unteroffizier vom Dienst UvD vertreten und damit morgens der Kompanie in den Fluren das obligatorische „Kompanie aufstehen“ zurufen durfte. Zwar machte mir das Marschieren im Gelände nicht viel aus, ich schoss auch passabel, Aber es passierten immer wieder Fehler. Das Funktionieren auf Kommando funktionierte nicht bei mir und körperlich war ich vielen Kameraden unterlegen. Ein Offenbacher Kamerad mit dem Namen Knust machte sich über unsere nordhessische Aussprache lustig und schikanierte mich damit. Es war nicht der einzige Vorfall. Irgendwann wurde in der Stabskompanie ein Wäschekellerwart gesucht. Die Wahl fiel auf mich. Doch das machte die Situation nicht leichter. Zwar konnte ich nun nach dem morgendlichen Appell in meinen Keller weg treten, um meine Zeit abzusitzen, aber ich war nun viel öfter mit Wachestehen dran. Das bedeutete oft auch Wochenenddienst, noch weniger Zeit zuhause. Die Rückkehr am Sonntagabend (bis 22 Uhr) war der blanke Horror. Angstzustände plagten mich den ganzen Abend, oft hatte ich das Gefühl, gar nicht mehr bei mir zu sein, völlig zu zerfallen. Ich musste mir Tabletten holen, den Namen des Medikaments habe ich vergessen. Es war im übrigen nicht selten, dass sich Soldaten selbst das Leben nahmen. Paradoxerweise war ich Sonntagabends meist einer der ersten, der in der Kaserne eintraf. Die meisten meiner Stabskollegen trudelten später ein oder waren Heimschläfer. Ich fand schon einmal ein Stück Kochwurst, die auf der Türklinke platziert war, Einer dieser Stabskameraden war ein fetter ekliger Kerl. Er lies überall seine Pornoheftchen herum liegen, deren Sinn mir nicht klar war. Ich fand sie zum Kotzen. Mein Dienst bestand nun darin, zu bestimmten Zeiten, frische Bettwäsche und andere benötigte Artikel wie Schnürsenkel für die Springerstiefel auszugeben. Ich selbst hatte nur die gewöhnlichen Knobelbecher an. Ab un an musste die dreckige Wäsche dann zum Magazinhof gefahren werden, wo es auch alle anderen Utensilien für die Soldaten gab. Konnte ich alles Gewünschte besorgen, stand ich gut da, wenn nicht, wurde gemeckert. Ich hatte den Gesamtbestand ohne Inventur übernommen, ein Fehler, der sich noch rächen sollte.
Kehrseite meiner Versetzung in die Stabskompanie war das häufige Wache schieben, entweder am Kasernentor oder als Streife im Munitionslager Ehlen. Besonders wenn die Truppe zu Übungen draußen war, gab es viele Einsätze, oft jeden zweiten Tag. Der Ablauf war immer gleich: von 12 Uhr mittags bis 12 Uhr mittags am Folgetag im Rhythmus zwei Stunden Wache, zwei Stunden Bereitschaft und zwei Stunden Schlaf (nachts). Am Tor musste man die meist per Auto Ankommenden militärisch grüßen, kontrollieren und dann, wenn alles in Ordnung war, die Schranke öffnen. Immer spielte die Angst mit, den Falschen zu kontrollieren, eine höheren Dienstgrad, den man kannte, den hatte man durchzuwinken. Im Munitionslager lief man Doppelstreife mit scharfer Munition, das Ganze war etwas mulmig, da zu dieser Zeit die RAF auch Einrichtungen der Bundeswehr, insbesondere auch Munitionslager angreifen konnte. Es ist ein paar mal geschehen, aber wir hatten Glück. Ich hatte mit dem permanenten Wachdienst schon so meine Probleme. So kam es dann zu einem Zwischenfall, als nach dem Ende eines Wachdienstes um 12:00 Uhr mittags die Gewehre noch mal zur Übergabe gesichert werden mussten. Dabei hat sich anscheinend bei meinem Gewehr wieder ein Verschluss nicht richtig verriegelt. Jedenfalls löste sich bei der Kontrolle ein Schuss, der in die Luft ging und niemanden gefährdete. Das Malheur hätte mich allerdings trotzdem auch in den Bau bringen können. Ich hatte insofern Glück im Unglück und wurde „nur“ mit zusätzlichen Wachdiensten bestraft, getreu dem Prinzip „Lerning by doing“. An sich lief ich lieber Streife im Munitionslager Lager, weil man da seine Ruhe hat vor irgendwelchen Vorgesetzten und keine Kalamitäten mit angeblich fälschlicherweise kontrollierten