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Posts mit dem Label "Literatur" werden angezeigt.

Sowjetunion 1926

Wie weit man gesellschaftlich schon damals war. Joseph Roth Zitat aus: Journalistische Schriften + Essays: 'Viel revolutionärer als die Sitte ist das Gesetz. Es macht keinen Unterschied zwischen ehelichen und unehelichen Müttern und Kindern. Es bestimmt, daß einer arbeitenden schwangeren Frau nicht gekündigt werden dürfe; daß ihr zwei Monate vor, zwei Monate nach der Entbindung Urlaub gegeben werde; daß der Monat, in den die Geburt fällt, doppelt entlohnt werde; es bestimmt, daß die Alimente der Vater zahle (wenn er nicht ohne Einkommen ist), daß eventuell einige Männer sich in die Alimentenlast teilen, wenn die Mutter es vorzieht, einige Männer als eventuelle Väter anzugeben; es gestattet den künstlichen Abortus, es befiehlt die Trennung der Ehe, auch wenn nur ein Teil sie lösen will, es stellt das sogenannte »Konkubinat« der vor dem Standesamt geschlossenen Ehe vollkommen gleich; es berechtigt theoretisch auch den Mann unter gewissen Bedingungen, auf materielle Unterhaltung Ans

Ringgeist - Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Ja, manche Titel und seien es die von einem Buch, sprechen einfach für sich selbst. Das begeisterte mich am 28.1.2005 . Genial ist, dass es Länder gibt, in denen Menschen Leben, die den Blick fürs Wesentliche nicht verlieren, abseits der projektgierigen Geschäftemacher und Pseudopsychologen. Und so liest sich die Wahrheit: "Es (die Scheiße) ist ein deutsches Wort, das mitten im sentimentalen neunzehnten Jahrhundert entstanden und in alle Sprachen eingegangen ist. Durch häufige Verwendung ist die ursprüngliche metaphysische Bedeutung verwischt worden. Kitsch ist die absolute Verneinung der Scheiße; im wörtlichen wie im übertragenen Sinne: Kitsch schließt alles aus seinem Blickwinkel aus, was in der menschlichen Existenz im wesentlichen unannehmbar ist. " (aus Milan Kundera, Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins) Ein solches Eigenleben der Substantive liegt mir. Es zeigt ein Eigenleben der Begriffe in unseren Köpfen auf und bedeutet die Sucht nach der Erkennung von Zusammenh

Meldungen

Gestern Abend erzählte mir meine Frau, Wolfgang Herrndorf sei tot, das sei die Meldung des Tages. Ich hatte ihr den "Tschick" zum Lesen empfohlen. Daher kannte sie den Namen. Gestern wurde aber auch über einen Mann berichtet, der seinem vor sechs Wochen verstorbenen Frau ein Liebeslied geschrieben hatte, das er aber selbst nicht singen könne.Ein kleines Label hat es nun heraus gebracht, gesungen von einem richtigen Sänger. "Sweet Lorraine" heißt es. 75 Jahre werden wir nicht schaffen, dazu haben wir zu spät geheiratet. Was hat die Frau nun davon, dass er ihr dieses Lied geschrieben hat, war mein erster Gedanke. Die, um die es geht, haben halt nichts mehr davon. Solange man lebt, ist es anders. Es ist also zu spät, eine Laudatio auf Herrndorf heraus zu bringen und das Rühren im Betroffenheitsquark hätte er wohl nicht gemocht. Der letzte Eintrag seines Blogs jedenfalls enthält die Vermeldung seines Suizids. Korrekt und nicht geschönt, so wie er es wohl auch wollte. Da

