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Freitag, 1. Oktober 2021

MyLife 2006 - 2011

Auf dem Weg

 Als frisch gebackene Wohnungseigentümer fühlten wir uns wie befreit. Über der ganzen Wohnanlage lag eine gewisse Euphorie. Gespräche zwischen den neuen Nachbarn fanden fast überall statt. Der Weg zum Müll und zurück kostete oft sehr viel Zeit in der Kennenlernphase. Schon bei der ersten Eigentümerversammlung stellte sich ein Eigentümer für die Hausmeisterdienste zur Verfügung und Ruth ließ sich in den Wohnungseigentümerbeirat wählen. Nachdem wir zu Anfang mit den Nachbarn unter uns ein freundliches Verhältnis hatten, immerhin wurde uns sogar Hilfe bei elektrischen Installationen seitens des Mannes angeboten, kam es bald zu Dissonanzen. Die Frau des Hauses war auch im Beirat, der aus drei Personen bestand, und nutzte ihre Position, um ihrer Reklamation vermeintlicher Geräusche in den Heizkörpern mehr Gewicht zu verleihen. Mehrfach wurde nach den Ursachen geforscht, letztlich ein Gutachter bestellt. Warum die Reklamation so hartnäckig betrieben wurde, das lässt Spekulationen freien Raum. Man kann damit den Kaufpreis reduzieren bzw. die Zahlung der letzten Rate ggf. verzögern. All das wäre für eine junge Familie ein verständliches Motiv. Wir selbst hatten keinerlei Probleme mit der Heizung. Durch zufällige Gespräche mit anderen Eigentümern ergab sich auch das Bild, dass sonst niemand mit der Heizung Probleme hatte. Das führte zu Dissonanzen und unschönen Vorwürfen an unsere Adresse. Daraufhin legte Ruth ihr Amt nieder. Da ich von unserem Hausmeister die Unterstützung hatte, wurde ich ihr Nachfolger. 

Immobilien spielten auch anderswo eine Rolle. Über unseren Urlaub im Mai 2006 in Andalusien an der Playa de la Barrosa schrieb ich: "Die Immobilienpreise haben angezogen und nun soll dieser Strand der schönste ganz Spaniens sein. Das hat "mein Strand" nicht verdient. Er verliert seine Unschuld. Was anfangs noch Geheimtipps waren, wird nun als Empfehlung breit getreten. "Mein Strand" wird seine Schönheit nicht verlieren. Meine Füße laufen über ihn und es ist, als wäre nichts passiert."  

Man soll ja während eines Strandurlaubs intelligenzmäßig abbauen. Immerhin gemäß einer Sendung im RTL konnte ich nach Auswertung meiner Antworten auf die gestellten Aufgaben auch im Urlaub noch mit einem IQ von 122 aufwarten, wenn man denn der ganzen Sache trauen darf. 

Im Herbst schrieb ich im Kleinwalsertal: "Ich beneide jeden, der nicht so viele Möglichkeiten hat, sich ständig neue Befriedigung durch immer neue Action zu verschaffen. Meinen Eltern hat so etwas wirklich nie gefehlt. Vielleicht hätte es ihnen auch einmal gut getan, vom Balkon einer Ferienwohnung aus das Rauschen eines Gebirgsbaches zu hören. Nur sitze ich eigentlich sehr selten darauf. Und bevor ich mich versehe, sind die Tage hier abgehakt, vergessen, verdrängt und höchstens noch eine flüchtige Erwähnung wert." 

Der Disput mit der Nachbarin unter uns sollte nicht der einzige bleiben. Über uns wohnte nun ein Italiener mit seiner polnischen Frau. Da unsere Waschmaschine im eigentlich dafür vorgesehenen Waschmaschinenraum keinen adäquaten Platz mehr gefunden hatte, legte uns der Bauträger einen Anschluss in einen kleinen Nebenraum, wo wir zunächst allein unser Maschine stellten. Eigentlich war kein Waschmaschinenplatz mehr vorgesehen, doch für eben diesen Nachbarn wurde ein weiterer Anschluss gelegt, sodass wir uns den Raum mit ihm teilen mussten. So weit, so gut. Er musste aber immer an unserer Maschine vorbei laufen und schlug dabei öfter unsere geöffnete Waschmaschinentür regelmäßig zu. Das sollte aber nicht alles bleiben. Da wir unsere Wohnung nicht mit Straßenschuhen betreten, stellten wir diese immer auf unserer Fußmatte ab. Das störte ihn gewaltig. Vor allem seine Gattin fühlte sich durch den unästhetischen Anblick gestört. Als Wohnungseigentümerbeirat startete ich nun eine Umfrage in beiden Häusern unserer Wohnungseigentümergemeinschaft. Da im Nebenhaus die Eigentümer mit Migrationshintergrund in der Mehrheit waren und dies ebenso wie wir handhabten, kam dabei eine Zustimmung für unseren Standpunkt heraus, eine Zeitbombe für das weitere Verhältnis zu diesem Kollegen. 

Die Dotcom-Blase an der Börse endet endgültig mit dem Ende des Nemax 50, dem Index des Neuen Marktes. Im Ringen um die besten Ideen, Anleger zu fangen, kommen und gehen die Marktsegmente. Auf den Nemax 50 folgt der TecDax. Und Fonds nun auch an der Börsen gehandelt. Neue Aufgaben also für mich, denn sowohl Kurse als auch Preise der Investmentgesellschaften mussten richtig dargestellt werden. Auch die Handelszeiten an den Börsen verlängerten sich und damit auch unsere Arbeitszeiten. Die Zeitspanne, während der ein Mitarbeiter in der Abteilung anwesend sein musste, änderte sich. Es war erforderlich, einen Kollegen jeweils für einen sogenannten Spätdienst bis abends nach 20 Uhr einzuplanen, damit die Schlusskurse der deutschen Börsen noch in die aktuelle Zeitung kommen. Das änderte unser Zusammenleben ziemlich. Wir gingen nun unterschiedlich aus dem Haus und ich kam erst nach 21 Uhr zuhause an, wenn ich den Dienst hatte. Oft fuhr ich mit dem Auto nach Frankfurt, weil ich abends schneller zuhause sein wollte. Besonders belastete dies natürlich freitags. Die Spätdienstplanung war stets spannend. Besonders Krankheitsfälle und Urlaubszeiten erhöhten den Stress für den Einzelnen.

So Banal beginnen schicksalhafte Ereignisse. Am 4.12.2006 erhielt ich von der Psychiatrie in Haina, wo sich mein Bruder Frank zu der Zeit befand, die folgende Nachricht:

"Sehr geehrter Herr Dreyer,                                                                                                                          heute Vormittag haben wir einen Anruf aus der Neurologie in Kassel bekommen. Der zuständige Arzt hat uns informiert, dass ihr Vater sich dort in Behandlung befindet (nähere Informationen besitze ich aufgrund der Schweigepflicht des Arztes auch nicht). Ich habe der Klinik in Kassel mitgeteilt, dass Sie als Bruder von Herrn Dreyer der Ansprechpartner für möglicherweise anstehende Entscheidungen in Bezug auf ihren Vater sind."                                                                                                                         

Was war geschehen? Ich habe es hier bereits im Blog zusammen gefasst und ein bisschen ausgeschmückt. Die Raumforderung

Die Hirnblutung, die meinen Vater ereilte, war letztendlich tödlich. Er verstarb am 19.3.2007 im Alter von 77 Jahren im Krankenhaus Hanau vermutlich an einer Lungenentzündung. Den Zettel mit meinen Kontaktdaten, hatten die Notfallsanitäter nicht gefunden. Was folgte waren Aufenthalte im Stadtkrankenhaus Kassel, wo er mich bei meinem ersten Besuch sofort erkannte. "Endlich ein Mensch." Danach ging es in die Reha nach Bad Wildungen, wo er wieder auf die Beine gestellt werden sollte. Mittlerweile war ich dann sein Betreuer, was er auch wollte. Er hatte neben vielen anderen Zuständen seinen Schluckreflex eingebüßt, was bedeutete, dass er praktisch nichts mehr herunter bekam, ohne dass es in die Luftröhre geriet. So etwas regeneriert sich nicht. Er litt zeitweise unter einer Aphasie, wollte aber im Grunde immer nur eins: nach hause, in seine Wohnung. In Bad Wildungen war er nicht zu halten, diese telefonische Nachricht erreichte uns im Weihnachtsurlaub. Ein gewisser Dr. Santana meldete sich und bat um ein persönliches Gespräch. Als wir dann unseren Urlaub verkürzten und in Bad Wildungen eintrafen, da war kein Arzt zu sprechen. Vater meinte, es sei besser, er sei weg. Das Weihnachtspäckchen, was wir ihm geschickt hatten, hat er nie erhalten. So ging es zurück nach Kassel für ihn. Dort wurde er sehr schlecht behandelt. Seine aggressiven Phasen bekämpfte die beleidigten Krankenschwestern ohne Empathie. Eine neue Reha stand an und ich setzte durch, dass er in meine Nähe nach Bad Orb überwiesen wurde. Am Morgen, als er abgeholt werden sollte, bekam ich einen Anruf. Vater war dran, was ich denn mit ihm mache. Er war richtig wütend, als ich ihm aber sagte, dass ich ihn dann öfter besuchen könne, weinte er und gab den Widerstand auf. In Bad Orb machte er einen sehr schlechten Eindruck, er wurde auch nicht gut behandelt. Letztlich wollte man ihn dort auch gar nicht haben. Er landete nun in zwei Gießener Krankenhäusern. Erst im evangelischen Krankenhaus in Gießen traf ich auf einen Arzt. Erst hier bekam er die längst notwendige Magensonde und der ständige Druck, essen zu sollen, hörte auf. Der Arzt stellte zwar fest, dass familiäre Kontakte nicht maßgebend für die Therapie seien, ließ dann aber zu, dass Vater nach Frankfurt ins Nordwest-Krankenhaus kam. Hier war die Behandlung gut, wenn ich ihn besuchte, musste ich Schutzkleidung tragen, was zu seiner Belustigung führte. Doch auch hier ging seine Zeit zu Ende. Ich suchte ein Pflegeheim für ihn, er hatte immer noch die Vorstellung, bei uns bleiben zu können, und ich fand eines in Maintal-Bischofsheim. Ein DRK-Alters- und Pflegeheim, in das er an einem sonnigen Märzmorgen eingeliefert wurde. Endlich ein eigenes Zimmer, persönliche Gegenstände wollte ich ihm beschaffen, auch aus seiner Wohnung in Kassel. Ich hatte ihm von meinen Kindern erzählt und auch in gewisser Weise, die Hoffnung gehabt, die beiden könnten Ihren leiblichen Großvater noch mal sehen. Insgesamt war es eine intensive Zeit des Abschiednehmens von meinem Vater, für die ich dankbar bin. Die Zeit war jedoch kurz, so gut gelaunt, wie er bei seiner Einlieferung war, er wollte sogar gern noch Apfelwein gekostet haben, von dem ich ihm erzählte. Doch es waren seine letzten Wochen. Knapp zwei Wochen nach seiner Ankunft erhielt ich abends einen Anruf. Meinem Vater ging es schlecht und er musste zur Behandlung ins Krankenhaus. Am Tag noch hatte ich meiner Schwägerin das Fenster seines Zimmers gezeigt, ohne das wir ihn besuchten. Tags zuvor war ich bei ihm und wurde mit den Worten begrüßt: "Du lebst ja auch noch." Wegen dem Spätdienst in der Firma war es mir nicht möglich gewesen in der Vorwoche abends bei ihm zu sein. Wir sprachen über Möbel, die er gern noch aus Kassel mitgebracht haben wollte und auch darüber, welche Art der Beerdigung er sich wünsche, wenn es mal soweit sei. Ihm war es aber egal, er überließ es mir. Ein bisschen ärgerlich wurde er, als ich ihm sagte, dass ich am kommenden Wochenende nach Lemgo müsse wegen dem 80. Geburtstag meiner Schwiegermutter. Wir verabschiedeten uns wie immer mit "Mach's gut." Nun ging es darum, in welches Krankenhaus, er kommen solle. Das nächstliegende war Hanau, wohin er auch gebracht wurde. Am Montag Abend besuchten wir ihn dann dort. Die Szene war gespenstisch. Mit mehreren Patienten lag er in einem Raum, der vom Neonlicht hell erleuchtet war. Sein Atem rasselte. Er streckte die Hand nach uns aus, konnte konnte kaum noch sprechen. Ich hatte Mühe, ihn zu verstehen. Schließlich stellte sich heraus, ich sollte das Geld von der Bank holen, was ich ihm versprach. Als wir gingen, wusste ich nichts, Ruth wusste alles. Ihm war klar, dass es zu Ende ging. Wir sprachen mit dem Arzt. Er sagte, morgens hätte mein Vater, Egon, noch nach Essen gefragt. Er bekäme nun Antibiotika, die wohl auch Anschlägen, doch die Entzündungen würden immer wieder kommen. Es war der erste Arzt, der offen mit uns sprach und die Hoffnungslosigkeit durchblicken ließ. Als wir nach hause fuhren, machte sich in mir ein stilles Entsetzen breit. Nachts schellte schließlich das Telefon, Vater war verstorben, ob ich kommen wollte, um ihn noch zu sehen und seine Sachen zu holen. Das verschoben wir auf den nächsten Tag. Morgens fuhr ich ins Krankenhaus wo er in einem kleinen Raum aufgebahrt lag, eine Kerze brannte, es war still. Ich bildete mir ein, seine Hand bewege sich. Die Hand, die mir gestern noch entgegen gestreckt wurde. Ich hatte das Gefühl, er ist im Raum. War allein mit ihm. Als ich ging, versprach ich, dass ich weiter machen werde, in seinem Sinne. War er der einzige Mensch, zu dem ich je eine richtige Beziehung hatte? Das Gefühl war da, kein Ersatz für den Verlust möglich.      

Die ausführlichere Krankengeschichte ist auch hier im Blog zu finden. Noch mitten drin im Geschehen schrieb ich Ende Februar 2007.

"Die Ärztin sagt mir, sie sei verpennt. Ich müsse entschuldigen, sie hätte Nachtdienst gehabt und daher könne sie nicht so gut sprechen. Damit meint sie es noch gut mit mir. Manche denken einfach nur; scheiße, warum hält mich dieser Mensch jetzt auf. Den freundlichen Doktor, der den besorgten Angehörigen, verbindlich, aber gut gelaunt Auskunft gibt, den gibt es nicht. Der soll auch Verständnis für die Sorgen von Angehörigen aufbringen?. Die Gespräche werden den Ärzten auf genötigt, die schon ihre Mühe haben, den Alltag ohne lästige Kundenbefragungen zu meistern. Ein Dankeschön ist angebracht, wenn jemand mehr als zwei Sätze spricht, übermenschlich erscheint schon eine menschliche Dimension im Gespräch. Ein Gedanke an die Folgen für den Patienten..

So hechelt man ehrfürchtig herum, immer mit dem Gedanken, dankbar sein zu müssen. Den Verweis auf die Umstände im Kopf.

Für all das. Wenn der Patient nicht selbst in der Lage ist, sich zu äußern oder auf seine Sachen aufzupassen, dann geht viel verloren. Wir haben hier 10 Uhren, sie müssten mal vorbei kommen, um sich die richtige auszusuchen. Kenne ich die Uhr meines Vaters wieder?

Eine Brille bleibt bei einer Verlegung zurück. Immerhin, ich kriege sie wieder, bin froh auf den Gedanken gekommen zu sein, das zu kontrollieren. Wäsche verschwindet oder wird in blaue Müllsäcke mit der Aufschrift des Patienten gesteckt. Oder auch in Mülleimertüten. 

Ist die Wäsche verschwunden, besteht kaum Hoffnung, der Moloch Krankenhaus verschlingt sie und spuckt sie nicht mehr aus. Schon ein Rückruf in solcher Angelegenheit ist zu viel.

Vater kriegt nicht alles mit. Das was er merkt, beunruhigt ihn zeitweise. Ich bin seine letzte Kontrollinstanz und doch kämpfe ich gegen eine Windmühle mit vielen Flügeln. 

Kenne ich das Procedere von Verlegungen und Behandlungsweisen nicht. Kann nur abnicken, wenn etwas gefragt wird. Gesagt wird von selbst nicht viel und so bastele ich bruchstückhaft an einer möglichen Krankheitsgeschichte, an einem möglichen weiteren Verlauf, denn eine Prognose gibt kein Arzt. Manchmal ist man verloren, bevor man sich verloren hat."

