Posts mit dem Label Literatur werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Literatur werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Donnerstag, 5. Oktober 2023

Reisen

Dieses Zitat fand ich sehr interessant bezüglich meiner jetzigen Situation:
"dass »die Sprache Spuren auslegt, auf denen der Geist reisen kann.«"
Ich hoffe, dass mir meine Sprache erhalten bleibt. 

Das Buch ist nun Bestandteil meiner schwierigender Lektüre. "Bewusstsein: Die ersten vier Milliarden Jahre" von Joseph LeDoux, Elsbeth Ranke, Sabine Reinhardus"













"

Samstag, 5. Januar 2019

Sowjetunion 1926

Wie weit man gesellschaftlich schon damals war.
Joseph Roth Zitat aus: Journalistische Schriften + Essays:
'Viel revolutionärer als die Sitte ist das Gesetz. Es macht keinen Unterschied zwischen ehelichen und unehelichen Müttern und Kindern. Es bestimmt, daß einer arbeitenden schwangeren Frau nicht gekündigt werden dürfe; daß ihr zwei Monate vor, zwei Monate nach der Entbindung Urlaub gegeben werde; daß der Monat, in den die Geburt fällt, doppelt entlohnt werde; es bestimmt, daß die Alimente der Vater zahle (wenn er nicht ohne Einkommen ist), daß eventuell einige Männer sich in die Alimentenlast teilen, wenn die Mutter es vorzieht, einige Männer als eventuelle Väter anzugeben; es gestattet den künstlichen Abortus, es befiehlt die Trennung der Ehe, auch wenn nur ein Teil sie lösen will, es stellt das sogenannte »Konkubinat« der vor dem Standesamt geschlossenen Ehe vollkommen gleich; es berechtigt theoretisch auch den Mann unter gewissen Bedingungen, auf materielle Unterhaltung Anspruch zu erheben; es anerkennt keine Gütergemeinschaft in der Ehe; es fördert die vielen Mütter-und Kinderheime, Schutzkommissionen, Säuglingsfürsorgestellen. Es ist ein im modernen Sinn humanes Gesetz, das allerdings in der Praxis ebenso zu Schwierigkeiten wie zu Lächerlichkeiten führen kann. Die Gerichte, die vor kurzer Zeit noch mit Alimenten-Prozessen überlastet waren, sind heute immer noch mit ihnen beschäftigt."

Donnerstag, 26. September 2013

Ringgeist - Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Ja, manche Titel und seien es die von einem Buch, sprechen einfach für sich selbst.
Das begeisterte mich am 28.1.2005.

Genial ist, dass es Länder gibt, in denen Menschen Leben, die den Blick fürs Wesentliche nicht verlieren, abseits der projektgierigen Geschäftemacher und Pseudopsychologen.
Und so liest sich die Wahrheit:
"Es (die Scheiße) ist ein deutsches Wort, das mitten im sentimentalen neunzehnten Jahrhundert entstanden und in alle Sprachen eingegangen ist. Durch häufige Verwendung ist die ursprüngliche metaphysische Bedeutung verwischt worden. Kitsch ist die absolute Verneinung der Scheiße; im wörtlichen wie im übertragenen Sinne: Kitsch schließt alles aus seinem Blickwinkel aus, was in der menschlichen Existenz im wesentlichen unannehmbar ist. "
(aus Milan Kundera, Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins)
Ein solches Eigenleben der Substantive liegt mir. Es zeigt ein Eigenleben der Begriffe in unseren Köpfen auf und bedeutet die Sucht nach der Erkennung von Zusammenhängen. Und Erkenntnis ist Schwere.. (dabei ist das Leben leicht, weil einmalig.)