Personen. Meine Zeit bei der Bundeswehr kann ich durchaus als verlorene Zeit bezeichnen, da sich im Jahr 1975 die Situation am Arbeitsmarkt geändert hatte. Von der Zeit der Vollbeschäftigung ging es nun los mit erhöhten Arbeitslosenzahlen. Statt ungefähr 200.000 Arbeitslosen waren es bald so circa 800.000 und das erschwerte mir natürlich die Suche nach einer Lehrstelle. Die musste ich ja parallel zu den zu der letzten Zeit bei der Bundeswehr erledigen. Gelernt habe ich das Schießen mit allen Waffen: Panzerfaust, MG3, G3, Uzi (Maschinenpistole und Pistole. Wirklich beeindruckt hat mich die Uzi, mit der man praktisch ohne Rückstoß aus der Hüfte Dauerfeuer schießen kann. Eine israelische Entwicklung, sie soll auch dann noch einsatzfähig sein, wenn sie in den Dreck gefallen ist. Aber was half mir das für den Alltag und schon gar nicht für meine musikalischen Ambitionen.
Meine Bundeswehrzeit sollte natürlich auch noch mit einem kleinen Knallbonbon enden. Ich wurde bei der Übergabe meines Wäschekellerbestandes beschuldigt, dass etwas abhandengekommen sein sollte. Ich konnte schlecht das Gegenteil beweisen, weil ich ja keine Anfangsinventur mit erlebt habe und man verlangte nun von mir auch nachträglich noch durch die Bundeswehrverwaltung die Bezahlung dieser angeblich verloren gegangenen Gegenstände. Das muss man sich vorstellen, die Verwaltung wollte Geld von mir, obwohl ich nur mein Entlassungsgeld hatte und keineswegs klar war, ob ich im Anschluss selber Geld verdienen würde. In der Rückschau muss ich sagen, nicht nur dieser letzte Punkt hat mich zu einem Gegner des Militärdienstes gemacht. Es war zwar damals, also 1974/75, schon die Rede von moderner Menschenführung, aber in der Praxis wehte der preußische Geist durch die Kasernen.
Ich selbst sah mit eigenen Augen, wie Kameraden, die körperlich noch schlechter dran waren als ich, geschliffen und kaputt gemacht wurden. Es ging nicht darum, die am besten geeigneten Soldaten für die zugedachte Aufgabe zu finden, sondern um unbedingten Gehorsam, auch wenn es keinen Sinn machte. Im Ernstfall verliert man so Kriege, das zeigt unsere deutsche Geschichte eindrucksvoll.
Ich habe ja bereits geschildert, unter welchen Umständen ich mich zuhause befand. „Mein Zimmer“ war wieder ein Elternschlafzimmer und ich sollte nun wieder mit meinem allmählich pubertierenden Bruder in einem Zimmer schlafen. Privatsphäre gleich Null. Mit dem 30.9.1975 steckte ich in neuen Schwierigkeiten.
Meine Lehrstellensuche war sehr schwierig gewesen, wenngleich erfolgreich. Mein Kumpel Bernd O. formulierte einmal „Alle haben gesucht, einer hat gefunden.“ Die Situation war mittlerweile so, dass mit einem mittelmäßigen Abitur Abschluss keine guten Lehrstellen zu bekommen waren. Viele Bewerbungen gingen ins Leere, beziehungsweise ich bekam die Stellen einfach nicht. Ich konnte dann ein Volontariat bei der Buchgroßhandlung Döll beginnen. Würde ich mich bewähren, so bekäme ich eine dar. Diese Firma wurde mir allerdings von meinem Mentor, Rudolf Ulrich, nicht gerade empfohlen. Er war sogar dagegen, als ich dort anfing. Ich sah keine andere Möglichkeit , um sozusagen selbstständig werden zu können und das war für mich eine zwingende Notwendigkeit, Denn ich musste Geld verdienen. Nur so konnte ich mir den Auszug aus der elterlichen Wohnung erlauben. Denn mein Vater war ja der Meinung und sagt es mir ganz deutlich: „Für dich nehme ich mir keine größere Wohnung.“ Aber er vertrat noch andere Meinungen. Zum einen wollte er mir von meinem eventuellen Verdienst ein Taschengeld zuteilen, zum anderen mir die Offenlegung seines Verdienstes für den Bafög-Antrag verweigern. Somit wusste ich, es gibt für mich nur den Weg zu Hause auszuziehen. Ich wusste aber auch, dass das Lehrgeld dafür nicht ausreichen würde. Helfen könnte mir hier unser Freund der Familie, der „Ullrich“, der war gegen den Beginn einer Ausbildung bei Döll, weil dort ein angeblich Schwuler arbeitete.