Noch bis August 2007 beschäftigte mich die Betreuertätigkeit und die Auflösung seiner Wohnung. Noch bevor Vater unter der Erde lag, fuhren wir zum 80. Geburtstag der Schwiegermutter nach Lemgo. Ich hinterließ dort die Einladung zur Beerdigung meines Vaters, ohne dass dies ein Echo fand. Es gab keine Karte, keine Beileidsbekundung, keine Reaktion. Auf Bildern, die anlässlich des Geburtstags gemacht wurden, bin ich zu sehen, aber auch meine Trauer. Da Vater nicht in der Kirche war, musste eine Trauerrednerin bestellt werden, die aufgrund meiner Informationen eine schöne Rede hielt. Musik hatte ich ausgewählt, die ihm gefallen hätte. So saßen in der Trauerkapelle des neuen Friedhofs in Maintal-Wachenbuchen die Verwandtschaft meiner Mutter aus Mainz und meine älteste Cousine Renate von der Dreyerschen Seite. Ich hatte mich für eine Erdbestattung entschieden. in diese Grab wurde später noch die Urne meiner Mutter überführt, die noch auf dem Kasseler Hauptfriedhof bestattet war. Als Renate die Swingmusik hörte, sagte sie später, sie hätte vor ihrem geistigen Auge meine Eltern tanzen gesehen.   

Im Grunde hatte ich Vater in seiner letzten Zeit zwei Mal angelogen. Ich hatte so getan, als seien meine Kinder wirklich meine Kinder und ich hatte versichert, dass ich sein Geld von der Bank hole. Letzteres durfte ich gar nicht. Vater hatte sein gesamtes Geld auf dem Girokonto geparkt und es war viel zusammen gekommen, weil er in den letzten Jahren sich nichts geleistet hatte. Offenbar wollte er nie wieder zu wenig Geld haben. Schon wenige Tage nach seinem Tod rief mich Franks Betreuerin an und fragte, ob ich einen Erbschein beantragen wolle. Vater hatte es nicht nur versäumt, zu Lebzeiten eine Vollmacht für mich auszustellen, er hatte auch kein Testament gemacht. Ich musste also nun bestätigen, dass ich den Erbschein beantrage. Mir war klar, dass Frank von seinem Erbteil nicht viel haben würde.
Nur ein kleiner Teil kam ihm persönlich zugute, der Rest, also die Hälfte von Vaters Erbe ging an den Landeswohlfahrtsverband Hessen, der davon fleißig Franks laufende Kosten für die Unterbringung etc. abbuchte. Das ist zwar nicht rechtens, interessierte aber seine Betreuerin wenig. 
Um das Unheil abwenden zu können und weil ich nun Erfahrung in Betreuungssachen hatte, bewarb ich mich als Betreuer für Frank. Wir fuhren nach Bad Salzhausen, wo er mittlerweile ganz zufrieden in einem Alters- und Pflegeheim untergebracht war und fragten ihn, ob er mit mir als Betreuer einverstanden wäre. Er lehnte dies rundweg ab. Ärzte hätten ihm davon abgeraten wegen meiner verwandtschaftlichen Nähe. Ruth war sehr erbost, ich fand mich damit ab, auch aus Rücksicht auf ihn. 

Um zur ersten Lüge zu kommen, die ich Vater auftischte, muss gesagt werden, dass die beiden Kinder nicht meine waren, sondern längst von der Co-Mutter adoptiert. Das sagte mir niemand, aber mir war es klar und ich hatte da auch nichts gegen. Es war wichtig, dass sich jemand kümmerte. Hatte ich 2007 sozusagen noch Welpenschutz, trug ich aber doch ein gewaltiges Päckchen mit mir herum. Für mich selbst protokollierte ich einige Aussagen der Mütter. 

"Bekanntschaft: 'Du gehörst nicht zu unserem Umfeld.'                                                           Bezugspersonen: 'Die haben schon männliche Bezugspersonen.'                                                         Gene: 'Du hast deine Gene ja weitergegeben.'                                                                                   Kinder: 'Die Kinder sind sehr sensibel und übervorsichtig.'                                                           Kinderbetreuung: 'Das wollen wir nicht.'                                                                                         Männer: 'Am liebsten wäre es uns, wenn wir keine Männer bräuchten.'                                                 Pro Familia: 'Warum wollen sie das denn machen?' (Beraterin zum Vater über die Möglichkeit des   Kontakts zwischen ihm und den Kindern.)                                                                                       Spenden: 'Von uns aus kannst du noch woanders spenden.'                                                               Spielen: 'Ich will, dass du mit den Kindern spielst.'                                                                         Termine: 'Im Januar sind ja wieder Termine frei. Da haben wir nichts vor.'                                             Treffen: 'Komm’ einfach öfter. Wenn du die Kinder sehen willst, haben wir nichts dagegen. Wenn sie   dich besuchen wollen, stellen wir uns nicht in den Weg.'

Mit sehr ambivalenten Aussagen hatte ich also umzugehen. Schon vor der Geburt konnte ich zwar Namensvorschläge für die Kinder machen und war damit auch erfolgreich. Ich wies jedoch darauf hin, dass eines der beiden Mädchen mit Luca leider einen Männernamen bekommen sollte. Das geschah dann aber dennoch. Mein Einfluss war eben gering. Und die Zahl der Bezugspersonen für die Kinder kannte ich nicht genau. Dennoch, eine gewisse Normalität im Umgang hatte sich eingependelt. Regelmäßig fuhr ich meist einmal in der Woche mit dem Zug zu den Kindern. Der Weg dorthin kam mir fast so vor, als würde ich heim zu Frau und Kindern kommen. Anfangs versteckten sich die beiden noch und freuten sich, wenn ich sie nicht so schnell fand. Es gab natürlich immer wieder schöne Erlebnisse, wenn ich mit den beiden Mädchen mal allein unterwegs war, auch wenn bei Mutter und Co-Mutter dann immer eine gewisse Unruhe zu spüren war. Ob es eine Fahrradtour am Main war, die mit einem gemeinsamen Essen endete oder ein Hallenbadbesuch, es beeindruckte mich tief. Sie waren auch ab bei uns in Schöneck, was zu manchen überraschten Blicken, der Miteigentümer führte. Was, der hat Kinder? Die Blicke der Kinder wurden allerdings nachdenklicher, prüfender, je älter sie wurden. Und niemals übernachteten wir irgendwo alle zusammen. 

Ganz anders war es mit meinem Patenkind. 2007, wir hatten gerade ein neues Auto gekauft und wir fuhren nach Hammelburg, wo mein Schwager mit Familie urlaubte. In einer alten Mühle gab es auch für uns noch einen Schlafplatz. Überhaupt, das naheliegende Franken war schnell erreichbar und so feierten wir unsere Silberhochzeit in einem kleinen, familiär geführten Hotel ("Forelle") zwischen Kahl und Alzenau. Die Zimmer waren frisch renoviert, Niklas und Finn gefiel es gut, Platz war für alle da: Schwager mit Frau,  Niklas und Finn, meine Schwiegermutter Leni und wir beide. Das Frühstück wurde noch geboten, allerdings war gastronomisch danach Schluss, was sich abends noch als Nachteil erweisen sollte. Dennoch blieb die Stimmung gut, wir machten noch einen Ausflug nach Seligenstadt, bevor alle wieder nach hause fuhren. Unseren eigentlichen Hochzeitstag verbrachten wir zuvor auf der Insel Malta, was mir eine gewisse Rückbesinnung auf meinen ersten Malta-Urlaub brachte. Die Menschen freundlich, das Hotel, da funktionierte erst mal nicht alles, was bei unserer Spätankunft nervte. Immerhin konnte ich für Ruth einen schönen Blumenstrauß organisieren. Wir verbrachten Zeit damit, die Insel mit dem Linienbus zu erkunden und liefen viel, was nicht immer eine Freude war. Ein weiterer Urlaub führte uns per Bahn nach Rügen, wo ich über eine Max-Dreyer-Straße stolperte und mich umgehend danach mit dem an sich nicht besonders bedeutenden Schriftsteller befasste, der wie ich in Frankfurt am Main gelandet war. Alles in Vorpommern erweckte in mir heimatliche Gefühle und das sollte sich wiederholen. Die Seebäder und die Halbinsel Mönchsgut, es gefiel uns einfach.

Während die Finanzkrise 2007, von den USA ausgehend, begann und sich 2008 fortsetzte, begann für mich insgesamt eine Phase der Rückbesinnung. Zum Einen hatte ich die Gelegenheit, die Stadt meiner Vorväter, Kolberg, während eines Usedom-Urlaubs in Ahlbeck zu besuchen, zum anderen versuchte ich nun, die Geschichte der Familie Dreyer in Kolberg mit viel Phantasie und von historischen Fakten untermauert, zu ergründen. Darüber steht viel in diesem Blog, sodass es an dieser Stelle nicht erneut darüber geschrieben werden muss.

                                   Alle Kolberg-Seiten inkl. Link auf Adressbücher 1909 u. 1920                                

Die Entwicklung der Finanzmärkte sorgte auch bei unserer Zeitung für Konsequenzen. Sinkende Abonnementzahlen und im Bereich Investmentfonds, der mich besonders tangierte, der Kampf um Kunden. Zudem fand eine der wenigen Veranstaltungen, die von einer externen Firma organisiert wurde, statt, an der ich teilnehmen durfte. Das Thema war Projektmanagement, also eigentlich das Revier meines Kollegen, der im Haus von Meeting zu Meeting eilte. "Bin im Meeting" war der geflügelte Spruch, den die anderen Kollegen in der Abteilung zur Genüge hörten. Wie das so üblich ist, mussten in Arbeitsgruppen verschiedene Aufgaben gelöst werden. Viele Antworten waren zu finden und das Ganze wurde dann extern ausgewertet und vermutlich diente es der Geschäftsführung zur weiteren Verwendung. Die Arbeit mit unserem Verlagsleiter, der ganz offensichtlich, wie alle Kollegen in der ihm auch unterstellten Anzeigenabteilung, ganz erheblich seitens der Geschäftsführung unter Druck stand, hatte gelitten. Fehler wurden nicht mehr leicht verziehen und ich war froh, nicht mehr allzu viel Angriffsfläche zu bieten. Das war natürlich ganz besonders so, als die Abteilung eines Tages vom Verlagsleiter zusammen gerufen wurde und er uns verkündete, dass zukünftig mein Kollege, Herr B., Abteilungsleiter unserer Abteilung werden würde. Damit solle die Zusammenarbeit, insbesondere zwischen uns beiden, verbessert werden, so als ob sie nicht schon vorher gut gewesen wäre. Nicht nur ich, auch die beiden anderen Kollegen in der Abteilung, waren recht konsterniert. Niemand hatte das erwartet. Der Verlagsleiter hatte es bislang nicht für nötig gehalten, Hierarchien zu schaffen, es geschah offensichtlich auf äußeren Druck. Im Rahmen des Projektmanagementseminars hatte ich geschrieben, dass ich die Unterstützung von Vorgesetzten bei jeglicher Projektplanung für wichtig hielte, das entsprach meiner beruflichen Erfahrung. Aber dies war offensichtlich nicht das, was für richtig gehalten wurde. Herr B. indes besaß die Unterstützung im Haus, war also geradezu das Paradebeispiel für meine These. Ich selbst war im Grunde nie über eine Expertenposition hinaus gekommen. Man achtete und brauchte mein Wissen, aber beliebt war ich nicht. Es gab einige wenige gute Kolleginnen und Kollegen, aber eben auch welche, die mich überhaupt nicht respektierten. Ich konnte so tun, als nehme ich mir das alles nicht zu Herzen, dennoch war es anders. Den Titel Abteilungsleiter für eine so kleine Gruppe zu vergeben, das empfand ich als Zeichen dafür, wie sehr man Herrn B. in seinen Bemühungen, sein Selbstwertgefühl aufzupimpen, unterstützte. Der Titel eines fachlichen Gruppenleiters hätte es sicher auch getan. Zu seiner Ehre gestehe ich gern zu, dass er die Angelegenheit gegenüber mir auch als unverschämt ansah, was es nicht besser für mich machte. Auch die Aussage des Verlagsleiters, es ändere sich ansonsten ja nichts, konnte ich nur als Hohn ansehen. Ich durfte natürlich an den Montagssitzungen weiter teilnehmen und mir anhören, was Herr B. mit seinem Chef zu besprechen hatte. Mir blieb die Rolle des Berichterstatters über den Bereich Investmentfonds. Um die ewige Fragerei mach den Zu- oder Abgängen zu beantworten, hatte ich eine Excel-Datei entwickelt, die ich jeden Tag nach Erledigung derselben aktualisierte. Doch auch diese Datei hatte Fallstricke, denn ich addierte alle Zu-und Abgänge auch für das laufende Jahr jeweils auf. Und das konnte man dann dann gut mit der Monatsstatistik vergleichen, die ich auch pflegte und deren Zahlenwerk dann erbarmungslos die Zahlen in der Datenbank zugrunde legte. Abweichungen, die sich da ergaben, beruhten zum einen auf Fehlern in der täglichen Bearbeitung, aber auch darauf, dass die Datenbank immer die exakte Zahl der veröffentlichen Fonds abbildete, während ich in der wöchentlichen Datei, nur die Fonds darstellte, die für die Fakturierung, also die Rechnungsstellung von Belang waren von Belang waren. Das waren gebetsmühlenartige Erklärungen, die mir oft abgefordert wurden. 

Wie ich es auch für mich drehte, die Beförderung meines engsten Kollegen, bedeutete für mich eine berufliche Herabstufung. Natürlich konnte ich damit leben, denn "Mit Herrn B. kann man doch zusammen arbeiten." Für unseren Verlagsleiter war das Ende seiner Tätigkeit in der Firma ja auch beschlossene Sache mit dem Ende des Jahres 2008. Er hatte mir dies selbst mitgeteilt und es sogar begründet. Er habe keine Lust mehr, wenn er in seiner Funktion als Verkäufer ins Ausland reise, sich von einem Kaugummi kauenden Jungspund abspeisen zu lassen. Seine Kontakte bröckelten mit dem Alter der Ansprechpartner, die er bei unseren Kunden kannte. Das einst gute Netzwerk lieferte nicht mehr die guten Erfolge in Form von Aufträgen. Das mag sein, mir war der Druck der Geschäftsführung auch von den anderen Verkäuferinnen und Verkäufern bekannt. Sein Nachfolger war bereits an Bord und in der Einarbeitung. Ich beschloss nun, eine Kur zu beantragen, ich brauchte einen Stopp. Weder war mir die Trauer um meinen Vater bewusst geworden, noch wusste ich, wie es mit den Kindern weiter gehen konnte. Der Spätdienst tat ein übriges: Tinnitus und Schlafstörungen führten zu einer äußerst geringen Belastbarkeit und in die Depression. Überraschenderweise bekam ich einen positiven Bescheid. Meine homöopathisch ausgebildete Hausärztin hatte die Begründung wohl stringent abgefasst. Nun war es an mir, dies meinem Noch-Chef, denn mein Kollege hatte keine disziplinarisch Befugnis, mitzuteilen. Im Oktober sollte es los gehen in eine psychosomatische Klinik in Potsdam. Das stieß natürlich auf Widerstand. Denn das alljährliche Jahresmailing an unsere Investmentfondskunden stand an. Auch dafür trug ich die Verantwortung. Alle Kunden mussten in unterschiedlichen Sprachen und Varianten angeschrieben werden mit einer angehängten Excelfondsliste, die den aktuellen Bestand an Veröffentlichungen zeigte und bitte schön zu prüfen war. So musste ich um Terminverlegung bitten, die mir seitens der Klinik glücklicherweise gewährt wurde. Nach Ankunft in Potsdam schrieb ich: "So hartnäckig, wie sich das Gerücht hält, Wien sein eine schöne Stadt, so hartnäckig hielt mein Chef an der These fest, dass ich in Urlaub gehe. Ob das den Tatbestand des Mobbings erfüllt und ich hier deswegen in die Mobbinggruppe gehen sollte, das sei dahin gestellt. Zu sehr habe ich mich in den letzten Jahren in den Hintergrund gedrängt bzw. drängen lassen, zu sehr war ich wohl auch aus Angst bemüht, alle Aufgaben zu erfüllen, die man mir hin warf."    

