Freitag, 6. September 2013

Ringgeist - Geiz ist Gier


Der Tsunami in Asien störte sich 2004 nicht an der üblichen "Zwischen den Jahren"-Atmosphäre.
Er riss die Menschen in den Tod. Wer übrig blieb verzweifelte oder meckerte. Der Eintrag vom 29.12.2004 beendete das Jahr in meinem Blog.

Die Zahl der Toten steigt von Tag zu Tag. Menschen, die die Tsunamiwelle überlebt haben, verloren ihre Existenz, von den physischen und/oder psychischen Verletzungen ganz zu schweigen. Aber da gibt es Menschen, die ficht das nicht an. Sie machen Urlaub: vom Menschsein. Sie mokieren sich darüber, dass die Einheimischen nicht schnell genug aufräumen und sie ihren Urlaub nicht genießen können. Das kennzeichnet den völligen Realitätsverlust vieler Leute.
Jeder wird nun sagen, das Unglück wäre nicht in diesem Ausmaß vorhersehbar gewesen. 
Aber muss man unbedingt in Länder verreisen, in denen Armut herrscht und damit die Prostitution der Einheimischen in jeder erdenklichen Hinsicht billigen?
Reicht uns unser Land nicht mehr? Muss es immer billiger und gleichzeitig vermeintlich besser werden? Es ist zu befürchten, dass die diese Welle uns bereits in unseren Köpfen erfasst hat und den Verstand hinweg reißt. Selbst Politiker und Wirtschaftsbosse fordern es: mehr Arbeit für weniger Geld, Kündigungsschutz lockern, Geiz ist Gier! Zumindest aber tödlich für die, die keinen sicheren Platz finden.

Mittwoch, 4. September 2013

Ringgeist - Weihnachtstraumschiff

Weihnachten ist ein Thema, das mich immer wieder verstört. So auch am 27.12.2004, als ich Wiederholungen jedweder Art endgültig satt hatte.

Vater meint, daß er den Graf von Monte Christo schon drei Mal gesehen hat. Nur Wiederholungen im Fernsehen zu Weihnachten? Nein, nicht ganz, da gibt es noch das Traumschiff, diese unwiederbringlich schöne Serie. Und das ist noch viel besser. Dort sitzen einsame Frauen mit geheimnisvollem Auftrag in tief ausgeschnittenen Kleidern an der Bar. Sie freuen sich, wenn ihnen ein in die Jahre gekommener Smartie ein bißchen Rotwein auf den Po im Kleid gießt. Anschließend nimmt er neben ihr Platz und trinkt noch einen doppelten Scotch und grient sie blöde an. Ja, so sind sie, unsere Zielfahnder vom BKA: charmant, sportlich und versoffen. Und das ist echt männlich, so wie das Weihnachtsfest menschlich ist. Also doch alles Wiederholung!

Sonntag, 1. September 2013

Ringgeist - Eigenschaften

Am 22.12.2004 beschäftigte mich die Affäre um den  Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner im Zusammenhang mit der Entführung mit Todesfolge des Bankierssohns Jakob von Metzler und auch dér Kalbacher Fall.

Ein Polizeichef vermerkt in den Akten, dass er dem Verdächtigen Folter angedroht hat. Dafür verdient er eine Bestrafung wegen Dummheit. Ein Verfahren gegen ihn wird wegen einer Anklage des Täters auf Steuerzahlers Kosten (und gegen dessen Willen) geführt. Über das tote Kind spricht keiner. Mit welcher Moral leben wir? Politiker predigen, dass es soziale Einschnitte geben muss und stecken selbst Abfindungen von Firmen ein. Alle brauchen anscheinend Nebenjobs, weil sie sonst mit Geld nicht hinkommen. Der Mordversuch in Kalbach entpuppte sich als Rache eines Gekündigten, der sich anschließend selbst umbrachte.
Es ist ein verdrehtes Land, aber dieses Jahr freue ich mich auf Weihnachten, weil wir eingeladen sind. Die Kinder sind nun im Kindergarten.