Um also diesen Auszug von zu Hause finanziell stemmen zu können, brauchte ich die finanzielle Unterstützung ab dem Beginn meiner Lehre. Zunächst hatte ich ab 1. Oktober das Volontariat für vier Monate und bekam ich circa 800 DM im Monat. Die kam nun, nach einem Gespräch mit meinem Vater, von meinem Mentor Rudolf Ulrich. Mein Vater und ich lösten so unsere gegenseitigen Meinungsverschiedenheiten. Zu meiner großen Erleichterung zahlte mir Rudolf monatlich einen Betrag von circa 400 €, solange ich in der Ausbildung war.
Ja, damit waren die Weichen gestellt und ich suchte mir ein möbliertes Zimmer in Kassel. Mein Vater hatte eigentlich vorgehabt, mir eine geeignete Unterkunft zu suchen, weil er der Meinung war, das richtige würde ich wohl nicht finden. Ich war aber schneller und unterschrieb einen handschriftlichen Mietvertrag bei Herrn Faustig in der Kölnischen Straße. Das war ein Altbau und ein Zimmer mit hohen Wänden und einem Waschbecken drin. Es gab eine Gemeinschaftstoilette. Sehr viel habe ich von zu Hause nicht mitgenommen, ein paar Bestecke, meine Kleidungsstücke, also mein Besitz war jedenfalls überschaubar. Meine Lehre im Ausbildungsberuf Buchhändler konnte jedenfalls am 1.2.1976 beginnen. Ich war mittlerweile auch umgezogen.
Mein Vermieter muss früher ein stattlicher dunkelhaariger Mann gewesen sein. Nun war er grau bis weißhaarig, besaß einen Collie und hatte einen Faible für klassische Musik. Ich saß in meinem hohen Zimmer und studierte die STVO für meine Führerscheinprüfung. Das Entlassungsgeld von der Bundeswehr sorgte für die Finanzierung. Ich roch nun an der Freiheit. Entdeckte günstigeLebensmittel im städtischen Discounter, gehe mit meinen Kumpels im fußläufig erreichbaren Studentenlokal, dem „Hobel“ abends mein Bier trinken und besaufe mich eines Abends mit dem anderen Miter der Wohnung Faustig mit einer großen bauchigen Flasche Sangria. Gerhard T. Ist noch immer arbeitslos, Bernd O. studiert, mittlerweile in Göttingen und kennt die Jutta. Die meint, als ich meine Führerscheinprüfung bestanden hatte, dass ich ihr Auto fahren könne. Damit steht sie erst mal allein da. Mein Vater will mir seinen Wagen nicht anvertrauen. Dabei hatte ich nur zwanzig Fahrstunden gebraucht, die Prüfung aber vorsichtshalber auf einem Automatic-Auto, einem VW 1600, gemacht.
In der Firma bestätigt sich die Befürchtung Ullrichs bezüglich des Rufs. Es geht recht locker zu. Dabei war der Chef ein ehemaliger U-Boot-Fahrer, der von seinem Hinterzimmer einen guten Blick auf den Hof hatte und er sah sofort, wenn Lieferungen ankamen. Ich war zunächst mal dem Lagerleiter zugeordnet. und meine Aufgabe war es, die Pakete auszupacken, die Vorbestellungen von Kunden zuzuordnen, sogenannte „Verzettelungen“, und natürlich die Lieferscheine mit dem tatsächlichen Eingang gegen zu haken. Über eine Wendeltreppe stürmte mein Chel, ein Herr Fuchslocher, zu mir herunter und schlitzte mit einem abgebrochenen Messer die Pakete auf und warf mir die Bücher auf den Packtisch. Er muss sich wie ein U-Boot-Kommandant gefühlt haben und das wär seine Lieblingsbeschäftigung. Er rief mir dann die Zahlen zu und ich hatte zu reagieren. Dann wurden die Sendungen ans Lager geschickt bzw. die Vorbestellungen zur Fakturierung gegeben.
