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Dienstag, 24. Oktober 2023

Zeitlos

Der 22. Oktober war besonders. An diesem Tag kam es mir in den Sinn, dass ich eigentlich gar nichts über die Lebensdaten meines in Kolberg geborenen Großvaters wusste. Mein Vater als unehelicher Sohn, lebte in keinem guten Verhältnis mit ihm. Vater war Adoptivkind seines leiblichen Vaters.
Oft schon, dass ich bei der Nachfrage beim Verein Kolberger Lande Erfolg hatte? 
Vater erwähnte ja, dass Kurt Dreyer, der Name seines Erzeugers, schon früh verstorben war. 
Und tatsächlich bekam ich dessen Lebensdaten mit den Kopie der Urkunden. Der Todestag war der 22.10.1953, auf den Tag nach 70 Jahren, an dem ich meine Anfrage gestellt hatte. Jahrelang war das nicht für mich von großem Interesse gewesen.
Seit Wochen beschäftigte ich mich mit dem Untergang meiner Heimatstadt Kassel beim großen Luftangriff der Engländer am 22.10.1943, also vor 80 Jahren.  Vater hatte nur wenig darüber erzählt.
Ein Datum an einem gleichen Tag kann Zufall sein, der bei mir nun öfter vorkommt. Meist sind es aber Menschen, die entweder geboren oder gestorben sind in meiner Verwandtschaft oder enge Bekannte.
Zufälliger konnte ich durch Verwendung einer KI-App Künstliche Intelligenz ein Foto meines Großvaters so bearbeiten,
das man sein Gesicht nun deutlich erkennen kann. 

Mittwoch, 30. November 2022

88 Jahre

 Vor 88 Jahren wurde meine Mutter in Glauchau geboren. Das Foto als junges Mädchen zeigt sie vermutlich anlässlich ihrer Konfirmation. Sie sieht darauf nicht besonders glücklich aus. Vielleicht gab es nicht das Geschenk, was sie sich erhofft hatte oder es war etwas passiert, was ihr nicht passte. Zu der Zeit (im Jahr 1948) hatten meine Großeltern bereits nach ihrer Flucht aus der "Ostzone" eine neue Bleibe im Westen gefunden, aber sicher waren die Verhältnisse noch etwas schwierig. 


Eine weitere für mich wichtige Person hatte am 30.11. Geburtstag. Meine Großmutter väterlicherseits, Frieda Dreyer wurde am 30.11.1914, also 20 Jahre vor meiner Mutter, in Kolberg/Pommern geboren. Ihr Leben endete noch früher als das meiner Mutter, mit 24 Jahren starb sie im Kolberger Krankenhaus an TBC. Sie lebte damit 40 Jahre weniger als meine Mutter. 

Eine andere Gemeinsamkeit haben die Beiden: ihr Sternbild ist Schütze. Das vereint fast alle Personen, die mir nahe stehen. 


Sonntag, 29. Mai 2022

Kolberg in Hinterpommern - weiteres Adressbuch von 1878 erfasst

 Kolberg - Adressbücher 1878, 1909 und 1920

Vor einigen Jahren habe ich für die Pommerndatenbank die beiden Adressbücher von Kolberg aus den Jahren 1909 und 1920 in Excel eingegeben. Ein weiteres Adressbuch, dieses Mal von 1878 habe ich nun in Excel erfasst und den neuen Datenbestand mit dem der bereits erfassten Adressbücher akkumuliert. Somit sind nun die Daten dreier Jahrgänge der Kolberger Adressbücher ab sofort auch auf meinem Blog verfügbar. Einfach den nachstehenden Link 
mit der rechten Maustaste anklicken.

Kolberg - Adressbücher 1878, 1909 und 1920

Die Adressbücher befinden sich auch in der Datenbank des Vereins "Kolberger Lande".  

Dort finden sich Daten zur Orts- und Familienforschung der Stadt Kolberg und des Kreises Kolberg-Körlin. Ein Besuch lohnt sich für alle, die mehr über ihre pommersche Herkunft erfahren möchten.

Für Interessierte besteht die Möglichkeit der Mitarbeit.




Sonntag, 2. Januar 2022

Kolberg in Hinterpommern - Adressbuch 1878

 Zu den bisher von mir erfassten Adressbüchern des ehemals deutschen Kolbergs aus den Jahren 1909 und 1920 kommt nun ein weiteres hinzu. Zur Zeit bin ich mit der Erfassung des Adressbuchs von 1878 beschäftigt. Wenn ich damit fertig bin, werde ich es mit den beiden anderen Büchern kumulieren. Vielleicht ergänze ich es noch mit Anmerkungen zu prominenten Kolberger Bürgern. 


Dienstag, 28. Mai 2019

Kolberg- Adressbücher 1909 und 1920

Vor einigen Jahren habe ich für die Pommerndatenbank die beiden Adressbücher von Kolberg aus den Jahren 1909 und 1920 in Excel eingegeben. Über meine Homepage, die es nun nicht mehr gibt, waren die Daten auch einsehbar. Unter dem nachstehenden Link sind sie nun wieder verfügbar.
Bitte einfach mit der rechten Maustaste auf die Bezeichnung klicken und die Adresse erscheint.

Kolberg - Adressbücher 1909 und 1920

Donnerstag, 24. Januar 2019

Großmutter und Enkel


Links: Mein Großmutter (Bildmitte) in Kolberg 1928 (geb. 30.11.1914)     
       Rechts: Ich am Obersee 1969 ( geb. 12.9.1955)


Wir waren beide zum Zeitpunkt der Aufnahmen 13 Jahre alt.

Montag, 16. Oktober 2017

Kolberger Gesichter

Da hat nun jemand meinen Kolberg-Beitrag in diesem Blog gelesen.
http://wolfgang-dreyer.blogspot.de/2012/08/Kolberg.html
Dieser Jemand ist eine Frau, die mit Adalbert Fabricius verwandt ist. Ihr Vater, Karl-Heinz Fabricius ist nach dem Krieg nach Kanada ausgewandert, zusammen mit seiner Frau, die er noch in Kolberg kennen gelernt hat. Er hatte danach noch eine weitere Ehe, aus der nun die Frau stammt, die mir geschrieben hat.
Sie ist im Besitz eines Familienfotos, auf dem zwei Personen, die nicht zur Familie Fabricius gehören, abgebildet sind. Da das Bild 1928/29 entstanden sein soll, handelt es sich dabei wohl um die Geschwister Frieda und Werner Dreyer, also um meine Großmutter und meinen Großonkel.
Beide dürften sich damals in der Obhut von Adalbert und Emilie Fabricius befunden haben, da die Eltern im Jahr 1929 beide an TBC erkrankten und nacheinander im gleichen Jahr verstarben.



Es ist das einzige, leider sehr verschwommene, Bild von meiner Großmutter, das ich je gesehen habe.
Ich bemühe mich um eine bessere Kopie, aber ob ich sie erhalte, das liegt nicht in meiner Hand. In Zeiten, in denen über "soziale" Netzwerke kommuniziert wird, ist leider nicht alles einfacher geworden. Auch der Kontakt zur noch lebenden ersten Frau des Werner Fabricius in Kanada scheint mir nicht zu gelingen Damit schließt sich erst einmal meine Recherche.



von links nach rechts: Werner Dreyer, Frieda Dreyer,
Karl-Heinz Fabricius, Emilie Fabricius, Adalbert Fabricius

Freitag, 26. Mai 2017

Frieda

26.5.2017 und die Zeit bleibt stehen,
ich habe ein Bild von Dir gesehen.
Diese Sekunde Ewigkeit hat mich
von meiner Imagination befreit.
Nun weiß ich, wer Du gewesen bist,
leider vergangen und so vermisst.

Montag, 1. Mai 2017

Der muß hinaus! Der muß hinaus!

Der nachstehende Text erscheint in Bezug auf die heutige Zeit in aktuellem Licht.

»Der muß hinaus! Der muß hinaus!«

Antisemitismus in deutschen Nord- und Ostseebädern 1920–1935

von Michael Wildt aus der Publikation „Mittelweg 36“

Auszug

So erreichte den Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V.), 1893 als Abwehrverein gegen den Antisemitismus gegründet und zum Ende der Weimarer Republik mit rund 60 000 Mitgliedern und 555 Ortsgruppen neben den jüdischen Gemeinden die größte Organisation der Juden in Deutschland,7 im August 1920 folgender Bericht aus dem pommerschen Ostseebad Kolberg, das mit rund 40 000 Gästen 1925 zu den am stärksten besuchten Badeorten an der Ostsee zählte:

»Soeben aus dem Ostseebad Kolberg zurückkehrend, muss ich Ihnen von dem unglaublichen Antisemitismus Mitteilung machen, der das Bad beherrscht. Die mit Hakenkreuz geschmückten ›Herren‹ und Jünglinge stolzieren dort noch immer herum, als ob ihnen das Terrain gehört und als ob sie die Welt erobert hätten. Blutige Schlägereien zwischen Juden und diesem unanständigen Pöbel sind an der Tagesordnung.