Noch zwei Tage vor meiner Abreise machten wir einen Besuch bei den beiden Kindern, die sich in bester Laune und im Garten, auf dem Trampolin springend zeigten. Auch ihre Mama schien es ganz gut zu finden, dass ich mal verreise. Ich bemerkte, dass wenn sie mal so alt wären wie ich, dass sie dann sicherlich auch nicht mehr so gut auf dem Trampolin springen könnten und ich es dann sowieso nicht mehr sehen würde. Da stimmte mir ihre Mama überraschend zu. 

So eine Kur sollte eigentlich dazu führen, dass man sich selbst findet, zur Ruhe kommt. Dadurch, dass meine Zeit früher anfing, als eigentlich geplant, hatte ich wenige Tage nach dem Beginn Geburtstag. Ruth kam mich besuchen, obwohl dies nicht gern gesehen wurde und übernachtete auch in meinem Krankenhaus ähnlichem Zimmer. Wir besuchten am Wochenende das Krongut Bornstedt und gingen auf dem Kirchberg spazieren. An meinem Geburtstag aßen wir abends in einem rustikalen Lokal in der Nähe der Klinik und wurden dabei von etlichen Patientinnen der Klinik, die auch dort aßen, beobachtet. Ruth meckerte ziemlich viel herum , weil wir solange warten mussten, auch das wurde aufmerksam verfolgt. Der Abschied am Sonntag fiel mir sehr schwer, wie überhaupt die ersten Tage für mich nach Abbruch rochen. Ich konnte mich auch nicht dazu entschließen, die mir anfangs angebotene Verlängerung anzunehmen, weil ich einfach nicht wusste, wie ich den Klinikbetrieb aushalten sollte. Schweren Herzens brachte ich sie nach Potsdam zum Bahnhof, den Rückweg kannte ich schon. Es zeigte mir, wie sehr ich meine Welt, Frau und Beruf, doch liebte, ohne dass ich mir das eingestehen wollte. Doch es kam noch dicker: "Wir sitzen zusammen in der Anglerklause und trinken ein Bier. Es läuft Rosenstolz und er offenbart mir, dass er schwul ist und Probleme damit hat. Es ist alles wie in einem kitschigen Problemfilm. Er ist mein Zimmernachbar." Obwohl er ein netter Kerl war, der an den Wochenenden versuchte, Kontakte in Berlin zu knüpfen, nervte er manchmal. Er kritisierte in den Gesprächsgruppen alles und jeden, ist immer gesprächsbereit. Zuviel für mich, ich beschloss zu saufen und zu flirten. Niemand kümmerte sich hier wirklich um sich selbst. Mal verbrachte ich Zeit mit der einen oder anderen Bekanntschaft, informierte mich in Berlin über das russische Leben dort in der Vorkriegszeit bei einer von der taz organisierten Führung, besuchte mit meinem polnischen Mitpatienten Karol das Flugzeugmuseum in Gatow, nahm an Veranstaltungen im und außerhalb des Hauses seitens der Klinik teil und wanderte schließlich mit Günther, so hieß mein Zimmernachbar, von der Klinik in Neufahrland Richtung Sacrow. Der Weg war endlos durch die Wälder und wir mussten umkehren, weil er weder weiter konnte noch wollte. Alles in allem sah ich viel, nüscht wie Jejend war auch dabei, und konnte mir am Ende vorstellen, noch zu bleiben. Aber die Klinik hatte mit mir nicht mehr geplant. Oft kam ich mir in der Gesprächsgruppe und in der Tinnitusgruppe wie der einzige Normale vor. Auch die Leiterin der Gruppe hatte gesundheitliche Probleme und machte einen sensiblen Eindruck auf mich. 

Meine Rückkehr in die Firma lief erwartungsgemäß nicht reibungslos ab. Es war eigentlich üblich, dass man nach einer Kur zuhause noch einige Zeit Urlaub nehmen kann. Ich war recht entgegenkommend, auch wegen des anstehenden Mailings, und wollte lediglich drei Urlaubstage anhängen. Meine entsprechende Anfrage an die Personalabteilung wurde wie folgt beantwortet:                                      "Es sind ja die Mailings zu erstellen. Aber... wenn es ihrer Gesundheit dient, können Sie noch die 3 Tage Urlaub nehmen ("zähneknirschend")."                                                                                                Die Personalchefin hatte dies nicht nur mit dem alten und dem neuen Verlagsleiter abgestimmt, sondern auch mit meinem Kollegen Herrn B. Dabei hatte sich doch angeblich nichts geändert. In Folge seiner neuen Position, die er noch nicht einmal schriftlich hatte, plante Herr B. nun auch unseren Urlaub und den Spätdienst. Meine Frage nach einem Schwerbehindertenvertreter hatte die Perso dahingehend beantwortet, dass ich mich gern an den Abteilungsleiter der Satzabteilung wenden dürfe, der nun auch als Vorsitzender des relativ neuen Betriebsrats fungierte.     

Wenn meine Kur auch persönliche Nachwirkungen bis ins Jahr 2010 zeitigte, so schloss ich doch schon relativ schnell damit ab.                                                                                                                              "Abschiede mag ich nicht und so habe ich es vermieden, mit Günther zum Bahnhof zu fahren. Er hatte hatte es mir angeboten. Stattdessen hat mir Karol die Koffer zum Bus gebracht. So habe ich am Potsdamer Bahnhof noch in Ruhe einen Capuccino trinken können. Sonst habe ich keinen gesehen und fand das auch gut so. Am Bahnhof traf ich eine Frau aus der Tinnitusgruppe, die Abschiede ebenso wenig mochte wie ich. Es stellte sich heraus, dass ihr Vater in Frankfurt am Main geboren war und ich solle seine Geburtsstadt grüßen." Im Hintergrund spielte Freddie Mercury "Too much love will kill you", wie passend war das.

Zu meinem zwanzigjährigen Jubiläum in der Firma kamen bezeichnender Weise der neue Verlagsleiter und im Schlepptau unsere eloquente Personalchefin mit einem Fresskorb und Blumen in mein Büro. Seine Glückwünsche annehmen zu dürfen, empfand ich sehr angenehm. Zu tun hatte ich nun genug, da ich auch für die Abschiedszeitung für unseren ehemaligen Chef zur Mitarbeit auserkoren war. Der Neue war in jeder Hinsicht eine Verbesserung. Menschlich, der Typ Frankfurter, den ich mochte. Er konnte Mitarbeiter ansprechen, ohne die im Haus üblichen unterschwelligen Drohungen auskommen und hatte es nicht nötig, zu betonen, dass er der Chef ist. Er war es einfach auf eine freundliche Art. Ich durfte mir nun bald auch mal wieder Gedanken machen, wie unsere Investmentfondskunden weiter dazu gehalten werden konnten, in unserer Zeitung zu veröffentlichen, obwohl eine Veröffentlichungspflicht in einem Printmedium gar nicht mehr gesetzlich verpflichtend war. Eine wesentliche Verbesserung wurde auch dadurch erreicht, dass eine neue Windows-basierte Auftragsverwaltung mit der CRM-Software eingeführt wurde. Hier durfte ich die Gestaltung der Anzeigemasken und des Aufbaus sowie der Abläufe wesentlich mitbestimmen in Zusammenarbeit mit der IT. Ich erreichte, dass meine Excel-Bestandslisten nun in die Datenbank importiert werden konnten, was im Vorgängersystem nicht möglich war und immer doppelte Arbeit erforderte. Auch konnten Serienbriefe einfacher erstellt werden und das Jahresmailing erfolgte nun zeitgemäß per Email.


Auch am Wohnort in Kilianstädten ergab sich durch eine ehrenamtliche Mitarbeit im Verein Leselust Schöneck ein neuer erfolgreicher Tätigkeitsbereich. Ruth hatte mal wieder die örtliche Presse gründlich studiert und mich auf den Verein hingewiesen, der frisch gegründet, neue Mitglieder suchte. Die Gründerin, die Hotelchefin Marianne Lauer, ließ mich gleich an den Vorstandssitzungen teilnehmen. Außer mir gab es nur noch ein weiteres männliches Mitglied, der sich als Kassenwart betätigte. Ausgerechnet er kannte, so unwahrscheinlich sich das anhörte, meinen Onkel Siegward Dreyer. Siegward war in seiner aktiven Berufszeit auch im Rhein-Main-Gebiet unterwegs gewesen, das wusste ich aus seinen Äußerungen. 2010 bereits legte er sein Amt nieder und ich übernahm. Ich war nun auch offiziell Vorstandsmitglied und stand Marianne aber auch in anderen Dingen stets helfend zur Seite. Ein aktiver war ja gefragt, da viele Mitgliederinnen viele Ideen hatten, nur praktisch wurde es immer eng mit der Umsetzung. So erstellte ich auch einen Blog und pflegte ihn regelmäßig. Im Internet konnte alles über den Vereinszweck und die anstehenden Veranstaltungen entnommen werden.

             Leselust Schöneck Förderverein der Schönecker Bibliotheken  

Mein Erfolg in der Gemeinde kontrastierte mit den Animositäten in unserem Wohnumfeld. Ich hatte mein Amt als Wohnungseigentümerbeirat abgegeben, da es Streitigkeiten mit unserem Hausmeister gegeben hatte. Wir hatten uns dafür eingesetzt, dass er ordnungsgemäß bei der Minijobzentrale angemeldet wurde. Da hätte eigentlich auch unsere Hausverwaltung darauf kommen können, aber so hatten wir den Malus geerntet, das wir der Arbeit unseres angesehenen Hausmeisters nicht trauten. Er arbeitete nach seinem Gusto, tat auch Dinge, die er nicht so gut konnte und reden konnte man da kaum, ohne, dass es zu Verstimmungen kam. Die Mehrheit der Eigentümer wies einen Migrationshintergrund auf und die paar deutschen Eigentümer zeigten keine Flagge. Dennoch wir hatten die Anmeldung bei der Minijobzentrale durchgesetzt und dafür auch unseren Preis zu zahlen. Endgültig wurde mir klar, dass ich weder die Unterstützung der Hausverwaltung noch die der anderen Eigentümer hatte, als ich zum Abnahmetermin der Außenanlagen gar nicht direkt informiert wurde und beim Neuanstrich des Treppenhauses mein Vorschlag, diesen farbig zu gestalten, ignoriert wurde. Sogar unsere direkte Nachbarin, von der ich die Zustimmung erhalten hatte, war für einen weißen Anstrich. Dieser wurde dann ohne unser Zutun von einigen anderen Eigentümern realisiert. Insgesamt hatte sich die Zusammensetzung der Eigentümer zu unseren Ungunsten verändert. Im Vorfeld zu Eigentümerversammlungen gab es bereits Absprachen zwischen einem festen Kreis der Eigentümer mit Migrationshintergrund, die sich dafür meist einer Mehrheit in der Versammlung sicher sein konnten. Aber auch unser Alltag wurde schwerer. Im Erdgeschoß wohnte ein litauisch/amerikanisches Paar samt wachsender Kinderschar, die uns nicht wohl gesonnen waren. Während er auf seiner Grillerei bestand "Ich bin Amerikaner, ich muss grillen.", sprach sie überhaupt nicht mit uns und wenn, dann nur etwas spöttisch: "Sie können sich ja beschweren." Dennoch lebten wir gern in unserer Wohnung, nur wurde das Treppenhaus und der Parkplatz vor den Häusern, langsam, aber sicher, zum feindlichen Terrain. Und das, obwohl wir beide uns doch ziemlich eingebracht hatten und auch die Gestaltung der Außenanlagen mit geprägt hatten.    

Die Beziehung zu den Kindern nahm zunächst einen kleinen Aufschwung. Im Jahr 2009 fanden die aus meiner Sicht schönsten Ausflüge mit den beiden Kindern statt, über die ich bereits schrieb. Doch unterschwellig ahnte ich bereits, dass eine gemeinsame Zukunft kaum möglich sein würde. 2009 starb nicht nur Michael Jackson, sondern auch so manche Illusion. Ein Ende fand jedenfalls die Beziehung zwischen der Mutter und der Co-Mutter. Früher schon hatte die Mutter es in Erwägung gezogen, dass sie sich mit den beiden Kleinen allein zurückziehen würde. Auch schien sich die anfänglich unmögliche Annäherung an ihre Mutter und sogar ihren Vater zu vollziehen. Genau wusste ich es nicht. Diese Unbestimmtheit und die Tatsache, dass sie sich mit Ruth nicht wirklich verstand, ließen in mir das Bild aufkommen, dass die Kinder und ich nicht im gleichen Boot saßen und wir durch eine Strömung immer weiter auseinander getrieben wurden, ohne dass wir etwas dagegen tun konnten. Bei den Kindern hatte sich das Bild verfestigt, dass ich zuerst mit ihrer Mutter und erst später mit Ruth zusammen gelebt hätte, was die Wahrheit komplett auf den Kopf stellte. Es war also nicht verwunderlich, obwohl Ruth ihnen die Wahrheit selbst erklärt hatte, dass schon bald Widerstand gegen die Präsenz meiner Frau aufkam. Der letzte Ausflug führte die Kinder und mich in Begleitung von Ruth und der Co-Mutter in die Fasanerie Hanau. Die Atmosphäre war seltsam, wir gingen gemeinsam und doch getrennt und ich hatte das Gefühl, die Co-Mutter erstattet zwischendrin mal einen telefonischen Bericht. Die Kinder waren sehr aufgeschlossen gegenüber den Tieren, fütterten sie gern, wobei sie das eine oder andere Tierfutter auch in den Mund nahmen. Schließlich fragten sie mich, ob sie sich ein Haustier halten dürften. Völlig naiv antwortete ich, von mir aus gern, aber ihre Mutter müsse das entscheiden. Die wollten sie aber wohl gerade nicht fragen. Letztlich führte das Ganze zu einem ziemlichen Krach, da sich die Mutter zuhause überrumpelt fühlte. Ich war in eine Falle gelaufen, denn sie musste meine Zustimmung letztlich ausbaden. Immerhin wurde ich zum 10. Geburtstag eingeladen und wir waren beim Italiener essen. Die Kinder hatten ihre Freundinnen dabei, die sich für mich mehr interessierten, als sie selber. Über mich lachten sie eigentlich nur, Ruth blieb unbeachtet. Auf dem Rückweg zur Wohnung sprachen wir quasi als Eltern über die beiden Kinder. Sie seien doch noch sehr kindlich. Aber das Schöne wäre eben, dass sie sich immer gegenseitig hätten, ihr Leben lang. So harmonisch gestimmt, saßen wir noch eine Weile im Garten. Es sollte noch ein bisschen Feuer entzündet werden. Doch wurde es Zeit, zu gehen. Ich hatte genügend Alkohol getankt und niemanden, der mich nach hause fahren würde. Die Co-Mutter bat uns noch zu bleiben, aber dem konnten wir leider nicht entsprechen. So ging es in der Dunkelheit nach hause.

Nach nur zwei Jahren verließ uns der "neue" Verlagsleiter wieder. In seiner Abschiedsrede betonte er noch einmal, wie sehr er das Engagement seiner Mitarbeiter-/innen schätzte und das er sicher mit uns in Kontakt bleiben würde. Er hatte während seiner Zeit einen guten Deal mit einer großen deutschen Kapitalanlagegesellschaft gemacht und somit der Zeitung einen guten Kunden erhalten, wenn auch der Gesamterlös dadurch sank. Im Haus jedoch kam er mit seinen Vorstellungen offenbar nicht weiter, zumal der Druck der Geschäftsführung anhielt. Auch konnte er an den vor seiner Zeit getroffenen Personalentscheidungen nichts ändern. Das er letztlich sein gutes Netzwerk nutzte und bei eben jener KAG anfing, verwunderte mich nicht, hatte ich doch sein kommunikatives und gutes Auftreten auch einmal bei einer externen Veranstaltung bewundern dürfen. In einem beruflichen Netzwerk Xing beschrieb ich meine Situation dieser Zeit in der Firma damals im direkten Kontakt mit einem ehemaligen Klassenkameraden so:

"Mein Job ist stressig, aber zum Glück hört man ab und zu auf meine Einschätzungen und ich kann mich einbringen. Zudem ist mein Laden eher konservativ geprägt. Sie haben in Boomzeiten nicht zu viele Leute eingestellt und halten jetzt die Beschäftigtenzahl. Wer bei uns geht, dem ist nicht zu helfen."

Es war relativ schnell klar, dass es einen weiteren Versuch, einen Verlagsleiter extern zu finden nicht geben würde und wir daher wieder unsere direkte Unterstellung unter einen aus dem Hause stammenden neuen Geschäftsführer erwarten durften. 