Ansonsten merkte ich schnell, dass ich einen Beruf gewählt hatte, in dem das weibliche Geschlecht in der Überzahl war. Vorerst blieb das für mich ohne Folgen, auch wenn Monika Schäfer reimte: „Herr Dreyer, mein Befreier.“ Ich hatte mich erst mal selbst zu befreien. Das spitzbübische Gesicht von Frl. Kanne aus der Bestellabteilung/Taschenbuch bleibt in meiner Erinnerung, sie flirtete gern und ich genoss das. Der Umgang mit den Kollegen war auch sehr locker. Mittags wurde meist bei ein paar kleinen Bieren und Bockwurst mit Brötchen im Göttinger Hof bei Herrn Machmar Skat gedroschen. Da ich selten alle Karten behalten konnte, die schon gespielt waren, war ich gegen die recht professionellen Spieler meist nicht sehr erfolgreich. Alles in allem lief also alles recht gesellig ab. In der Berufsschule kam ich gut mit dank meiner kaufmännischen Schulausbildung.
Ich mag ein Jahr bei Herrn Faustig gewohnt haben, ich suchte mir selbstständig eine neue Bleibe und wohnte danach in der Friedrich-Ebert-Straße 145. Ich lebte schon ziemlich selbstständig, wusch Unterwäsche und Strümpfe im Handwaschbecken selbst, hatte ja nun eine Naßzelle zur Verfügung und brachte größere Wäschestücke zur Wäscherei Welschers, die ich schon seit Kindertagen kannte. Lediglich zum Mittagessen fuhr ich sonntags zu meinen Eltern, die sich dafür bezahlen ließen. Ich war im Grunde jedes Mal froh, wenn ich die angespannte Atmosphäre der elterlichen Wohnung in Helleböhn verlassen konnte. In Helleböhn war ich nie heimisch gewesen, nun war ich wieder im Vorderen Westen der Stadt ansässig. Da wo ich einst aufgewachsen war, in der Nähe des Bebelplatzes.
Das Jahr 1977 änderte so einiges für mich. Bisher war ich hauptsächlich mit meinen Kumpels Bernd O. und Gerhard T. unterwegs gewesen. Durch Bernd hatte ich in Göttingen eine mit Bassseiten bespannte Gitarre kaufen können. Das kam mir sehr entgegen, denn ich wollte einen harten, melodischen Bass spielen. Jack Bruce war mein Vorbild, Ein paar Bluesgriffe hatte ich von Bernd gelernt, der quasi als Leadgitarrist bei uns fingierte und am ehesten halbwegs Gitarre spielen konnte. Zu uns kam noch als Rhytmusgitarrist Lothar A., auch er war nicht besonders musikalisch begabt. Unser Schlagzeuger, Gerhard T. trommelte meist hinter uns her, anstatt den Takt vorzugeben. Unsere Musik hörte sich an, als ob wir vor dem Schlagzeug wegliefen. Unsere Sessions verewigten wir auf etlichen Tonbändern. Einige waren internem Besitz, Vater hat sie Jahrzehnte nach meinem Auszug grußlos und ohne zu fragen vernichtet. Seine gefärbten Hände nach dem Abwickeln des Bandmaterials von den Spulen bleiben mir wohl immer in Erinnerung. Unser Repertoire war sehr eingeschränkt, neben stundenlangen Bluessessions, spielten wir mal was von Pink Floyd und mal was von Credence Clearwater Revival, Bad Moon Rising. Ich übernahm den Gesangspart dank Gestell mit Mikrofon. Wie gut alles hätte klingen können, das erfuhren wir, als mein Jugendfreund Detlef Glänzer mal das Schlagzeug übernahm. Er spielte in einer Tanzkapelle und verstand sein Handwerk. Als mit Wolfgang R. ein guter Gitarrist eine Gastrolle übernahm, machte mir mein Bass auf einmal Spaß. Das er bei mir als einzigem Stammmitglied ein gewisses Talent saht, ehr mich noch heute und überraschte mich damals sehr. Im Großen und Ganzen denke ich aber das, was mein Onkel Siegward einmal sagte: die Musik soll man denen überlassen, die es können. Wir hatten während der ganzen Zeit eine Zuhörerin, das war die Feundin von Lothar A, Karin G.