Mittwoch, 28. August 2013

Meldungen

Gestern Abend erzählte mir meine Frau, Wolfgang Herrndorf sei tot, das sei die Meldung des Tages. Ich hatte ihr den "Tschick" zum Lesen empfohlen. Daher kannte sie den Namen.
Gestern wurde aber auch über einen Mann berichtet, der seinem vor sechs Wochen verstorbenen Frau ein Liebeslied geschrieben hatte, das er aber selbst nicht singen könne.Ein kleines Label hat es nun heraus gebracht, gesungen von einem richtigen Sänger. "Sweet Lorraine" heißt es.
75 Jahre werden wir nicht schaffen, dazu haben wir zu spät geheiratet.
Was hat die Frau nun davon, dass er ihr dieses Lied geschrieben hat, war mein erster Gedanke.
Die, um die es geht, haben halt nichts mehr davon. Solange man lebt, ist es anders.
Es ist also zu spät, eine Laudatio auf Herrndorf heraus zu bringen und das Rühren im Betroffenheitsquark hätte er wohl nicht gemocht. Der letzte Eintrag seines Blogs jedenfalls enthält die Vermeldung seines Suizids.
Korrekt und nicht geschönt, so wie er es wohl auch wollte.
Das Schreiben eines solchen Blogs mit dem Wissen um die eigene Krankheit und das unvermeidlich aus ihr resultierende Ende beeindruckte mich und ich habe es ihm auch geschrieben.
Er hat aber wohl soviel Post, vor allem zu seiner Krankheit bekommen, dass er vieles nicht beantwortete.
Mir ist auch selbst schon die Unmöglichkeit eines solchen Briefes, den ich da schrieb, aufgegangen.
Eine Fassung habe ich dann auch gar nicht erst abgeschickt.
Ihn selbst hat es wohl nicht gefallen, dass er sich zum Schluss nicht mehr so ausdrücken konnte wie er wollte.
Der Kontrollverlust und die Veränderung seiner Persönlichkeit, die er bei sich selbst bemerkte, haben ihn erschreckt. Er war trotz aller Freunde allein mit seiner Endlichkeit und er wusste das. Dennoch hat er die schönen Momente, die ihm noch blieben, soweit er konnte, auch im Blog festgehalten.
Ob es überhaupt möglich ist, in einem Blog auch nur annähernd das wieder zu geben, was an Mensch an Gefühlen empfindet, ist eine andere Frage.
Er selbst hat zum Schluss daran gezweifelt, den Zweifel geteilt, mit denen, die lesen wollten.
Ich selbst wollte und will und es bleibt zu hoffen, dass sich gute Menschen seiner möglicherweise hinterlassenen Texte annehmen und so noch einmal etwas was zu lesen sein wird von diesem Wolfgang Herrndorf.

 

Mittwoch, 21. August 2013

Ringgeist - Malte


November, die dunkle Jahreszeit beginnt und am 18.11.2004 beeindruckte mich der folgende Text.

„Da strahlt Samen aus, und sie halten sich unter wie Dirnen und spielen damit, oder er fällt, während sie daliegen in ihren ungetanen Befriedigungen, wie Samen Onans zwischen sie alle.

Wo aber, Herr, ein Jungfräulicher unbeschlafenen Ohrs läge bei deinem Klang: er stürbe an Seligkeit oder er trüge Unendliches aus und sein unbefruchtetes Hirn müsste bersten an lauter Geburt.“

Aus Rainer Maria Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge

Lassen wir Malte (welch schöner Name) weiter schwer krank durch Paris wandern.
Es strömt ja geradezu aus ihm heraus und ob er dereinst erreichen kann, was ihm heute noch normal und alltäglich erscheint ?
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: im Zitat geht es um Musik.

Donnerstag, 2. August 2012

2005 - VIII

Jurek Becker las 1977 in der Buchhändlerschule in Frankfurt am Main. Die Begeisterung für diesen Schriftsteller war mir damals fremd, heute kann ich sie verstehen.

"daß er und .... sich darin einig sein, in einem minderwertigen Land zu leben, umgeben von würdelosen Menschen, die ein besseres nicht verdienten. ... Es sei zwar richtig, daß der Aufseher hart bestraft werde, wenn sie ihm einem Gericht übergäben, aber warum?
Doch einzige deshalb, weil zufällig die eine Besatzungsmacht das Land erobert habe und nicht die andere. Wenn die Grenze nur ein wenig anders verliefe, dann wären dieselben Leute entgegengesetzter Überzeugung, hier wie dort. Wer stark genug sei, könne diesem deutschen Gesindel seine Überzeugungen diktieren, ob er nun Hitler oder sonstwie heiße."


