Auf dem Weg
Als frisch gebackene Wohnungseigentümer fühlten wir uns wie befreit. Über der ganzen Wohnanlage lag eine gewisse Euphorie. Gespräche zwischen den neuen Nachbarn fanden fast überall statt. Der Weg zum Müll und zurück kostete oft sehr viel Zeit in der Kennenlernphase. Schon bei der ersten Eigentümerversammlung stellte sich ein Eigentümer für die Hausmeisterdienste zur Verfügung und Ruth ließ sich in den Wohnungseigentümerbeirat wählen. Nachdem wir zu Anfang mit den Nachbarn unter uns ein freundliches Verhältnis hatten, immerhin wurde uns sogar Hilfe bei elektrischen Installationen seitens des Mannes angeboten, kam es bald zu Dissonanzen. Die Frau des Hauses war auch im Beirat, der aus drei Personen bestand, und nutzte ihre Position, um ihrer Reklamation vermeintlicher Geräusche in den Heizkörpern mehr Gewicht zu verleihen. Mehrfach wurde nach den Ursachen geforscht, letztlich ein Gutachter bestellt. Warum die Reklamation so hartnäckig betrieben wurde, das lässt Spekulationen freien Raum. Man kann damit den Kaufpreis reduzieren bzw. die Zahlung der letzten Rate ggf. verzögern. All das wäre für eine junge Familie ein verständliches Motiv. Wir selbst hatten keinerlei Probleme mit der Heizung. Durch zufällige Gespräche mit anderen Eigentümern ergab sich auch das Bild, dass sonst niemand mit der Heizung Probleme hatte. Das führte zu Dissonanzen und unschönen Vorwürfen an unsere Adresse. Daraufhin legte Ruth ihr Amt nieder. Da ich von unserem Hausmeister die Unterstützung hatte, wurde ich ihr Nachfolger.
Immobilien spielten auch anderswo eine Rolle. Über unseren Urlaub im Mai 2006 in Andalusien an der Playa de la Barrosa schrieb ich: "Die Immobilienpreise haben angezogen und nun soll dieser Strand der schönste ganz Spaniens sein. Das hat "mein Strand" nicht verdient. Er verliert seine Unschuld. Was anfangs noch Geheimtipps waren, wird nun als Empfehlung breit getreten. "Mein Strand" wird seine Schönheit nicht verlieren. Meine Füße laufen über ihn und es ist, als wäre nichts passiert."
Man soll ja während eines Strandurlaubs intelligenzmäßig abbauen. Immerhin gemäß einer Sendung im RTL konnte ich nach Auswertung meiner Antworten auf die gestellten Aufgaben auch im Urlaub noch mit einem IQ von 122 aufwarten, wenn man denn der ganzen Sache trauen darf.
Im Herbst schrieb ich im Kleinwalsertal: "Ich beneide jeden, der nicht so viele Möglichkeiten hat, sich ständig neue Befriedigung durch immer neue Action zu verschaffen. Meinen Eltern hat so etwas wirklich nie gefehlt. Vielleicht hätte es ihnen auch einmal gut getan, vom Balkon einer Ferienwohnung aus das Rauschen eines Gebirgsbaches zu hören. Nur sitze ich eigentlich sehr selten darauf. Und bevor ich mich versehe, sind die Tage hier abgehakt, vergessen, verdrängt und höchstens noch eine flüchtige Erwähnung wert."
Der Disput mit der Nachbarin unter uns sollte nicht der einzige bleiben. Über uns wohnte nun ein Italiener mit seiner polnischen Frau. Da unsere Waschmaschine im eigentlich dafür vorgesehenen Waschmaschinenraum keinen adäquaten Platz mehr gefunden hatte, legte uns der Bauträger einen Anschluss in einen kleinen Nebenraum, wo wir zunächst allein unser Maschine stellten. Eigentlich war kein Waschmaschinenplatz mehr vorgesehen, doch für eben diesen Nachbarn wurde ein weiterer Anschluss gelegt, sodass wir uns den Raum mit ihm teilen mussten. So weit, so gut. Er musste aber immer an unserer Maschine vorbei laufen und schlug dabei öfter unsere geöffnete Waschmaschinentür regelmäßig zu. Das sollte aber nicht alles bleiben. Da wir unsere Wohnung nicht mit Straßenschuhen betreten, stellten wir diese immer auf unserer Fußmatte ab. Das störte ihn gewaltig. Vor allem seine Gattin fühlte sich durch den unästhetischen Anblick gestört. Als Wohnungseigentümerbeirat startete ich nun eine Umfrage in beiden Häusern unserer Wohnungseigentümergemeinschaft. Da im Nebenhaus die Eigentümer mit Migrationshintergrund in der Mehrheit waren und dies ebenso wie wir handhabten, kam dabei eine Zustimmung für unseren Standpunkt heraus, eine Zeitbombe für das weitere Verhältnis zu diesem Kollegen.
Die Dotcom-Blase an der Börse endet endgültig mit dem Ende des Nemax 50, dem Index des Neuen Marktes. Im Ringen um die besten Ideen, Anleger zu fangen, kommen und gehen die Marktsegmente. Auf den Nemax 50 folgt der TecDax. Und Fonds nun auch an der Börsen gehandelt. Neue Aufgaben also für mich, denn sowohl Kurse als auch Preise der Investmentgesellschaften mussten richtig dargestellt werden. Auch die Handelszeiten an den Börsen verlängerten sich und damit auch unsere Arbeitszeiten. Die Zeitspanne, während der ein Mitarbeiter in der Abteilung anwesend sein musste, änderte sich. Es war erforderlich, einen Kollegen jeweils für einen sogenannten Spätdienst bis abends nach 20 Uhr einzuplanen, damit die Schlusskurse der deutschen Börsen noch in die aktuelle Zeitung kommen. Das änderte unser Zusammenleben ziemlich. Wir gingen nun unterschiedlich aus dem Haus und ich kam erst nach 21 Uhr zuhause an, wenn ich den Dienst hatte. Oft fuhr ich mit dem Auto nach Frankfurt, weil ich abends schneller zuhause sein wollte. Besonders belastete dies natürlich freitags. Die Spätdienstplanung war stets spannend. Besonders Krankheitsfälle und Urlaubszeiten erhöhten den Stress für den Einzelnen.
So Banal beginnen schicksalhafte Ereignisse. Am 4.12.2006 erhielt ich von der Psychiatrie in Haina, wo sich mein Bruder Frank zu der Zeit befand, die folgende Nachricht:
"Sehr geehrter Herr Dreyer, heute Vormittag haben wir einen Anruf aus der Neurologie in Kassel bekommen. Der zuständige Arzt hat uns informiert, dass ihr Vater sich dort in Behandlung befindet (nähere Informationen besitze ich aufgrund der Schweigepflicht des Arztes auch nicht). Ich habe der Klinik in Kassel mitgeteilt, dass Sie als Bruder von Herrn Dreyer der Ansprechpartner für möglicherweise anstehende Entscheidungen in Bezug auf ihren Vater sind."