Sollte die Regierung nicht dagegen einschreiten können? Einige dieser antisemitischen Herren suchen mit Willen belebte Etablissements auf, sind stark angetrunken und fordern durch ihr herausforderndes Betragen das jüdische Publikum direkt heraus. Vielleicht veröffentlichen Sie mal diese unerquicklichen Zustände. Vielleicht täte das jüdische Publikum besser, bei besserer Valuta die ausländischen Seebäder aufzusuchen,um diesen Pöbeleien zu entgehen.«

Zwei Jahre später berichtete ein anderer Badegast, daß die Strandkörbe in Kolberg mit Hakenkreuzen und antisemitischen Parolen beschmiert würden, ohne daß die Badedirektion dagegen einschritte. 1925 beschwerte sich der in Kolberg ansässige jüdische Kinderarzt Dr. Jakobi, daß er und mehrere Bekannte, alles alteingesessene jüdische Bürger, in einer bekannten Gaststätte vom Besitzer gebeten worden seien, sich nicht wie üblich in das Weinzimmer, sondern in ein Hinterzimmer zu setzen, da ein betrunkener Gast antisemitisch pöbeln würde und der Gastwirt nicht gewillt sei, »auch in Rücksicht auf die Agrarierkundschaft«, seine jüdischen Gäste zu schützen.

»Wir erklärten, dass es u. E. nur zweierlei gäbe: entweder dulde er in seinem Lokal nur Leute, die sich anständig benähmen, (wenn er Wert darauf lege, ein erstklassiges Lokal zu haben) oder er mache es zum Tummelplatz Betrunkener – zur Spelunke. Da Herr Nettelbeck weiter versicherte, gegen diesen Herren machtlos zu sein, verliessen wir das Lokal .«

Der Generaldirektor der Betreibergesellschaft des Lokals bemühte sich umgehend, für den Vorfall zu entschuldigen. Ihm seien die Verhältnisse in Kolberg wohlbekannt, er habe auch einen Direktor dort bereits entlassen, weil dieser sich »immer auf die Seite dieser unangenehmen Leute gestellt« habe und es deswegen »mehrfach zu unliebsamen Scenen gekommen« sei.

Auch die Kolberger Ortsgruppe des C.V. schrieb, daß der Oberbürgermeister energisch gegen antisemitische Rüpeleien durchgreifen wolle und die Kurverwaltung in den vergangenen Jahren alles getan habe, um den »›Burgfrieden‹ nach Möglichkeit zu wahren und den Erholungssuchenden einen ungestörten Kuraufenthalt zu gewährleisten. Es ist demnach ganz unangebracht, Kolberg aus Furcht vor antisemitischen Unannehmlichkeiten zu meiden«. Aber der Schreiber des Briefes aus dem Jahr 1922 hatte beobachtet, dass sich die Kolberger Ortsgruppe »sehr defensiv« verhalte.

»Sie befürchtet nämlich, dass bei einem energischen Auftreten die jüdischen Badegäste, die Kolberg alljährlich aufsuchen, zu vertreiben und glauben, dadurch das Bad zu schädigen. Schreiber dieses [Briefes] ist gerade entgegengesetzter Ansicht: durch Aufdeckung der bestehenden Schäden wird vielleicht eher erreicht, dass unliebsamen Belästigungen vorgebeugt wird.«

Vom Ostseebad Kolberg wurde 1932 berichtet, daß etwa 90 Prozent der Badegäste Hakenkreuzler und Stahlhelmer seien. Obwohl die Badeverwaltung jedwede politische Demonstration verboten hatte, waren am Strand zahlreiche Hakenkreuzfahnen zu sehen. Und eine Gruppe von etwa 40 bis 50 Kolberger Nationalsozialisten war vor die Hotels gezogen mit dem Ruf »Juden raus«.








Donnerstag, 27. April 2017

Kolberg - Weihnachten 1941

Herr Weinert, Funker an Bord des deutschen Minensuchboots M 575 beschreibt
seine Eindrücke von Kolberg in seinem Tagebuch. 1941 lag die M 575 im Kolberger Hafen.
Quelle: Deutsches Marinearchiv 

Die Kolberger hielten fest an ihren urväterlichen Sitten und Gebräuchen und heiligten den Feiertag.

Wir wandern langsam durch die Straßen, atmen die feierliche Ruhe und den weihnachtlichen Frieden und
genießen immer wieder aufs Neue den eigenartigen Reiz dieser schönen, kleinen pommerschen Seestadt.
Hafenstädte haben alle ein doppeltes Gesicht. Während das eine hart und unverwandt auf See blickt,
schaut das andere gelassen und oft etwas gönnerhaft zurück ins bäuerliche Hinterland.
Diese Doppelnatur ist bei Städten, die ihre Kindschaft einem solch ungleichartigen Elternpaar verdanken,
nicht verwunderlich. Sie ist der natürliche Ausdruck einer so verschieden gearteten Erbmasse.
Sie gibt ihren Mauern das unterschiedliche Gepräge, bestimmt den wechselnden Pulsschlag ihres Lebens,
spiegelt sich wider in ihren Menschen und findet seinen Ausdruck im bunten Mythos ihrer weiten Seele.
Und es ist eine glückhafte Vereinigung. Sie enthält der Erde stille zähe Geduld, des Meeres harten Trotz.
Sie birgt den heiteren Frohmut knospender Blüten neben der schwermütigen Tiefe der See.
Sie paart der Wellen mildes Ungetüm mit der ruhigen Gelassenheit der Ebene, setzt der Liebe
zur angeborenen Scholle den frischen Drang der weiten Ferne entgegen und bringt des Meeres
ewigen Atem in steten Einklang zum Auf und Ab des Lebens, das doch immer nur eins sein kann: Ein Kommen und ein Gehen.


Samstag, 18. März 2017

Kolberg 1945 - Augenzeugenberichte

Kolberg, 1. März 1945 –

Ein neuer Kommandant

Wehrmachtsoberst Fullriede wird zum neuen Kommandanten für Kolberg eingesetzt.

Die katholische Ordensschwester Godehardis St. Martinsbad in Kolberg berichtet in ihrem noch im April 1945 niedergeschriebenen Manuskript: "Kolberg stand schon seit Monaten im Zeichen der immer näher kommenden Front. Aufgeregte Stimmung überall."

Die Stadt Kolberg, die rund 35 000 Einwohner zählt, wurde rasch zum Sammelbecken; innerhalb weniger Tage war die Stadt auf über 85 000 Einwohner angeschwollen. Die Zufahrtsstraßen lagen bereits unter Artilleriebeschuß, die Züge, soweit sie noch fuhren, waren überfüllt. Schwester Godehardis erinnert sich: "Das Massenelend ostpreußischer Flüchtlinge erhöhte die Panikstimmung in Kolberg." Am 3. März erhält Fegattenkapitän Kolbe, der zuständige Marineoffizier beim Wehrbezirkskommando Kolberg, den Befehl für den Abtransport der Zivilbevölkerung über See.

Kolberg, 4. März 1945 –

"Der Kessel ist zu"

Die letzten Züge verließen die Stadt in den frühen Morgenstunden des 3. März. Schwester Godehardis notiert in ihrem Bericht: "Sonntag, den 4. März morgens um 4 Uhr ging ein Flüstern durch die Reihen: ,Der Kessel ist zu, es kommt kein Zug mehr durch.’"

Oberst Fullriede will die Stadt halten, damit die Zivilisten über den Seeweg gerettet werden können. Ihm standen etwa 3200 Männer zur Verfügung – darunter teils reguläre Wehrmachtssoldaten, teils Volkssturm, teils jugendliche Militärhelfer. Den deutschen Verteidigern gegenüber stand ein Mehrfaches an russischen und polnischen Soldaten.

Bei der Marine hat Fregattenkapitän Kolbe den ersten Konvoi zusammengestellt. Auch in den bereits vergangenen ersten Märztagen hatten immer wieder Frachter, Dampfer und Boote aller Größen Flüchtlinge gen Westen transportiert. Doch am 4. März startet der erste organisierte Schiffsverband mit insgesamt 2200 Flüchtlingen. In diesem Takt sollte es nun jeden Tag weitergehen. Noch am 4. März bricht in der Stadt auch die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser zusammen. Der Wehrmachtssoldat Ernst-August Dumtzlaff, der selber aus Hinterpommern stammt, hat jene Tage miterlebt und seine Erlebnisse später niedergeschrieben: "Nun stehe ich hier an der Panzersperre in der Körliner Straße in Kolberg, die Gedanken gehen zurück an den Marsch auf der Straße nach Kolberg."

