Donnerstag, 17. Mai 2012

2001 - I

Ende des Tunnels

Die Rolltreppe am Ausgang lief nicht. Während er die Stufen hinauf stieg, weitete sich der Blick. Ihm kam es vor, als sei er zwanzig Jahre im Tunnel gewesen. Das Licht schien auf der Straße viel heller, obwohl der Himmel bewölkt war. In der U-Bahn hatte er sich an die trübe Neonbeleuchtung und die wechselnden Fahrgäste gewöhnt, nun war er allein und blickte auf das, was hier Skyline hieß. Der junge Mann blickte auf eine junge Stadt. Die meisten Häuser standen noch nicht vor zwanzig Jahren. Dennoch schien sich Rauch auf die spiegelnden Glasfassaden zu legen, sie schaut stumpf in die Atmosphäre und bemühten sich vergebens ihren Glanz zu transportieren. Die Menschen fühlten sich drinnen wohler als draußen, die Straßen kaum gefüllt, fühlte es sich unbehaglich an. Unverhohlen schaute ein glatter junger Mann seinen Gefühlen zu, die seinen Kopf wie eine Wolkendecke umschwebten. Verstohlen dagegen die beiden vermummten Frauen., die sich einen flüchtigen Kuß zuhauchten.
Die Endstation hieß Südbahnhof und er behielt die Richtung bei. Er schaute an die geschrägte Decke, irgendwo im Haus rumorte ein Kind, was nicht das seine war. Dennoch hatte er eine intensive Beziehung dazu. Er dachte nicht mehr in Gegensätzen. Im Kampf gegen Autoritäten aller Art hatte er sein Ziel verloren. Wenn das Schießen zum Prinzip wird, ist das die Niederlage und Beugung vor gewalttätigen Ideologien.
Die Waffe war nun abgelegt, der Tunnel verlassen, aber das Licht schien nicht. Alle Wege führen zum Ende, aber die Ausgänge sind sehr unterschiedlich. Einen Rückblick wert waren zwanzig Jahre nicht, aber sie führten ihn zu neuen Erfahrungen. Er begann, ein bißchen dankbar zu sein.

Dienstag, 15. Mai 2012

2000 - XXIII

10 vor acht oder halb sieben

Die Hündin sitzt nachts vor dem Haus und betrachtet das Panorama des Dachsteins. Ein Mensch kommt zum Hinterausgang heraus mit Tüten in der Hand. Sie begrüßt ihn und schnüffelt interessiert an dem, was er da im Schnee hinterläßt: schmutzige Wäsche und Schuhe. Der Schnee liegt gut 15 cm hoch auf dem Autodach und der Mensch schaufelt es frei um halb sieben. Er muß immer wieder den Deckel des Kofferraums öffnen und neu packen, eine Gelegenheit für immer neue Einblicke. Will er sie ins Haus lassen? Nein, er benutzt wieder der Hintereingang. Er wird frühstücken und dabei überlegen, welcher Weg der beste sein wird. Der verschneite Umweg oder eine halb vereiste Kehrenstraße, die den direkten Weg zur Heimat verspricht.
Nahezu alles im Auto ist verschneit oder naß, schon am Vorabend hatte es geschneit. Was macht es schon, die Räder werden knirschend über die dichte Schneedecke hinweg rollen. Er wird dahin kommen, wo er hin will, vorher noch tanken. Die Wirtin des Hofs und er verabschieden sich mit festem und herzlichem Händedruck.
Die Angst besiegen, das ist es, was zählt. Dunkle Stunden ertragen, ohne zu verzagen. Hoffen auf das Licht am Ende des Tunnels. Besser, das Licht in Erinnerung zu behalten, als die dunkle Felswand. Er sagt sich einmal na, na, als er die Kurven fährt. Es ist keiner da, ihm zuzuhören. Da ist diese innere Kraft, die ihn hypnotisiert auf seinem Sitz. Möge die Kraft mit Dir sein, nicht die Macht, denn sie ist es nicht. Die Hündin winselt die letzten Schritte zum Auto mit. Sie wird auch heute nacht wieder das Dachsteinmassiv betrachten, was denkt sie bloß dabei? Aus dem kleinen Funke wird eine große Flamme: die Heimat. Gewohnte Umgebung und Diktion, doch was treibt ihn fort? Heimat ist überall, wo Menschen sind, die sich dem Leben stellen. Wird er wieder kommen und Silvester feiern? Was macht es schon, die Welt ist groß und schön.
Ein letztes Mal streichelt er die Hündin über den Kopf und nimmt so nebenbei den Abschied. Er wird ankommen mit dem gewissen Gefühl, auch wenn er nicht weiß, wo. Er mag das Kind nicht beim Namen benennen. Aber dieser Tag war ein Geschenk und ein kleines Dankeschön. Sollte es nur eine Hündin sein, die sich an ihn erinnerte, es wäre schon alles wert. This is my Thanksgiving Day.