Was war geschehen? Ich habe es hier bereits im Blog zusammen gefasst und ein bisschen ausgeschmückt. Die Raumforderung
Die Hirnblutung, die meinen Vater ereilte, war letztendlich tödlich. Er verstarb am 19.3.2007 im Alter von 77 Jahren im Krankenhaus Hanau vermutlich an einer Lungenentzündung. Den Zettel mit meinen Kontaktdaten, hatten die Notfallsanitäter nicht gefunden. Was folgte waren Aufenthalte im Stadtkrankenhaus Kassel, wo er mich bei meinem ersten Besuch sofort erkannte. "Endlich ein Mensch." Danach ging es in die Reha nach Bad Wildungen, wo er wieder auf die Beine gestellt werden sollte. Mittlerweile war ich dann sein Betreuer, was er auch wollte. Er hatte neben vielen anderen Zuständen seinen Schluckreflex eingebüßt, was bedeutete, dass er praktisch nichts mehr herunter bekam, ohne dass es in die Luftröhre geriet. So etwas regeneriert sich nicht. Er litt zeitweise unter einer Aphasie, wollte aber im Grunde immer nur eins: nach hause, in seine Wohnung. In Bad Wildungen war er nicht zu halten, diese telefonische Nachricht erreichte uns im Weihnachtsurlaub. Ein gewisser Dr. Santana meldete sich und bat um ein persönliches Gespräch. Als wir dann unseren Urlaub verkürzten und in Bad Wildungen eintrafen, da war kein Arzt zu sprechen. Vater meinte, es sei besser, er sei weg. Das Weihnachtspäckchen, was wir ihm geschickt hatten, hat er nie erhalten. So ging es zurück nach Kassel für ihn. Dort wurde er sehr schlecht behandelt. Seine aggressiven Phasen bekämpfte die beleidigten Krankenschwestern ohne Empathie. Eine neue Reha stand an und ich setzte durch, dass er in meine Nähe nach Bad Orb überwiesen wurde. Am Morgen, als er abgeholt werden sollte, bekam ich einen Anruf. Vater war dran, was ich denn mit ihm mache. Er war richtig wütend, als ich ihm aber sagte, dass ich ihn dann öfter besuchen könne, weinte er und gab den Widerstand auf. In Bad Orb machte er einen sehr schlechten Eindruck, er wurde auch nicht gut behandelt. Letztlich wollte man ihn dort auch gar nicht haben. Er landete nun in zwei Gießener Krankenhäusern. Erst im evangelischen Krankenhaus in Gießen traf ich auf einen Arzt. Erst hier bekam er die längst notwendige Magensonde und der ständige Druck, essen zu sollen, hörte auf. Der Arzt stellte zwar fest, dass familiäre Kontakte nicht maßgebend für die Therapie seien, ließ dann aber zu, dass Vater nach Frankfurt ins Nordwest-Krankenhaus kam. Hier war die Behandlung gut, wenn ich ihn besuchte, musste ich Schutzkleidung tragen, was zu seiner Belustigung führte. Doch auch hier ging seine Zeit zu Ende. Ich suchte ein Pflegeheim für ihn, er hatte immer noch die Vorstellung, bei uns bleiben zu können, und ich fand eines in Maintal-Bischofsheim. Ein DRK-Alters- und Pflegeheim, in das er an einem sonnigen Märzmorgen eingeliefert wurde. Endlich ein eigenes Zimmer, persönliche Gegenstände wollte ich ihm beschaffen, auch aus seiner Wohnung in Kassel. Ich hatte ihm von meinen Kindern erzählt und auch in gewisser Weise, die Hoffnung gehabt, die beiden könnten Ihren leiblichen Großvater noch mal sehen. Insgesamt war es eine intensive Zeit des Abschiednehmens von meinem Vater, für die ich dankbar bin. Die Zeit war jedoch kurz, so gut gelaunt, wie er bei seiner Einlieferung war, er wollte sogar gern noch Apfelwein gekostet haben, von dem ich ihm erzählte. Doch es waren seine letzten Wochen. Knapp zwei Wochen nach seiner Ankunft erhielt ich abends einen Anruf. Meinem Vater ging es schlecht und er musste zur Behandlung ins Krankenhaus. Am Tag noch hatte ich meiner Schwägerin das Fenster seines Zimmers gezeigt, ohne das wir ihn besuchten. Tags zuvor war ich bei ihm und wurde mit den Worten begrüßt: "Du lebst ja auch noch." Wegen dem Spätdienst in der Firma war es mir nicht möglich gewesen in der Vorwoche abends bei ihm zu sein. Wir sprachen über Möbel, die er gern noch aus Kassel mitgebracht haben wollte und auch darüber, welche Art der Beerdigung er sich wünsche, wenn es mal soweit sei. Ihm war es aber egal, er überließ es mir. Ein bisschen ärgerlich wurde er, als ich ihm sagte, dass ich am kommenden Wochenende nach Lemgo müsse wegen dem 80. Geburtstag meiner Schwiegermutter. Wir verabschiedeten uns wie immer mit "Mach's gut." Nun ging es darum, in welches Krankenhaus, er kommen solle. Das nächstliegende war Hanau, wohin er auch gebracht wurde. Am Montag Abend besuchten wir ihn dann dort. Die Szene war gespenstisch. Mit mehreren Patienten lag er in einem Raum, der vom Neonlicht hell erleuchtet war. Sein Atem rasselte. Er streckte die Hand nach uns aus, konnte konnte kaum noch sprechen. Ich hatte Mühe, ihn zu verstehen. Schließlich stellte sich heraus, ich sollte das Geld von der Bank holen, was ich ihm versprach. Als wir gingen, wusste ich nichts, Ruth wusste alles. Ihm war klar, dass es zu Ende ging. Wir sprachen mit dem Arzt. Er sagte, morgens hätte mein Vater, Egon, noch nach Essen gefragt. Er bekäme nun Antibiotika, die wohl auch Anschlägen, doch die Entzündungen würden immer wieder kommen. Es war der erste Arzt, der offen mit uns sprach und die Hoffnungslosigkeit durchblicken ließ. Als wir nach hause fuhren, machte sich in mir ein stilles Entsetzen breit. Nachts schellte schließlich das Telefon, Vater war verstorben, ob ich kommen wollte, um ihn noch zu sehen und seine Sachen zu holen. Das verschoben wir auf den nächsten Tag. Morgens fuhr ich ins Krankenhaus wo er in einem kleinen Raum aufgebahrt lag, eine Kerze brannte, es war still. Ich bildete mir ein, seine Hand bewege sich. Die Hand, die mir gestern noch entgegen gestreckt wurde. Ich hatte das Gefühl, er ist im Raum. War allein mit ihm. Als ich ging, versprach ich, dass ich weiter machen werde, in seinem Sinne. War er der einzige Mensch, zu dem ich je eine richtige Beziehung hatte? Das Gefühl war da, kein Ersatz für den Verlust möglich.