Kolberg,

5. März 1945

Soldat Dumtzlaff liegt mit zwei Kameraden auf Posten im letzten Haus der Körliner Straße, es ist am äußersten Rand der Festung. Im Haus gegenüber sind ebenfalls deutsche Soldaten. Plötzlich geschieht in den frühen Morgenstunden etwas Unerwartetes. Statt der Russen taucht ein Flüchtlingstreck auf, heil kommt er an der Absperrung vorbei. Wenige Augenblicke später: Lautes Krachen – die sowjetische Artillerie feuert in die Stadt. Der Beschuß wird heftiger, auch die deutschen Panzersperren am Stadtrand werden ins Visier genommen. Die Häuser werden mehrfach getroffen. Erstmals tauchen noch in sicherer Entfernung auch sowjetische Panzer auf, die durch die deutsche Artillerie beschossen und wieder vertrieben werden. Das feindliche Feuer wird noch stärker. "Wir rechneten jeden Augenblick mit einem sowjetischen Infanterieangriff", so Dumtzlaff.

Dann geht es los: Die Russen greifen an, deutsches Abwehrfeuer schlägt sie zurück. Doch kurz danach der zweite Angriff. Die Panzersperre war inzwischen erheblich getroffen worden. "Ringsherum die Einschläge der Granaten, das Krachen einstürzender Häuserwände. Die Hölle war ausgebrochen. Unter dem Schutz des Granathagels griff der Feind erneut an. Am Nachmittag gelang es den Russen, die Panzersperre zu erobern. Der Häuserkampf begann", schreibt der Augenzeuge.

In den nächsten Tagen sollte in den Straßenzügen erbittert um jedes Haus gekämpft werden. Auch der Soldat Ernst-August Dumtzlaff hat diese schweren Stunden erlebt: "In der Nacht zogen wir uns um einige Häuser zurück. Der Frontverlauf war sehr undurchsichtig geworden. Von See hörten wir Abschüsse schwerer Artillerie, es war wohl die uns zugesagte Marineunterstützung eingetroffen. Wir faßten wieder etwas Mut. Es entbrannte der Häuserkampf in unerbittlicher Härte. Unter Androhung von Gewalt mußten wir deutsche Zivilisten aus ihren Kellern holen." Trotz des Beschusses gelingt es an diesem Tag, etwa 5 000 Flüchtlinge über den Seeweg gen Westen zu transportieren.

Kolberg, 12. März 1945

Am frühen Morgen ertönt aus Lautsprechern erneut die sowjetische Aufforderung nach Aufgabe des Kampfes. Landser Dumtzlaff berichtet, daß erstmals polnische Soldaten auftauchten, die in die Stadt eindringen wollten.

Sanitäter, Ärzte und Schwestern haben alle Hände voll zu tun. Das Lazarett ist voll belegt. Die beiden Chirurgen vermögen kaum ihre Arbeit zu tun, einmal operieren sie 52 Stunden nacheinander, notiert Schwester Godehardis. Die Verwundeten und das Sanitätspersonal erleben hautnah, wie die Front Meter für Meter dichter kommt. Den Höllenlärm der Stalinorgel, das Heulen der Granaten und das Geknatter der Maschinengewehre, all das ist auch im Lazarett gut zu hören.

Kolberg, 15. März 1945

Festungskommandant Fullriede hat die Lage noch unter Kontrolle, noch hält die Hauptkampflinie. Da die Stadt nun fast von allen Flüchtlingen geräumt ist, befiehlt er, daß in der Frühe die Schwerverwundeten abtransportiert werden sollen.

Alles klappt, die Verwundeten, das Lazarettpersonal und die Ordensschwester werden von einer Fähre zum deutschen Zerstörer "Panther" gebracht. Die Ordensschwestern vom Martinsbad werden auf Umwegen über Rügen am 20. März in der Morgenfrühe ihr Mutterhaus im Münsterland erreichen.

Kolberg, 18. März 1945

In der Nacht zum 18. März bereiten sich alle noch in Kolberg verbliebenen Wehrmachtssoldaten, Matrosen, Volkssturmmänner und alle sonstigen Verteidiger auf die Evakuierung vor. Der Abtransport der Zivilisten ist abgeschlossen. Oberst Fullriede sieht nach der Rettung der Zivilisten seine Ausgabe als erfüllt an und befiehlt den Rückzug.

Nachdem es in den Morgenstunden des 18. März mehrfach falschen Alarm gegeben hat, nähern sich Boote sowohl der Mole auch einem offenen Strandabschnitt, der sogenannten Maikuhlenseite. Dort nimmt ein Boot Matrosen und Volkssturmmänner an Bord und rauscht mit Volldampf wieder auf die hohe See zurück.

Das Molengelände liegt jetzt unter schwerstem Beschuß. "Was sich hier abspielte war unbeschreiblich. Jeder wollte der erste sein. Von der Mole führten nur schmale Stege zur Anlegestelle des Bootes. Auch durch den Gefechtslärm hörte man die Hilfeschreie durch die Nacht." Soldat Dumtzlaff wird gerettet. Das Boot bringt ihn an Bord eines deutschen Zerstörers. "Die feindlichen Batterien versuchten mit ihren Geschossen den deutschen Zerstörer zu erreichen. Alle Einschläge lagen zu kurz. Der Zerstörer selbst legte sein Vernichtungsfeuer auf die Stellungen des Feindes." Der völlig erschöpfte pommersche Soldat schläft an Bord sofort ein.

Insgesamt retten die Boote in den frühen Morgenstunden rund 2000 Verteidiger. 350 deutsche Soldaten gelingt jedoch der Rückzug nicht mehr, sie müssen sich in Gefangenschaft begeben. Oberst Fullriede will mit seinem Stab erst möglichst spät die Stadt verlassen. Zum Schluß, als die polnischen und sowjetischen Infanteristen bereits den Hafen und die Mole erobert hatten, führt er den ihm verbliebenen Haufen noch von einem Befehlsstand vom Strand aus. Doch bald gibt es auch hier kein Halten mehr, Fullriede und die letzten Männer retten sich mit einem Schlauchboot auf die Ostsee.

Freitag, 17. März 2017

Kolberg 1945 - Gefechtsbericht

Nachstehend der bisher auf meiner Arcor-Homepage veröffentlichte Bericht eines deutschen Offiziers (vermutlich des Festungskommandaten Fullriede)

Gefechtsbericht über die Belagerung Kolbergs vom 4.3.-18.3.1945

I.
Im November 1944 begann die Erkundung zum Ausbau der Stadt Kolberg als Festung. Es wurden drei Verteidigungsringe festgelegt, von denen der Ausbau der Stadtrandsiedlung Anfang Februar 1945 durch Stellv.Gen.Kdo.II A.K. befohlen wurde. Am 26. Januar wurde der Festungsstab Kolberg aufgestellt. Es wurden in Angriff genommen ein Panzergraben und Infanteriestellungen. Die Durchführung der Stellungsbauarbeiten litt sehr unter dem Mangel an Arbeitskräften. So waren am 1.3. bei Eintreffen des neuen Festungskommandanten, Oberst Fullriede, von den vorgesehenen und in Angriff genommenen Stellungsbauten lediglich ein Teil des Panzergrabens und der Infanteriestellungen sowie 16 behelfsmäßige Stellungen für schwere Wurfkörper (28cm) ausgebaut.
Die Festung war zu dieser Zeit verpflegungsmässig zu 85%, munitionsmässig lediglich für schwere Wurfkörper und Flak bevorratet. Erst am 6. und 7.3. trafen über See 100 Tonnen Munition aller Art ein. An Truppen standen am 1.3. zur Verfügung:
1 Bat. des Feldausbildungs-Regiments Pz.A.O.K. 3 mit Regimentseinheiten und Reg.Stab ein nur teilweise bewaffnetes Volkssturmbat., ein Volkssturmwerferzug und Teile der Flak-Abteilung Heinzel. Am 2.3. trafen 8 Geschütze l.f. H 18 ohne Bedienung, Protzen und Bespannung ein. Protzen wurden aus den Gerätelagern Kolberg beschafft. Um wenigstens eine Batterie feuerbereit zu machen, wurden von der 2.G.-Komp. zwei Beobachter und fünf Richtschützen und Kanoniere zur Stabskompanie versetzt. Die fehlende (Batterie?) durch Volkssturm aufgefüllt. Am 3.3. kam das Festungs-M.G.Bat.51(M.) hinzu. Am 4.3. der Panzerzug König. Nach Beginn der Kämpfe wurde aus Versprengten das Bat. Hempel aufgestellt.

Seit Ende Januar setzte ein ununterbrochener Flüchtlingsstrom ein. Die Bevölkerungszahl stieg von 35.000 auf 85.000 Einwohner. Der Bahnhof war zu dieser Zeit mit Zügen überfüllt. Ein Abfluss nach Stettin fand nur in ganz geringem Maße statt, sodass sich die von Köslin und Belgard kommenden Züge vor der Stadt stauten. Die Eisenbahn teilte auf Anfragen mit, dass Stettin Züge nicht annehmen könne. So standen seit Beginn der Einschließung 22 Züge mit Flüchtlingen, Verwundeten und Material aller Art auf der Strecke von Belgard nach Kolberg.
Bei der ersten Aufforderung durch den neuen Festungskommandanten am 1.3. für den Abtransport der Zivilbevölkerung zu sorgen, erklärte der Kreisleiter, dass ihm ein diesbezüglicher Befehl des Gauleiters nicht vorliege. Eine nochmalige Aufforderung am 2.3. hat ebenfalls keinen Erfolg gehabt. Darauf erhielt der Kreisleiter am 3.3. um 20 Uhr vom Festungskommandanten den Befehl, die Flüchtlinge zum unverzüglichen Verlassen der Festung aufzufordern. Zu dieser Zeit war ein Abfließen der Trecks über die Strandstrasse nach Gribow noch möglich.