Entnommen aus: Jurek Becker: Bronsteins Kinder

Sonntag, 22. Juli 2012

2004 - III

Ich, Gandalf

Im Fangornwald materialisierte Gandalf, der Weiße. Lange nach dem Ende der Menschheit, sodass sich die Bäume wunderten. In einem Energiestrom hatten sich Turbulenzen gebildet,
die satte Zufriedenheit der Existenzlosigkeit geriet aus dem Gleichgewicht. Unruhe entstand., die den Fluss der Dinge störte. Gandalf erwachte aus einem langen, schlaflosen Nichts. Sollte er die Welt erneut vor den bösen Kräften erretten?
Der Ring war doch unwiederbringlich vernichtet. Aber hatte nicht auch Frodo, der Hobbit, einen unheilbaren Schwertstreich von den Nazgûl empfangen, der trotz des Sieges über die dunklen Mächte weiter wirkte? Frodo war in dieser Welt nicht heilbar. Konnte er, Gandalf, sich sicher sein? Er stand nun genau an der Stelle, an der er schon bei der ersten Wiederkehr den Gefährten der Ringgemeinschaft erschienen war. Aber hier war keiner von ihnen. Gandalf fühlte sich alt und einsam in seiner Figur. Die Widerstände dieser Daseinsform schienen ihm unannehmbar. Die schier unüberwindlichen Entfernungen der Räumlichkeit, die Zwänge, diesen schwachen Körper zu versorgen, all das steigerte seinen Unmut. Gefahren entstanden, weil dieses Lebensgebilde so empfindlich war. Der weiße Zauberer empfand so etwas wie Unsicherheit trotz seiner besonderen Kräfte. Letztlich war er ein alter Mann mit weißen Haaren und Bart in einem weißen Gewand und lediglich sein Zauberstab mochte etwas Besonderes sein.
Die knorrigen Bäume des Fangornwalds, längst ohne die Aufsicht der Ents und Baumbarts, sprachen: Gandalf, was machst du hier? Die Menschen sind längst vergangen und nicht mehr zu retten.
Was du hier siehst, ist nur noch ein Abbild deiner Vorstellung. Planet Mittelerde verglühte einst in der Sonne, als diese sich aufblähte, bevor sie in sich zusammen fiel zu einem schwarzen Zwerg. Vorher war die Menschheit lange ausgestorben. In ihren grenzenlosen Gier und dem Glauben, die Krone der Schöpfung zu sein, hatten sie sich alles genommen, ohne die Gesetze der Natur zu beachten. Sie strebten ihrem Ende mit Begeisterung entgegen, brachten sich gegenseitig um, um das Paradies zu erreichen. Die einen wähnten es auf Mittelerde, frönten der Dekadenz, die anderen erwarteten es in einem neuen Leben. Sie hatten vergessen, dass sie nur zu diesem Leben geboren waren und darin allein Erfahrungen machen sollten. So wurde es die Hölle für alle. Nachdem die Tiere und die anderen Bewohner Mittelerdes keine Lebensgrundlage mehr hatten, starben sie allmählich an dem Klima, für das sie verantwortlich waren. Lediglich die Ratten und am Ende die Insekten lebten danach noch. Wir Bäume beklagten große Opfer, mussten der Wüste weichen, denn Mittelerde wurde nun heiß. Beschienen von der gleichen Sinne, die schon eure Schlachten um Helms Klamm und Minas Tirith beleuchtete. Aber mit welchem Ergebnis, nachdem das Zeitalter der Menschen und Tiere beendet war, vertrockneten und verdursteten auch wir, bevor uns mächtige Stürme entwurzelten und hinwegfegten.
So erinnern wir uns alle an den Fangornwald und dies führt uns hier her. Glaubst du, es wiederholt sich alles?
Einige munkelten, das aber auch Sauron, der Herr der Finsternis zurückgekehrt sei. Er hatte die Brunnenfurt als Ort seiner Materialisation gewählt. Gandalf erahnte den Schrecken und die Angst, die den Hobbits in die Glieder fuhr als die Ringgeister ihnen genau an dieser Stelle auf die Spur kamen. Sauron liebte sicher die Symbolik, denn genau dort war seinem Sieg und dem Ring so nahe gewesen. Er würde in die Gestalt eines Ringgeistes fahren und das mächtige Schwert Mordors zum Sieg führen. Und es gab einen, den er suchte: Gandalf.
Der Kampf würde dieses Mal ohne die Gefährten geführt, ohne die wilden Reiter von Rohan und die Streitmacht der Menschen Gondors und ohne die Übermacht der Orks und Uruk-hai-Krieger und deren Verbündeter Mordors. Nein, es ist eine Entscheidung der beiden einzigen Kräfte.
Eine Entscheidung? Gandalf vernahm die Stimme Saurons überdeutlich. Sie war in ihm.
Der schwarze Reiter hatte sich genähert und wo sein Schwert einen Baum berührte, verschwand dieser. Das schwarzsilberne Zaumzeug Mordors glänzte, das Pferd scheute, ehe es zum Stehen kam. Fast unbeweglich saß die Gestalt im schwarzen Umhang auf ihm, das Schwert leicht erhoben. Die Kapuze wendete sich Gandalf zu. Für einen Moment glaubte Gandalf das Gesicht einer Jungfrau zu sehen, so gülden und rein wie eine Totenmaske. Unbeweglich, starr und voller Energie. Eine Entscheidung? Sauron wiederholte sich, gefällt sie dir, diese Symbolik? Es wird nichts an deinem Ende ändern, denn ich habe die Macht auch ohne den Ring. Gandalf hob den Elbenzauberstab in die Höhe und richtete ihn auf Sauron. Ein schier unendliches Nein brach aus ihm hervor und die weiße Energie mit ihr, umbrandete die unbewegliche Gestalt Saurons. Sein Pferd stieg in die Höhe, aber er bändigte es mühelos und stieg ab, schritt langsam auf Gandalf zu. Sauron hebt das Schwert, um den Zauber Gandalfs zu brechen. Doch die Klinge fährt hindurch ohne den Stab zu brechen.
Gandalf und Sauron berühren einander nicht, obwohl sie durcheinander gehen.
Sie wiederholen das Spiel und laufen fast im Kreis aufeinander zu, sie werden kleiner, längst ist Saurons Pferd dematerialisiert. Eine nackte schwarze Jungfrau tanzt mit einem weißen Derwisch, die Bilder wechseln. Bald wird alles Eins sein, der Energiestrom wird fließen, ein Hauch des Nichts, der Alles bedeutet.