Die ausführlichere Krankengeschichte ist auch hier im Blog zu finden. Noch mitten drin im Geschehen schrieb ich Ende Februar 2007.
"Die Ärztin sagt mir, sie sei verpennt. Ich müsse entschuldigen, sie hätte Nachtdienst gehabt und daher könne sie nicht so gut sprechen. Damit meint sie es noch gut mit mir. Manche denken einfach nur; scheiße, warum hält mich dieser Mensch jetzt auf. Den freundlichen Doktor, der den besorgten Angehörigen, verbindlich, aber gut gelaunt Auskunft gibt, den gibt es nicht. Der soll auch Verständnis für die Sorgen von Angehörigen aufbringen?. Die Gespräche werden den Ärzten auf genötigt, die schon ihre Mühe haben, den Alltag ohne lästige Kundenbefragungen zu meistern. Ein Dankeschön ist angebracht, wenn jemand mehr als zwei Sätze spricht, übermenschlich erscheint schon eine menschliche Dimension im Gespräch. Ein Gedanke an die Folgen für den Patienten..
So hechelt man ehrfürchtig herum, immer mit dem Gedanken, dankbar sein zu müssen. Den Verweis auf die Umstände im Kopf.
Für all das. Wenn der Patient nicht selbst in der Lage ist, sich zu äußern oder auf seine Sachen aufzupassen, dann geht viel verloren. Wir haben hier 10 Uhren, sie müssten mal vorbei kommen, um sich die richtige auszusuchen. Kenne ich die Uhr meines Vaters wieder?
Eine Brille bleibt bei einer Verlegung zurück. Immerhin, ich kriege sie wieder, bin froh auf den Gedanken gekommen zu sein, das zu kontrollieren. Wäsche verschwindet oder wird in blaue Müllsäcke mit der Aufschrift des Patienten gesteckt. Oder auch in Mülleimertüten.
Ist die Wäsche verschwunden, besteht kaum Hoffnung, der Moloch Krankenhaus verschlingt sie und spuckt sie nicht mehr aus. Schon ein Rückruf in solcher Angelegenheit ist zu viel.
Vater kriegt nicht alles mit. Das was er merkt, beunruhigt ihn zeitweise. Ich bin seine letzte Kontrollinstanz und doch kämpfe ich gegen eine Windmühle mit vielen Flügeln.
Kenne ich das Procedere von Verlegungen und Behandlungsweisen nicht. Kann nur abnicken, wenn etwas gefragt wird. Gesagt wird von selbst nicht viel und so bastele ich bruchstückhaft an einer möglichen Krankheitsgeschichte, an einem möglichen weiteren Verlauf, denn eine Prognose gibt kein Arzt. Manchmal ist man verloren, bevor man sich verloren hat."
"Bekanntschaft: 'Du gehörst nicht zu unserem Umfeld.' Bezugspersonen: 'Die haben schon männliche Bezugspersonen.' Gene: 'Du hast deine Gene ja weitergegeben.' Kinder: 'Die Kinder sind sehr sensibel und übervorsichtig.' Kinderbetreuung: 'Das wollen wir nicht.' Männer: 'Am liebsten wäre es uns, wenn wir keine Männer bräuchten.' Pro Familia: 'Warum wollen sie das denn machen?' (Beraterin zum Vater über die Möglichkeit des Kontakts zwischen ihm und den Kindern.) Spenden: 'Von uns aus kannst du noch woanders spenden.' Spielen: 'Ich will, dass du mit den Kindern spielst.' Termine: 'Im Januar sind ja wieder Termine frei. Da haben wir nichts vor.' Treffen: 'Komm’ einfach öfter. Wenn du die Kinder sehen willst, haben wir nichts dagegen. Wenn sie dich besuchen wollen, stellen wir uns nicht in den Weg.'
Mit sehr ambivalenten Aussagen hatte ich also umzugehen. Schon vor der Geburt konnte ich zwar Namensvorschläge für die Kinder machen und war damit auch erfolgreich. Ich wies jedoch darauf hin, dass eines der beiden Mädchen mit Luca leider einen Männernamen bekommen sollte. Das geschah dann aber dennoch. Mein Einfluss war eben gering. Und die Zahl der Bezugspersonen für die Kinder kannte ich nicht genau. Dennoch, eine gewisse Normalität im Umgang hatte sich eingependelt. Regelmäßig fuhr ich meist einmal in der Woche mit dem Zug zu den Kindern. Der Weg dorthin kam mir fast so vor, als würde ich heim zu Frau und Kindern kommen. Anfangs versteckten sich die beiden noch und freuten sich, wenn ich sie nicht so schnell fand. Es gab natürlich immer wieder schöne Erlebnisse, wenn ich mit den beiden Mädchen mal allein unterwegs war, auch wenn bei Mutter und Co-Mutter dann immer eine gewisse Unruhe zu spüren war. Ob es eine Fahrradtour am Main war, die mit einem gemeinsamen Essen endete oder ein Hallenbadbesuch, es beeindruckte mich tief. Sie waren auch ab bei uns in Schöneck, was zu manchen überraschten Blicken, der Miteigentümer führte. Was, der hat Kinder? Die Blicke der Kinder wurden allerdings nachdenklicher, prüfender, je älter sie wurden. Und niemals übernachteten wir irgendwo alle zusammen.