II.
Aufgrund einer Feindorientierung durch Kampfgruppe Tettau wurde am 3.3. abends die Besatzung alarmiert und am 4.3. früh ein Spähtrupp entsandt, der um 4 Uhr bei Rossenthin erstmalig auf den Feind stieß. Um 5 Uhr erreichten feindliche Panzer und Infanterie Sellnow. Damit war die Wasserversorgung aus dem Wasserwerk Koppendieksgrund abgeschnitten. Gegen 7 Uhr erreichte der Feind den Stadtrand von Geldervorstadt.
Mit der Meldung von der ersten Feindberührung wurde am 4.3. um 4 Uhr das Standrecht verhängt. Ein Versuch, durch die zuständigen Instanzen, Ordnung in den zivilen Sektor zu bringen, misslang. Darauf wurden um 16 Uhr dem am 27.2. eingetroffenen Kreiskommandanten SS-Oberführer Bertling sämtlich nicht militärische Dienststellen unterstellt. Weiterhin wurden zur Erhöhung der Abwehr und Kampfbereitschaft sämtliche Versprengten durch Offz. Polizei und Feldgendarmeriestreifen einer Sammelstelle zugeführt, Waffen und Gerät gesammelt und daraus das Bat. Hempel, die Artilleriegruppe Schleiff sowie die Panzergruppe Beyer aufgestellt. Die Panzergruppe bestand aus vier Hetzern, die als Schadpanzer von der Division Holstein nach Kolberg zur Instandsetzung abgeschoben waren.
Der erste Panzervorstoß des Feindes wurde am 4.3. durch 2 Flak-Geschütze und 6 Werfer des MG-Bat. in der Geldervorstadt abgewiesen. Der Feind zog sich daraufhin zunächst nach Karlsberg zurück. An diesem und am folgendem Tag fühlten sie nur mit schwächeren Panzer- und Infanteriekräften entlang der Treptower und der Körliner Straße gegen die Stadt vor. Durch Artillerie, schwere Wurfkörper, Flak und Panzervernichtungstrupps wurden die Vorstöße abgewiesen, wobei die ersten vernichtet wurden.
Da die Straßen von Köslin und Belgard noch frei sind, strömen immer neue Flüchtlingstrecks in die Stadt. Sie können nur auf den Strandweg nach Gribow weitergeleitet werden, jedoch auch hier nur unter Gefährdung durch einzelne Panzer. Um vor allem die Eisenbahnstrecke nach Westen frei zu bekommen, sowie die Strasse nach Gribow zu sichern und einen stärkeren Abschub von Flüchtlingen zu ermöglichen, wird für den 6.3. ein Vorstoß beiderseits der Treptower Strasse auf Neuwerder, Neugeldern und Karlsberg befohlen. Der Angriff begann um 6 Uhr und erreichte um 6.36 Uhr den Südrand von Neugeldern, mittags Neuwerder. Karlsberg konnte gegen überlegene feindliche Panzerkräfte, die in Altwerder, Sellnow und später auch in Neuwerder auftauchten, nicht genommen werden. Infolgedessen blieb die Treptower Strasse und die Eisenbahnlinie nach Treptow unter Feindbeschuss. Lediglich die Strasse über Gribow nach Westen blieb durch das Zurückdrängen des Gegners zunächst offen. In der Annahme, dass diese Strecke auch weiter westlich noch offen sei, wurden die Flüchtlinstrecks auf ihr abgeschoben. Eine diesbezügliche Funkanfrage über Feindlage nördlich Stettin blieb von Stettin unbeantwortet.

Im Laufe der Nacht zum 7.3. und in den ersten Morgenstunden des 7.3. stieß der Feind westlich und ostwärts der Stadt endgültig bis zur See vor, sodass der Einschließungsring nunmehr geschlossen war. Um 15.35 Uhr wurde durch Funkspruch vom O.K.H. das weitere Freikämpfen einer Abschubstrasse nach Westen verboten und der Befehl gegeben, die eigenen Kräfte zusammenzuhalten, um den Abtransport der Bevölkerung über See zu schützen. Gegen Abend stieß der Feind mit Panzerunterstützung entlang der Treptower Strasse bis in die Geldervorstadt. Das Bat. Hempel riegelte sofort mit einer Kompanie an der Stettiner Strasse ab. Die Feindverluste sind hoch. Jedoch gelingt es nicht, einzelne bis an die Ecke Kamminer und Treptower Strasse vorgedrungene Feindgruppen wieder herauszuwerfen.

In den frühen Morgenstunden des 8. März verlegt der Feind den Schwerpunkt seines Angriffes von der Treptower Straße an die Lauenburger Vorstadt, wo er sich unter starkem Feuerschutz mit Panzern und Infanterie über die Persantewiesen entlang der Körliner Strasse gegen die Panzersperre am Stadteingang vorschiebt. Jedoch gelingt es ihm nur, die Panzersperre im Laufe des Tages in seine Hand zu bringen.

Inzwischen hat der Gegner ringsum die Stadt immer neue Batterien aufgefahren. Zum Schluss wurden mindestens 20 schwere Batterien festgestellt, dazu Stalinorgeln und Granatwerferverbände schweren Kalibers. Mit ihnen eröffnet der Feind ein sich ständig steigerndes Feuer auf alle Teile der Stadt, besonders auf Hafen und Bahnhof sowie auf die Frontlinie. Die Verluste der eigenen Truppen sowie der Zivilbevölkerung in der Stadt sind erheblich. Es machen sich Anzeichen einer beginnenden Panik bemerkbar. Um den Abtransport zunächst der Frauen und Kinder zu sichern, sind härteste Maßnahmen erforderlich. Gegen Plünderer und Drückeberger muss mit exemplarischen Strafen vorgegangen werden. In der Versorgung wird der Mangel an Trinkwasser immer spürbarer. Nach ständigem Drängen des Einsatzleiters der Kriegsmarine für den Abtransport der Zivilbevölkerung, Freg. Kpt. Kolbe, lief die Gestellung von Schiffsraum mehr und mehr an und ergab täglich wachsende Erfolge.

Am 9. März gelang dem Gegner ein Einbruch in die Lauenburger Vorstadt. Um den Georgenfriedhof und die Gasanstalt wechselten ständige Angriffe und Gegenangriffe. Im Westen wurde ein starker Angriff gegen die Stellungen des Volkssturmbat. Pfeiffer abgewiesen. Ein eigener Gegenangriff an der Treptower Strasse durch Lt. Hempel mit Teilen seines Bat. brachte einen vollen Erfolg und eine Beute von 24 schweren Waffen. Eigene Schiffsartillerie unterstützte die Abwehr durch wirksames Feuer auf die Bereitschaftsräume des Gegners, wobei der Feind starke Verluste an Panzern und Infanterie hatte.

Am 10.3. verschob der Feind den Schwerpunkt seines Angriffes nach Osten und Südosten an die Bahnlinien nach Köslin und Körlin. Von Panzern und Pak unterstützt, konnte er seinen Einbruch in der Lauenburger Vorstadt nach Osten erweitern und in die Waldenfels-Kaserne eindringen. Die Georgenkirche musste, um dem Feind nicht den Turm als B.-Stelle zu überlassen, durch einen Stosstrupp in Brand gesetzt werden. Ständige, von Panzern unterstützte, Feindangriffe gegen die Abschnitte des Volkssturms im Westen und des Bat. Hempel im Südwesten werden immer wieder im Nahkampf abgewiesen. Von sieben Brücken über Persante und Holzgraben waren zu dieser Zeit bereits vier zerstört.

Am 11.3. Fesselungsangriffe an der gesamten Front, überall von Panzern unterstützt. Der Schwerpunkt des Angriffs lag in der Lauenburger Vorstadt, wo der Gegner jedoch nur in die ersten Häuser eindringen kann. Wegen Fehlens eigener Pak ist es ihm möglich, Haus um Haus systematisch mit Panzern und Pak zu zerschießen und sich nach Ausfallen der Besatzung mit Infanterie weiter vorzuschieben. Die eigenen Panzer der Panzergruppe Beyer sind ständig reparaturbedürftig und kaum einsatzfähig. Sie müssen z. T. in ihre Stellungen geschleppt werden, wo meist in kurzer Zeit ein Schaden an der Abzugsvorrichtung oder am Fahrwerk auftritt.

Am 12.3. morgens setzt nach schwerstem Art.-Beschuss in der Lauenburger Vorstadt ein neuer schwerer Angriff des Feindes ein. Dem Gegner gelingt vom Georgenfriedhof aus ein Einbruch nach Norden über die Kösliner Chaussee. Drei Gegenangriffe bleiben erfolglos. Die Ostfront wird mit Einbruch der Dunkelheit auf eine neue Linie längs der Wallstrasse zurück genommen. Hinter dieser neuen Front wird im Verlauf der Nacht aus den letzten verfügbaren Reserven eine 2. Linie aufgebaut. Im Westen und Südwesten wurden an diesem Tage insgesamt sechs von Panzern unterstützte Feindangriffe unter beiderseits hohen Verlusten abgewiesen.