Der Kontakt mit meinem Klassenkameraden brachte noch andere Informationen zutage. So teilte er mir mit: "Es hat ca. 3-4 Treffen der Realschulklasse gegeben, aber du warst einer von Dreien, deren Kontaktdaten verloren gegangen waren. Deshalb habe ich die Information auch gestreut." Ich fand das verwunderlich, hatte mich doch eine Klassenkameradin noch zu Frankfurter Zeiten angeschrieben und meine Vermutung ging eher in die Richtung, dass sich meine Schulliebe möglicherweise für meine uninteressierte Art gerächt hatte, denn soweit ich es wusste, war sie bei der Organisation von Klassentreffen maßgeblich beteiligt. Wer erst einmal aus Kassel weg gezogen ist, so erschien es mir wieder einmal, der ist dann dort auch nicht mehr so interessant, dass man sich bemüht.

Im Sommer bekamen wir nun regelmäßig Besuch von Niklas und Finn aus Lemgo. In einem Jahr fuhren wir dann ins nordhessische Frielendorf am Silbersee, wo wir mit den Jungs in einem Holzhaus gemeinsam übernachteten und ein paar schöne Tage verbrachten. Sommerrodelbahn und Spieleparadies, abends dann noch eine Fackelwanderung, für Abwechslung war gesorgt. Es gefiel den Beiden so gut, dass sie uns baten, ob wir noch länger bleiben könnten. Das ging natürlich leider nicht, da die Eltern aus Lemgo unterwegs waren, um sie abzuholen. Ich selbst spielte auch, mit meiner Modelleisenbahn. Die kleine Platte, die ich stellen konnte, war nun die Basis für meine Vorstellung von einer Modelllandschaft. Die Züge aus Kindertagen fahren zu sehen, das war schon eine fast kindliche Freude. Doch vieles musste repariert werden und so ging manche Mittagspause mit einem Besuch im meiner Arbeitsstätte nahe liegenden Modelleisenbahnladen einher.   

Nicht nur bei den Urlaubszielen blieben Ruth und ich uns treu. Wir pendelten sozusagen zwischen  Bergen & Meer. Das Kleinwalsertal war unser Ziel im Gebirge, Sylt am Meer, aber auch die Ostseeküste zog uns mehr und mehr an. Mit dem Auto fuhren wir nach Zingst auf dem Darss, wobei ich wegen meiner aufkommenden Abneigung gegen lange Autobahnfahrten zwischen Salzgitter, wo wir zwischen übernachteten und Zingst, lange Strecken auf der Bundesstraße fuhr, was uns aber interessante Einblicke in fast menschenleere Landschaften in der ehemaligen DDR brachte. Die Hitze im Juli 2010 brachte uns allerdings schnell zu der Einsicht, dass ein reiner Strandurlaub nicht mehr das Richtige war. Die Mückenstiche am Achterwasser hinter der Küste und eine Ferienwohnung, wo bei weitem nicht alles in Ordnung war, rundeten das Bild negativ ab. Zudem war der Service rund um die Wohnung vor allem bei der Beseitigung der Mängel ehr träge. Den Zwischenstopp auf der Rückreise verbrachten wir in Nordheim, meine fahrerischen Fähigkeiten waren hier erschöpft. Ich freute mich über den Sieg Spaniens über Holland im Finale der Fußballweltmeisterschaft, schließlich hatten die Spanien auch unsere Mannschaft im Halbfinale besiegt. Auch konnte ich dann die restliche Rückfahrt über Kassel und die A49 nach Cölbe bestreiten, was mir heimatliche Gefühle bescherte. Ende des Jahres machten wir einer Bekannten eine Kurzreise nach Dresden. Im März 2011 wollten wir uns eigentlich mit meinem Schwager im Allgäu in Ofterschwang treffen, aber er wurde krank und um ihm die Stornokosten zu ersparen, fuhren wenigstens wir hin. Das Hotel war allerdings schlimm, die Matratzen kaum auszuhalten. Wir reisten früher ab. Die Jungs besuchten uns dann im Sommer und wir machten vieles in und um Frankfurt. Etwas Besonderes war für mich die Reise nach Dublin, die das Jahr 2011 abschloss. Die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen, wenn man in Dublin herum lief, fühlte sich gut an. Die jungen Engländerinnen, die in unserem Hotel nahe dem Croke Park, dem Fußballstadion urlaubten, erinnerten mich an meine frühen England-Ambitionen. Auch wenn es  einen Weihnachtsmarkt deutscher Art in der Stadt nicht gab, sie strahlte dennoch, vor allem im Kneipenviertel, eine Urgemütlichkeit aus. Mit der Straßenbahn fuhren wir nach Howth an die schroffe irische Küste. Hier entstanden, wie kaum anders zu erwarten, viele Landschaftsfotos.

Im Verein Leselust hatte ich einen Erfolg zu verbuchen. Ein griechischer Künstler hatte für Marianne ein Plakat mit Schönecker Motiven gemalt. Mir gefiel es so gut, dass ich den Vorschlag machte, es drucken zu lassen und mit dem Verkauf der Poster weiteres Geld für den Vereinszweck, die Unterstützung der Schönecker Ortsteilbibliotheken, zu generieren. Das stieß nicht auf die ungeteilte Zustimmung der Damen im Vorstand, aber Marianne gab den Ausschlag. Ich vermittelte der Druckerei meiner Firma den Druckauftrag und übernahm den Transport nach Schöneck. Wir würden das Plakat nun bei unseren öffentlichen Veranstaltungen und Autorenlesungen anbieten. Ich selbst erlebte eine Hochphase meiner Malerei, im Keller entstanden etliche Acrylbilder, mal malte ich etwas ab, mal gestaltete ich Bäume und versuchte dreidimensionale Effekte durch die Verwendung von verschiedenen Materialien zu erzeugen. Kreativ wurde ich auch, als ich mir Gedanken über Tribals für ein kleines Tattoo ausdachte. Die Entwürfe beschäftigten mich einige Zeit, wobei die Zahl 5 eine besondere Rolle spielte, sowie zwei sich kreuzende Linien, ob mit oder ohne Spitzen. Das blieb nun die Frage.  

 Gestalterisch war ich auch auf meiner Modellbahnplatte tätig, in deren Welt ich mich mehrfach hinein versetzte, so als wollte ich meinem einem meiner alten Züge mitfahren, aussteigen und feststellen, meine Welt ist groß und ich sehr klein. Ich schrieb auch darüber:

"Plastikmenschen vergehen nicht, sie werden nicht älter, obwohl sie dem Untergang geweiht sind. Und sie vergessen nichts wie ich. Der ich vergaß, wie die Welt ist. Ein unsichtbarer Gegner mit vielen Gesichtern. Leichtsinnig kandidiere ich für den Betriebsrat, obwohl das niemand will. Die Kollegen nicht und nicht die Geschäftsleitung. Gehe essen mit Kolleginnen, denen bei meinem Anblick ihr Vater einfällt, wo früher eher mal mit schwingendem Röckchen gefragt wurde, ob ich nervös sei, was ich natürlich lügend verneinte."

 



             

                                                                                  



                                                                                   







     

Dienstag, 1. Juni 2021

MyLife 1999 - 2005

Neue Zeit & neues Leben

Seit dem 4.1.1999 war der Euro Buchungswährung, auch wenn die DM weiter Zahlungsmittel blieb. 

Im Urlaub auf Djerba schrieb ich: 
"Das ist der erste Urlaub, von dem niemand aus meiner Familie weiß. Wer ist da noch übrig? Mein Vater hat, nachdem er mir versicherte, dass er mich nicht anrufen wird, auch das Abheben des Telefonhörers verweigert. Zu Pfingsten musste ich das Grab meiner Mutter suchen. Es ist die Nummer 532 auf dem Kasseler Westfriedhof. Konsequent werde ich nun die elterliche Wohnung meiden. Der einzige Ort des Gedenkens wird die kleine Grabstelle sein, für deren Zustandekommen ich mich eingesetzt habe. Mein Vater wird so schnell wie möglich das ihm geliehene Geld zurück zahlen, um seinem verhassten Sohn nichts schuldig zu sein."

Im Frühjahr bekamen wir während eines gemeinsamen Restaurantbesuchs in Lemgo die Mitteilung, dass mein Schwager und seine Freundin ein Kind erwarteten. Das kam ziemlich unerwartet für uns, auch wenn es offensichtlich war, dass mein Schwager den Tod seines Vaters nur schwer verkraftete. Der Gedanke, das uns Kinderlose im Alter mal niemand mehr besuchen würde, so wie wir es mit unseren Eltern getan haben, schien ihn schwer zu belasten. Obwohl es mir kaum zu Bewusstsein kam, erschütterte mich die Tatsache unbewusst sehr. 

Einstweilen beschäftigte ich mich noch immer damit, meine nicht ausgelebten erotischen Fantasien aufzuschreiben. Einzelne Beiträge erschienen in einem Portal für softe SM-Praktiken. Die Wortschöpfung aus Romantik und Dominanz, "Domantik", gefiel mir dabei besonders. Meine Beiträge fanden Anerkennung. Ich selbst verwendete verschiedene Alias-Namen im Internet. Denn das Bekennen mit dem eigenen Namen ist gesellschaftlich nicht ratsam. Letztlich scheiterte auch das Projekt daran, dass jemand enttarnt wurde und sich keine Nachfolger-/innen für die Weiterführung des Portals fanden. 

Mir blieb die Idee, für meine Frau einen erotischen Kalender zu gestalten, in dem ich mich nackt oder mit sehr wenig Kleidung ablichten ließ. Die Fotografin fand das so lustig, wie sie es missbilligte. Für mich war es aber der Ausdruck meiner Identität. Da ich mit Nacktheit kein Problem hatte und der Meinung war, durch die Kleidung verstecke der Mensch seine wahre Persönlichkeit, empfand ich die Aktion für mich als einen kleinen Meilenstein. Die Selbstverständlichkeit, mit der Frauen sich über ihren Körper identifizierten, die gab es nicht für Männer, die sich körperlich zeigten. Schön wollte auch ich für mich selbst sein, ohne dass ich auf meine Männlichkeit zu verzichten. Dabei mochte ich andere Männer nicht, ihr Denken war mir stets zu eindimensional. Mit Frauen konnte ich mich besser verständigen, ohne dass ich damit eindeutige Absichten verfolgte. Irgendwie war ich ein sexuelles Neutrum, das sich nun selbst spiegelte.

Beruflich bahnte sich neues Ungemach an. Unser Wertpapierinformationssystem war, sobald online, der Kritik ausgesetzt. Nachbesserungen vielfach gewünscht, neue Module mussten konzipiert werden. Obwohl ich Ansprechpartner für die beauftragte Firma war, wirkten weitere Akteure mit. Die mittlerweile in der IT tätigen Kollegen nahmen ebenso wie mein unmittelbarer Kollege eine überwachende Funktion ein. Meine Nachrichten wurden gelesen, kommentiert und kritisiert. Dabei hatte sich der Verlagsleiter in den Kopf gesetzt, mich allein mit der Projektarbeit zu betrauen. 

Eines Tages fuhr ich hinter dem Wagen meines Schwagers her. In der Dunkelheit ging es von Lemgo-Brake aus nach Detmold ins Krankenhaus, wo wir erstmals seinen neu geborenen Sohn zu Gesicht bekamen. Wie üblich drückte er ganz schön aufs Gas, sodass ich, der die Strecke nicht so genau kannte, Mühe hatte, ihm zu folgen. Die Spannung stieg. Hinter Glas lag da ein kleines Kind, verkabelt und mit Schläuchen in der Nase, sah es aus wie eine Puppe. Mein erster Säugling, den ich zu Gesicht bekam, war ein Frühchen und daher untergewichtig. Mein Schwiegermutter war auch mit gekommen und sie meinte, etwas in meinem Gesicht zu sehen.     

Das Y2K-Problem reihte sich in die Fülle der Erwartungen an die besondere Silvesternacht des Jahres 1999/2000 ein. Jeder wollte an einem besonderen Ort sein, um das neue Jahrtausend zu begrüßen. Am Mainufer leuchtete in groß die Zahl 2000, wie um den Jahrtausendwechsel fassbar zu machen.. 
"Soeben ist pünktlich um null Uhr meine zeituhrgesteuerte Lichterkette ausgegangen, sowie ich sie programmierte. Hurra, wir leben noch und die Schamanen packen ein."
"Die Endzeit, sie bricht zusammen und alles wird so profan. Jetzt können wir wieder feiern."
Zwar hatte Y2K viel gekostet, aber es war eben ein Computerproblem, die erwarteten Katastrophen blieben dank umfangreicher Vorbereitungen aus. 

Niklas hieß der Junge, der nun getauft werden sollte und der Taufpate sollte ich sein, anstatt seiner Tante, meiner Frau. Das ehrte mich natürlich, leider war ich jedoch kein Kirchenmitglied mehr. Ich musste also wieder eintreten. Eine peinliche Zeremonie im neuen Gemeindehaus in Frankfurt-Kalbach folgte daraus. Ein Gottesdienst, an dem ich teilnahm und mich erklärte. Im Endeffekt ein formaler Akt, denn das mich nicht die Frömmigkeit bewogen hatte, wieder Kirchensteuer zu zahlen, das war offensichtlich. Ich überwand mich und mir wurde noch klarer, wie wichtig ein Kind für mich wäre. 

Ein neuer Mitarbeiter vervollständigte unsere Abteilung. Er sollte mit mir gemeinsam die der Abteilung übertragene Investmentfondsverwaltung bearbeiten und mich dabei entlasten. Bei dessen Einstellung durfte ich mein Urteil abgeben, obwohl es letztlich nicht die Rolle spielte. Denn er kam auf Empfehlung eines weiteren Kollegen unserer Abteilung. Mein Chef hatte allerdings Bedenken gegen den Bewerber, weil er angeblich älter als ich sei. In Wahrheit war es deutlich umgekehrt, denn ich war gut 5 Jahre älter. Mein für mein Alter zu junges Aussehen führte hier wie oft in meinem Leben zu einer deutlichen Fehleinschätzung meiner Person. Ich konnte das zum Glück  in diesem Fall aufklären und fortan waren wir zu viert in der Abteilung.    

Die Vergangenheit meldete sich in Gestalt eines Klassentreffens unserer Klasse vom Wirtschaftsgymnasium. Einer meiner Mitschüler fragte sogar schriftlich bei mir nach, ob mir der Termin passen würde. Das war der Fall. So fuhr ich mit Ruth zusammen nach Kassel, wo wir eine Übernachtung in einem Hotel in der Nähe der Dönche (Wilhelmshöher Tor) gebucht hatten. Ich ging dann abends zum ausgesuchten Lokal in Wahlershausen (einem Brauhaus). Und da saßen sie dann fast alle am langen Tisch. Mein Kumpel Bernd O., nicht jedoch Gerhard T., aber meine "Liebe" Conny R. waren anwesend. Was mir schnell klar wurde, das war dass die alten Rollenverteilungen von früher noch immer galten. Wer früher das große Wort in der Klasse geführt hatte, der tat es immer noch. Nur passte ich nicht mehr in meine frühere Rolle. Ich hielt mich allerdings wieder mal zurück, so wie früher. Ich wurde allerdings selten ins Gespräch mit einbezogen. Großes Hallo gab es lediglich, als mich Kollege Edgar P. fragte, was ich denn arbeite und ich wahrheitsgemäß die Börsen-Zeitung als meinen Arbeitgeber preis gab. Er tat denn aus Unkenntnis so, als würde ich die Börse im Alleingang managen. Anerkennung erhielt ich dann auch noch von Conny, die mir auf die Schulter klopfte und mich ganz einfach fragte, ob ich Kinder hätte. Worauf ich sagte: "Nicht das ich wüsste." Das kam gut. Aber insgesamt entwickelte sich der Abend gar nicht. Die Zeit verrann und ich hatte das ungute Gefühl, dass es wieder so läuft wir früher. Man braucht Unmengen von Alkohol und einen späten Abend, damit es irgendwie locker wird. Beides kam mir ungelegen. Michael Herwig, den ich als eines der beiden Mathegenies der Klasse in Erinnerung hatte und der nun wohl als Steuerberater seine Berufung gefunden hatte, himmelte Conny ununterbrochen an. Bernd O. saß zu weit weg, als das wir eine sinnvolle Unterhaltung hätten führen können und Ruth verbrachte die Zeit allein im Hotel. Selbst wenn es jetzt noch zu mehr Kontakt kommen sollte, was nicht sicher war, ich beschloss diesen Einblick in meine schulische Vergangenheit zu beenden. So stand ich auf, grüßte in die Runde und ging. Bernd O. meinte, das sei aber schade und Gabi Gundlach, die das Ganze wohl eigentlich organisiert hatte, schaute zu mir herüber, ich winkte ihr zu. Ich war teils froh, teils doch etwas bedrückt, als ich draußen war. Hatte es sich gelohnt und was hatte ich eigentlich erwartet? Meine Frau holte mich ab und nun hatte alles wieder seine gewohnte Ordnung.          