Ganz anders war es mit meinem Patenkind. 2007, wir hatten gerade ein neues Auto gekauft und wir fuhren nach Hammelburg, wo mein Schwager mit Familie urlaubte. In einer alten Mühle gab es auch für uns noch einen Schlafplatz. Überhaupt, das naheliegende Franken war schnell erreichbar und so feierten wir unsere Silberhochzeit in einem kleinen, familiär geführten Hotel ("Forelle") zwischen Kahl und Alzenau. Die Zimmer waren frisch renoviert, Niklas und Finn gefiel es gut, Platz war für alle da: Schwager mit Frau, Niklas und Finn, meine Schwiegermutter Leni und wir beide. Das Frühstück wurde noch geboten, allerdings war gastronomisch danach Schluss, was sich abends noch als Nachteil erweisen sollte. Dennoch blieb die Stimmung gut, wir machten noch einen Ausflug nach Seligenstadt, bevor alle wieder nach hause fuhren. Unseren eigentlichen Hochzeitstag verbrachten wir zuvor auf der Insel Malta, was mir eine gewisse Rückbesinnung auf meinen ersten Malta-Urlaub brachte. Die Menschen freundlich, das Hotel, da funktionierte erst mal nicht alles, was bei unserer Spätankunft nervte. Immerhin konnte ich für Ruth einen schönen Blumenstrauß organisieren. Wir verbrachten Zeit damit, die Insel mit dem Linienbus zu erkunden und liefen viel, was nicht immer eine Freude war. Ein weiterer Urlaub führte uns per Bahn nach Rügen, wo ich über eine Max-Dreyer-Straße stolperte und mich umgehend danach mit dem an sich nicht besonders bedeutenden Schriftsteller befasste, der wie ich in Frankfurt am Main gelandet war. Alles in Vorpommern erweckte in mir heimatliche Gefühle und das sollte sich wiederholen. Die Seebäder und die Halbinsel Mönchsgut, es gefiel uns einfach.
Während die Finanzkrise 2007, von den USA ausgehend, begann und sich 2008 fortsetzte, begann für mich insgesamt eine Phase der Rückbesinnung. Zum Einen hatte ich die Gelegenheit, die Stadt meiner Vorväter, Kolberg, während eines Usedom-Urlaubs in Ahlbeck zu besuchen, zum anderen versuchte ich nun, die Geschichte der Familie Dreyer in Kolberg mit viel Phantasie und von historischen Fakten untermauert, zu ergründen. Darüber steht viel in diesem Blog, sodass es an dieser Stelle nicht erneut darüber geschrieben werden muss.
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Die Entwicklung der Finanzmärkte sorgte auch bei unserer Zeitung für Konsequenzen. Sinkende Abonnementzahlen und im Bereich Investmentfonds, der mich besonders tangierte, der Kampf um Kunden. Zudem fand eine der wenigen Veranstaltungen, die von einer externen Firma organisiert wurde, statt, an der ich teilnehmen durfte. Das Thema war Projektmanagement, also eigentlich das Revier meines Kollegen, der im Haus von Meeting zu Meeting eilte. "Bin im Meeting" war der geflügelte Spruch, den die anderen Kollegen in der Abteilung zur Genüge hörten. Wie das so üblich ist, mussten in Arbeitsgruppen verschiedene Aufgaben gelöst werden. Viele Antworten waren zu finden und das Ganze wurde dann extern ausgewertet und vermutlich diente es der Geschäftsführung zur weiteren Verwendung. Die Arbeit mit unserem Verlagsleiter, der ganz offensichtlich, wie alle Kollegen in der ihm auch unterstellten Anzeigenabteilung, ganz erheblich seitens der Geschäftsführung unter Druck stand, hatte gelitten. Fehler wurden nicht mehr leicht verziehen und ich war froh, nicht mehr allzu viel Angriffsfläche zu bieten. Das war natürlich ganz besonders so, als die Abteilung eines Tages vom Verlagsleiter zusammen gerufen wurde und er uns verkündete, dass zukünftig mein Kollege, Herr B., Abteilungsleiter unserer Abteilung werden würde. Damit solle die Zusammenarbeit, insbesondere zwischen uns beiden, verbessert werden, so als ob sie nicht schon vorher gut gewesen wäre. Nicht nur ich, auch die beiden anderen Kollegen in der Abteilung, waren recht konsterniert. Niemand hatte das erwartet. Der Verlagsleiter hatte es bislang nicht für nötig gehalten, Hierarchien zu schaffen, es geschah offensichtlich auf äußeren Druck. Im Rahmen des Projektmanagementseminars hatte ich geschrieben, dass ich die Unterstützung von Vorgesetzten bei jeglicher Projektplanung für wichtig hielte, das entsprach meiner beruflichen Erfahrung. Aber dies war offensichtlich nicht das, was für richtig gehalten wurde. Herr B. indes besaß die Unterstützung im Haus, war also geradezu das Paradebeispiel für meine These. Ich selbst war im Grunde nie über eine Expertenposition hinaus gekommen. Man achtete und brauchte mein Wissen, aber beliebt war ich nicht. Es gab einige wenige gute Kolleginnen und Kollegen, aber eben auch welche, die mich überhaupt nicht respektierten. Ich konnte so tun, als nehme ich mir das alles nicht zu Herzen, dennoch war es anders. Den Titel Abteilungsleiter für eine so kleine Gruppe zu vergeben, das empfand ich als Zeichen dafür, wie sehr man Herrn B. in seinen Bemühungen, sein Selbstwertgefühl aufzupimpen, unterstützte. Der Titel eines fachlichen Gruppenleiters hätte es sicher auch getan. Zu seiner Ehre gestehe ich gern zu, dass er die Angelegenheit gegenüber mir auch als unverschämt ansah, was es nicht besser für mich machte. Auch die Aussage des Verlagsleiters, es ändere sich ansonsten ja nichts, konnte ich nur als Hohn ansehen. Ich durfte natürlich an den Montagssitzungen weiter teilnehmen und mir anhören, was Herr B. mit seinem Chef zu besprechen hatte. Mir blieb die Rolle des Berichterstatters über den Bereich Investmentfonds. Um die ewige Fragerei mach den Zu- oder Abgängen zu beantworten, hatte ich eine Excel-Datei entwickelt, die ich jeden Tag nach Erledigung derselben aktualisierte. Doch auch diese Datei hatte Fallstricke, denn ich addierte alle Zu-und Abgänge auch für das laufende Jahr jeweils auf. Und das konnte man dann dann gut mit der Monatsstatistik vergleichen, die ich auch pflegte und deren Zahlenwerk dann erbarmungslos die Zahlen in der Datenbank zugrunde legte. Abweichungen, die sich da ergaben, beruhten zum einen auf Fehlern in der täglichen Bearbeitung, aber auch darauf, dass die Datenbank immer die exakte Zahl der veröffentlichen Fonds abbildete, während ich in der wöchentlichen Datei, nur die Fonds darstellte, die für die Fakturierung, also die Rechnungsstellung von Belang waren von Belang waren. Das waren gebetsmühlenartige Erklärungen, die mir oft abgefordert wurden.