Am 13.3. greift der Feind im Westen an der Maikuhle sowie in der Gelder Vorstadt und im Osten an der Waldenfelsschanze mit starken Kräften an. Der Angriff an der Maikuhle wird vom Volkssturm, der in der Gelder Vorstadt durch Teile des Bat. Hempel im Nahkampf abgewiesen. Im Osten gelingt dem Gegner ein tiefer Einbruch, der ihn in den Besitz der Gasanstalt
und des Lokschuppens bringt. Der Einbruch wird im Gegenstoß unter Einsatz von zwei Panzern abgeriegelt. Am Abend muss der Volkssturm an der Maikuhle wegen der starken Ausfälle der letzten Tage in eine verkürzte Linie zurückgenommen werden.

Am 14.3. setzt beim Morgengrauen an der gesamten Front bei außergewöhnlich starkem Artilleriefeuer aller Kaliber, dabei starkem Panzer-, Pak-, Salvengeschütz- und Granatwerferfeuer, ein neuer konzentrierter Großangriff ein. Er führt zu tiefen Einbrüchen an der Maikuhle, in die Kaserne der Gelder Vorstadt, aus der Lauenburger Vorstadt in das Stadtinnere und am Gleisdreieck westlich Lokschuppen, die nur mit Mühe abgeriegelt werden können. Ein weiteres Einsickern des Feindes in die eigenen Linien kann wegen hoher eigener Verluste nicht verhindert werden. Die eigene Truppe leistet trotz ihrer körperlichen und seelischen Erschöpfung und trotz ihrer Ausfälle erbitterten Widerstand. Gegen 14 Uhr ist der Druck des Feindes aufgefangen und die eigene Front, wenn auch oft nur stützpunktartig und zunächst noch unübersichtlich, wieder hergestellt. Um 15.30 Uhr fordert das polnische Armee-Oberkommando den Festungskommandanten auf dem Funkwege zur Übergabe auf. Die Antwort lautet: „Kommandant hat Kenntnis genommen.” Auf eine zweite Kapitulationsaufforderung um 16 Uhr wurde nichts geantwortet. Unter dem Eindruck seiner am Vormittag erlittenen starken Verluste setzte der Feind seinen Angriff am Spätnachmittag zunächst nicht fort. Stattdessen lagen Stadt und Hafen unter dem konzentrierten Feuer aller Waffen. Erst mit Einbruch der Dunkelheit führte der Gegner einen durch schwere Waffen unterstützten Gegenangriff gegen die Waldenfelsschanze, der in 2 1/2-stündigem schweren Kampf abgewiesen wurde.

In der Nacht zum 15.3. bricht der Feind am Gleisdreieck ein und kann erst am Ostrand des Bahnhofes aufgefangen werden. Ein eigener Gegenstoß führt nur noch zur Festigung der neuen Widerstandslinie, jedoch nicht mehr zur Bereinigung des Feindeinbruches. Im Laufe des Vormittags trifft auf Reede das Alarmbat. Kell (I. Fest.-Regt. 5) ein. Der Festungskommandant entschließt sich, das Bat. nicht mehr zu landen, da die Besatzung inzwischen auf einen so schmalen Streifen am Strand und Hafen zusammengedrängt ist, dass sich keinerlei Verteidigungsmöglichkeiten mehr bieten und der Einsatz des Alarmbat. keine Entscheidung mehr, sondern nur noch eine Verzögerung bringen kann. Bevor jedoch dieser Befehl die auf der Reede liegenden Schiffe erreichte, waren am Spätnachmittag bereits zwei Kompanien des Bat. gelandet, die nunmehr sofort eingesetzt wurden. Der Einsatz dieser frischen Kräfte an diesem und dem folgenden Tage erfüllte jedoch nicht die Erwartungen, die daran geknüpft wurden. Er brachte nur geringe Entlastung, da die eigene Truppe nicht an den Straßenkampf gewöhnt war und sich nur schwer in den Trümmern der brennenden Stadt zurechtfand. Das Bat. hatte unverhältnismässig hohe Ausfälle. Die beiden Kompanien besetzten zunächst eine Widerstandslinie nördlich des Bahnhofs und drückten von dort aus gegen die Innenstadt vor. Zugleich ging rechts davon eine Kampfgruppe aus der Linie  Gradierstrasse nach Osten vor, um den über den Kaiserplatz vorgedrungenen Feind zu werfen und die am Vormittag verloren gegangene Luisenstrasse wieder zu nehmen. Jedoch gelang nur die Säuberung des Bahnhofsgeländes und die Wiederinbesitznahme des Nord- und Westrandes des Kaiserplatzes. Unter dem Schutz dieser Linie konnten in der Nacht die letzten Frauen und Kinder eingeschifft werden. Infolge des tiefen Einbruchs vom Osten her in die Innenstadt musste das Bat. Hempel in der Nacht auf das Ostufer der Persante zurückgenommen werden. Die Verbindung mit dem Volkssturm und der Marine-Abt. Prien auf dem Westufer blieb erhalten.

Am 16.3. belegte der Feind das kleine, noch in eigener Hand befindliche Stadtgebiet mit einem pausenlosen schweren Feuer aller Kaliber. Innerhalb der Stadt gelang es ihm nur durch systematisches Inbrandschiessen und Zerstören der Häuser durch Panzer und Pak, die Trümmer einiger Blocks in Besitz zu nehmen. Von Panzern unterstützte Angriffe gegen die Maikuhle und südlich Waldenfelsschanze wurden, teilweise im Gegenstoß, abgewiesen. Am Mittag wurden der Stab und die 3. Komp. des Bat. Kell gelandet und damit im Zuge der Moltkestraße eine neue Widerstandslinie aufgebaut. In der Nacht vom 16. zum 17. wurden Eisenbahner, O.T.-Arbeiter, männliche Zivilpersonen und unbewaffnete Männer abtransportiert. Entgegen den Erwartungen, dass der Feind am 17. morgens zum letzten Stoss ansetzen würde, beschränkte er sich auf ständig steigende Feuertätigkeit aller schweren Waffen. Erst am Spätnachmittag griff er ostwärts des Bahnhofs mit Unterstützung von vier Panzern an und durchbrach unsere dünne Linie. Nur dem zögernden Nachdrängen der feindlichen Infanterie war es zu verdanken, dass unsere Front sich wieder auffing.

Mit dem Abtransport der Frauen und Kinder sowie der unbewaffneten Organisationen, Schlüsselkräften und sämtlicher Zivilisten war der am 7.3. durch Funk vom O.K.H. gegebene Befehl erfüllt. Der selbstverständliche Auftrag für jede Festungsbesatzung, Feindkräfte zu binden, konnte nur noch bis zum letzten Morgen des 18.3. erfüllt werden. Bis dahin war durch das Zusammendrängen der Besatzung auf einen 1800 m langen und 400 m breiten Strandstreifen, durch die zahlenmäßig schwache Besatzung, ihre völlige körperliche und seelische Schwäche, durch den Ausfall der letzten eigenen Panzer und des größten Teiles der schweren Waffen, sowie durch die in dem schmalen, noch gehaltenen, Strandstreifen sich besonders stark auswirkende artilleristische Überlegenheit des Feindes, die Vernichtung der Restbesatzung mit Sicherheit zu erwarten. Daher entschloss sich der Festungskommandant am Nachmittag des 17.3., auf eigene Verantwortung und ohne Befehl, zu versuchen, unter Belassung von kampfstarken Sicherungen bis zum Morgen des 18. die Kampfbesatzung in der Nacht vom 17. zum 18.3. über See abzusetzen und damit zu erhalten.

Noch vor Beginn der Absetzbewegung erfolgte am späten Abend des 17. ein Angriff des Feindes gegen die Waldenfelsschanze, die verloren ging. Damit beherrschte der Feind durch Pak und Panzerfeuer den gesamten Strandstreifen ostwärts der Persante, die Hafenausfahrt und die Feuerstellung der restlichen eigenen Artillerie. Die Absetzbewegung erfolgte unter dem massierten Feuer der schweren Feindwaffen. Deshalb konnte der Feind mit Infanterie nur schwach nachdrücken. So konnten sich auch die letzten Sicherungen kämpfend vom Feind lösen. Am 18.3. 6 Uhr 30 waren Strand und Mole von eigenen Truppen geräumt.

III.
Der erste Angriff auf Kolberg erfolgte von russischen Panzerverbänden, die von Süden hervor stießen. Nachdem es ihnen nicht gelungen war, Kolberg im ersten Sturm zu nehmen, wurden sie durch polnische Verbände der 3., 4., und 6. polnischen Infanteriedivisionen verstärkt durch Panzer, Werfer und Art. Verbände verstärkt, darunter das 4. russ.Pz.Art.Rgt. . Die Feindpanzer hatten größtenteils deutschsprechende Besatzung, die ihren Funkverkehr in deutscher Sprache führten.

