Dienstag, 18. Dezember 2012

Gold - XLVII

Als ich nach der Arbeit im Krankenhaus an komme, und sein Zimmer betrete, ist er nicht da. Das Zimmer ist klein und das ihm zugedachte Bett das erste an der Tür. Zum Fenster hin liegt ein Mann, der mindestens so alt ist wie mein Vater. Vaters Tasche steht unausgepackt auf dem Boden, er hat angewiesen, dass nur ich seine Tasche auspacken darf. Als wir gerade etwas ratlos aus dem Zimmer gehen, wird er im Bett vom Flur aus herein geschoben. Die Schwester ist sehr freundlich und der Arzt kommt auch gleich. "Es sieht ja beschissen aus." stellt Vater vorab fest.  
Wir fragen den Arzt, welche Meinung er vom Zustand meines Vaters hat. Das weiß er natürlich noch nicht, weil er ihn gerade zum ersten Mal gesehen hat. Sie haben sein Schluckvermögen getestet und es sieht nicht gut aus. Das Legen einer PEG (Magensonde) wird unvermeidlich sein. Ich gehe kurz mit dem Arzt mit und leiste die erforderliche Unterschrift. Danach beginne ich, Vaters Tasche auszupacken. Das Portemonnaie ist da, eine Brille auch. Ich suche den freien Schrank im Zimmer und finde ihn. Das Bad ist ein Gemeinschaftsbad mit dem anderen Zimmer. Ich sehe daher vom Einräumen ab. Wir fragen die Schwester, ob Vater sitzen darf und sie bejaht, natürlich. Er will es eigentlich nicht so richtig. Immerhin, er sitzt. Aber schon bald zieht es ihn ins Bett zurück. Ich merke, wie schwer es für mich ist, ihn rückwärts liegend, wieder in die richtige Lage zu bringen. Meine Bemühungen tun ihm weh. Er mag nicht mehr so eine hohe Einstellung des Kopfteils. Nun soll es Abendessen geben. Die Schwester setzt ihm die Zähne ein. Ich frage Egon, ob er weiß, wo er ist. "Das höre ich ja." sagt er. Richtig viel reden können wir aber nicht mit ihm, denn der Besuch des anderen Patienten ist in der Mehrzahl. Das macht Gespräche anstrengend. Wir wollen ihn am Sonntag wieder besuchen. Die Telefonnummer vom sozialen Dienst habe ich mit bekommen. Ich lese nun über Pflegeheime. In erster Linie demotiviert mich hier ein Undercover-Report. Gleichzeitig besorge ich mir Listen von Frankfurter Pflegeheimen und Heimen in unserer Umgebung. Vater sagt, er will nicht von uns abhängig sein. Das wäre er dann nicht. Er hat genug gespart, sodass er jahrelang davon leben kann. Mittlerweile ist er auch besorgt, dass von dem Geld etwas weg kommt. Das soll erst mal da liegen bleiben. Seine Wohnung habe ich gekündigt, die Auflösung steht mir bevor. Als ich ihm erzähle, dass ich sein Fahrrad in den eigenen Keller eingeschlossen habe, ist ihm das nicht recht. Die anderen im Haus sollen nicht wissen, dass er nicht da ist. 
Bei normaler Lebensweise würde Vaters Geld lange für ihn reichen. Die Pflegeheime in Frankfurt aber kosten weit über 100 EUR am Tag in der Pflegestufe III, von der ich aus gehe. Bei uns in der Umgebung sind die Pflegeplätze rar. Verschiedene Einrichtungen nehmen gar nicht oder nur mit Warteliste auf. Ich denke an das Pflegeheim in Nidderau, einem Nachbarort, dort wird mir aber gleich beschieden, dass es für Herren kein Einzelzimmer gibt. In vielen Heimen werden die Patienten in Mehrbettzimmern untergebracht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass meinem Vater so etwas zu sagt.

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