Wie ich es auch für mich drehte, die Beförderung meines engsten Kollegen, bedeutete für mich eine berufliche Herabstufung. Natürlich konnte ich damit leben, denn "Mit Herrn B. kann man doch zusammen arbeiten." Für unseren Verlagsleiter war das Ende seiner Tätigkeit in der Firma ja auch beschlossene Sache mit dem Ende des Jahres 2008. Er hatte mir dies selbst mitgeteilt und es sogar begründet. Er habe keine Lust mehr, wenn er in seiner Funktion als Verkäufer ins Ausland reise, sich von einem Kaugummi kauenden Jungspund abspeisen zu lassen. Seine Kontakte bröckelten mit dem Alter der Ansprechpartner, die er bei unseren Kunden kannte. Das einst gute Netzwerk lieferte nicht mehr die guten Erfolge in Form von Aufträgen. Das mag sein, mir war der Druck der Geschäftsführung auch von den anderen Verkäuferinnen und Verkäufern bekannt. Sein Nachfolger war bereits an Bord und in der Einarbeitung. Ich beschloss nun, eine Kur zu beantragen, ich brauchte einen Stopp. Weder war mir die Trauer um meinen Vater bewusst geworden, noch wusste ich, wie es mit den Kindern weiter gehen konnte. Der Spätdienst tat ein übriges: Tinnitus und Schlafstörungen führten zu einer äußerst geringen Belastbarkeit und in die Depression. Überraschenderweise bekam ich einen positiven Bescheid. Meine homöopathisch ausgebildete Hausärztin hatte die Begründung wohl stringent abgefasst. Nun war es an mir, dies meinem Noch-Chef, denn mein Kollege hatte keine disziplinarisch Befugnis, mitzuteilen. Im Oktober sollte es los gehen in eine psychosomatische Klinik in Potsdam. Das stieß natürlich auf Widerstand. Denn das alljährliche Jahresmailing an unsere Investmentfondskunden stand an. Auch dafür trug ich die Verantwortung. Alle Kunden mussten in unterschiedlichen Sprachen und Varianten angeschrieben werden mit einer angehängten Excelfondsliste, die den aktuellen Bestand an Veröffentlichungen zeigte und bitte schön zu prüfen war. So musste ich um Terminverlegung bitten, die mir seitens der Klinik glücklicherweise gewährt wurde. Nach Ankunft in Potsdam schrieb ich: "So hartnäckig, wie sich das Gerücht hält, Wien sein eine schöne Stadt, so hartnäckig hielt mein Chef an der These fest, dass ich in Urlaub gehe. Ob das den Tatbestand des Mobbings erfüllt und ich hier deswegen in die Mobbinggruppe gehen sollte, das sei dahin gestellt. Zu sehr habe ich mich in den letzten Jahren in den Hintergrund gedrängt bzw. drängen lassen, zu sehr war ich wohl auch aus Angst bemüht, alle Aufgaben zu erfüllen, die man mir hin warf."
Noch zwei Tage vor meiner Abreise machten wir einen Besuch bei den beiden Kindern, die sich in bester Laune und im Garten, auf dem Trampolin springend zeigten. Auch ihre Mama schien es ganz gut zu finden, dass ich mal verreise. Ich bemerkte, dass wenn sie mal so alt wären wie ich, dass sie dann sicherlich auch nicht mehr so gut auf dem Trampolin springen könnten und ich es dann sowieso nicht mehr sehen würde. Da stimmte mir ihre Mama überraschend zu.
So eine Kur sollte eigentlich dazu führen, dass man sich selbst findet, zur Ruhe kommt. Dadurch, dass meine Zeit früher anfing, als eigentlich geplant, hatte ich wenige Tage nach dem Beginn Geburtstag. Ruth kam mich besuchen, obwohl dies nicht gern gesehen wurde und übernachtete auch in meinem Krankenhaus ähnlichem Zimmer. Wir besuchten am Wochenende das Krongut Bornstedt und gingen auf dem Kirchberg spazieren. An meinem Geburtstag aßen wir abends in einem rustikalen Lokal in der Nähe der Klinik und wurden dabei von etlichen Patientinnen der Klinik, die auch dort aßen, beobachtet. Ruth meckerte ziemlich viel herum , weil wir solange warten mussten, auch das wurde aufmerksam verfolgt. Der Abschied am Sonntag fiel mir sehr schwer, wie überhaupt die ersten Tage für mich nach Abbruch rochen. Ich konnte mich auch nicht dazu entschließen, die mir anfangs angebotene Verlängerung anzunehmen, weil ich einfach nicht wusste, wie ich den Klinikbetrieb aushalten sollte. Schweren Herzens brachte ich sie nach Potsdam zum Bahnhof, den Rückweg kannte ich schon. Es zeigte mir, wie sehr ich meine Welt, Frau und Beruf, doch liebte, ohne dass ich mir das eingestehen wollte. Doch es kam noch dicker: "Wir sitzen zusammen in der Anglerklause und trinken ein Bier. Es läuft Rosenstolz und er offenbart mir, dass er schwul ist und Probleme damit hat. Es ist alles wie in einem kitschigen Problemfilm. Er ist mein Zimmernachbar." Obwohl er ein netter Kerl war, der an den Wochenenden versuchte, Kontakte in Berlin zu knüpfen, nervte er manchmal. Er kritisierte in den Gesprächsgruppen alles und jeden, ist immer gesprächsbereit. Zuviel für mich, ich beschloss zu saufen und zu flirten. Niemand kümmerte sich hier wirklich um sich selbst. Mal verbrachte ich Zeit mit der einen oder anderen Bekanntschaft, informierte mich in Berlin über das russische Leben dort in der Vorkriegszeit bei einer von der taz organisierten Führung, besuchte mit meinem polnischen Mitpatienten Karol das Flugzeugmuseum in Gatow, nahm an Veranstaltungen im und außerhalb des Hauses seitens der Klinik teil und wanderte schließlich mit Günther, so hieß mein Zimmernachbar, von der Klinik in Neufahrland Richtung Sacrow. Der Weg war endlos durch die Wälder und wir mussten umkehren, weil er weder weiter konnte noch wollte. Alles in allem sah ich viel, nüscht wie Jejend war auch dabei, und konnte mir am Ende vorstellen, noch zu bleiben. Aber die Klinik hatte mit mir nicht mehr geplant. Oft kam ich mir in der Gesprächsgruppe und in der Tinnitusgruppe wie der einzige Normale vor. Auch die Leiterin der Gruppe hatte gesundheitliche Probleme und machte einen sensiblen Eindruck auf mich.