Diesen starken Feindverbänden standen auf unserer Seite nur mangelhaft bewaffnete und eilig aufgestellte Kampfgruppen gegenüber. Diese wurden zudem behindert durch eine schwer zu übersehende und zu erfassende Menge fremder Trossteile, die meist die geringste Disziplin und Kampfmoral zeigten. Die Strassen und Häuser waren überfüllt mit in der Stadt angestauten Flüchtlingstrecks. Erst dem tatkräftigen Eingreifen des Kreiskommandanten SS-Oberführer Bertling, gelang es nach und nach, Ordnung in dieses Durcheinander zu bringen. Die sich herumtreibenden Soldaten wurden aufgefangen, soweit brauchbar, in die kämpfende Truppe eingereiht, die übrigen entwaffnet und zu Arbeitsdiensten herangezogen, namentlich zu systematischen Verbarrikadierungen sämtlicher wichtigen Straßen und Plätze. Zu der  Panikstimmung in der Zivilbevölkerung, hervorgerufen durch den pausenlosen Art.-Beschuss trat eine hohe Säuglingssterblichkeit, hervorgerufen durch den Mangel an Milch und Trinkwasser, Kindermord durch die eigenen Mütter und Selbstmord waren häufige Erscheinungen. Davon hob sich auf der anderen Seite die tapfere Haltung mancher Frauen ab, die beim Löschen von Bränden, beim Bergen von Verwundeten unter Einsatz ihres Lebens einem großen Teil der männlichen Zivilbevölkerung ein Vorbild sein konnten. Zu erwähnen sind besonders zwei Nachrichtenhelferinnen und eine Wehrmachtshelferin, die freiwillig bis zum letzten Abtransport von Frauen und Kindern bei der Truppe ausharrten und ihren Dienst in vorbildlicher Weise versahen. An die kämpfende Truppe mussten außergewöhnlich hohe Anforderungen gestellt werden. Der hohe Grundwasserstand machte fast in allen Abschnitten ein Eingraben unmöglich, sodass die Truppe dem massierten Feuer der schweren Feindwaffen fast deckungslos ausgesetzt war. Hierzu kam ein fast pausenloser Kampf mit weit überlegenem Gegner ohne die Möglichkeit auch nur eines zeitweiligen Herausziehens. Die schlechten Trinkwasserverhältnisse zeitigten überall schwere Verdauungsstörungen, die die körperliche Widerstandskraft der Besatzung beeinträchtigten.

Die Leistungen der Truppe waren dennoch erstaunlich. Sie musste sich im Häuserkampf feindlicher Panzer, Pak und Flammenwerfer erwehren. Ohne jede eigene Pak wurden 28 Feindpanzer vernichtet, davon 12 mit Nahkampfmitteln, die übrigen durch Flak und Artillerie. Weitere Feindpanzer wurden zweifellos in nicht feststellbarer Zahl in den Bereitstellungsräumen durch die eigene Schiffsartillerie vernichtet. Weiterhin wurden mit Sicherheit vernichtet oder erbeutet: 15 Pak, 9 leichte Geschütze, 8 Granatwerfer, 2 Flammenwerfer, 10 MG., zahlreiche leichte Infanteriewaffen und 9 LKW.

Die Menschenverluste des Feindes waren außerordentlich gross. Nach Gefangenenaussagen war der Gegner schließlich gezwungen, seine Trosse in vorderster Linie einzusetzen. Nach vorsichtiger Schätzung, erhärtet durch Gefangenenaussagen hat der Gegner bis zu 50% Verluste gehabt.

An diesen Erfolgen war die Festungs-Art.-Gruppe Schleiff wesentlich beteiligt. Trotz ihrer improvisierten Aufstellung während der Kampfhandlung entlastete sie die Truppe immer wieder spürbar durch ihre Wendigkeit und Treffsicherheit. Dies war besonders der Tatkraft und den hohen artilleristischen Fähigkeiten des Majors Schleiff zu verdanken. Ebenso war es besonders sein Verdienst, dass die Zusammenarbeit mit der unterstützenden Schiffsartillerie der Zerstörer 34 und 43 reibungslos funktionierte. Ohne diese Unterstützung wäre ein 14-tägiges Halten Kolbergs zweifellos nicht möglich gewesen.

Wenn auch die Zusammenarbeit mit dem Einsatzleiter, Freg.Kpt. Kolbe, nicht ganz reibungslos war, so gelang es trotzdem, bis zum 16.3. 70 000 Zivilpersonen, unbewaffnete Organisationen und Nichtdeutsche abzutransportieren. Weitere 5 1/2 Tausend Wehrmachtsangehörige und Kampftruppen wurden am 17. und 18.3. abtransportiert.

Seit Beginn der Belagerung von Kolberg standen dem Festungskommandanten an Truppen etwa 3300 Mann zur Verfügung, davon im Infanterieeinsatz etwa 2200. Davon fielen im Verlaufe der Kampfhandlungen etwa 2300 Mann aus. Die Verluste wurden laufend durch Aussiebung der unbewaffneten Soldaten sowie durch Neuzuführung des Bat. Kell ergänzt. So wurden in der Nacht vom 17. zum 18.3. noch etwa 2000 Mann kämpfende Truppen, davon etwa 1200 Infanteristen, abtransportiert.

An schweren Waffen standen zu Beginn der Belagerung zur Verfügung:
8 1FH., 7 Flak 10,5 cm, 7 Flak 3,7 cm, l Flak 2 cm, 820 Schuss schwere Wurfkörper in 16 behelfsmäßig vorbereiteten Feuerstellungen sowie das Festungs-MG.-Bat. 91 (M) und der Panzerzug Hptm. Römig. Am 17.3. abends waren noch einsatzbereit: 3 1FH., l Flak 3,7 cm, 2 Flak 2 cm und mittl. Granatwerfer,
(8, 10 FN, 18,7 Flak, 10,5 Flak, 3,7 cm, Flak 2 cm, 820 Schuss schwere Wurfkörper in 16 behelfsmäßig vorbereiteten Feuerstellungen sowie das Festungs-MG.-Bat. 91 (M) und der Panzerzug Hptm. Römig. Am 17.3. abends waren noch einsatzbereit: leichter F.N.13, 1 Flak 3,7 cm, 2 Flak 2 cm und mittl. Granatwerfer. Beim Abtransport wurden mitgenommen: 6 mittl. Granatwerfer,) alle übrigen schweren Waffen wurden unbrauchbar gemacht, ebenso Lebensmittel-, Treibstoff- und Munitionsvorräte.


Dem Feind fiel eine völlig niedergebrannte und verwüstete Stadt in die Hand. Der Dom ist eine ausgebrannte und schwer beschädigte Ruine. Sämtliche Persante- und Holzgrabenbrücken sind gesprengt. Der Bahnhof mit Gleisanlage ist zerstört, die Verladeeinrichtungen am Hafen für lange Zeit unbrauchbar. Dies ist der Gewinn, den der Feind mit sehr hohen Blutopfern erkaufte, aber auch der Preis, um den es gelang, 75 000 Menschen dem Reich zu erhalten.

Mittwoch, 29. August 2012

Der Ort am Meer

So selbstverständlich in Polen die Eingliederung Kolbergs als polnische Stadt angesehen wird und so verständlich die Freude über die erste Stadt am Meer für die Polen ist, die Stadt hat nun mal auch eine deutsche Geschichte. In ihr lebten meine Vorfahren väterlicherseits, abstammend von Julius Dreyer sen. sind dies die Gebrüder Johannes und Julius Dreyer mit ihren Familien und der später nach Kassel verzogene weitere Bruder Kurt Dreyer, außerdem auch die mit ihnen befreundete Familie Fabricius mit Anhang.


Doch nun zur Geschichte Kolbergs:  

Die Stadtbeschreibung Kolberg nach Neumann 1894 sagt dazu folgendes:

Stadt an der Persante (3 km von deren Mündung in die Ostsee); ...Bahnhof der Linie Belgard-Kolberg der Preußischen Staatsbahn und der Altdamm-Kolberger Eisenbahn; Reichsbanknebenstelle, Vorschussverein, Landratsamt, Amtsgericht, 4 Konsulate fremder Länder, Hauptsteueramt, 4 evangelische Kirchen (Marienkirche), 1 katholische Kirche, 1 methodistische Kirche, Synagoge, Gymnasium mit Realgymnasium, adliges Fräuleinstift, Waisenhaus, Denkmal Friedrich Wilhelms III. auf dem Mark, Rathaus, Zucht- und Arbeitshaus, Eisengießereien, Maschinenfabriken, Tabaksfabriken, Dampfsägemühlen, Ziegelbrennerei, Solbad, Fischerei, lebhafter Handel (Reederei 1891: 9 Seeschiffe zu 1.732 Registertons). Der Hafen der Stadt, Kolbergermünde mit eigenem Post- und Telegraphenamt, Rettungstation für Schiffbrüchige, Seemannsamt, Seebad, Leuchtfeuer, an der Mündung der Persante in die Ostsee (westlich die Maikuhle), ist befestigt, während die Festungwerke der Stadt beseitigt sind. Geschichte: Kolberg war die alte Hauptstadt des Kassubenlandes, erhielt 1255 deutsches Stadtrecht und kam 1277 an das Bistum Kammin; es nahm 1530 die Reformation an, wurde 1653 von den Schweden an Brandenburg übergeben, im Siebenjährigen Krieg 1758, 1760 und 1761 dreimal von den Russen belagert, nur das letzte Mal eingenommen, nochmals 1807, aber vergeblich, von den Franzosen (Gneisenau, Schill, Nettelbeck).. Kolberg besitzt eine reiche Kämmerei (1660 ha Holz).