Auch im neuen Jahrtausend bleiben wir unserem Wunsch, Urlaub zu machen treu. Im September war die Insel Fuerteventura unser Ziel. Schon die Busfahrt vom Flughafen zum Hotel war ein echtes Erlebnis, da der Fahrer es offensichtlich eilig hatte, uns abzuliefern. Immer dabei: eine Kladde, die ich auch im Urlaub mit Gedanken füllte. Ich selbst schrieb sozusagen "im Dunkeln", wie ich es einmal formulierte. Dabei ging es um eine Geschichte der Sehnsucht nach dem Leben und dem Wissen um die eigene Endlichkeit. Sie spielte in Russland und war lange schon in meinem Kopf. Der Mensch, über den ich schrieb, war ein ehemaliger staatlicher Forstaufseher, der nach dem Verfall der Sowjetunion nun auf sich selbst gestellt vom Tauschhandel lebte. Allein, aber nicht einsam, mit einer Liebe zu dem, was in Russland Kosmos heißt. 
Das All, immer im Fokus meines Interesses, im Grunde beschrieb ich mich in dem Plot selbst. Aber es gab da noch andere Träume.

Luftballon kaputt, alle kaputt?    

"Willst du es sehen, nach der Geburt?
Vielleicht, denke noch darüber nach.
Wie wird es sein, ohne mich?
Warum soll es werden, nur um der Idee wegen,
ein Werk, so kalkuliert wie ein neues Auto. "

Die Überschrift war eine Frage eines behinderten Menschen, die ich ihm als Überschrift klaute. nachdem ich meinen Bruder, der mittlerweile in einem Wohnheim in Homberg/Ohm untergebracht war, besuchte. Frank wurde täglich in eine Werkstatt gebracht, in der er einfache Arbeiten verrichten konnte.
Es schien ihm ganz gut zu gehen und wir waren mit ihm in eine Eisdiele im Ort.

Ich begann darüber nachzugrübeln, wie ich in meinem fortgeschrittenen Alter meinen Kinderwunsch zu realisieren. Gene weiterzugeben, war es das, was ich wollte? Mein Genmaterial zu spenden, das erschien mir mehr und mehr als der Königsweg. Er würde es mir ermöglichen, meine Ehe aufrecht zu erhalten.

Doch der Alltag verlangte nach mir. Weihnachten und Silvester, das wollten wir in der Ramsau in Österreich verbringen. Schon die Anfahrt stand für mich unterkeinem guten Stern. Kurz bevor wir endgültig die Autobahnabfahrt für Schladming erreichten, verlor ich die Nerven. Autobahn und das bedrückende Bergpanorama, das war zu viel für mich. Nervlich befand ich mich ohnehin in keiner guten Verfassung. Meine Frau musste die restliche Anfahrt auch über die Serpentinen der Straße Richtung Ramsau übernehmen. Meine Schwägerin reiste ebenfalls, aber mit eigenem Auto, an. Sie wohnte auch wo anders als wir. Im Feistererhof gab es eine schöne Weihnachtsfeier am Heiligabend. 
"Ich vergesse viel und habe meine Gedanken ständig woanders. Die Option auf ein eigenes Kind und die Selbstverwirklichungsversuche bezüglich meiner Aktbilder machen Spaß, kosten aber auch Kraft."
Am 2. Weihnachtsfeiertag wollten wir uns mit meiner Schwägerin zum Langlauf treffen. Doch:
"Ruth liegt im Krankenhaus in Schladming. Sie hat sich beim Sturz auf dem Weg zur Loipe verletzt. Ein Wirbel ist gebrochen, ebenso das Steißbein. Nun denke ich den Tag zu Ende, den ich mit ihr zusammen angefangen hatte." 
Für den 30.12. hatte ich über das örtliche Rote Kreuz eine Rückfahrt nach Deutschland organisiert. Ich würde das Auto allein nach Hause fahren. Meine Schwägerin war nicht dazu bereit, die Fahrt mit mir zusammen anzutreten. Die jungen Leute, die unseren Transport begleiteten, hätten auch unser Auto gefahren, aber da hatte ich doch noch meinen Stolz. Der Abschied vom Hotel wird für immer in meinem Gedächtnis bleiben, vor allem wegen der treuen Hündin: 


Ich nahm die erste Hürde und kam direkt am Schladminger Krankenhaus an, welches am Fuß der Serpentinenstraße quasi am Ortseingang liegt. Dort erwartete mich bereits der Krankentransporter, dem ich Mühe hatte, bis zur Autobahn zu folgen. Erst später konnte ich mich etwas absetzen. Meine Ängste versetzten mich in eine Art hypnotische Starre. Das half und verging mit Dauer der Fahrt. Unterwegs gab ich dem netten Team was aus. Am späten Nachmittag trafen wir in Frankfurt am Markuskrankenhaus ein. Bei der Übergabe mutmaßten die Österreicher schon, dass hier wieder alle Untersuchungen neu gemacht werden würden, obwohl die Unterlagen von Schladming vorlagen. Im Endeffekt folgte für meine Frau eine schwere Zeit. Denn in Frankfurt setzte man auf eine sehr konservative Therapie. Sie musste über Wochen liegen. In Schladming war sie bereits mit einer stützenden Corsage herum gelaufen. Es war ein Schock. Es verging eine lange Zeit inklusive ihrem Geburtstag, bis ich sie endlich nach hause holen konnte.

Derweil rückte die Wahrscheinlichkeit näher, dass es tatsächlich zu einer Vermittlung eines Spende kommen würde. Über eine Agentur ließ ich mich vermitteln. Die Beiden schienen zu passen. Die Familie der Mutter würde sich Kinder von ihr wünschen. Ein Wunschkind also oder ein Queer Kid? Ob der Becher zu groß sein, fragten sie. Eine Eigenkreation, Spende im Becher. Vielleicht interessierst du dich nicht für kleine Kinder, meinte sie. Zwei wurden es schließlich. Bingo?
Am Tag vor meinem Geburtstag flogen zwei Flugzeuge mit arabischen Terroristen an Bord in die beiden Türme des World Trade Centers in New York und brachten sie zum Einsturz. 
Als ich erfuhr, dass es nun zwei Kinder werden würden, die entstanden waren, begann ich mir Sorgen zu machen. Ich müsste doch helfen. und das Gewissen pochte. Als ich mit meiner Frau am Nikolaustag, über die Möglichkeiten per Samenspende Kinder zu bekommen, diskutierte, konnte ich die Wahrheit nicht mehr für mich behalten. Trotz der mit den Frauen (es handelte sich um ein gleichgeschlechtliches Paar) vereinbarten Anonymität, beichtete ich, dass ich keine Nikolausüberraschung in den Schuh getan hatte, sondern tags zuvor ohne große Anstrengung Vater geworden war. 
Unsere Welt brach zusammen. da hilf mir auch ein Termin bei Pro Familia nicht.
"Sie haben etwas gemacht, was unmöglich ist.“ So lautete das Verdikt der Psychologin. Patchwork: ich wollte Bezugsperson für die Kleinen sein. „Warum wollen Sie das denn machen?“
Ich glaubte im falschen Film zu sein. Die Mutter der Kinder brachte ihr Erstaunen zum Ausdruck, dass ich nicht verlassen wurde. Wir waren in der Tat schlecht beraten worden, machten aber in der Folge das Beste daraus.

Mein Vater meinte, als er von der Sache hörte, da müsse ich ja nichts machen. Immerhin hatte er mir jetzt telefonische Sprechzeiten eingeräumt, also Zeiten, in denen er den Hörer abnehmen würde. 
Bei einem Besuch sah ich, dass er meine zuhause verbliebenen Tonbänder vernichtet hatte, ohne mich vorher zu fragen. Seine Hände hatten sich verfärbt, weil er sie per Hand von den Spulen wickelte. Es ist nicht so, dass mir an den Aufnahmen unserer Gruppe viel gelegen hätte, die Qualität der Bänder wäre ohnehin schlecht gewesen. Dennoch hätte ich über den Verbleib gern selbst entschieden. 
Er gab wenigstens zu, dass ihm Mutter fehle. Ich verarbeitete unser Verhältnis traumhaft. 

"Ich lief durch dunkle Räume, die Treppen hoch und runter. Fand dann endlich einen Ausgang.
Die Szene mag meiner Kindheit entflohen sein, als ich als Säugling oft genug die dunklen Treppen eines Altbaus hinuntergetragen wurde. Windeln mussten gekocht und zum Trocknen im Garten ausgehängt werden.
Ich betrat einen großen Saal mit Bühne.
Eine verhüllte Gestalt bewegte sich im Scheinwerferlicht, eine Kutte ragte spitz in die Luft und warf Schatten auf das Gesicht der überhöhten Statue. Schriftzeichen zierten den bunten und doch dunklen Umhang. Die Figur wandte sich mir zu und beobachtete mich. Sie schwebte, ich selbst konnte das auch. Ich fühlte mich bedroht, die Gestalt war so hoch und unheimlich. Panik stieg in mir hoch und gleichzeitig stieg meine Entschlossenheit. Ich schnappte mir eine zweizackige Gabel und näherte mich mit unheimlich starkem Willen und unter Aufbietung aller Kräfte sehr schnell an, ja ich flog eigentlich. Mein Vernichtungswille war groß und gab mir Kraft. Die Gestalt schien nicht überrascht, als erstes verlor ich meinen Zweizack. So benutzte ich meine Hände, um die irgendetwas zu greifen. Ich schaffte es trotz großer Gegenenergie, an den Hals der Person zu kommen. Ich blickte durch eine durchsichtige Gesichtsöffnung auf : Knochen! Durch den Umhang konnte ich sie schon spüren. Gleichzeitig mit der erneut aufkeimenden Angst kam die Erkenntnis. Ich kämpfte gegen mich selbst. Ich ließ sofort ab und fühlte mich erlöst. Ruhe machte sich in mir breit und ich hatte einen Irrweg beendet."
Einen Besuch bei meinem Vater beschrieb ich hier: 


Im Betrieb lief es gut für mich. Ich durfte sogar den Text für den Kursteil-Leitfaden "Was steht wo?" zuhause bearbeiten und bekam es separat vergütet. Überhaupt, die Arbeit mit dem Verlagsleiter machte Spaß. Ich scheute mich nicht, wenn ich neue Ideen hatte, zu ihm zu gehen und die Vorschläge anzubringen. Sie fielen durchaus manches Mal auf fruchtbaren Boden. Wenigstens hier schien ich Sicherheit zu haben. Wenn man Fehler machte, gab der Verlagsleiter stets die Möglichkeit, alles zu prüfen und es dann besser zu machen. 

Was mich immer wieder in den ganzen Projektsitzungen überraschte war, dass man mit einem relativ geringen Wortschatz Eindruck machen konnte.
"Eine gewisse Wertigkeit stand flächend im Raum." Da gab es durchaus kreative Wortschöpfungen, zu denen sich gern Anglizismen aller Art gesellten. Das war nicht meine Welt.
Endgültig schlug das Pendel zu meinen Ungunsten aus, als ich in der Firma bekanntmachen musste, dass ich mittlerweile einen Grad der Behinderung von 50% amtlicherseits erreicht hatte.
Die Bildschirmtätigkeit hatte zu unumkehrbaren orthopädischen Beschwerden geführt. Der Tinnitus war ebenfalls schon anerkannt, nun kamen meine Depressionen und Ängste dazu. Letztere machten zunächst eine neurologische Behandlung erforderlich, die Ärztin erkannte allerdings, was mit mir los war. Mein Chef allerdings sah die Sache ganz anders. Er zitierte mich heran und fragte mich, wie ich dazu käme, mir aufgrund der fünf Tage weiteren Urlaubs quasi eine Gehaltserhöhung zu verschaffen. Ich solle auf den Urlaub verzichten. Ich erwiderte nur knapp, dass ich darüber nachdenken würde, was ich natürlich nicht tat. 

Das Grundvertrauen in unserer Ehe war schwer gestört. Sie betrachtete unser Zusammenleben lediglich als Wohngemeinschaft. Gleichwohl wollte sie, dass ich Kontakt zu den Kindern aufnehme. Mir blieb die bittere Erkenntnis, dass meine Frau gar nicht unbedingt "meinen Weg" abgelehnt hätte. Sie hätte allerdings bei der Suche nach einem geeigneten Paar mit entscheiden wollen. 
Wir besuchten dann erstmals die beiden kleinen Säuglinge und das war schon sehr berührend. Immerhin hatte ich ja die mit dem Paar vereinbarte Anonymität gebrochen, dafür verhielten sie sich sehr kooperativ. Das half mir bei meinem Problem nicht weiter. Einerseits fühlte ich ja, dass es meine Kinder waren, andererseits wusste ich nicht, wie ich mit der Trennung von ihnen leben sollte. 
Die Kinder sollten ihren "Vater" kennen, da herrschte zwischen den Frauen Übereinstimmung. Das war es dann aber auch schon. Wir vereinbarten regelmäßige Besuchstermine, luden die beiden Mütter auch zu uns nach hause ein. Ruth bekochte uns sogar. Alles sah erst einmal gut aus. Fotos hatte ich schon sehr frühzeitig bekommen. Nur in mir selbst war nichts richtig gut.   

2004 schrieb ich: "Wenn die Projekte nicht mehr wichtig sind, an denen man gerade arbeitet und einem die Kollegen das Wort im Mund herum drehen, spätestens dann, sollte einem klar sein, dass es nur noch ein Projekt gibt, was sich wirklich lohnt: Abstand gewinnen. In diesem Haus regiert die IT. Die IT ist kein Dienstleister, sondern bestimmt letztlich, was gemacht wird und mit wem sie zusammen arbeitet. Verstehen werde ich das auf meine alten Tage nicht mehr. Der Ärger wird kein Ende mehr nehmen, soviel weiß ich, also muss mir die Psychologie wieder einmal helfen. Im Prinzip regt es mich noch nicht einmal mehr auf, weil die Abläufe erkannt sind."
In der Firma musste ich nun irgendwie die Kurve kriegen und aus der scheinbaren Alleinverantwortung für Projekte heraus kommen.
Ich wusste, dass ich die IT-Leute, insbesondere die Gruppe, die sich mit dem Internet-Auftritt beschäftigte, nicht auf meiner Seite hatte. Zudem war ich selbstkritisch genug um zusehen, dass ich als Netzwerker nicht geeignet war. Ich schlug also auch zur Beruhigung meines direkten Kollegen unserem Verlagsleiter vor, mir die Projektarbeit mit dem Kollegen zu teilen. De facto war das sowieso schon so. Denn ich beackerte immer den Bereich Stammdaten und damit den Kontakt inhouse, während der Kollege sich um die Kurse und die Technik kümmerte. Dennoch erntete ich damit keine Zustimmung beim Chef, er vermutete sogar, dass ich glaubte, er würde mich im Zweifelsfall nicht unterstützen. Das war nicht mein erster Grund, dennoch konnte ich ein gewisses Misstrauen Vorgesetzten gegenüber nach den Erfahrungen der letzten Jahre nicht ausschließen. Zudem wusste ich auch, dass auch Vorschläge meines Kollegen sein Wohlgefallen fanden, ein Pro für mich ließ sich nicht unbedingt erwarten. 
Halb zog ich mich, halb wurde ich in meinem Arbeitsleben auf den Bereich  Investmentfonds zurück reduziert.  Die Fondsverwaltung lag in meiner Verantwortung. Der Ablauf von der Veröffentlichung eines Fonds bis zur Fakturierung war von mir mit dem Verlagsleiter zusammen abgestimmt worden. Längst hatte ich Excel-Sheets konzipiert, die alle für die Abrechnung und spätere Fakturierung notwendigen Daten enthielten. Leider zerschoss mir der zugeordnete Kollege manchmal die hinterlegten Formeln, sodass ich wie ein Luchs aufzupassen hatte. Anlässlich eines größeren Malheurs sagte unser Verlagsleiter zu mir: "Seien Sie froh, dass ich sie nicht verantwortlich mache." Mittlerweile berechneten wir den Fondsgesellschaften und Agenturen die Veröffentlichung von Fondspreisen in unserer Zeitung und im Internetportal. da waren Fehler unangenehm. Verantwortlichkeiten gab es dennoch ja nicht wirklich, auch wenn unser Dienstältester die Welt gern scherzhaft in Masters und Boys einteilte und sich dabei gern selbst als Master sah. Zum Glück für mich war die Gruppe der Investmentpreiserfasser nicht mehr der Kursredaktion zugeordnet, sondern sie arbeitete in Diensten der Wertpapier-Mitteilungen. Es gab also mehr Platz in der Etage und wir beiden älteren Kollegen bekamen je ein Einzelzimmer. Das war Fluch und Segen zugleich für mich. Einerseits musste ich nicht mehr alle Bandwurmtelefonate kollegial mithören, andererseits bekam ich nicht mehr mit, was hinter meinem Rücken geschah. Immerhin, meinen Bereich hatte ich und durch die Gleitzeit ohne Zwang zu bestimmten Zeiten Pausen nehmen zu müssen, auch eine gewisse Freiheit im Kommen und Gehen.  
Das Jahr 2004 brachte mit dem InvStG auch inhaltlich große Herausforderungen mit sich. Bisher nicht gerechnete Daten waren zu veröffentlichen und die Umsetzung gehörte zu meinem Metier.      