Meine Rückkehr in die Firma lief erwartungsgemäß nicht reibungslos ab. Es war eigentlich üblich, dass man nach einer Kur zuhause noch einige Zeit Urlaub nehmen kann. Ich war recht entgegenkommend, auch wegen des anstehenden Mailings, und wollte lediglich drei Urlaubstage anhängen. Meine entsprechende Anfrage an die Personalabteilung wurde wie folgt beantwortet: "Es sind ja die Mailings zu erstellen. Aber... wenn es ihrer Gesundheit dient, können Sie noch die 3 Tage Urlaub nehmen ("zähneknirschend")." Die Personalchefin hatte dies nicht nur mit dem alten und dem neuen Verlagsleiter abgestimmt, sondern auch mit meinem Kollegen Herrn B. Dabei hatte sich doch angeblich nichts geändert. In Folge seiner neuen Position, die er noch nicht einmal schriftlich hatte, plante Herr B. nun auch unseren Urlaub und den Spätdienst. Meine Frage nach einem Schwerbehindertenvertreter hatte die Perso dahingehend beantwortet, dass ich mich gern an den Abteilungsleiter der Satzabteilung wenden dürfe, der nun auch als Vorsitzender des relativ neuen Betriebsrats fungierte.
Wenn meine Kur auch persönliche Nachwirkungen bis ins Jahr 2010 zeitigte, so schloss ich doch schon relativ schnell damit ab. "Abschiede mag ich nicht und so habe ich es vermieden, mit Günther zum Bahnhof zu fahren. Er hatte hatte es mir angeboten. Stattdessen hat mir Karol die Koffer zum Bus gebracht. So habe ich am Potsdamer Bahnhof noch in Ruhe einen Capuccino trinken können. Sonst habe ich keinen gesehen und fand das auch gut so. Am Bahnhof traf ich eine Frau aus der Tinnitusgruppe, die Abschiede ebenso wenig mochte wie ich. Es stellte sich heraus, dass ihr Vater in Frankfurt am Main geboren war und ich solle seine Geburtsstadt grüßen." Im Hintergrund spielte Freddie Mercury "Too much love will kill you", wie passend war das.
Zu meinem zwanzigjährigen Jubiläum in der Firma kamen bezeichnender Weise der neue Verlagsleiter und im Schlepptau unsere eloquente Personalchefin mit einem Fresskorb und Blumen in mein Büro. Seine Glückwünsche annehmen zu dürfen, empfand ich sehr angenehm. Zu tun hatte ich nun genug, da ich auch für die Abschiedszeitung für unseren ehemaligen Chef zur Mitarbeit auserkoren war. Der Neue war in jeder Hinsicht eine Verbesserung. Menschlich, der Typ Frankfurter, den ich mochte. Er konnte Mitarbeiter ansprechen, ohne die im Haus üblichen unterschwelligen Drohungen auskommen und hatte es nicht nötig, zu betonen, dass er der Chef ist. Er war es einfach auf eine freundliche Art. Ich durfte mir nun bald auch mal wieder Gedanken machen, wie unsere Investmentfondskunden weiter dazu gehalten werden konnten, in unserer Zeitung zu veröffentlichen, obwohl eine Veröffentlichungspflicht in einem Printmedium gar nicht mehr gesetzlich verpflichtend war. Eine wesentliche Verbesserung wurde auch dadurch erreicht, dass eine neue Windows-basierte Auftragsverwaltung mit der CRM-Software eingeführt wurde. Hier durfte ich die Gestaltung der Anzeigemasken und des Aufbaus sowie der Abläufe wesentlich mitbestimmen in Zusammenarbeit mit der IT. Ich erreichte, dass meine Excel-Bestandslisten nun in die Datenbank importiert werden konnten, was im Vorgängersystem nicht möglich war und immer doppelte Arbeit erforderte. Auch konnten Serienbriefe einfacher erstellt werden und das Jahresmailing erfolgte nun zeitgemäß per Email.
Auch am Wohnort in Kilianstädten ergab sich durch eine ehrenamtliche Mitarbeit im Verein Leselust Schöneck ein neuer erfolgreicher Tätigkeitsbereich. Ruth hatte mal wieder die örtliche Presse gründlich studiert und mich auf den Verein hingewiesen, der frisch gegründet, neue Mitglieder suchte. Die Gründerin, die Hotelchefin Marianne Lauer, ließ mich gleich an den Vorstandssitzungen teilnehmen. Außer mir gab es nur noch ein weiteres männliches Mitglied, der sich als Kassenwart betätigte. Ausgerechnet er kannte, so unwahrscheinlich sich das anhörte, meinen Onkel Siegward Dreyer. Siegward war in seiner aktiven Berufszeit auch im Rhein-Main-Gebiet unterwegs gewesen, das wusste ich aus seinen Äußerungen. 2010 bereits legte er sein Amt nieder und ich übernahm. Ich war nun auch offiziell Vorstandsmitglied und stand Marianne aber auch in anderen Dingen stets helfend zur Seite. Ein aktiver war ja gefragt, da viele Mitgliederinnen viele Ideen hatten, nur praktisch wurde es immer eng mit der Umsetzung. So erstellte ich auch einen Blog und pflegte ihn regelmäßig. Im Internet konnte alles über den Vereinszweck und die anstehenden Veranstaltungen entnommen werden.
Leselust Schöneck Förderverein der Schönecker Bibliotheken
Mein Erfolg in der Gemeinde kontrastierte mit den Animositäten in unserem Wohnumfeld. Ich hatte mein Amt als Wohnungseigentümerbeirat abgegeben, da es Streitigkeiten mit unserem Hausmeister gegeben hatte. Wir hatten uns dafür eingesetzt, dass er ordnungsgemäß bei der Minijobzentrale angemeldet wurde. Da hätte eigentlich auch unsere Hausverwaltung darauf kommen können, aber so hatten wir den Malus geerntet, das wir der Arbeit unseres angesehenen Hausmeisters nicht trauten. Er arbeitete nach seinem Gusto, tat auch Dinge, die er nicht so gut konnte und reden konnte man da kaum, ohne, dass es zu Verstimmungen kam. Die Mehrheit der Eigentümer wies einen Migrationshintergrund auf und die paar deutschen Eigentümer zeigten keine Flagge. Dennoch wir hatten die Anmeldung bei der Minijobzentrale durchgesetzt und dafür auch unseren Preis zu zahlen. Endgültig wurde mir klar, dass ich weder die Unterstützung der Hausverwaltung noch die der anderen Eigentümer hatte, als ich zum Abnahmetermin der Außenanlagen gar nicht direkt informiert wurde und beim Neuanstrich des Treppenhauses mein Vorschlag, diesen farbig zu gestalten, ignoriert wurde. Sogar unsere direkte Nachbarin, von der ich die Zustimmung erhalten hatte, war für einen weißen Anstrich. Dieser wurde dann ohne unser Zutun von einigen anderen Eigentümern realisiert. Insgesamt hatte sich die Zusammensetzung der Eigentümer zu unseren Ungunsten verändert. Im Vorfeld zu Eigentümerversammlungen gab es bereits Absprachen zwischen einem festen Kreis der Eigentümer mit Migrationshintergrund, die sich dafür meist einer Mehrheit in der Versammlung sicher sein konnten. Aber auch unser Alltag wurde schwerer. Im Erdgeschoß wohnte ein litauisch/amerikanisches Paar samt wachsender Kinderschar, die uns nicht wohl gesonnen waren. Während er auf seiner Grillerei bestand "Ich bin Amerikaner, ich muss grillen.", sprach sie überhaupt nicht mit uns und wenn, dann nur etwas spöttisch: "Sie können sich ja beschweren." Dennoch lebten wir gern in unserer Wohnung, nur wurde das Treppenhaus und der Parkplatz vor den Häusern, langsam, aber sicher, zum feindlichen Terrain. Und das, obwohl wir beide uns doch ziemlich eingebracht hatten und auch die Gestaltung der Außenanlagen mit geprägt hatten.