Das Ende des deutschen Kolbergs 1945


Überall kämpfte die Wehrmacht im 2. Weltkrieg an der Ostfront seit Jahren ums Überleben. Der Krieg wurde dennoch so geführt, als ob man ihn gewinnen könne. Am Ende ging es aber nur noch darum, möglichst viele Zivilisten zu retten. Seit Monaten herrschte in Kolberg bereits Aufregung wegen der eintreffenden Flüchtlinge aus Ostpreußen. Der Zivilbevölkerung verweigerte man jedoch die rechtzeitige Evakuierung mit dem Hinweis, der Russe sei zurück geschlagen und nichts zu befürchten. Derweil flüchteten die Nazis samt Anhang bereits mit Bussen und den letzten Zügen, die am Morgen des 3. März 1945 Kolberg verließen. Die Stadt wurde vorher von den Nazis zur Festung erklärt, ein neuer Kommandant Anfang März 1945 ernannt.

Die militärische Lage besagt: „Truppen der Sowjets erreichen das Stettiner Haff, das Gebiet vor Kolberg und Dievenov den Übergang nach Wollin.“

Es kam unweigerlich zur Einkesselung von Zivilisten und restlichen Truppen u.a. auch in Kolberg. Ca. 3200 Mann inklusive schlecht bewaffnetem Volkssturm sollten die Stadt so lange wie möglich halten. Am 3. März 1945 wurden die Volkssturmmänner aus ihren Häusern gerufen. Erst am Folgetag begann die Evakuierung von Flüchtlingen. Die Versorgung der Stadt bricht zusammen. Am 5. März 1945 beginnt der Beschuss durch russische Truppen. Die Panzersperren werden durchbrochen und in den folgenden Tagen von Haus zu Haus gekämpft. Vom Hafen erwidern deutsche Kriegsschiffe das Feuer der sowjetischen Artillerie.

Der Beschuss insbesondere mit den Stalinorgeln und zusätzlich Luftangriffe machen die Zivilbevölkerung panisch. Wer es schafft, bis zum Hafen durchzukommen (über die Persante führt nur eine Notbrücke und alles liegt unter Beschuss), steht im großen Gedränge und läuft Gefahr von hinten in das Hafenbecken gestoßen zu werden. Viele ertrinken dabei. Manche verharren apathisch in den Kellern und müssen von den Soldaten heraus geholt werden. Am Hafen entschied sich das Überleben und wurden Familien getrennt. So verstarb am 11.3.1945 Adalbert Fabricius, seiner Frau Emilie gelang die Flucht. Trotz allem wurde im Krankenhaus noch operiert, bis dann die Verwundeten und das Personal evakuiert werden. So hält eine Kampflinie noch bis 15. März 1945.

Erste polnische Soldaten wollen in die Stadt. Das Ende zeichnet sich ab. Mehrere Zerstörer verlassen mit Truppen und Flüchtlingen Kolberg. Diese Zerstörer hatten mit in den Kampf eingegriffen. Erst am 18.3.1945 bereiten die Verteidiger ihre Evakuierung vor. Lediglich 350 Mann sollen in Feindeshand geraten sein. Was mit verbliebenen Frauen und Männern passiert, muss hier nicht beschrieben werden. Es ist die Rache der Sieger. Die Toten auch der Sieger werden monatelang unbeerdigt bleiben. Selbst die Maikuhle, das kleine Wäldchen westlich des Hafens ist total zerschossen.


Kolberg - eine Stadt nimmt Gesicht an:


 Die Straße heißt heute: Armii Wojska Polskiego.

Kolberg lebte vom Fischfang und der Salzgewinnung, bevor die Stadt zum Kurort wurde. Das Klima und die Sole machten aus der ehemaligen Hansestadt ein Kurbad.

Kaufleute waren sie, die drei Brüder, Kinder des Fleischermeisters Julius Dreyer sen. Jeder auf seine Weise und nicht jeder dazu geboren. Während Sohn Julius in die Fußstapfen des Vaters tritt,
übernimmt Johannes (mein Großvater) nach seiner Marinezeit einen Kolonialwarenladen und führt ihn mit seiner Frau Elisabeth geb. Prohl. Kurt Dreyer, der dritte Bruder, wird nach seiner Militärzeit Handlungsreisender und wird Kolberg vor 1924 der Liebe wegen verlassen. Seine Frau Paula (eine geborene Kaminski hat er als Soldat kennen gelernt.
Johannes dagegen bleibt in Kolberg und hat bereits zwei Kinder, erst den Sohn Werner 1913 und schließlich Tochter Frieda, die am 30.11.1914 geboren wird. Es sind keine einfachen Zeiten. Der erste Weltkrieg hat begonnen, viele Männer sind freiwillig ins Feld gezogen, doch zu Weihnachten, wie gedacht, sind sie nicht zurück.
Julius jun. und Johannes wohnen beide in der Kolberger Altstadt. Johannes ist in der Lindenallee und später in der Gneisenaustrasse zuhause.
Das Haus Gneisenaustrasse 8 gehörte ehemals der Kösliner Actienbrauerei.  Ein Freund der Familie ist stets der Schornsteinfegermeister Adalbert Fabricius. Seine Schwägerin Anna ist um 1911 bereits verwitwet und lebt um 1911 in der Lindenstrasse. 1924 findet sich ihre Eintragung hier nicht mehr. Adalbert hat eine Frau, Emilie, geb. Finger und ein Kind lebt bei ihnen. Vorher aber noch einmal die in den Adressbüchern dokumentierten Personen und deren Aufenthaltsorte in Kolberg:
1911:
Julius Dreyer sen. Fleischermeister , Lindenstrasse 50;
Julius Dreyer jun. Fleischermeister , Lindenstrasse 50;
Johannes Dreyer Kaufmann, Lindenalleee 48;
Adalbert Fabricius Bezirksschornsteinfegermeister , II. Pfannschmieden 27;
Anna Fabricius geb. Beduhn verw. Bezirksschornsteinfegermeisterin, Lindenstrasse 18.
1924:
Julius Dreyer Fleischermeister , Lindenstrasse 50;
Johannes Dreyer Kaufmann, Gneisenaustrasse 8;
Adalbert Fabricius Bezirksschornsteinfegermeister , II. Pfannschmieden 27.

Als das jüngste Kind von Johannes Dreyer, Tochter Frieda also geboren ist, gibt es Lebensmittel nur gegen Marken und die Seeblockade Englands bewirkt, dass es Kolonialwaren eigentlich nicht mehr gibt. Man muss sich mit dem begnügen, was im Inland verfügbar ist. Man kennt sich in Kolberg und im Umland, gute Kontakte sind überlebenswichtig. So fehlen Johannes und seine Frau Elisabeth auf keiner Feier, auch wenn nun offiziell wenig gefeiert wird. Die Leute sagen, Johannes habe sich kaputt geraucht und auch seine Frau (eine gebürtige Danzigerin) musste den Belastungen Tribut zollen.  Die Inflation nach Kriegsende verführt manch einen dazu, durch den Verkauf von Grundstücken oder Häusern utopische Preise zu erzielen, um Geschäftsverluste vermeintlich auszugleichen. Der Erlös aber war schon bald nichts mehr wert. Davon mag Johannes bei seinem Hauskauf profitiert haben. Mit der Umstellung 1923 in die Renten- und später die neue Reichsmark geht es zunächst wieder bergauf. Ende der zwanziger Jahre ist die Arbeitslosigkeit recht hoch und es bahnt sich die Weltwirtschaftskrise an. Waren sind genug vorhanden, das Geld aber fehlt. Das Leben der beiden Kinder Frieda und Werner spielte sich wegen der Geschäftstätigkeit der Eltern schon früh sehr selbstständig ab. Oftmals waren sie bei der Familie Fabricius, die sich anstelle der Eltern um die beiden kümmerte. Frühzeitig musste auch Werner die Verantwortung für seine Schwester übernehmen. Obwohl Frieda sehr lebenslustig war und vor Energie sprühte, hatte sie doch von Anfang an Probleme mit der Lunge, die durch die knappe Ernährung während der ersten Lebensjahre ungünstig beeinflusst wurden. Tb war in Kolberg eine häufige Erkrankung. So kam es, dass beide Eltern daran erkrankten. Vielleicht begünstigt vom Kontakt mit dem Publikum im Geschäft, unter denen sicher auch der ein oder andere Kurgast war, und auch durch die Lebensweise bedingt, die nicht unbedingt gesundheitsbewusst genannt werden kann, erkrankten beide Eltern daran. Im Februar 1929 schließlich verstarb Johannes Dreyer. Da die Mutter bereits ebenfalls stark beeinträchtigt war und die Gefahr einer weiteren Ansteckung durch die offene Tb gegeben war, sprach alles dafür, Frieda den Aufenthalt in einer Lungenheilstätte zu ermöglichen. Adalbert Fabricius besprach dies mit dem Onkel Kurt in Kassel, der von einer entsprechenden Anstalt in Kaufungen bei Kassel wusste. Dort war gerade ein neues Patientenhaus für Kinder eröffnet worden, somit sollte die Aufnahme kein Problem sein. Die Mittel für die Einweisung in eine Heilkur wurden immer weniger, aber Adalbert konnte erreichen, dass die Kur schnellstens nach der Beerdigung des Vaters bewilligt wurde. Ende Februar oder Anfang März 1929 brachte Adalbert Frieda zum Bahnhof in Kolberg und in Kassel sollte Onkel Kurt sie in Empfang nehmen und nach Kaufungen bringen. Ironie des Schicksals ist es, dass dem Mädchen in einem Kurort für Lungenkranke nicht geholfen werden konnte.