Montag, 14. Mai 2012

2000 - XXII

Macht hoch!

Es klopfte fünf Mal an der Tür,
ohne aufzumachen, rauschte der weiße Bart um ihn herum.
Knecht Ruprecht fand darin Gespür,
aufzulachen dabei, sauste er mit der Zeit davon, warum?

Sonntag, 13. Mai 2012

2000 - XXI

Gratin

Den ganzen Hexenzauber überlebst Du nur,
wenn Du Dir aneignest des Teufels Statur.
Der Versuch eines Kartoffelgratins artete zum Gemüseaufstand aus.
Röchelnd, mit dem Schlag seiner Pfote, machte er ihm den endgültig den Garaus.
Es war lediglich die äußere Form gewahrt,
geschmacklich hat sich die Apokalypse offenbart.
Sie blickte so konsterniert vom Teller auf,
da nahm eine Handyschar von Jungmädels ihren Lauf.
Alle hielten zur "Sehr her, ich habe ein Handy"-Gestik
eine "Aber ich verstehe nicht"-Blickmimik mitgebracht.
Die Gedanken und die Analyse der seltsamen Genetik
reichten und der Führer hätte aus ganzem Herzen gelacht.
Sicher erläßt und erlaubt er nur Führernetze
mit fest einprogrammierten Reichskristallnummern.
Hilfe von außen erwartet keiner dieser Sätze,
dumpf und brüllend beginnt es in ihr zu schummern
Sie sticht mit der Gabel fest zu und stöhnt,
der Satan ißt ihr einfach zu verwöhnt.
Gute Gäste reklamieren so nie,
sie halten den Koch stets für ein Genie.
Da fühlt er diesen teuflischen Schmerz,
erst hält er das alles für einen Scherz,
dann eilt er keuchend atmend zum Spiegel:
ein schuldiges Wesen hat nun Flügel,
vergißt die Hölle und ihre Zügel.
Sich ihr nähernd beginnt er zu wabern
als güldener Nebel, um sie zu erahnen.
Doch sie, einst Herrin von Kandelabern,
ist nun Politesse, in engen Bahnen.
Als Schönheitskönigin durch sein Herz gekürt,
hat sie ihm eilends sein Vehikel entführt.

Samstag, 12. Mai 2012

2000 - XX

"Ich schreibe im Dunkeln"