Dienstag, 6. März 2012

"Melancholie unter Palmen" oder 1980


'Das Boot', 'Heißer Stein', 'Königin', 'Mann nehme' und 'Rubbish' sind bereits 1994 erschienen im Sammelband: Unser Bestes - Neue Autoren ...; Herausgeber: Förderkreis Buch und Kunst, Gütersloh
im Autorenverlag im Weserhof

Dienstag, 10. Januar 2012

1980 - IV

Bewußt-Sein

Das Bewußtsein in Aktenkoffer eingesperrt, dauernd drängen wir das Gewissen ab, abgestorben und als Teil einer Funktion läuft die Zeit ab, warum kommen wir über ewige Halbheiten und Kompromisse nicht hinaus und tun grundsätzlich nicht das, was wir wollen ?
Ist es die Angst vor uns selbst, was für eine Menschlichkeit fürchten wir so sehr, das wir uns vor ihr verschließen ?
Wir wollen nicht fragen und nicht leiden, uns keine Blöße geben, kein Leid sehen und nicht verpflichtet sein, immer gute Laune und möglichst viele schöne Dinge erleben. Dafür scheuen wir uns nicht, anderen mal auf den Fuß zu treten, sie zu kriminalisieren und zu radikalisieren, wenn uns deren Meinung zuviel wird und wir unsere "Werte" von denen schlecht behandelt sehen. Wir streben nach Reichtum jeder Art und Glück und leiden dabei unter dem größten menschlichen Schmerz: die Menge der Ausgestoßenen wächst.
Eines Tages lösen wir unsere Unzufriedenheit aus, als Gemeinschaft der radikalen Einzelkämpfer erzielen wir größte Wirkung und potenziert ins Philosophische führt es uns zum nuklearen Wahnsinn, der uns die letzte Sorge nimmt.

Montag, 9. Januar 2012

1980 - III

Maskenball

Nach fünf bis sechs Tagen Maskenball an seiner Arbeitsstelle (das kam dort öfter vor) begab sich der Werktätige K.S. aus F. in sein wohl verdientes Wochenende. Er wollte sich eben nur schnell einen neuen Aufzug verpassen und hatte es längst gelernt, was natürlich transpirieren heißt, welcher Duftstoff die größte Wirkung erzielt, die ein Parfüm nicht erreicht ...
Er verbrachte ein Wochenende mit Sport, danach die abgestimmte Sendung im Fernsehen, das nette Tanzlokal, darauf bereitete er sich immer gut vor, ein längeres Sonntagsschläfchen mit dem folgenden, abgerundeten Sonntagsmahl, ein Sonntagsspaziergang, der Gedanke, notwendigerweise, an die nächste Woche. Diese letzte Phase zeigt ihn nachdenklich, doch: überzeugend sein pünktlicher Arbeitsantritt. Eines Montages fand der Werktätige K.S. aus F. weder Kostüm noch Maske, dabei ging es diese Woche um das beste Kostüm. Selbst der Chef nutzte die Möglichkeit der Verkleidung. Was soll K.S. aus F. nun unternehmen ?
Ohne Kostüm und Maske gehen scheint nicht sehr förderlich, oder etwa ein neues erstehen, wo das alte so gut paßte (sowas ist teuer)... Reichliche Hinweise zur Belohnung ausgesetzt.