Samstag, 31. August 2013

Ringgeist - Wildwest

Im wilden Nordwesten Frankfurts und nicht im "Wilden Westen" trug sich unten am 17.12.2004 Beschriebenes zu.

Ein 60-Jähriger wird mit dem Messer gestochen und danach mit Benzin übergossen und angezündet, weil er einen Falschparker vor seiner Garage angesprochen hatte. Dabei kam es zu einer Auseinandersetzung mit dem lebensgefährlichen Ausgang. Er wird es hoffentlich überleben. Das ist leider der Anfang oder das Ende einer absehbaren Entwicklung. Die Brutalität im Straßenverkehr nimmt zu und das Rechtsempfinden ist unterentwickelt. In Kalbach treffen alte Bewohner zunehmend auf städtische Probleme. Und sie sind nicht zimperlich im Umgang mit den Zugezogenen. Ich selbst habe das am eigenen Leib erfahren. Als ich einmal jemand anhupte, weil er mir die Vorfahrt nahm, verfolgte mich der Fahrer bis vor die Haustür, beschimpfte mich und empfand es wohl als Zumutung, dass ich im vermeintlich so schönen Kalbach wohne. Andererseits werde ich angepöbelt, wenn ich mich über einen Falschparker vor meiner Garage errege, weil ich weg muss. Die Dame mit dem  Geländewagen fand ihren Stress wichtiger, drohte mir eine Anzeige wegen eines Kratzers auf ihrer Autotür an (der natürlich schon vorher da war) und beschimpfte mich als ‚Blödmann’. Entschuldigung? Weit gefehlt. Eher Wildwest, sattsam bekannt sind mir die „Duell im Morgengrauen“-Situationen, wo zwei Autofahrer nebst Untersatz sich gegenüberstehen und keiner will zurück. Meist gebe ich nach, weil ich keine Lust auf Duzen der unfreundlichen Art habe. Meine Bessere sieht das alles anders. Hupen, lautet ihre Devise, ich lasse das lieber, denn ich habe weder Messer noch Pistole dabei. Zum ortsansässigen Bäcker gehe ich auch nicht mehr, denn ich spreche weder den hiesigen Dialekt in glaubwürdiger Form, noch verfüge ich über laienschauspielerische Qualitäten.  - Schwer zu begreifen dagegen ist, an welchen Nebensächlichkeiten sich das Schicksal eines Menschen manchmal entscheidet.

Donnerstag, 29. August 2013

Ringgeist - Freiheit


Weiter geht das Plündern meiner Gedanken, aber sie sind ja schließlich frei. Ein anderes Klischee ist es, dass Frauen nicht mit der Technik umgehen können. Am 14.12.2004 musste ich es erleben, bin aber im Traum zumindest noch einmal davon gekommen.

Meine Bessere hat heute nacht einen verbissenen Kampf gegen die Technik geführt und Zeitschaltuhren nebst Steckdosen aus der Wand gerissen. Derweil fühle ich mich wie ein Vogel im Netz, jedes weitere Flattern führt zu einer noch engeren Verstrickung.
Folgende Geschichte fiel mir ein: ein vermögender Mann geht zu einer Vermögensberatung. Während des Beratungstermins schöpft er aufgrund der Art der Fragen Verdacht. Ein merkwürdiges Gefühl beschleicht ihn, er fühlt sich unsicher. Er eilt nach hause und versucht zu sichern, was zu sichern ist. Tatsächlich wird aber trotz alledem eingebrochen, die Diebe sind bewaffnet. Sie durchsuchen die Wohnung, lassen ihn jedoch frei herumlaufen. Seine Hausangestellte haben sie gefesselt. Er sieht eine Waffe auf dem Tisch liegen. In einem unbeobachteten Moment ergreift er sie und schleicht zur Tür. Sie ist abgeschlossen, aber seitlich nur in einer Holzleiste verankert. Er zeiht die Tür mit Kraft nach innen und reißt die Holzleiste heraus, dann entkommt er. Er versucht den Notruf auf dem Handy zu wählen, aber die Tasten sind zu klein für seine Finger, statt 110 tippt er immer wieder 117 oder 118. Er wird panisch.
Er steht jetzt seinem Haus gegenüber, noch folgt ihm niemand. Er ist bereit, auf jeden Verfolger zu schießen. Er macht sich Gedanken um die verbliebene Person. Schließlich findet er einen Verkäufer, der auf seinem Handy die Polizei rufen kann. Nun braucht er nur noch zu warten, bis sie eintrifft. Er fühlt sich ein bißchen wie ein Held und wartet auf den Showdown.