 

Einen denkwürdigen Besuch machte ich mich März des Jahres bei meinem Vater. Hier weihte er mich die Geheimnisse seiner persönlichen Unterlagen ein. Er gab mir sogar die Pin für seine EC-Karte und etliche alte Familienfotos mit, von denen er sich trennen wollte. Doch sein Vertrauen hatte Grenzen. Bevollmächtigen wollte er mich nicht.



In unserer Ehe hatte sich wieder eine gewisse Normalität breit gemacht. Weiterhin reisten wir viel und ich lief auch weiterhin. So hatte ich in Esens die Gelegenheit, am Balthasarlauf, einem Volkslauf, teilzunehmen. Die Kontakte zu meinen Kindern hatten sich eingependelt. Allerdings belasteten mich die Besuche auch wegen der notwendigen Fahrerei sehr. Denn auch kürzere Autobahnstrecken machten mir zu schaffen und als Albtraum empfand ich es stets, mir nahestehende Menschen in für mich scheinbar schwierigen Entfernungen zu wissen. Einen Urlaub mit Schwager, Schwiegermutter und meinem Patenkind Niklas hatten wir auch schon absolviert. Der Kleine schaute mir beim Bierzapfen zu, während ich ihn auf dem Arm trug. Und er konnte nicht genug von der Weihnachtsbäckerei kriegen, die er lautstark im Speisesaal unseres Hotels im Kleinwalsertal gesanglich präsentierte. 
Während mein Patenkind sich im familiären Umfeld von einem kleinen Frühchen zu einem properen Kleinkind entwickelte und ihm auch ein kleines Brüderchen als Spielkamerad zur Verfügung stand, wuchsen auch meine Kinder heran. Dennoch würde sich eine familiäre Vertrautheit nie so einstellen, wie es eben mit der Familie meines Patenkindes der Fall war. Den 50. Geburtstag meiner Frau begingen wir gemeinsam mit Schwiegermutter, Schwager und dem kleinen Niklas in Fieberbrunn in Österreich. Niklas zeigte hier besonderes Interesse am Schneeräumen, davon gab es genügend. Auch wenn das Geburtstagsgeschenk der Schwiegermutter (eine Ananasbombe) sehr originell ausfiel, blieb das Ereignis doch sehr in Erinnerung. Und immerhin war mein Schwager die ganze Strecke gefahren, was mich erheblich entlastete. 
Mein Leben war weiterhin reich an Eindrücken. 2004 begann für mich das Zeitalter der digitalen Fotografie und auf Kos stand mir erstmals eine solche Kamera zur Verfügung.    

Unsere Pläne, doch noch einmal eine Eigentumswohnung zu erwerben, wurden durch die Umstände in unserem Mietshaus befeuert. Unter uns wohnte nun ein junges deutsches Ehepaar mit Kindern, die im Gegensatz zu den Vormietern gern feierten und dabei auch keine Rücksicht auf uns nahmen. Zudem wurden wir von Mietern aus dem Nachbarhaus regelrecht gemobbt. Aber auch Kalbach selbst entwickelte sich zum Nachteil. Mit dem Baubeginn der Riedbergstadt verschlechterte sich die Lebensqualität extrem, vor allem in Bezug auf die Freizeitmöglichkeiten. Schon bald würden einige meine Laufstrecken nicht mehr existieren. Mein läuferischer Bereich reichte von Kalbach bis nach Praunheim / Brücke. Im BUGA-Gelände nahe Frankfurt-Ginnheim joggten wir gemeinsam sehr oft samstags. Es gab die Gelegenheit, in unserem Haus noch eine Wohnung zu kaufen, aber der Kaufpreis, der aufgerufen war, erschien uns zu hoch. Ende 2004 sahen wir schließlich Eigentumswohnungen in einem sanierten Altbau in Schöneck-Kilianstädten. Durch eine Zeitungsanzeige im Immobilienteil, den meine Frau oft studierte, waren wir aufmerksam geworden. Unsere Fahrtroute zu den Kindern ließ sich für mich angenehmerweise so legen, dass wir die Häuser von außen betrachten konnten und wir beschlossen, sie auf jeden Fall zu besichtigen, was erst in neuen Jahr 2005 möglich sein würde. 
   
Noch im alten Jahr hatte mein Vater sein ganz eigenes Projekt durchgezogen. Hatte seinen Koffer für das Krankenhaus gepackt und war nach Arolsen gefahren, wo er an der Halsschlagader operiert wurde. 
Eine nicht ganz ungefährliche Operation, deren Nebenwirkungen sich auch später noch auswirken können. Ich erfuhr davon erst im nachhinein, wunderte mich eigentlich nur, dass ich ihn während der Zeit telefonisch nicht erreichen konnte. 
"Mein Vater glaubt immer noch, er könne alles in Ordnung bringen. Bis heute steht kein Grabstein auf Mutters Grab. Meine Besuche werden weniger. Wenn ich länger nicht da war, muss ich das Grab suchen. Ich erkenne es an der akkuraten Pflege meines Vaters. Er ist jeden Tag da. Mir fehlen die Tränen. Nur einmal musste ich sie gehen lassen. Als mir bewusst wurde, dass sie nie wieder ihren Kopf aus der Wohnungstür stecken würde."

Die neue Wohnung wurde unser Zukunftsprojekt. Erstmals konnten wir es uns leisten, eine Eigentumswohnung zu kaufen, ohne sie finanzieren zu müssen. Der Preis passte. In unseren Augen eine gute gelungene Sanierung einer in den Sechziger Jahren für die Bundeswehr erstellte Anlage, die eine solide Bausubstanz aufwies. Wir entschieden uns für eine möglichste helle Wohnung, denn Helligkeit waren wir von unserer Kalbacher Wohnung gewohnt. Einige Wohnungen waren schon verkauft und einer der Interessenten sagte mir, dass er auf jeden Fall etwas kaufen wolle. Nach unserer Besichtigung im Januar unterzeichneten wir im Februar den Kaufvertrag. Es fühlte sich alles nach Heimat und Ankommen an. Zena, meine Kollegin aus der IT-Gruppe, die für den Host-Rechner zuständig war, wohnte auch in Kilianstädten und schwärmte regelmäßig davon. Es begann nun die Zeit des Hin- und Herfahrens. Da die Wohnung komplett tapeziert war, blieb uns nur verschönernde Malerarbeiten übrig. Wir wollten aber persönliche Dinge und alles was in unsere BMW-Limousine passte, möglichst selbst transportieren. Dabei merkten wir schnell, dass auch das Nachfolgemodell des E36 (3er Baureihe), die wir mittlerweile unser eigen nannten, kein guter Transporter war. Sperrige Dinge ließen sich schlichtweg nicht verladen. So bekamen wir unerwartet Unterstützung von der Mutter meiner Kinder, die uns half, die Pakete mit unserem neuen Schlafzimmerschrank in ihrem Wagen zu transportieren. Dabei konnte sie sich ein Bild unserer neuen Wohnung machen und das Fazit fiel wohl positiv aus. 
Die Notwendigkeit, dauernd fahren zu müssen, brachte mich auch schon an meine Grenze. Im Mai war es dann soweit, der Umzugswagen stand vor der Tür und wenig später die Übergabe der von uns verschönerten Mietwohnung an Frau Wertsch, unserer langjährigen Vermietern. Es stellte sich im späteren Gespräch mit ihrer Tochter, die die restliche Abwicklung übernahm heraus, dass Frau Wertsch im Grunde ganz genau wusste, was für solide Mieter sie mit uns gehen ließ. Für uns war sie immer eine harte Verhandlerin, beim letzten Termin merkte man ihr allerdings schon eine gewisse Wehmut an. So war sie dann auch bei einigen Kleinigkeiten großzügiger als gewohnt. Wir hinterließen immerhin eine Hülsta-Küche samt neu gekachelten Küchenboden und ein neu gefliestes Bad mit allen neuen Objekten. An vielen Dingen hatten wir uns zudem kostenmäßig anteilig beteiligt. Zeiten gehen zu Ende, auch wenn man es nicht glaubt. Sie hatte immer darauf geachtet, dass die Mieter in ihrem Haus zusammen passen. Zuletzt ging das ein bisschen schief.

Trotz der ganzen Belastungen flogen meine Interessen weiterhin umher. Ich regte mich über einen unfähigen Wettermoderator im ZDF auf, ärgerte mich über den deutschen Beitrag zum Eurovision Song Contest und dachte mir einen Spruch aus, der auf einem Datenträger an Bord der Sonde Huygens ins Weltall geschickt werden sollte, in der Hoffnung, Außerirdische würden die Botschaft entziffern.  Das Planen einer neuen Küche für die neue Wohnung machte mir ebenfalls soviel Freude, dass ich noch im Möbelhaus einen Hörsturz erlitt, der sich aber zum Glück als aushaltbar erwies. 
Zu meinem 50. Geburtstag lud ich meinen Vater ein. Der ließ mich lediglich wissen: "Ich will das nicht." Es überraschte mich nicht. Wie oft hatte ich mir vorgestellt, dass mein Vater mich als Läufer mal bei einem Run als Zuschauer am Streckenrand sehen würde. Das er stolz wäre darauf, wie sportlich sein Sohn nun geworden war. Aber der Film lief nur in meiner Fantasie. Eine Einladung an die Lemgoer sprach ich dieses Mal nicht aus. Also verbrachte ich diesen bedeutsamen Geburtstag im kleinen Walsertal, das ja schon zu unserer zweiten Heimat wurde und wiederum mit Schwägerin an Bord.  
Hier hatte ich Zeit, meinen Gedanken nachzuhängen:

"Hier bin ich, es ist das Ende.
Es tut nicht weh.
Ich bin dein Alter, es tut nicht weh.
Es ist das Ende.
Du spürst es vom Kopf bis in die Zeh'.
Des Mangels Verwalter,
bin ich, dein Alter."

Das Weihnachtsfest 2005 verbrachten wir wieder einmal in Lemgo und zwar dieses Mal im neuen Haus meines Schwagers. Bereits im Vorjahr hatte er, nachdem die Überschreibung von Haus und Grund an ihn seitens der Schwiegermutter notariell erfolgt war, das alte Fachwerkhaus (Elternhaus) abreißen können. Die Schwiegermutter zog während der Bauarbeiten in eine kleine Wohnung in derselben Straße um und zog als erste in die Einliegerwohnung des neuen Hauses ein. Zu Weihnachten waren dann aber alle von der bisherigen Wohnung an den neuen Wohnort gezogen. Das alte Haus war reparaturanfällig geworden und die zwischen den Lemgoern gefundene Lösung wohl die einzig Mögliche. Mein Schwager hatte uns gefragt, ob wir einverstanden seien, allerdings jegliche Auszahlung an die Schwestern ausgeschlossen, da er sonst die Kosten für den Abriss des alten Hauses nicht finanziell stemmen könne. Von der notariellen Übertragung erfuhren wir allerdings mit Verspätung vom Gericht. Insgesamt war der Bau eines neuen Hauses an der Stelle des alten Hauses von glücklichen Umständen begleitet, da der zuständige Mitarbeiter beim Lemgoer Bauamt in Urlaub war, als die Abrissgenehmigung erteilt wurde. Er hätte dem, so verlautete später, sicher nicht zugestimmt, denn es handelte sich um ein Jahrhunderte altes Gebäude. Unserem gemütlichen Heiligabend stand das aber nicht im Wege. Wir waren zum ersten Mal auch Wohnungseigentümer und dieser Umstand sorgte durchaus angesichts unseres fortgeschrittenen Alters für Aufmerksamkeit. Mit vielen Schnäpsen ging der Abend zu Ende und mit Mühe schaffte ich es ins Gästebett.    


   

 



 



  


   



Samstag, 20. Februar 2021

MyLife 1993 - 1998

 Verluste

Meine Berufstätigkeit verlangte weiterhin viel von mir. Die Anerkennung, die ich mir so sehr wünschte, erreichte ich nur partiell. Mit der Ernennung eines Abteilungsleiters für den Bereich Satz neigte die Waage endgültig in Richtung meines Kollegen in der Kursredaktion. Zwar wurde mir wieder einmal der Posten eines Gruppenleiters angeboten, doch ging ich darauf nicht ein, weil ich genau wusste, dass ich dafür keine Unterstützung aus dem Haus gehabt hätte und dass es wahrscheinlich sowieso nicht gemacht würde. 

Mein Bruder hatte unterdessen wieder einmal geschlagen, dieses Mal eine Frau und es kam zu einer Gerichtsverhandlung in Kassel. Für die Dauer der Verhandlung war er zeitweilig sogar in der JVA Wehlheiden untergebracht. Es gab wieder einen gerichtlichen Beschluss, der für ihn die Verlegung zurück nach Gießen bedeutete. Mein Verhältnis zu ihm war schwierig. Sobald ich etwas sagte, was ihm missfiel, schrie er, einmal hieb er mit der Faust auf den Tisch. Ich erschreckte mich ziemlich. Immer wieder gab es Anforderungen materieller Art, die insbesondere von der Mutter geschürt wurden. Mich belastete das sehr, im Grunde hatte ich vor meinem eigenen Bruder Angst. Mutter ging es schlecht, sie ging kaum noch aus dem Haus. Ihre Beine waren dünn und verbunden. Ihre Medikamente mussten von Vater besorgt werden. Vater wirkte aufgrund der Entwicklungen moderater mir gegenüber. Das Mietshaus der elterlichen Wohnung war von der Neuen Heimat modernisiert worden (u.a. Sprechanlage). 

Zu meiner Unterhaltung spielte ich viel am 286er PC, oft zog mich Tetris in den Bann. Unser Vermieter begann, das Haus zu dämmen, das brachte uns eine Mieterhöhung auf fast 1000,- DM (inkl. Nebenkosten) ein. Immerhin konnte ich unseren roten Kastenpolo (so nannte ich ihn) privat zu einem vernünftigen Preis verkaufen. Das Auto war von Anfang an ein Fehlkauf, da es aufgrund der fehlenden Servolenkung als Zweitwagen viel zu schwergängig für Ruth war. Zudem wurden, wenn es an der Straße stand, auch mal an den Radventilen manipuliert. Das Auto hatte sich auch der Aufmerksamkeit einer neuen Kollegin erfreut. Manchmal fuhr ich damit an die Arbeit im Bahnhofsviertel. Da Parkplätze im Frankfurter Bahnhofsviertel rar sind, musste ich öfter auch welche mit Parkuhr nehmen und die musste regelmäßig mit Geld versorgt werden. Damit ich nicht hinlaufen musste, ging sie hin um nachzuzahlen. Dafür bekam sie später ein Fahrrad von mir. Es war mein erstes, ein Garelli-Rad mit relativ dünnen Reifen, fast ein Rennrad. Mir war das mit der Zeit zu sportlich. 