Dienstag, 3. Januar 2012

1980 - II

Herr Robinson

Herr Robinson, Leiter oder viel mehr leitender Angestellter einer Werbeagentur, nannte eine schmucke Segeljacht sein eigen. Eines Tages nahm er seinen kompletten Jahresurlaub, ließ Streß Streß sein und segelte von der Nord- bis in die Südsee. Wie auch im Dschungel von Frankfurt spielte sich seine Crew glänzend aufeinander ein. Diese bestand aus der Lebensgefährtin Liane, braungebrannt, und zwei seiner besten Freunde, Grafiker und Fotograf von Beruf.
Alles stand im Banne von Palmen, Sand und glasklarem Wasser, bis der Sturm den Mast von 'Antigone' umknickte wie ein Streichholz, sie antriebslos hinterließ und außerdem dafür sorgte. daß ein Leck das Schiff schneller sinken ließ, als ein Notruf braucht, um gesendet zu werden. Herr Robinson in Seenot: gerade ein Stück der Deckverkleidung diente ihm als Floß, die Gefährten verlor er aus den Augen. Vor Trauer und Sehnsucht nach Liane krank, der Einsamkeit überdrüssig und zu Tode erschöpft, strandete er auf einer Insel, die ihm als winziges Eiland erschien. Feiner weißer Sandstrand, die letzte Empfindung vor der Ohnmacht. Das Meer so unendlich blau, die Brandung so lieblich, die Sonne so gelb, als habe es nie einen Sturm gegeben. Und jetzt tauchte auch noch ein Kreuzfahrerschiff am Horizont auf. Groß, weiß und bedächtig ging es vor Anker.
Kleine Boote mit neugierigen, kamerabehängten, kurzhosigen Touristen schwärmten aus. Die Anführerin der ersten Gruppe schien erstaunt, als sie den so gut wie unbekleideten Herrn Robinson sah, den langbärtigen, farbigen, etwas wirr blickenden Sonderling. Er wollte sich vor den klickenden, surrenden Film- und Fotokameras schützen und den entsetzten, teilweise belustigten Blicken der älteren Frauen entgehen. Dann begann er zu sprechen, wollte erklären, aber die Kreuzfahrer hasteten weiter zu irgendeiner angekündigten roten Grotte, wie jemand murmelte. Vollgepackt das Programm der Reisenden, keine Zeit für Small-Talk mit Eingeborenen, das war nicht vorher arrangiert, sogar ärgerlich.
Doch Robinson wollte zurück ins Dunkle seines schattigen, klimatisierten, Büros. Das glaubt mir kein Mensch, durchzuckte es ihn, er bemerkte Bewegungen. Jemand faßte auf seine Schulter, er schnellte herum. " He, Dein Rücken ist schon ganz rot, das gibt Sonnenbrand ! ", unverkennbar die Stimme von Liane. " Komm', laß' uns was trinken gehen, wir haben genug Sonne getankt ! " Ja, murmelte Herr Robinson, fühlend das große Schwitzen, bloß zurück zum Hotelzimmer in den Schatten.
Du, sagt er später zu Liane, eigentlich hätten wir auch was anderes machen können als so einen Pauschalurlaub. Ja, ja, spottet Liane, Deine ewige Unzufriedenheit, Du wolltest doch segeln !

Donnerstag, 1. Dezember 2011

John M. Coetzee – Summertime

Das Buch des südafrikanischen Schriftstellers ist Fiktion und dennoch autobiographisch.
Mehrere wichtige Personen im Leben des Alter Ego kommen zu Wort, interviewt von dem stets im Hintergrund bleibenden englischen Ph.D.-Studenten, dessen Fragen aber den Charakter des zu erforschenden, vermeintlich bereits verstorbenen, Autors John M. Coetzee
ein ums andere mal heraus arbeiten. Da tritt in den Schilderungen der Zeitzeugen ein recht spröder und weltfremder Mensch hervor, der seine Cousine als Kind lieb hatte, ein kurzes Verhältnis mit einer betrogenen Ehefrau eingeht, eine brasilianische Sambatänzerin stalkt und deren Tochter unterricht und eine Liebe zu einer französischen Lehrerkollegin hatte.
Ein Mensch, der von den Frauen als zu leicht empfunden wird, zu wenig gefühlvoll und zu andersartig, um als richtiger Mann durchzugehen. Und auch der übrige Erfolg im Leben stellt sich kaum ein. Dieser John M. Coetzee ist in die U.S.A. ausgewandert, muss das Land verlassen, weil er dort Probleme wegen seiner Einstellung zum Vietnamkrieg bekommt und lebt dann bei seinem Vater.
Szenen aus Kapstadt und dem Outback wechseln sich ab, Szenen aus der Zeit der Apartheid in den Siebziger Jahren. Einer Zeit, in der schon viele Weiße wussten, dass das Paradies ihrer eingezäunten Vorstädte nicht ewig bestehen würde..
Dieser Coetzee kann nichts richtig und arbeitet doch immer weiter. Er versucht, das Haus des Vaters zu erneuern und unterschätzt die damit verbundene Arbeit. Er gibt Nachhilfeunterricht an der Uni, ohne ein richtiger Hochschullehrer zu sein. Er bleibt mit dem uralten Pickup, den er vergeblich zu reparieren versucht, bei einem Ausflug mit seiner Cousine in der Wüste stecken.
Das große Geheimnis des Buches ist: wie viel John M. Coetzee ist dieser John M. Coetzee?
Er schreibt Poesie, das macht ihn für seine Farmerfamilie nicht besser. Er ist kein Rassist und doch nicht politisch.
Da man diese Frage dennoch nicht beantworten kann, liest man einfach das Buch, als das, was ist: ein sehr menschliches Portrait des untergegangenen südafrikanischen Apartheidstaates.
Und eines Menschen, dessen Bemühen im Vordergrund steht, der beschreibt und nicht handelt.  
John M. Coetzee erhielt 2003 den Nobelpreis für Literatur. Er ist Vater zweier Töchter und Witwer. Und lebt in Australien. 