Ringgeist - Malte

November, die dunkle Jahreszeit beginnt und am 18.11.2004 beeindruckte mich der folgende Text. „Da strahlt Samen aus, und sie halten sich unter wie Dirnen und spielen damit, oder er fällt, während sie daliegen in ihren ungetanen Befriedigungen, wie Samen Onans zwischen sie alle. Wo aber, Herr, ein Jungfräulicher unbeschlafenen Ohrs läge bei deinem Klang: er stürbe an Seligkeit oder er trüge Unendliches aus und sein unbefruchtetes Hirn müsste bersten an lauter Geburt.“ Aus Rainer Maria Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge Lassen wir Malte (welch schöner Name) weiter schwer krank durch Paris wandern. Es strömt ja geradezu aus ihm heraus und ob er dereinst erreichen kann, was ihm heute noch normal und alltäglich erscheint ? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: im Zitat geht es um Musik.

2005 - VIII

Jurek Becker las 1977 in der Buchhändlerschule in Frankfurt am Main. Die Begeisterung für diesen Schriftsteller war mir damals fremd, heute kann ich sie verstehen. "daß er und .... sich darin einig sein, in einem minderwertigen Land zu leben, umgeben von würdelosen Menschen, die ein besseres nicht verdienten. ... Es sei zwar richtig, daß der Aufseher hart bestraft werde, wenn sie ihm einem Gericht übergäben, aber warum? Doch einzige deshalb, weil zufällig die eine Besatzungsmacht das Land erobert habe und nicht die andere. Wenn die Grenze nur ein wenig anders verliefe, dann wären dieselben Leute entgegengesetzter Überzeugung, hier wie dort. Wer stark genug sei, könne diesem deutschen Gesindel seine Überzeugungen diktieren, ob er nun Hitler oder sonstwie heiße." Entnommen aus: Jurek Becker: Bronsteins Kinder

2004 - III

Ich, Gandalf Im Fangornwald materialisierte Gandalf, der Weiße. Lange nach dem Ende der Menschheit, sodass sich die Bäume wunderten. In einem Energiestrom hatten sich Turbulenzen gebildet, die satte Zufriedenheit der Existenzlosigkeit geriet aus dem Gleichgewicht. Unruhe entstand., die den Fluss der Dinge störte. Gandalf erwachte aus einem langen, schlaflosen Nichts. Sollte er die Welt erneut vor den bösen Kräften erretten? Der Ring war doch unwiederbringlich vernichtet. Aber hatte nicht auch Frodo, der Hobbit, einen unheilbaren Schwertstreich von den Nazgûl empfangen, der trotz des Sieges über die dunklen Mächte weiter wirkte? Frodo war in dieser Welt nicht heilbar. Konnte er, Gandalf, sich sicher sein? Er stand nun genau an der Stelle, an der er schon bei der ersten Wiederkehr den Gefährten der Ringgemeinschaft erschienen war. Aber hier war keiner von ihnen. Gandalf fühlte sich alt und einsam in seiner Figur. Die Widerstände dieser Daseinsform schienen ihm unannehmbar. Die schier unü

"Melancholie unter Palmen" oder 1980

'Das Boot', 'Heißer Stein', 'Königin', 'Mann nehme' und 'Rubbish' sind bereits 1994 erschienen im Sammelband: Unser Bestes - Neue Autoren ...; Herausgeber: Förderkreis Buch und Kunst, Gütersloh im Autorenverlag im Weserhof

1980 - IV

Bewußt-Sein Das Bewußtsein in Aktenkoffer eingesperrt, dauernd drängen wir das Gewissen ab, abgestorben und als Teil einer Funktion läuft die Zeit ab, warum kommen wir über ewige Halbheiten und Kompromisse nicht hinaus und tun grundsätzlich nicht das, was wir wollen ? Ist es die Angst vor uns selbst, was für eine Menschlichkeit fürchten wir so sehr, das wir uns vor ihr verschließen ? Wir wollen nicht fragen und nicht leiden, uns keine Blöße geben, kein Leid sehen und nicht verpflichtet sein, immer gute Laune und möglichst viele schöne Dinge erleben. Dafür scheuen wir uns nicht, anderen mal auf den Fuß zu treten, sie zu kriminalisieren und zu radikalisieren, wenn uns deren Meinung zuviel wird und wir unsere "Werte" von denen schlecht behandelt sehen. Wir streben nach Reichtum jeder Art und Glück und leiden dabei unter dem größten menschlichen Schmerz: die Menge der Ausgestoßenen wächst. Eines Tages lösen wir unsere Unzufriedenheit aus, als Gemeinschaft der radikalen Einzelkämp