Die Beziehung zu den Kindern nahm zunächst einen kleinen Aufschwung. Im Jahr 2009 fanden die aus meiner Sicht schönsten Ausflüge mit den beiden Kindern statt, über die ich bereits schrieb. Doch unterschwellig ahnte ich bereits, dass eine gemeinsame Zukunft kaum möglich sein würde. 2009 starb nicht nur Michael Jackson, sondern auch so manche Illusion. Ein Ende fand jedenfalls die Beziehung zwischen der Mutter und der Co-Mutter. Früher schon hatte die Mutter es in Erwägung gezogen, dass sie sich mit den beiden Kleinen allein zurückziehen würde. Auch schien sich die anfänglich unmögliche Annäherung an ihre Mutter und sogar ihren Vater zu vollziehen. Genau wusste ich es nicht. Diese Unbestimmtheit und die Tatsache, dass sie sich mit Ruth nicht wirklich verstand, ließen in mir das Bild aufkommen, dass die Kinder und ich nicht im gleichen Boot saßen und wir durch eine Strömung immer weiter auseinander getrieben wurden, ohne dass wir etwas dagegen tun konnten. Bei den Kindern hatte sich das Bild verfestigt, dass ich zuerst mit ihrer Mutter und erst später mit Ruth zusammen gelebt hätte, was die Wahrheit komplett auf den Kopf stellte. Es war also nicht verwunderlich, obwohl Ruth ihnen die Wahrheit selbst erklärt hatte, dass schon bald Widerstand gegen die Präsenz meiner Frau aufkam. Der letzte Ausflug führte die Kinder und mich in Begleitung von Ruth und der Co-Mutter in die Fasanerie Hanau. Die Atmosphäre war seltsam, wir gingen gemeinsam und doch getrennt und ich hatte das Gefühl, die Co-Mutter erstattet zwischendrin mal einen telefonischen Bericht. Die Kinder waren sehr aufgeschlossen gegenüber den Tieren, fütterten sie gern, wobei sie das eine oder andere Tierfutter auch in den Mund nahmen. Schließlich fragten sie mich, ob sie sich ein Haustier halten dürften. Völlig naiv antwortete ich, von mir aus gern, aber ihre Mutter müsse das entscheiden. Die wollten sie aber wohl gerade nicht fragen. Letztlich führte das Ganze zu einem ziemlichen Krach, da sich die Mutter zuhause überrumpelt fühlte. Ich war in eine Falle gelaufen, denn sie musste meine Zustimmung letztlich ausbaden. Immerhin wurde ich zum 10. Geburtstag eingeladen und wir waren beim Italiener essen. Die Kinder hatten ihre Freundinnen dabei, die sich für mich mehr interessierten, als sie selber. Über mich lachten sie eigentlich nur, Ruth blieb unbeachtet. Auf dem Rückweg zur Wohnung sprachen wir quasi als Eltern über die beiden Kinder. Sie seien doch noch sehr kindlich. Aber das Schöne wäre eben, dass sie sich immer gegenseitig hätten, ihr Leben lang. So harmonisch gestimmt, saßen wir noch eine Weile im Garten. Es sollte noch ein bisschen Feuer entzündet werden. Doch wurde es Zeit, zu gehen. Ich hatte genügend Alkohol getankt und niemanden, der mich nach hause fahren würde. Die Co-Mutter bat uns noch zu bleiben, aber dem konnten wir leider nicht entsprechen. So ging es in der Dunkelheit nach hause.
Nach nur zwei Jahren verließ uns der "neue" Verlagsleiter wieder. In seiner Abschiedsrede betonte er noch einmal, wie sehr er das Engagement seiner Mitarbeiter-/innen schätzte und das er sicher mit uns in Kontakt bleiben würde. Er hatte während seiner Zeit einen guten Deal mit einer großen deutschen Kapitalanlagegesellschaft gemacht und somit der Zeitung einen guten Kunden erhalten, wenn auch der Gesamterlös dadurch sank. Im Haus jedoch kam er mit seinen Vorstellungen offenbar nicht weiter, zumal der Druck der Geschäftsführung anhielt. Auch konnte er an den vor seiner Zeit getroffenen Personalentscheidungen nichts ändern. Das er letztlich sein gutes Netzwerk nutzte und bei eben jener KAG anfing, verwunderte mich nicht, hatte ich doch sein kommunikatives und gutes Auftreten auch einmal bei einer externen Veranstaltung bewundern dürfen. In einem beruflichen Netzwerk Xing beschrieb ich meine Situation dieser Zeit in der Firma damals im direkten Kontakt mit einem ehemaligen Klassenkameraden so:
"Mein Job ist stressig, aber zum Glück hört man ab und zu auf meine Einschätzungen und ich kann mich einbringen. Zudem ist mein Laden eher konservativ geprägt. Sie haben in Boomzeiten nicht zu viele Leute eingestellt und halten jetzt die Beschäftigtenzahl. Wer bei uns geht, dem ist nicht zu helfen."
Es war relativ schnell klar, dass es einen weiteren Versuch, einen Verlagsleiter extern zu finden nicht geben würde und wir daher wieder unsere direkte Unterstellung unter einen aus dem Hause stammenden neuen Geschäftsführer erwarten durften.