Mittwoch, 6. Juli 2011

John Grisham – The Confession

Der Spannungsbogen dieses Buches ist gewaltig. Nur soviel kann daher guten Gewissens vorab verraten werden: ein unschuldiger schwarzer junger Baseballspieler namens Donté Drumm wird in der texanischen Kleinstadt Sloane wegen Mordes an der weißen Cheerleaderin Nicole Yarber vor Gericht gestellt. Deren Leiche wird zwar nie gefunden und das Geständnis des Angeklagten  unter rechtswidrigen Umständen erpresst, das stört aber das Gericht nicht im Geringsten.
Schließlich müssen Recht und Gesetz obsiegen und soviel Möglichkeiten gibt es in Sloane nicht, sich als Hüter dieser Ordnung zu bewähren. Und wenn sich die untersuchende Richterin und der Polizeichef kennen, dann funktioniert die Zusammenarbeit noch besser. Alle weißen Schöffen des Gerichts schicken den schwarzen Donté Drumm in die Todeszelle, dabei hätten schon die Verhörprotokolle mit all den widersprüchlichen Aussagen Dontés zum Tatgeschehen Anlass für ernste Zweifel geboten.
Donté jedenfalls sitzt in verschiedenen Todeszellen und durchlebt verschiedene Phasen seiner Isolation. Derweil kämpft der Anwalt Robbie Flak unermüdlich darum, die Falschaussage eines ehemaligen Freundes von Nicole Yarber zu belegen. Ein Kampf gegen die Zeit beginnt zudem, als der eigentliche Mörder, inzwischen unheilbar krank, aus der Haft entlassen wird und den Ausgang während seiner Zeit in einem Bewährungsheim nutzt, um einem
lutheranischem Pastor in Kansas sein Geständnis scheibchenweise anzuvertrauen, nicht ohne dessen attraktive Frau anzuhimmeln. Travis Boyette will einmal in seinem Leben die Wahrheit sagen und mit dem Fall abschließen. Schließlich, so sagt er, habe er Nicole geliebt. Er ist ein verurteilter Serienvergewaltiger, ein Mann, der seinen Trieb nie zügeln konnte und der Gewalt am eigenen Leib erfahren hat.
Dem Pastor aber schlägt die Stunde des Gewissens, er bricht das Gesetz und fährt Boyette nach Texas, um die Hinrichtung eines Unschuldigen zu verhindern.
Das Buch ist ein glänzendes Plädoyer gegen die Todesstrafe und es zeigt gleichzeitig, wie weit die Rassengleichheit in den U.S.A. ist. Jon Grisham nutzt durchaus bekannte Klischees, scheut sich aber nicht, seine Charaktere und Protagonisten mal mehr, mal weniger mit Licht und Schatten zu versehen. Zwar gibt es Gute und Böse, aber wer am Ende gewinnt, ist fast nicht zu sagen. Das Travis Boyette am Ende gar nicht todkrank ist und erst bei einem erneuten Versuch, eine Frau zu entführen und zu vergewaltigen, festgenommen wird, irritiert durchaus und lässt an Travis’ edlem Motiv zum Geständnis zweifeln.  
Die Hoffnung erhält zum Schluss einen Stich und manches erscheint als Wahrheit sehr bitter.       