1980 - III

Maskenball Nach fünf bis sechs Tagen Maskenball an seiner Arbeitsstelle (das kam dort öfter vor) begab sich der Werktätige K.S. aus F. in sein wohl verdientes Wochenende. Er wollte sich eben nur schnell einen neuen Aufzug verpassen und hatte es längst gelernt, was natürlich transpirieren heißt, welcher Duftstoff die größte Wirkung erzielt, die ein Parfüm nicht erreicht ... Er verbrachte ein Wochenende mit Sport, danach die abgestimmte Sendung im Fernsehen, das nette Tanzlokal, darauf bereitete er sich immer gut vor, ein längeres Sonntagsschläfchen mit dem folgenden, abgerundeten Sonntagsmahl, ein Sonntagsspaziergang, der Gedanke, notwendigerweise, an die nächste Woche. Diese letzte Phase zeigt ihn nachdenklich, doch: überzeugend sein pünktlicher Arbeitsantritt. Eines Montages fand der Werktätige K.S. aus F. weder Kostüm noch Maske, dabei ging es diese Woche um das beste Kostüm. Selbst der Chef nutzte die Möglichkeit der Verkleidung. Was soll K.S. aus F. nun unternehmen ? Ohne Kostüm un

1980 - II

Herr Robinson Herr Robinson, Leiter oder viel mehr leitender Angestellter einer Werbeagentur, nannte eine schmucke Segeljacht sein eigen. Eines Tages nahm er seinen kompletten Jahresurlaub, ließ Streß Streß sein und segelte von der Nord- bis in die Südsee. Wie auch im Dschungel von Frankfurt spielte sich seine Crew glänzend aufeinander ein. Diese bestand aus der Lebensgefährtin Liane, braungebrannt, und zwei seiner besten Freunde, Grafiker und Fotograf von Beruf. Alles stand im Banne von Palmen, Sand und glasklarem Wasser, bis der Sturm den Mast von 'Antigone' umknickte wie ein Streichholz, sie antriebslos hinterließ und außerdem dafür sorgte. daß ein Leck das Schiff schneller sinken ließ, als ein Notruf braucht, um gesendet zu werden. Herr Robinson in Seenot: gerade ein Stück der Deckverkleidung diente ihm als Floß, die Gefährten verlor er aus den Augen. Vor Trauer und Sehnsucht nach Liane krank, der Einsamkeit überdrüssig und zu Tode erschöpft, strandete er auf einer Insel, d

John M. Coetzee – Summertime

Das Buch des südafrikanischen Schriftstellers ist Fiktion und dennoch autobiographisch. Mehrere wichtige Personen im Leben des Alter Ego kommen zu Wort, interviewt von dem stets im Hintergrund bleibenden englischen Ph.D.-Studenten, dessen Fragen aber den Charakter des zu erforschenden, vermeintlich bereits verstorbenen, Autors John M. Coetzee ein ums andere mal heraus arbeiten. Da tritt in den Schilderungen der Zeitzeugen ein recht spröder und weltfremder Mensch hervor, der seine Cousine als Kind lieb hatte, ein kurzes Verhältnis mit einer betrogenen Ehefrau eingeht, eine brasilianische Sambatänzerin stalkt und deren Tochter unterricht und eine Liebe zu einer französischen Lehrerkollegin hatte. Ein Mensch, der von den Frauen als zu leicht empfunden wird, zu wenig gefühlvoll und zu andersartig, um als richtiger Mann durchzugehen. Und auch der übrige Erfolg im Leben stellt sich kaum ein. Dieser John M. Coetzee ist in die U.S.A. ausgewandert, muss das Land verlassen, weil er dort Probleme