Aus Lemgo kamen 1993 keine guten Nachrichten. Eine Cousine meiner Frau war an Leukämie erkrankt und das mit kleinen Kindern. Die Verwandtschaft bat nun um Hilfe mit einer Knochenmarkspende. Dafür musste man sich testen lassen. Man sollte verschiedene Antworten ankreuzen, die letzte lautete: "Ich will nicht helfen." Ruth ließ sich ärztlich beraten, der Arzt fand die Formulierungen auch happig, riet ihr aber von einer Knochenmarkspende ab. Das mussten wir also mitteilen. Der Gesundheitszustand meines Schwiegervaters hatte sich indes auch verschlechtert. Da wir bei unseren Besuchen stets mit Essen bewirtet wurden und dafür nichts bezahlten, war die Stimmung gereizt. Unsere Hotelkosten blieben dabei unberücksichtigt. Es legte sich aber alles wieder, wir luden die Schwiegermutter zu uns ein und auch mein Schwager mit Freundin besuchte uns. Das Treffen verlief harmonisch.

Weniger Glück hatten wir mit unseren Urlaubshotels. In Livigno schrieb ich: "Wir stellten heute fest, dass unser Hotel das teuerste im ganzen Ort ist. Unsere Flurlampe wurde heute erneuert. Nachdem ich das zum x-ten Male reklamiert hatte und einem der Angestellten zeigen musste, was ich mit Flurlampe meine, drehten die auf unserer Etage einfach eine Birne raus und setzten sie bei uns ein." Auch in Pietrasanta, wo wir das Hotel Mistral gebucht hatten, dass wir schon 1981 wählten, mussten wir das Hotel wechseln. Mit Glück bekamen wir ein kleines Zimmer im renovierten Teil eines anderen Hotels mit Strandblick. Wir waren dorthin noch einmal mit dem Auto gefahren und realisierten auch einen erneuten Trip nach Elba. 

In der Firma tat sich einiges. Zwei Geschäftsführer verabschiedeten sich in den Ruhestand. Von vieren blieben also nur noch zwei übrig. Auch ein verdienter Mitarbeiter der Wertpapier-Mitteilungen, Godfather der sogenannten Gattungsdatei, die den Aufbau der Datenbank beschrieb, beendete seine Berufstätigkeit. Und es wurde ein Verlagsleiter eingestellt, der zukünftig Chef unserer Abteilung werden würde. Mittlerweile gab es auch ein Stechuhr und die Gleitzeit, was vieles erleichterte.

Mutter hatte manchmal klare Momente, wo sie auch freimütig über ihre eigene Familiengeschichte berichtete. "Mein Großvater, Gerhard Keßler, wurde im Juli 1903 geboren. Er hatte einen Bruder namens Heinz Keßler, der in Hamburg als Arzt lebte und eine Schwester. Sein Vater war ein Oberlehrer. Die Mutter stammte aus besseren Verhältnissen. Die Familie musste erst die Schulden des Gerhard Keßler bezahlen, damit er meine Großmutter heiratet, die bereits im dritten Monat schwanger war." (Gerhard Keßler hatte Spielschulden.) "Mit der Familie ist die der Hilde Keßler, meiner Oma (heute 82) gemeint. Sie ist eine geborene Amende. Sie hat ihrerseits drei Brüder, von denen einer in Stalingrad gefallen ist. Ein anderer starb an Krebs." Mutter konnte allerdings die Sticheleien gegen Ruth nie ganz lassen. Während ich ich mich bei einem Besuch in Kassel mit meinem Vater ganz gut verstand, ihm meine neue Video 8-Kamera erklärte und er sogar ein bisschen damit die Wohnung abfilmte, rief sie dann, als wir wieder zuhause waren, an und behauptete, Ruth habe geweint. Das entsprach natürlich nicht den Tatsachen. 

Unsere 40. Geburtstage standen an. Ruth sollte eigentlich Besuch aus Lemgo bekommen, der aber kurzfristig abgesagt wurde. Dazu kam dann noch eine merkwürdige "Danksagung" seitens der Verwandtschaft, weil Ruth sich nicht zu einer Knochenmarkspende bereit erklärt hatte. Ein für später avisierter Ersatzbesuch der Eltern und des Schwagers wurde dann unsererseits abgesagt. Ruth wechselte wieder einmal die Stelle, von einer Anwaltskanzlei in die nächste. Wir kauften erneut einen Zweitwagen, dieses Mal einen Fiat Punto. Das Thema Eigentum ließ uns nicht los. Wir besichtigten immer wieder Wohnungen.

In der Firma wurde ich in sachlich fachlichen Fragen immer wieder gebraucht. Ansonsten geriet ich fast immer wieder zwischen verschiedene Fronten, die ich mir nicht aussuchen konnte. Es war Politik des Hauses, jeden Mitarbeiter nach Belieben mit jeder Arbeit zu betrauen, ohne das Kompetenzen geregelt waren. Das sorgte immer wieder für Unsicherheiten und brachte kollegiale Zwistigkeiten. Zum 31.3.1994 erhielt die Investmenttabelle durch die Einführung einer Berechnung des Zwischengewinns neue Bedeutung. Die Anzahl der Investmentfonds stieg durch die Veröffentlichungspflicht nochmals stark an. Dokumentation und Information darüber gehörte zu meinen Aufgaben. Die Broschüre "Was steht wo im Kursteil" gehörte nun auch zu meinem Metier.

Am 17.4.1994 starb meine Großmutter. Sie war in ihrer letzten Zeit sehr verwirrt. Es begann das unwürdige Schauspiel um einen Fernseher, denn ich aus Mainz abholen und meiner Mutter bringen sollte. Nach einigem Hin und Her erwartete mich der jüngste Sohn meiner Großmutter, mein Onkel Michael in seiner elterlichen Wohnung in der Mainzer Leibnizstraße. Neben dem Fernseher nahmen wir noch etwas Geschirr mit. Den Rest hatte wohl Michael aufzulösen. Im seinem Auto (einem roten Kadett) saß neben seiner zweijährigen Tochter noch seine damalige Freundin, die wir aber nicht mit der Mutter des Kindes in Verbindung bringen konnten. Auf der Rückfahrt nach Frankfurt musste ich entnervt das Steuer abgeben. Da mein Schwiegervater Geburtstag hatte, konnten wir Sachen auf einem Zwischenstopp in Kassel gleich abgeben. Über Lemgo schrieb ich: "Ich beneide die Leute in der Provinz, die ohne umgerannt zu werden, in die Stadt gehen können." 

Wir realisierten einen lange gehegten Wunsch und reisten mit dem Bus zum Nordkap. Die obere Etage des Doppeldeckerbusses bot nicht genug Höhe, um aufrecht stehen zu können. Da meldete sich die Platzangst bei mir. Aber: mit gegangen, mit gefangen. Wir schifften nach der Ankunft in Kiel für eine Nachtüberfahrt nach Göteborg ein. Erster Stopp war Gävle in Schweden. Hotel miserabel und Weiterfahrt nach Sundsvall, wo uns eine der besseren Übernachtungen erwartetet. Sundsvall merkte ich mehr als sehenswertes Städtchen. Skelleftea war unser Ziel nach Überschreiten des Polarkreises Bei Rovaniemi. Das Polarzeugnis bekamen wir vier Kilometer südlich vom Polarkreis, was ebenso wenig ausmacht wie die Tatsache, dass das Nordkap gar nicht auf dem Festland liegt, sondern auf einer Insel, die nicht nördlichste Europas ist. In Sodanklyä waren wir in Finnland. Das war verbunden mit gutem Kaffee und leider etlichen Moskitostichen. Zwei quälten mich besonders, einer am Haaransatz und einer am Ellbogen. Hinter der norwegischen Grenze sahen wir von Schnee bedeckte Berge und keine feuchte Sumpflandschaft mehr. Abends waren wir zum Glück pünktlich im einfachen Hotel auf der "Nordkapinsel". Die Mitternachtssonne wurde natürlich um Mitternacht zelebriert, obwohl sie eigentlich die ganze Nacht scheint. Die nächtliche Sommersonne hatte uns die letzten Tage schon begleitet, wir gewöhnten uns daran. Unser fränkischer Busfahrer dagegen überzeugte immer wieder mit abgelesenen Fakten: so sei München die zweitgrößte Stadt Deutschland und Norwegen sei 800000 qkm groß (es hat eigentlich nur 385000 qkm). Das Hauptproblem war aber, dass er einen neuen Bus übernommen hatte, den er nicht gut kannte. Entsprechend fuhr er immer langsamer als nötig. Die Länge Norwegens sollten wir auf der Rückfahrt zu spüren bekommen. Über Hammerfest ging es auf dem Rückweg nach Storslett. Storjord sollte dann die nächste Etappe sein. Hier fuhr unser Fahrer einfach mal 100 km zu weit südlich, verirrte sich dann in eine schmale, abschüssige Straße, wo er kaum Wendemöglichkeiten fand. Viele der recht alten Gäste bekamen massive Absturzangst und Schnappatmung. Auf den einsamen Strecken entlang der Fjorde einen Unfall zu haben, war keine gute Vorstellung. Es gab weder Handys nach Navigationssysteme. Das Verhalten des Fahrers wurde natürlich von etlichen Gästen, typisch deutsch, verteidigt. Oslo erreichten wir schließlich über Mo i Rana, Hell, Trondheim, Gjövik und Lillehammer. In Trondheim hatten wir schon überlegt, die Reise anzubrechen und nach Hause zu fliegen, da unser Hotel am Flughafen lag. Die Nachtüberfahrt von Oslo brachte uns nach Frederikshavn und über Bad Oldesloe nach hause zurück. Filme und Bilder bleiben davon sehr eindrucksvoll zurück. Ich jedoch war in ängstlicher und nervöser Stimmung und hörte, wie Ruth bemerkte, die Grillen nicht mehr zirpen. Es stellte sich heraus, dass ich an einem Tinnitus litt. Die Behandlungen mit Infusionen, Akupunktur und der Überdrucktherapie brachten keinen nennenswerten Erfolg. Während eines Besuchs in Lemgo erlitt Ruth eine Gesichtsnervenlähmung. Gesichtsgymnastik im Heilig-Geist-Krankenhaus half ihr letztendlich. 

Meine berufliche Situation war durch meine Krankschreibung nach der Nordkap-Fahrt etwas entspannter, die Probleme blieben. Neuer Mitarbeiter in der Kursredaktion, neues Personal in der Datenerfassung für die Investmentfondspreiseingabe. Folglich suchte ich nach beruflichen Alternativen. auch in Lemgo, allerdings ohne Erfolg. 

Einen kleinen Erfolg hatte ich mit meinen Gedichten. Der Autorenverlag im Weserhof veröffentlichte in einem Sammelband mehrere Gedichte und Texte von mir. Ich musste lediglich die Belegexemplare bezahlen. "Das Boot", "Königin", "Mann nehme", "Rubbish" und "Heißer Stein" hatten es aus meinem Buch "Melancholie unter Palmen" in den Sammelband "Unser Bestes" geschafft.

Was behielt ich von 1994 zurück: das Ohrensausen und eine neue Küche, die erst nach mehreren Besuchen von Handwerkern komplett war. Wir verschönerten unsere Mietwohnung auf unsere Kosten und ließen die Küche zusätzlich fließen. Auch investierten wir in einen BMW 318i für 48.000 DM. Das gelang uns erst, nachdem wir den freundlichen Verkäufer überzeugen konnten, dass auch wir den 10%igen Rabatt verdient hätten, den sonst nur Mitarbeiter der Rechtsanwaltskanzlei bekamen, in der Ruth tätig war. Zwischenzeitlich war auch mein Bart ab. Irgendwie wollte ich mich jünger machen. Mich quälte der Gedanke an den 40. Geburtstag, schließlich hatte ich früher schon gedacht, dass ich im Jahr 2000 45 und damit schon sehr alt wäre. Sexuell suchte ich nach Auswegen aus meiner Monogamie, ohne dass es fruchtete. Der Gedanke an Nachwuchs war nun sehr stark in mir. 

Von den Damen in der Investmentpreiserfassung wurde ich mal angezogen, mal abgestoßen. Eine Frau Polesnik meinte immer "Bitt' scheen, i bitt' Sie, wir können doch über ols reden." Zu deutsch, zu sagen haben sie mir nichts. Die dienstältere Frau Mosebach dagegen meinte: "Sie haben mir gar nichts zu sagen." Darin jedenfalls waren sich die Damen einig. Bewerbungen meinerseits im Bankengewerbe scheiterten immer an meinem Ausbildungsberuf  "Buchhändler" und wenn es zu einem Gespräch kam, dann war ich meist nach Schilderung meines Arbeitsplatzes zu überqualifiziert. Die Eindimensionalität im Bankenwesen gefiel mir allerdings auch oft nicht. Der Zirkus ging also in der Börsen-Zeitung weiter.

In die Tinnitusklinik ging ich nicht, obwohl eine Auszeit vielleicht gut gewesen wäre. Aber im nachhinein bin ich dankbar, es genauso wenig getan zu haben wie mir Cortison geben zu lassen. Das Ohrensausen wurde mir zum Betriebsgeräusch. Wenn ich es nicht mehr höre, dann bin ich bestenfalls schlafend. 

"Herr E. erklärt, dass er Ende 1996 ausscheiden wird. Ich soll die Nachricht für mich behalten. Wahrscheinlich wüssten es sowieso schon alle."

Schwiegervater feierte seinen 80. Geburtstag: 

"Achtzig Jahr, selten wahr, Gesichter wachen, ihm ist nicht zum Lachen."

Mutter wurde immer dünner, isst nicht mehr wegen fehlender Zähne. 

Unseren Zweitwagen hatten wir nun nach kurzer zeit wieder verkauft an einen Zahnarzt aus Fechenheim. Nachdem wir uns eigentlich handelseinig waren, wollte er letztlich den Wagen nicht abnehmen, obwohl wir ihn wunschgemäß gewaschen hatten. Ich musste erst zu einem Anwalt gehen, den Dr. Volze in Frankfurt, dem ehemaligen Anwalt des Lang Verlags. Für ihn hatte ich während der Zeit im Verlag ein Buch produziert und er war mit mir zufrieden gewesen. Er forderte den Herrn Doktor nun auf, den Wagen innerhalb einer gesetzten Frist abzunehmen. Da erschien der Herr Doktor dann an einem Freitagabend mit einem Zeugen. 17000,- DM zahlte ich danach auf der Post ein.  

Meinen 40. Geburtstag verbrachte ich in einem kleinen Hotel direkt in Kaltern am See. Meine Schwägerin war dabei. Insbesondere geschah dies auch deshalb, weil die von mir ausgesprochene Einladung anlässlich meines Jubeltages, die ich an Ruths Familie in Lemgo gerichtet hatte, ohne Reaktion blieb. Ich erhielt noch nicht einmal eine Antwort. Die Berge zogen uns weiterhin an. Auch die Gegend um Ellmau wurde uns zum Ziel. Unser neues Auto ramponierten wir uns bei einem weiteren Urlaub in Kaltern. Die Auffahrt zur Ferienwohnung erwies sich für unser Sportfahrwerk am BMW als ungünstig. Zum Glück erwies es sich als Schramme am Unterboden. 

Mit dem stückweisen Rückzug des Geschäftsführers Herr E. wendete ich mich mehr und mehr von den betrieblichen Vorgängen ab. Ich verstand mich gut mit Zena, einer polnischen Programmiererin und mit José, zu dem ich immer mit Änderungswünschen kommen konnte. In Sitzungen meinte José oft: wir machen es "quick und dirty". Das gefiel mir. Mit der Satzabteilung gab es dagegen immer Probleme. Die Unterstützung der Technik hatte sich bereits mein Kollege in der Abteilung gesichert. Der Abteilungsleiter imponierte ihm mächtig.  

Ich dagegen versuchte nun mein Leben dichterisch zu verarbeiten. Das gelang auch in meinen eigenen Augen mal besser, mal schlechter. Wo wir konnten, spielten wir Tennis. Das war immer dann mühselig, wenn wir es ohne Trainer versuchten. Wenn ich mit meiner Mutter telefonierte, musste ich regelmäßig gähnen. Ich wusste selbst nicht warum. Mir brachte das immer die Frage ein: "Bist du müde, Junge?". Das war meistens nicht der Fall. Die Idee, damit in eine Talkshow zu gehen, kam auf, als bei Frau Schreinemakers in der Sendung das Thema "Gähnen" behandelt wurde. Nachdem wir eine Einladung bekommen hatten, fuhren wir auf Kosten von RTL mit dem Zug nach Köln. Shuttleservice, Hotel und Verpflegung vor Ort, alles war im Preis drin. Nur zum Auftritt kam es nicht, denn Margarete verbiss sich in das Thema "Rinderwahn". Der Beitrag und die Diskussionen zogen sich endlos hin. So fuhren wir unverrichteter Dinge ins Hotel "Wasserturm" zurück und genossen die komfortable Unterbringung. Dummerweise hatte ich Mutter unterrichtet und die wiederum die Verwandtschaft alarmiert. Erklärungsbedarf, die Sendung sollte dann im November 1995 nachgeholt werden, fiel aber auch ins Wasser. Mir blieb eine Flasche Schreinemakers-Sekt und ein Scheck über 500,- DM Honorar.