Unsere Übungsstunden endeten meistens im Ysenburg-Eck bei Currywurst mit Pommes und Bier. Dennoch hatte ich nicht mehr soviel Zeit. Durch meine neue Wohnlage ging ich nun öfter ins Kneipenviertel an der Goethestraße mit den Studentenkneipen „Knösel“ und „Fiedel“.Wenn hier der Abend noch nicht zu Ende gehen sollte, ging es weiter in die „Hacienda“ in der Schönfelder Steaße. Dort konnte ich auch ohne Freundin tanzen. Es wurde getrunken, geraucht (nicht nur Zigaretten) und ich war dabei. Fremde Mädchen anzutanzen und hinterher wortlos die Bühne für das nächste Bier zu verlassen, es war das Größte für mich. Gegenüber gab es Knoblauchspieße für den Hunger zwischen durch. Und alles konnte ich fußläufig erreichen. Stairway to heaven, die Stimme von Robert Plant hätte ich auch gern gehabt.
Tatsächlich trug die Gesamthochschule Kassel viel dazu bei, dass studentisches Leben in die etwas miefige und autoritätshörige Arbeiter- und Beamtenstadt kam. In der „Fiedel“ trafen sich Einheimische und auswärtige junge Leute beim Apfelwein, beim Appelkorn und dem Licher Bier jeder nach Belieben. Manchmal gab es Livemusik, im Sommer stand man draußen, man hörte Bernies Autobahnband zu und irgendjemand baggerte immer. Ich hatte neue Bekannte, letztlich eine ganze Clique netter Typen nebst manchmal weiblichen Begleiterinnen. Mein Star war für mich Thomas K., ein kleiner Dunkelhaariger mit Schnäuzer. Sein Grinsen fand ich ebenso legendär wie seinen Verdienst. Ich habe mir, glaube ich, später nur deswegen mir mühselig einen Schnauzbart wachsen lassen, weil er einen hatte. Auch das lässige Hochziehen des Oberlippenbartes beim angedeuteten Grinsen schaute ich mir von ihm ab. Er hatte eine sehr nette Freundin namens Urta, die aus dem nordhessischen Umland stammte. Jedes Mal, wenn ich durch Jesberg fahre, muss ich dran denken. Thomas fuhr einen weißen Minicooper, arbeitete bei der Labdeskreditkasse und verdiente dort laut eigener Aussage 2000,- DM. zudem wohnte er in Wehlheiden, einem Stadtteil, den ich recht anheimelnd fand (ebenso seine Altbauwohnung). Für mich waren die Kneipenkontakte das Leben, möblierte Zimmer sind nicht besonders aufregend, wenn man allein ist.
Im Sommer wollte ich erstmals allein in Urlaub fahren. Nun lockte mich die weite Welt, die hieß Norddeutschland. Mit Rucksack machte ich mich auf den Weg, mir schwebte es vor, Karin G., die Freundin unseres Gitaristen Lothar A. in Grömitz zu besuchen, wo sie in den Freien jobbte. Ein Ziel braucht man schließlich. Ich trampte also zunächst einmal bis Zu irgendeinem Hamburger Autobahnkreuz und lernte die Entfernungen bis zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel kennen, denn ich wollte in der Jugendherberge auf St. Pauli übernachten. Der Abend reichte für den Besuch einer Spelunke, wo ich aber freundlich behandelt wurde. Am nächsten Tag fuhr ich weiter nach Lübeck, hier spielte ich abends in einer Kneipe mit wildfremden Typen Karte, die waren echt nett, aber ich musste auch hier um zehn Uhr abends in der Jugendherberge sein. Mit dem Bus ging es weiter nach Grömitz, wo ich Karin bei der Arbeit fand. Sie freute über meinen Besuch, konnte mir aber keine Übernachtungsmöglichkeit bieten. Wenig begeistert war ihr Chefin von meinem Auftauchen. Die Besuchssituation bei der Arbeit war äußerst ungünstig, sodass ich beschloss, nach Kiel weiter zu reisen. Die Stadt fand ich wenig anziehend, ich lief irgendwo am Hafen herum und war wiederum in der Jugendherberge. Immerhin fand ich am nächsten Tag eine Möglichkeit, bis zur dänischen Grenze mitzufahren. Ich wusste, dass es auf der dänischen Seite der Flensburger Förde in Kollund eine Jugendherberge gab und beschloss, dahin zu wandern. In der Unterkunft angekommen, stellte ich schnell fest, dass in Dänemark in den Jugendherbergen eine Trennung der Geschlechter nicht erfolgte. Auch die strengen Zeitregelungen gab s nicht. Man war eigentlich frei bis auf die Tatsache, dass man in einer Sammelunterkunft schlief. Die Mädchen in meinem Zimmer waren ziemlich albern und kicherten für meinen Geschmack zu viel.