Mittwoch, 30. März 2011

Jonathan Franzen - The Corrections

Jonathan Franzen schaut hinter den Spiegel und zwar so scharfsinnig beobachtend, dass
einem schlecht wird. Jeder Mann kennt die Situation: gerade wenn ein handwerkliches Problem am kniffligsten zu sein scheint, ruft die Frau. Alfred Lambert, kurz Al genannt, ist ein pensionierter Ingenieur mit hauseigenem Labor und hat aber noch ein ganz anderes Problem. Er leidet an Parkinson und Demenz zugleich und so ist jedes kleine Handwerk ein Riesenproblem, dass ihn an den Rand seiner begrenzten Möglichkeiten führt.
Und da taucht dann seine Ehefrau Enid auf, die bis zu seinem Lebensende nicht aufhören wird, ihm zu sagen, was er falsch gemacht hat. Beide leben in einem Haus in dem beschaulichen St. Jude, einem Städtchen im Mittleren Westen der USA, wo die Welt noch in Ordnung zu sein scheint. Enid als Mutter möchte, dass ihre drei Kinder möglichst zusammen mit ihren Familien, noch einmal zu einem letzten Weihnachtsfest nach St. Jude kommen. Man hätte dem Buch Franzens auch durchaus den Titel „Probleme“ geben können, denn die werden nun offenbar. Gary, Finanzinvestor ohne Überstunden und der scheinbar solideste Sohn, kann weder seine Frau noch seinen Lieblingssohn zu einem gemeinsamen Weihnachten in St. Jude überreden und erscheint allein. Er meint das Schicksal seiner Eltern durch den Hausverkauf regeln zu können und will so entstehendem Finanzbedarf der beiden Eltern vorbeugen. Chip, genannt Chipper, ist erst gar nicht verheiratet und betreibt dubiose Finanzgeschäfte in Litauen. Ein Regierungssturz in Litauen zwingt ihn zur Heimkehr, die er aber nicht pünktlich schafft. Denise schließlich ist auch kein Beispiel für Enids Familienplanung. Sie ist nicht verheiratet und verliert ihren Job als verantwortliche Leiterin eines renommierten Restaurants, weil sie sowohl mit ihrem Chef als auch mit dessen Frau ein Verhältnis hat. Jedes der Kinder bringt also sein Päckchen mit zu dieser Bescherung ohne dass es dort geöffnet werden kann.
Immerhin kommen alle nun zusammen und das Drama nimmt seinen Lauf. Enid muss erkennen, dass es zu spät für Alfred ist, eine geplante Therapie zu beginnen, weil Denise feststellt, dass er simpelste Bewegungsübungen nicht mehr kontrolliert ausführen kann. Denise erkennt, dass ihr Vater von einem Verhältnis eines seiner Arbeiter mit ihr gewusst und dies verschwiegen hat. Der Arbeiter versuchte später Alfred zu erpressen, aus Scham ging dieser in den Vorruhestand. Denise sieht auch, dass der sonst so hart kritisierte Chip der Lieblingssohn des Vaters ist, dessen Stimme ihn immer wieder aus dem Nebel seiner Demenz zieht. Und Gary muss erkennen, dass er für den Hausverkauf keinen Grund mehr hat, den Alfred wird in dem Haus nicht mehr leben können.
Es sind ganz andere „Korrekturen“ also, als die, die man erwartet hätte. Chip und Denise werden ihre Mutter bis zum Tod des Vaters unterstützen. Chip wird in eine jüdische Familie einheiraten und Denise wieder eine Anstellung bekommen. Enid wird das Krankenhaus nach dem Tod ihres Mannes verlassen und beschließen, dass sie auch mit 75 noch viel zu ändern hat. Soweit eine versuchte Zusammenfassung des Geschehens, dass den Rahmen bildet für die immer gleiche Dramatik des Lebens. Die scheinbare Zusammenhanglosigkeit menschlichen Tuns und Vergeblichkeit mancher menschlichen Sehnsüchte verhindern nicht, dass der Mensch immer wieder seinen Bildern von Liebe und Richtigkeit nach läuft und zwar für sich allein. Das Leben ist der große Korrektor.
Franzens Roman offenbart natürlich autobiographische Züge. So ist der Protagonist Alfred ebenso wie der Autor in Illinois geboren. Die lebensfeindliche Haltung, die eine Abscheu gegenüber jeglicher Lust beinhaltet sowie eine Kühle gegenüber den engsten Angehörigen, scheinen ihm wohl bekannt. Die Schilderung der einzelnen Charaktere ist packend bis ins Detail, jeder für sich wird in Form einer Novelle dargestellt und immer dann, wenn es gerade sehr spannend ist, beginnt eine neue Geschichte. Franzen ist nicht nur Erzähler, er ist ein gnadenloser Beobachter und Meister der Analyse.