John Grisham – The Confession

Der Spannungsbogen dieses Buches ist gewaltig. Nur soviel kann daher guten Gewissens vorab verraten werden: ein unschuldiger schwarzer junger Baseballspieler namens Donté Drumm wird in der texanischen Kleinstadt Sloane wegen Mordes an der weißen Cheerleaderin Nicole Yarber vor Gericht gestellt. Deren Leiche wird zwar nie gefunden und das Geständnis des Angeklagten  unter rechtswidrigen Umständen erpresst, das stört aber das Gericht nicht im Geringsten. Schließlich müssen Recht und Gesetz obsiegen und soviel Möglichkeiten gibt es in Sloane nicht, sich als Hüter dieser Ordnung zu bewähren. Und wenn sich die untersuchende Richterin und der Polizeichef kennen, dann funktioniert die Zusammenarbeit noch besser. Alle weißen Schöffen des Gerichts schicken den schwarzen Donté Drumm in die Todeszelle, dabei hätten schon die Verhörprotokolle mit all den widersprüchlichen Aussagen Dontés zum Tatgeschehen Anlass für ernste Zweifel geboten. Donté jedenfalls sitzt in verschiedenen Todeszellen und dur

Jonathan Franzen - The Corrections

Jonathan Franzen schaut hinter den Spiegel und zwar so scharfsinnig beobachtend, dass einem schlecht wird. Jeder Mann kennt die Situation: gerade wenn ein handwerkliches Problem am kniffligsten zu sein scheint, ruft die Frau. Alfred Lambert, kurz Al genannt, ist ein pensionierter Ingenieur mit hauseigenem Labor und hat aber noch ein ganz anderes Problem. Er leidet an Parkinson und Demenz zugleich und so ist jedes kleine Handwerk ein Riesenproblem, dass ihn an den Rand seiner begrenzten Möglichkeiten führt. Und da taucht dann seine Ehefrau Enid auf, die bis zu seinem Lebensende nicht aufhören wird, ihm zu sagen, was er falsch gemacht hat. Beide leben in einem Haus in dem beschaulichen St. Jude, einem Städtchen im Mittleren Westen der USA, wo die Welt noch in Ordnung zu sein scheint. Enid als Mutter möchte, dass ihre drei Kinder möglichst zusammen mit ihren Familien, noch einmal zu einem letzten Weihnachtsfest nach St. Jude kommen. Man hätte dem Buch Franzens auch durchaus den Titel „Pro

Paul Auster – Invisible

„Unsichtbar“ so lautet der Titel dieses Buches auf Deutsch. Unsichtbar, so scheint die ordnende Hand des Autors zu sein. Die Protagonisten des Buches werden ausdrücklich mit fiktiven Namen bezeichnet. Das dürfte zwar in jedem Roman der Fall sein, aber dem Autor ist es wichtig, dem Leser auf die fiktive Existenz der Personen hinzuweisen, ganz so als habe es die Handlung wirklich gegeben. Der Collegestudent Adam Walker stammt aus einer kleinbürgerlichen Familie. Der Vater betreibt einen Supermarkt. Doch die Familiengeschichte bietet bereits Stoff für ein Drama: der jüngere Bruder von Adam Walker ertrinkt während eines Sommeraufenthalt der Familie in einem See. Er geht schwimmen und kommt nicht wieder, diese Tatsache schweißt Adam mit seiner Schwester zusammen, während die Eltern in stummer Trauer über den Verlust ihres Kindes versinken. Die Beiden feiern den Geburtstag ihres Bruders jedes Jahr zusammen. Adam Walker trifft auf seinen Gegenspieler, den französischen Politikprofessor Rudolf