Die Herberge lag nahe der Förde und war von etwas Wald umgeben, aber ich wollte doch ans richtige Meer und wanderte am nächsten Tag zurück zum Grenzübergang, in der Hoffnung weiter trampen zu können. Da hatte ich Glück, ein junges Paar nahm mich mit und sie wollten zur Insel Römö. Ich glaube, sie war die treibende Kraft bei der Idee, mich mitzunehmen. Jedenfalls setzten sie mich auf der Insel ab, mit dem Tipp, in der Jugendherberge zu übernachten. Ich ging den Rest des Weges nach Havneby, wo sich mein neues Zuhause befand. In der Nähe des Hafens wurde ich von einem alten Mann angesprochen, der mich fragte, warum ich allein unterwegs wäre. Das sei nicht gut, er würde das kennen. Mir war das unverständlich, ich fühlte mich eigentlich wohl in meiner Haut. War dabei mich und meine Freiheit zu genießen. Die Herberge war wohl ehemals einen Scheune gewesen, zumindest was den großen Raum anging, in dem gemeinsam gekocht und gegessen wurde. Viele waren hier offensichtlich Dauergäste. Ein älterer Bewohner wetterte dauernd gegen das gegenüberliegende „Deutsche Reich“, in das er auf keinen Fall zurück kehren wollte. Ich verstand das nur teilweise, die deutsche Regulierungswut war mir allerdings bekannt. Ich hatte allerdings bald neue Bekannte, eine junge Frau aus Quickborn mit ihrem kleinen Sohn. Wenn ich hier von jung schreibe, so muss ich ergänzen, dass ich natürlich jünger war als die hier beschriebenen Personen. Sie jedenfalls nahm mich ein bisschen unter ihre Fittiche. Der Weg an den Strand von Römö ist ziemlich weit. Ein Auto hilft da manchmal. Ich machte einen Ausflug nach Ribe, wo mir der Dom in Erinnerung ist. In der nächsten Stadt, Esbjerg, und in der ganzen Gegend wird viel Fisch verarbeitet, was man auch riechen kann. Gemeinsam schipperten wir während einer Butterfahrt nach Sylt zum Lister Hafen. Wie anders wirkte das alles auf uns, der Trubel dort, unsere Idylle auf Römö. Wir sahen die abendlichen Lichter am Hafen und vielleicht entstand hier ihr Gedanke, nach List in die Jugendherberge weiter zu reisen. Im nach hinein kann man verstehen, dass eine junge Mutter mit ihrem Kind die geordneten Verhältnisse in einer deutschen Jugendherberge dem in der Herberge von Römö vorzieht und ich kam der Heimat ein Stück näher. So quartierten wir uns entsprechend in List ein, besuchten den dortigen Strand tagsüber, abends landete ich in einer der wenigen Kneipen. Ihr Urlaub ging zu Ende. Sie fragte mich, ob ich öfter solche Reisen machen würde. Sie fand das wohl verwunderlich. Jedenfalls kam ich bis Quickborn mit, wo sie mich an der Autobahn absetzte. Von dort fand ich eine Mitfahrmöglichkeit mit einem sehr redseligen Typen nach Bremen. Das war eigentlich nicht meine Richtung, aber näher nach Hause. Er wohnte in einer größeren Siedlung und dachte wohl, ich würde bei ihm übernachten. Ich machte mich aber auf den Weg zum Bahnhof und fuhr mit dem Zug nach Kassel zurück. Irgendwie war mein Bedarf an Freiheit und Abenteuer gedeckt.