Mittwoch, 28. August 2013

Ringgeist - Wahrheit

Am 8.12.2004 hatte ich es mit der "Wahrheit". Gibt es überhaupt eine? Oder ist das nicht nur ein Gefühl?

Die Wahrheit ist eine häßliche Geliebte. Sie hat Falten und Flecken, fühlt sich hart und unnahbar an. Ich habe sie schnell aus dem Bett gestoßen, dabei ihre innere Schönheit übersehen. Sie offenbart sich nur dem, der sie erkennt. Ihre Berge und Täler übertreffen jeden Rausch der Phantasie. Ich bleibe zurück im unwirklichen Schutz der Einbildung und habe eine Ahnung.

Meldungen

Gestern Abend erzählte mir meine Frau, Wolfgang Herrndorf sei tot, das sei die Meldung des Tages. Ich hatte ihr den "Tschick" zum Lesen empfohlen. Daher kannte sie den Namen.
Gestern wurde aber auch über einen Mann berichtet, der seinem vor sechs Wochen verstorbenen Frau ein Liebeslied geschrieben hatte, das er aber selbst nicht singen könne.Ein kleines Label hat es nun heraus gebracht, gesungen von einem richtigen Sänger. "Sweet Lorraine" heißt es.
75 Jahre werden wir nicht schaffen, dazu haben wir zu spät geheiratet.
Was hat die Frau nun davon, dass er ihr dieses Lied geschrieben hat, war mein erster Gedanke.
Die, um die es geht, haben halt nichts mehr davon. Solange man lebt, ist es anders.
Es ist also zu spät, eine Laudatio auf Herrndorf heraus zu bringen und das Rühren im Betroffenheitsquark hätte er wohl nicht gemocht. Der letzte Eintrag seines Blogs jedenfalls enthält die Vermeldung seines Suizids.
Korrekt und nicht geschönt, so wie er es wohl auch wollte.
Das Schreiben eines solchen Blogs mit dem Wissen um die eigene Krankheit und das unvermeidlich aus ihr resultierende Ende beeindruckte mich und ich habe es ihm auch geschrieben.
Er hat aber wohl soviel Post, vor allem zu seiner Krankheit bekommen, dass er vieles nicht beantwortete.
Mir ist auch selbst schon die Unmöglichkeit eines solchen Briefes, den ich da schrieb, aufgegangen.
Eine Fassung habe ich dann auch gar nicht erst abgeschickt.
Ihn selbst hat es wohl nicht gefallen, dass er sich zum Schluss nicht mehr so ausdrücken konnte wie er wollte.
Der Kontrollverlust und die Veränderung seiner Persönlichkeit, die er bei sich selbst bemerkte, haben ihn erschreckt. Er war trotz aller Freunde allein mit seiner Endlichkeit und er wusste das. Dennoch hat er die schönen Momente, die ihm noch blieben, soweit er konnte, auch im Blog festgehalten.
Ob es überhaupt möglich ist, in einem Blog auch nur annähernd das wieder zu geben, was an Mensch an Gefühlen empfindet, ist eine andere Frage.
Er selbst hat zum Schluss daran gezweifelt, den Zweifel geteilt, mit denen, die lesen wollten.
Ich selbst wollte und will und es bleibt zu hoffen, dass sich gute Menschen seiner möglicherweise hinterlassenen Texte annehmen und so noch einmal etwas was zu lesen sein wird von diesem Wolfgang Herrndorf.