Der Kontakt mit meinem Klassenkameraden brachte noch andere Informationen zutage. So teilte er mir mit: "Es hat ca. 3-4 Treffen der Realschulklasse gegeben, aber du warst einer von Dreien, deren Kontaktdaten verloren gegangen waren. Deshalb habe ich die Information auch gestreut." Ich fand das verwunderlich, hatte mich doch eine Klassenkameradin noch zu Frankfurter Zeiten angeschrieben und meine Vermutung ging eher in die Richtung, dass sich meine Schulliebe möglicherweise für meine uninteressierte Art gerächt hatte, denn soweit ich es wusste, war sie bei der Organisation von Klassentreffen maßgeblich beteiligt. Wer erst einmal aus Kassel weg gezogen ist, so erschien es mir wieder einmal, der ist dann dort auch nicht mehr so interessant, dass man sich bemüht.
Im Sommer bekamen wir nun regelmäßig Besuch von Niklas und Finn aus Lemgo. In einem Jahr fuhren wir dann ins nordhessische Frielendorf am Silbersee, wo wir mit den Jungs in einem Holzhaus gemeinsam übernachteten und ein paar schöne Tage verbrachten. Sommerrodelbahn und Spieleparadies, abends dann noch eine Fackelwanderung, für Abwechslung war gesorgt. Es gefiel den Beiden so gut, dass sie uns baten, ob wir noch länger bleiben könnten. Das ging natürlich leider nicht, da die Eltern aus Lemgo unterwegs waren, um sie abzuholen. Ich selbst spielte auch, mit meiner Modelleisenbahn. Die kleine Platte, die ich stellen konnte, war nun die Basis für meine Vorstellung von einer Modelllandschaft. Die Züge aus Kindertagen fahren zu sehen, das war schon eine fast kindliche Freude. Doch vieles musste repariert werden und so ging manche Mittagspause mit einem Besuch im meiner Arbeitsstätte nahe liegenden Modelleisenbahnladen einher.
Nicht nur bei den Urlaubszielen blieben Ruth und ich uns treu. Wir pendelten sozusagen zwischen Bergen & Meer. Das Kleinwalsertal war unser Ziel im Gebirge, Sylt am Meer, aber auch die Ostseeküste zog uns mehr und mehr an. Mit dem Auto fuhren wir nach Zingst auf dem Darss, wobei ich wegen meiner aufkommenden Abneigung gegen lange Autobahnfahrten zwischen Salzgitter, wo wir zwischen übernachteten und Zingst, lange Strecken auf der Bundesstraße fuhr, was uns aber interessante Einblicke in fast menschenleere Landschaften in der ehemaligen DDR brachte. Die Hitze im Juli 2010 brachte uns allerdings schnell zu der Einsicht, dass ein reiner Strandurlaub nicht mehr das Richtige war. Die Mückenstiche am Achterwasser hinter der Küste und eine Ferienwohnung, wo bei weitem nicht alles in Ordnung war, rundeten das Bild negativ ab. Zudem war der Service rund um die Wohnung vor allem bei der Beseitigung der Mängel ehr träge. Den Zwischenstopp auf der Rückreise verbrachten wir in Nordheim, meine fahrerischen Fähigkeiten waren hier erschöpft. Ich freute mich über den Sieg Spaniens über Holland im Finale der Fußballweltmeisterschaft, schließlich hatten die Spanien auch unsere Mannschaft im Halbfinale besiegt. Auch konnte ich dann die restliche Rückfahrt über Kassel und die A49 nach Cölbe bestreiten, was mir heimatliche Gefühle bescherte. Ende des Jahres machten wir einer Bekannten eine Kurzreise nach Dresden. Im März 2011 wollten wir uns eigentlich mit meinem Schwager im Allgäu in Ofterschwang treffen, aber er wurde krank und um ihm die Stornokosten zu ersparen, fuhren wenigstens wir hin. Das Hotel war allerdings schlimm, die Matratzen kaum auszuhalten. Wir reisten früher ab. Die Jungs besuchten uns dann im Sommer und wir machten vieles in und um Frankfurt. Etwas Besonderes war für mich die Reise nach Dublin, die das Jahr 2011 abschloss. Die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen, wenn man in Dublin herum lief, fühlte sich gut an. Die jungen Engländerinnen, die in unserem Hotel nahe dem Croke Park, dem Fußballstadion urlaubten, erinnerten mich an meine frühen England-Ambitionen. Auch wenn es einen Weihnachtsmarkt deutscher Art in der Stadt nicht gab, sie strahlte dennoch, vor allem im Kneipenviertel, eine Urgemütlichkeit aus. Mit der Straßenbahn fuhren wir nach Howth an die schroffe irische Küste. Hier entstanden, wie kaum anders zu erwarten, viele Landschaftsfotos.
Im Verein Leselust hatte ich einen Erfolg zu verbuchen. Ein griechischer Künstler hatte für Marianne ein Plakat mit Schönecker Motiven gemalt. Mir gefiel es so gut, dass ich den Vorschlag machte, es drucken zu lassen und mit dem Verkauf der Poster weiteres Geld für den Vereinszweck, die Unterstützung der Schönecker Ortsteilbibliotheken, zu generieren. Das stieß nicht auf die ungeteilte Zustimmung der Damen im Vorstand, aber Marianne gab den Ausschlag. Ich vermittelte der Druckerei meiner Firma den Druckauftrag und übernahm den Transport nach Schöneck. Wir würden das Plakat nun bei unseren öffentlichen Veranstaltungen und Autorenlesungen anbieten. Ich selbst erlebte eine Hochphase meiner Malerei, im Keller entstanden etliche Acrylbilder, mal malte ich etwas ab, mal gestaltete ich Bäume und versuchte dreidimensionale Effekte durch die Verwendung von verschiedenen Materialien zu erzeugen. Kreativ wurde ich auch, als ich mir Gedanken über Tribals für ein kleines Tattoo ausdachte. Die Entwürfe beschäftigten mich einige Zeit, wobei die Zahl 5 eine besondere Rolle spielte, sowie zwei sich kreuzende Linien, ob mit oder ohne Spitzen. Das blieb nun die Frage.
Gestalterisch war ich auch auf meiner Modellbahnplatte tätig, in deren Welt ich mich mehrfach hinein versetzte, so als wollte ich meinem einem meiner alten Züge mitfahren, aussteigen und feststellen, meine Welt ist groß und ich sehr klein. Ich schrieb auch darüber:
"Plastikmenschen vergehen nicht, sie werden nicht älter, obwohl sie dem Untergang geweiht sind. Und sie vergessen nichts wie ich. Der ich vergaß, wie die Welt ist. Ein unsichtbarer Gegner mit vielen Gesichtern. Leichtsinnig kandidiere ich für den Betriebsrat, obwohl das niemand will. Die Kollegen nicht und nicht die Geschäftsleitung. Gehe essen mit Kolleginnen, denen bei meinem Anblick ihr Vater einfällt, wo früher eher mal mit schwingendem Röckchen gefragt wurde, ob ich nervös sei, was ich natürlich lügend verneinte."
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