Was trieb, war unheimlich klein, doch die Kraft ließ nicht nach. Viel stärkere Antriebe hatten versagt. Zu groß geraten, wurden die so bewegten Objekte von Meteoriten getroffen. Schwerlich zu identifizieren als Ziel, so lautete die Formel die Formel des Erfolgs. Er würde unendlich treiben, um irgendwann etwas Leben zu finden. Die Sonne schien ohne Wirkung, das kleine Feuer in der Holzhütte fühlte sich ungleich wärmer an. Den Schatz der Zeit genoß er draußen vor der Tür beim Blick auf den zugefrorenen See und die tief verschneite Landschaft. Im Nerz gehüllt, warf er einen Blick durch die Scheibe, auf dem Tisch lag ein Buch über die Raumfahrer, die Kosmonauten. Er las darin und dachte an den taumelnd die Sonne umkreisenden Planeten, der manchmal der seine zu sein schien. Ein riesiges Raumschiff ohne eigenen Antrieb, nur von der Gewalt der Anziehungskräfte an- und abgestoßen, ohnmächtig die Bahn zu verlassen, deren Einhaltung seinen Bestand garantierte. Es war überflüssig, seinen Lauf durch einen Kommandanten überwachen zu lassen.. Die Naturgewalten bestimmten es und regelten auch den kurzen Sommer und den langen Winter, die Kälte des Sees, das Summen der Mücken über launigen Mooren, all das waren Zeichen. Die Größe des Landes, des Eismeers und der Milliarden Schicksale, alles nahm Platz auf einem Staubkorn des Kosmos. Die Größe des Weltalls in der es nichts zu entdecken gab außer der eigenen Bedeutungslosigkeit. Sie gab ihm die Kraft hier zu sitzen, sein Heim als gemütlichen Platz zu entdecken, sich an den Spielen des Lichts zu erfreuen und manchmal einen Wodka nach dem anderen zu trinken, wenn das Essen gut, die Freunde da und die Liebe seltener zu Gast waren. Sie sagten, er schreibe im Dunkeln, weil er was auf das Papier kritzelte und meistens vergaß, was er einen Moment lang gedacht hatte, wenn er das nicht tat. Wenn das Eis aufbricht, ginge er wieder zum Fischen.
Seine Zettel verwelkten wie abgefallene Blüten, doch er würde neue beschreiben, sobald er in der Stadt etwas Papier kaufen könnte. Sein Haar schien grau und er dachte immer noch wie ein Kind, wenn es um die Freunde ging. Er strahlte, wenn sie kamen und vergaß sie, sobald die Tür hinter ihnen ins Schloß gefallen war. Pjotr, der Kosmonaut, umkreiste die Welt in seiner Kapsel wie einst Juri Gagarin, allein. Längst hatte er den Kontakt zum Boden verloren und würde ihn nicht mehr finden. Der Staat hatte aufgehört zu sein, was er einst vorgab: ein Brotgeber. Zahlungen gab es schon lange keine mehr. Pjotr handelte, tauschte Naturalien. Aus dem bediensteten Forstaufseher war ein selbständiger Verwalter geworden, der einfach die Arbeit seines Vorgängers auf eigene Rechnung übernommen hatte. Er versorgte seine Freunde mit Fleisch und Fisch und bekam dafür alles, was er brauchte: Tabak, Wodka und ein paar Lebensmittel. Natürlich auch Berichte über den Kosmos, den er zu einem ganz kleinen Teil überblickte. Gewiß, für Frauen war seine neu gewonnene Freiheit nicht viel wert, aber er genoß sie zunehmend. Wenn er morgens aus den warmen Fellen aufstehen mußte, wartete er genüßlich, bis ihn ein Anfall von Kraft dazu bringen würde, endlich aufzusitzen und dann ein Feuer zu entzünden, um die kleine Stube zu erwärmen. Eines Tages würde er nicht mehr aufstehen, das wußte er, aber bis dahin würde er jeden Moment einzeln auskosten. Das Glas zögerlich austrinken und immer wieder absetzen, wohlwissend das der letzte Schluck irgendwann getrunken werden muß.
Ein Kosmonaut kennt nicht den ganzen Kosmos, aber er ist dennoch Kosmonaut. Seine Reisen sind lang und doch in kosmischen Maßstäben unbedeutend. Die Erfahrung, die er dabei sammelt, ist riesig. Soeben blinzelt die Sonne durch die matten Scheiben seiner Datscha und Mütterchen Rußland tanzt mit Väterchen Frost. Spasiba!

Freitag, 11. Mai 2012

2000 - XIX

Öffentlicher Nahverkehr

Die Arme des Nachbarn werden langsam breiter,
da ist die Betriebsstörung, es geht nicht weiter.
Vielleicht klingt es jetzt zu vermessen,
ich habe einmal besser gesessen.
Gleich gebe ich dem Nachbarn einen Kuß,
damit dieser endlich aussteigen muß.
Es gab da doch einen Unfall,
meldet der Fahrer mit Krawall.
So blättere ich meine Zeitung um,
lese über allen Worten herum.
Von Hilfsbereitschaft und Toleranz
steht es gedruckt ohne Firlefanz.
Dermaßen und über alles belehrt
fühle ich mich so richtig verkehrt,
mache mich noch ein bißchen kleiner,
meinem Nachbarn geht es noch feiner,
schlägt den Koffer mir auf mein Knie,
der Schmerz danach läßt nach und wie!
Eine alte Dame faßt über meinem Kopf
Und erreicht dann auch endlich den Halteknopf.
Die Türen sind sogleich offen,
eine neue Freiheit läßt mich hoffen.
Mein Nachbar ist sofort aufgestanden,
mir ist wie im Flieger nach dem Landen.
Fast möchte ich applaudieren,
um mir Beifall zu spendieren.
Da ertönt wieder einmal die Stimme,
die Störung geht noch weiter, die schlimme.
Der Nachbar kommt schon wieder zurück,
ich zucke, rucke, rutsche ein Stück.
Da sagt er: was sind Sie empfindlich!
Wohin denken Sie: nur befindlich.

Donnerstag, 10. Mai 2012

2000 - XVIII

3. Oktober

Einigkeit und Recht:
Banane
und Freiheit, Urlaub:
Spanien,
Speisesaal und Strand:
Banane,
Feiertag im Bund:
Flughafen,
Republik nimmt mit:
Banane.