"Möglicherweise letztmalig erlebten wir gestern den Besuch meines Schwiegervaters bei uns. Mein  Schwager kam mit seiner Freundin und den Schwiegereltern gegen halb elf morgens aus Leese an." Da auch meine Schwägerin gekommen war, saßen wir mit sieben Personen auf unserem Balkon und aßen eingelegte Hähnchenfilets und tranken dazu einen Pinot Grigio, den wir aus unserem letzten Kaltern-Urlaub mitgebracht hatte. Unser neues Bad wurde ebenso besichtigt wir die Wohnung meiner Schwägerin in Frankfurt-Ginnheim. Als sie kamen, saß ich vor dem Fernseher und sah irgendeinen sinnlosen Piratenfilm. Mein Schwiegervater setzte sich auch gleich auf die Couch. Er war der Einzige der Familie, der regelmäßig nach meiner Familie fragte und der uns ab und zu einen kleinen Zuschuss zu unseren Hotelübernachtungskosten zu steckte, da wir im Fachwerkhaus der Schwiegereltern nicht mehr übernachteten. Wir hatten einen gemeinsamen Nenner. Er verstand meine Einsamkeit. Er selbst war als junger Mann schon allein in Deutschland unterwegs gewesen, hatte im ostpreußischen Schwirgstein einen Hof seiner Mutter bewirtschaftet (sein Vater war früh auf Zeche verunglückt) und den Russlandkrieg mit Geschick und Glück nicht ohne Verletzungen überlebt. Einzig in der Frage, ob der Krieg gegen Russland zu gewinnen gewesen wäre, waren wir uneinig. Er glaubte, ohne die Materiallieferungen der Amerikaner, hätten sie gewonnen, denn "Der Russe hatte ja nichts".  Im Nachgang zum damaligen Tagesbesuch schrieb ich:

"Der alte Mann sprach, 
es war wohl das letzte Mal,
das ich hier war.
Gemach,gemach,
hast noch Zeit,
es ist noch nicht soweit,
meint da der Sensenmann.
Er lächelt und der Alte
            geht zitternd davon."      

Unseren nächsten Tennisurlaub in Strobl am Wolfgangsee buchte ich per Email, was einiges an Aufsehen erregte. Das taten zu der Zeit nur Japaner oder Amerikaner.     

Das Jahr 1997 brachte unangenehme Gewissheiten. Nach dem Ausscheiden von Herr E. wurde ein Unternehmensberater damit beauftragt unsere Abläufe zu analysieren. Den Namen Wippermann kannte ich bis dato nur aus Lemgo. Dort gab es einmal eine Schnapsbrennerei gleichen Namens. Das er auch vorübergehend unser Vorgesetzter war, bekam mir nicht sonderlich gut. Es führte nicht nur dazu, dass ich mich erneut einer Magenspiegelung unterziehen musste (ich litt schon länger unter dem Reflux-Syndrom), sondern dass ich darüber nach dachte die Abteilung zu verlassen. Ich sollte aus der Projektarbeit herausgezogen werden. Mein Kollege, der ja insgesamt schon länger als ich in der Abteilung tätig war, sollte das übernehmen. 
"..dadurch reduziert sich meine Tätigkeit auf eine reine Durchführung und Überwachung des Datenflusses WM-BZ sowie auf die Vertretung meines Kollegen, Herrn B.. Nach der vollständigen Automation der Datenübertragung fällt für mich in Zukunft keine Projektarbeit mehr an."
Aus dem Veränderungswunsch wurde nichts, da ich selbst zurück zog. Ich wusste genau, dass meine Spielräume in einer WM-Fachabteilung noch viel enger werden würden. Die Investmentpreiserfassung sollte aufgrund vieler Querelen ebenfalls eine verantwortliche Person bekommen. Mir gingen viele Damen auch nachts in meinen Träumen noch durch den Kopf. Real ließ mich die österreichische Kollegin Polesnik wissen, dass es schade sei, dass bei mir nichts weiter gehe. Auf diese Information hätte ich gern verzichtet. Und da war noch der aufsteigende Stern am Investmentfondshimmel, eine gewisse Tatjana, mit der ich ab und zu essen ging. Sie war eine kleine, blond gefärbte Person und wir verstanden uns ganz gut. Einmal saßen wir zusammen auf einer Parkbank auf dem Westendplatz. Sie fragte mich, ob ich nervös sei. Sie trug ein kurzes, schwingendes Kleidchen, natürlich konnte Mann da nervös werden. Ich blieb natürlich cool, äußerlich. Es war aber kein Wunder, dass die anderen Frauen der Abteilung hinter unserem Rücken tuschelten. Das, so belehrte mich mein neuer Chef, machen Frauen nun mal so. 

Während ich mich in Liebesgedichten erging und Träumereien aller Art ausbadete, starb mein Schwiegervater am 30.8.1997 an seiner Parkinsonerkrankung. Es war der Hochzeitstag der Schwiegereltern. Zum Schluss war er nicht mehr bewegungsfähig. Die Pflege während seiner letzten Zeit lag in den Händen meiner Schwiegermutter. Um mir zu verdeutlichen, wie schwer sie es hatte, sollte ich ihr einmal helfen, ihn aus den liegenden Position aufzurichten. Sie war schon etwas verzweifelt, es ist sehr schwer. Auch wenn der Mensch gar nicht so viel wiegt, einen steifen Körper zu bewegen, das erfordert viel Kraft. Bis wir in Lemgo ankamen, war schon alles geregelt. Eine Halbschwester, mit der sie den meisten Kontakt hatte, unterstützte sie. Er sollte eingeäschert werden. Irrtümlicherweise glaubten wir, das wäre nicht sein Wille gewesen. Die Töchter wurden in den Ablauf allerdings auch nicht eingebunden. Auch stand es nach dem Trauerfeier im Raum, dass nun ein Erbfall eingetreten wäre. Diese Diskussion kam für uns zu früh. Nun war also der zweite Gast unserer Hochzeit verstorben, denn auch Ruths Cousine hatte ihre Leukämie nicht überlebt. Das lag allerdings schon länger zurück. 

Ich fing in diesem Jahr an, eine eigene Homepage ins Internet zu stellen. Anfangs gab es sogar noch ein positives Feedback aus dem Netz. Das sollte sich nicht mehr oft wiederholen.  


Das Bild zeigt den Stand aus dem Jahr 2000

Das Weihnachtsfest 1997 verbrachten wir in Fieberbrunn, also in einer Gegend, die wir schon kannten. Letztlich waren wir aber auch da froh, als wir noch im alten Jahr nach hause fahren konnten. Unsere Urlaubsreise ging aber weiter: Thüringen statteten wir im Mai 98 einen Besuch ab. Weimar, Erfurt und Eisenach waren unsere Stationen. "Die Thüringer sind keine lauten Leute, eher zurückhaltend, manchmal muffelig besonders in Supermärkten, im Dienstleistungsbereich freundlich und auskunftsfreudig." So war mein Fazit damals. Meinen Geburtstag verbrachte ich in Portugal an der Algarve. Leider war unser gebuchtes Hotel überbucht und wieder einmal mussten wir mit einem Ersatzhotel vorlieb nehmen. Eine malerische Fahrt im Bus brachte uns an meinem Geburtstag nach Lissabon. Pinienwälder, Korkeichen, Eukalyptus- und Mandelbäume säumten oft den Weg, der uns über das Monchique-Gebirge führte. "Lissabon ist chaotisch, es gibt nur Sitz-Cafés ohne Toiletten. Letztlich landeten wir wieder bei McDonalds, kurz bevor dort die Toiletten wegen Überlastung geschlossen wurden." Solcherlei Impressionen nahm ich immer gern schriftlich auf. Das Monchique-Gebirge besuchten wir noch einmal und fuhren mit dem Mietauto bis nach Monte Gordo in Spanien und auf der anderen Seite nach Sagres, dem westlichsten Punkt Europas. An den Praias fanden sich auch kleine Buchten, wo das Nacktbaden ungestört möglich war. Alles in allem ein schöner Urlaub trotz Widrigkeiten, aus dem ich sogar vom Strand aus mal zuhause anrief, um mit Mutter meine Eindrücke zu teilen. 

In der Firma spitzten sich die Gerüchte um ein Verhältnis meinerseits mit Tatjana zu. Eine der Datenerfasserinnen behauptete sogar, dass wir ein Verhältnis hätten. Das war Tatjana unangenehmer als mir. Das Ganze ging aufgrund Ihrer Beschwerde bis in die Geschäftsführung. Ein neuer Geschäftsführer Herr H. musste schlichten. Auf die Abteilung warf das kein gutes Bild. Die Respektlosigkeit der Damen war aus dem Ruder gelaufen. Tatjana verließ die Firma noch im gleichen Jahr, nicht ohne das ich ihr ein Gedicht nach schrieb. Mittlerweile war die Datenerfassung für die Investmentfondspreise den Wertpapier-Mitteilungen zugeordnet worden. Diese hatten tatsächlich spät erkannt, dass man mit der elektronischen Auslieferung der Preisdaten Geld verdienen konnte. Die Kursredaktion war nun dem Verlagsleiter, Herrn W., unterstellt. Es wartete viel Arbeit auf uns. Nicht nur die Euro-Umstellung war vorzubereiten, auch, nachdem endlich die Webpräsenz der Zeitung entstanden war, ein Informationssystem für Stammdaten und Kurse/Preise aller in der Zeitung veröffentlichten Wertpapiere sollte als Zusatznutzen für die Abonnenten der Printausgabe entstehen. Die Realisierung wurde extern vergeben. Ich hatte damit Glück, denn es zog sich wie ein roter Faden durch meine Berufstätigkeit, dass ich stets bei Kunden und Lieferanten als Ansprechpartner besser angesehen war als in der Firma, für die ich arbeitete. Mit der Geschäftsführerin und ihren Mitarbeitern verstand ich mich recht gut und so durfte ich sogar einmal nach München reisen, wo die Firma ansässig war. Im Haus selbst hatte ich durch die Konkurrenzsituation mit meinem direkten Kollegen schlechtere Karten. Lediglich beim Verlagsleiter war das etwas besser, weil der scheidende ehemalige Geschäftsführer mich ihm empfohlen hatte. Was mich nervte, waren die ständigen Sitzungen, die nun notwendig wurden. Dichterisch war das zu verarbeiten:
"ASAP sagte der Herr und das Gescherr blieb draußen.
Der Master der unlesbaren Terminpläne lächelte unwissend.
Die Indianer schwiegen und der große Boater fragte in ihre unbeirrbare Runde:
Müssen wir das umsetzen oder ist es nur: nice to have?
Der Gringo mit dem Sombrero unter ihnen murmelte:
Wir machen es quick und dirty, eh?
Es fand sich keine Schürze, um die vielen herrenlosen Fragezeichen einzufangen,
die im Raum umherschwebten.
Auch die Bewegung der aufstehenden Krieger vertrieb sie nicht.
"ASAP" bedeutete ihnen der große Häuptling,
bereit die Friedenspfeife anzuzünden, obwohl es noch keinen Krieg gegeben hatte.
Als sich die Versammlung im Rauch auflöste,
blieben die großen Terminpläne für immer,
leider hielt das Papier nicht ewig."        

Neue Mitspieler hatten die Bühne betreten. Doch während ich der Szenerie noch etwas Humoriges abgewinnen konnte, entwickelte sich in Kassel ein unumkehrbares Drama.
"Sie saugt den Hauch der Welt hinein,
        hört sich nicht mehr und sagt nie nein."
So könnte man es beschreiben. Sie war 64 Jahre alt geworden und kur danach kamen wir noch einmal auf ein Stippvisite vorbei. Seit wir einmal in meiner elterlichen Wohnung übernachtet hatten und es damit endete, dass Mutter abends vollkommen alkoholisiert und vor Wut schäumend in mein ehemaliges Kinderzimmer eindringen wollte, haben wir uns nicht mehr länger dort aufgehalten. Auch wegen des starken Tabakgeruchs in der ganzen Wohnung und ihrer ständigen Raucherei war ein längerer Aufenthalt gar nicht möglich. Sie selbst schien mir immer kleiner werdend und immer weniger an Person. Sie hustete oft verlegen, schien irgendeine Regung meinerseits zu suchen. Ich war aber selbst viel zu entsetzt über das, was ich sah. Zum Abschied drehte sie sich ab, unfähig, den Schmerz zu empfinden, es war zu viel für sie. Ich würde die Zigarette meiner Mutter nicht ausmachen, ebenso wenig wie der Vater die abendliche Weinration der Mutter verhinderte. Oft genug hatte ich mit Vater versucht, eine Basis für eine gemeinsame Hilfe zu schaffen. Doch er stand zu ihr und im Zweifel gegen mich. Bei unserem Besuch tauchte er erst gar nicht auf, hatte das Bett vorgezogen. 

Weihnachten 1998 verbrachten wir mal wieder in Adelboden im Berner Oberland. Dort war uns das Hotel Bristol noch in guter Erinnerung. Erstmals nach fünf Jahren waren wir wieder da. Am Vortag des heiligen Abends waren wir angereist und überlegten nun, wie wir den Tag verbringen wollten. Wir entschieden uns, die Dorfseilbahn zu benutzen und von der Talstation aus zum Ortsteil Boden zu gehen. Es war sehr kalt und es schneite. Das tat der weihnachtlichen Stimmung keinen Abbruch. Zu Füßen des Chuenisbärgli fanden wir eine gemütliche Einkehr in einer Holzhütte. Wir setzten uns, um etwas zu trinken. Eine ältere Frau mit ungepflegten Haaren saß allein auf einer Bank und starrte mich die ganze Zeit an. Mir wurde das allmählich unheimlich, Ruth bemerkte es nicht. Ich war froh, als wir das Lokal verlassen konnten, um zum Hotel zurück zu kehren. Das Abendessen in mehreren Gängen war vorzüglich, genauso wie der gute Rotwein. Meist gab es, wenn man am späten Nachmittag herein kam noch ein paar Häppli. Die Familie Johner war sehr gastfreundlich. Ich war mittlerweile stolzer Besitzer eines sogenannten Handys der Marke Bosch, das wollte ich aber für die paar Tage nicht anschalten. Schließlich würden wir ja auch schon am 27.12. zurück fahren. Ein paar Stunden der heiligen Nacht standen uns bevor. Draußen schneite es wieder, wir überlegten noch, ob wir in die Kirche gehen sollten, bleiben aber lieber im Hotel.

Kein neues Jahr, ein neuer Tod. Als wir zuhause von der Reise zurück kamen, fand ich auf dem Anrufbeantworter die Nachricht meines Vaters. "Deine Mutter ist tot." Diese Worte brachte er gerade noch voller Erschütterung heraus. Sie starb am 25.12. im Krankenhaus. Bereits am Heiligabend gegen 23 Uhr verlor sie das Bewusstsein. Sie hatte sich mit einem Bier ins Schlafzimmer zurück gezogen. Meinem Vater hatte sie eingebläut, er dürfe sie nicht ins Krankenhaus bringen. Ihr Herz wurde wieder belebt, aber innere Blutungen hatten das Ende besiegelt. Vater war am Heiligabend nicht ins Krankenhaus mitgefahren, hatte sich ins Bett gelegt und abgewartet. Mutter wollte eingeäschert und anonym bestattet werden.    
"Eine Trauerfeier wird es nach dem Willen meines Vaters nicht geben. Zu einem Urnenbegräbnis auf dem Westfriedhof konnte ich ihn noch überreden. Hoffentlich bleibt es dabei."

Meine mir vollkommen unbekannte Tante Ursula Klatt geb. Keßler schrieb mir am 4.1.1999:

"Deine Mutter kannte ich sehr gut, sie ist in Glauchau geboren, wie ich auch. Ich habe sie als junges Mädchen oft spazieren gefahren. Sie war ein süßes kleines Mädchen. Warum wir uns alle so aus den Augen verloren haben, ich weiß es nicht. Es ist geschehen, es tut mir heute leid, aber es ist zu spät. Ich glaube, ihr Leben war nicht leicht, denn sie hat es sich selbst nicht leicht gemacht." 

Das Lachen der Rosi war erloschen.