Mittwoch, 22. Dezember 2010

Paul Auster – Invisible

„Unsichtbar“ so lautet der Titel dieses Buches auf Deutsch. Unsichtbar, so scheint die ordnende Hand des Autors zu sein. Die Protagonisten des Buches werden ausdrücklich mit fiktiven Namen bezeichnet. Das dürfte zwar in jedem Roman der Fall sein, aber dem Autor ist es wichtig, dem Leser auf die fiktive Existenz der Personen hinzuweisen, ganz so als habe es die Handlung wirklich gegeben.
Der Collegestudent Adam Walker stammt aus einer kleinbürgerlichen Familie. Der Vater betreibt einen Supermarkt. Doch die Familiengeschichte bietet bereits Stoff für ein Drama:
der jüngere Bruder von Adam Walker ertrinkt während eines Sommeraufenthalt der Familie
in einem See. Er geht schwimmen und kommt nicht wieder, diese Tatsache schweißt Adam mit seiner Schwester zusammen, während die Eltern in stummer Trauer über den Verlust ihres Kindes versinken. Die Beiden feiern den Geburtstag ihres Bruders jedes Jahr zusammen.
Adam Walker trifft auf seinen Gegenspieler, den französischen Politikprofessor Rudolf Born, bei einer Party. Rudolf Born ist in Begleitung seiner französischen Geliebten Margot dort. Und diese hat ein Auge auf den jungen und sichtbar gelangweilten Adam geworfen.
Es kommt zu einem ersten Gespräch zwischen Adam und Rudolf. Aus dem sich eine sehr ambivalente Beziehung entwickelt. Auf Drängen Margots bietet Rudolf dem jungen Adam an, für ihn als Herausgeber eines literarischen Hochglanzmagazins zu arbeiten. Eine Herausforderung, die Adam, der bisher nur ein paar Gedichte veröffentlichte, kaum widerstehen kann. Obwohl Rudolf unerklärlich viel über seine Familie weiß und es ihm rätselhaft ist, warum gerade er diese Chance bekommt. Adam und Margot kommen sich näher, sehr viel näher als erlaubt, nicht einmal das scheint Rudolf zu stören. Dennoch kommt es zum Bruch zwischen Adam und Rudolf. Adam hat gerade sein erstes Honorar erhalten, als
beide während eines Spaziergangs von einem jungen Straßenräuber bedroht werden.
Rudolf Born zögert nicht langt und sticht den Jungen nieder. Er entfernt sich vom Tatort und überlässt es Adam, Hilfe zu holen. Doch der junge Straßenräuber ist tot, als diese eintrifft und auch Adam geht zunächst nicht zur Polizei. Ob es die Drohung von Rudolf Born ist, die ihn abhält oder die unbewusste Absicht, dem ungeliebten Mäzen Zeit zur Flucht zu geben, ist unklar. Nach etlichen Wochen gibt er sein Wissen der Polizei preis.
Doch Rudolf Born ist nach Paris geflohen und nun beginnt Adams Suche nach Gerechtigkeit.
Er erzählt seiner über alles geliebten Schwester von dem Vorfall. Die Geschwister kommen sich unerlaubt nahe. Sie wohnen in einem Appartement in New York einen Sommer lang, bevor Adam Rudolf nach Paris folgt, um einen Auslandstudienaufenthalt zu absolvieren.
In Paris kreuzen sich die Wege der beiden Protagonisten wieder. Adam konfrontiert die neue
Liebe des Professors mit dessen Tat in New York und zieht auch deren Tochter Cécile mit hinein.
Man glaubt ihm nicht, stattdessen findet die Polizei in seinem Hotelzimmer Drogen.
Statt einer Strafe in Frankreich wird Adam ausgewiesen, mit der Maßgabe nie wieder nach Frankreich zurückzukehren. 
Hier enden nun die Aufzeichnungen des Schicksalsjahrs 1967 und Jahrzehnte später
sendet der krebskranke Adam Walker diese an einen ehemaligen Mitstudenten, der nun ein erfolgreicher Autor geworden ist. Er bittet ihn, daraus ein Buch zu machen. Der Leser erfährt nun den Rest des Lebens von Adam Walker, ein ziemliches Klischee. Adam Walker ist als Rechtsanwalt sein Leben lang für die Sozial Schwachen eingetreten, hat eine farbige Frau und eine Adoptivtochter. James Freeman kann Adam Walker nicht mehr treffen, da Adam Walker kurz darauf verstirbt, nicht ohne vorher seine letzten Aufzeichnungen seiner Frau hinterlassen zu haben. Aus diesen letzten Aufzeichnungen und dem Tagebuch von Cécile,
der Tochter der Pariser Liebe von Rudolf Born besteht nun der Rest des Buches.
Man erfährt, dass die einzigen Überlebenden, die James Freeman befragen kann, die Schwester von Adam und eben jene Tochter sind Und natürlich Rudolf Born. Der auf einer Karibikinsel in seinem eigenen Zynismus badet, alt und dick geworden. Und der Cécile zu sich einlädt, um ihr den Antrag zu machen, obwohl er sie körperlich verabscheut. Man liest, dass Cécile Adam immer geliebt hat und immer noch liebt und sich dafür schämt, ihn nach dessen Aussage über Rudolf Born verstoßen zu haben. Man findet das ein bisschen schön und auch gerecht. Und die Schwester bestreitet die körperliche Liebe zu ihrem Bruder, bittet James Freeman aber, den Stoff mit fiktiven Personen zu veröffentlichen.
Paul Auster bietet also kein oberflächliches Happy End an. Der Tod beendet dieses Theaterstück, an dessen Handlungssträngen so viele unterschiedliche Personen hängen. Der Gute darf sterben während der Böse sein (Dantes) Inferno im irdischen Leben auskosten muss. Allein und auf einem hohen Berg.