Neben der Altstadt gibt es in Kolberg das Kurviertel, in dem die beiden Kinder ja zu hause waren. Hier spielte sich das Leben auf der Strandpromenade ab, wo die Patienten und ihre Besucher flanierten. Das Strandschlösschen mit seinen Kurkonzerten, die Seebrücke und das Damenwäldchen, aber auch die Altstadt mit ihren Parks und Bürgerhäusern, der Persante mit ihren Weidenbäumen, das Maikuhlewäldchen mit dem Ausflugslokal, all das sollte Frieda bald vermissen. Wie gern wäre sie mit Adalbert und seiner Kutsche wieder an der Persante entlang gefahren.

Exkurs: Kolberg - Weihnachten 1941  

Kolobrzeg
  
Mit donnerndem Krach und einem klirrenden Geräusch knallt mein Schädel vor die Unterkante der Stahlwand über dem Ausgang der Fähre, die uns von Ahlbeck nach Misdroy auf der Insel Wollin gebracht hat. Zwar hatte ich den Kopf schon gesenkt, aber eben nicht tief genug. Der Aufprall entlockte sogar ein paar deutschen Touristen einen Schreckensruf. Ich pralle ein wenig zurück und steige dann doch aus. Wie immer hält das Schicksal für mich ein paar Unannehmlichkeiten bereit, wenn ich etwas zu sehr will. Heute ist es meine Mission, Kolberg zu besuchen, die Stadt meiner Ahnen väterlicherseits. Das polnische Kolobrzeg ist also mein Ziel und davon werde ich mich nicht abbringen lassen. Zum Glück habe ich eine Mütze auf dem Kopf gehabt und die Haare sind auch nicht zeitgemäß kurz geschnitten. Es blutet erkennbar nichts und bis auf den relativ schnell vergänglichen Akutschmerz scheine ich auch sonst keine Nachwirkungen zu haben. Wahrscheinlich hängt alles bloß damit zusammen, dass ich meine Aufregung mit einem vermeintlich günstigem Glas Bier schon zu sonst ungewohnter Stunde dämpfen wollte. Meiner Aufmerksamkeit beim Ausstieg hat das nicht geholfen. Auf der Seebrücke, die ganz anders als auf Usedom schon zu dieser Zeit gut gefüllt ist (wir haben noch frühen Vormittag) empfängt uns Robert, unser polnischer Reiseleiter. Er sieht so aus, wie man sich einen Slawen vorstellt. Dunkelhaarig und klein und mit sehr viel Sinn für hintersinnigen Humor und Doppeldeutigkeiten ausgestattet.
Dass ich wegen des Biers auf dem Schiff nicht mehr auf Toilette gegangen bin, merke ich jetzt.
Macht nichts, ich bin entschlossen, auch das durchzuhalten bis Kolberg. Robert erzählt viel über die Polen nach dem Krieg und heute. Auch über das Ende Kolbergs weiß er einiges. Unter anderem, dass 1943 die 1. polnische Armee aufgestellt wurde und das polnische Soldaten Kolberg eroberten. Das Stalin bestimmt kein Freund der Polen war und die Sowjets ganz einfach nicht den hohen Blutzoll allein tragen wollten, der bei den harten Kämpfen um Kolberg und später auch um Berlin zu erwarten war, kommt nicht zur Sprache. Polnischer Befreiungskampf ist eher das Motto. Kolberg, slawische Staatsgründung, soll nie wieder aufgegeben werden, so schworen es die Eroberer. Diese Stadt scheint eine wahnwitzige Tradition zu haben. Zwischen Wollin und Kolobrzeg liegen an der Küste militärische Sperrgebiete, sodass wir nicht direkt an der Küste entlang fahren können. Stattdessen sind wir ca. 10 km hinter der Küste unterwegs und erreichen schließlich das kleine und gut erhaltene Städtchen Treptow und endlich Kolobrzeg. Völlig unspektakulär beginnt die Stadt völlig austauschbar mit Tankstellen und anderem Gewerbe. Wir überqueren die Parseta und sehen links von uns einen Ring von Hochhäusern, der in etwa mit der Grenze der ehemaligen Altstadt zusammen fällt. Links von den Plattenbauten ist also die Altstadt, rechts die Neustadt. Schnell wird mir klar, dass ein alter Stadtplan hier nichts bringt. Der Plan ist ein schlechter, sagt Robert, als er meinen historischen Stadtplan von 1931 sieht. Unser Bus hält an einem großen Platz, auf dem ein Gemüsemarkt statt findet. Roberts Finger zeigt auf den Kaiserplatz. Hier werden wir wohl sein. Die alte Bebauung Kolbergs soll maximal zweistöckig gewesen sein, später werde ich sehen, dass es durchaus höhere Bürgerhäuser, z.b. im Jugendstil, gegeben hat. Somit ist bei der Wiederbebauung zumindest in Bezug auf die Höhe der Häuser historisch alles richtig. Wir gehen an einer Häuserzeile mit vielen Trödelläden vorbei, davor findet sich ein kleiner Platz mit Blick auf den Kolberger Dom, die Marienkirche. Diese Strasse wird von den Einheimischen die Goldgasse genannt und müsste der früheren Schmiedegasse entsprechen, eine der ältesten Straßen Kolbergs. Die wieder aufgebaute Altstadt entstand erst in den Achtziger Jahren, die großen Plattenbauten rings herum sind älter. Gern haben die Polen alte und verfallende Wohnungen und Häuser aufgegeben, um in einem modernen Plattenbau zu wohnen. Die Belegung der von den Deutschen hinterlassenen Häuser durch polnische Vertriebene erfolgte nicht sofort nach dem Krieg. Es kamen auch nicht so viele Menschen, wie zuvor vertrieben wurden. In Kolobrzeg, wo 90% der Häuser zerstört waren, musste schnellstmöglich neuer Wohnraum entstehen.
"Wir Polen sind keine Kirchenzerstörer." Sagt Robert. In der Tat wurden jedoch auch die noch erhaltenen Kirchen in Kolberg, z.b. die Münderkirche, in den Fünfziger Jahren abgetragen.
Lediglich der Dom blieb schwer beschädigt erhalten. Die Kirche konnte erst in den Siebziger Jahren wieder aufgebaut werden, nachdem durch die deutsche Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze Rechtssicherheit auch für die Kirche geschaffen wurde und auch hier die Verantwortung endgültig bei Polen lag. Der Wiederaufbau der Kirche erfolgte so authentisch wie möglich. So entschlossen sich die Polen, schiefe Säulen auch wieder schief aufzubauen, da sonst das Kirchenschiff kleiner als ursprünglich ausgefallen wäre. Gerettete Gegenstände aus der deutschen Zeit stehen an verschiedenen Plätzen. Robert meint, durch die Reformation sei eine Trennung der deutschen und der slawischen Bevölkerung Kolbergs entstanden.
Die Deutschen waren nun protestantisch. Draußen zeigt uns Robert ein Denkmal, das Kolberger Bürger anlässlich des 1000. Geburtstags Kolbergs gestiftet haben. Es soll den Verlauf der deutsch-polnischen Geschichte symbolisieren. Ganz oben verbindet eine Taube die beiden Säulen. Tatsächlich ist die Geschichte Pommerns und Kolbergs keineswegs so eindeutig von einer Seite dominiert worden, wie es gern von polnischer oder deutscher Seite dargestellt wird. Es war ein wechselhafter Kampf zwischen pommerschen Herzögen und Polen, schließlich kamen die Schweden und mit dem Verschwinden Polens wurde Pommern preußisch.
Draußen sind wir wieder in einer fremden Welt. Polen feiert an diesem Tag, dem 2. Mai 2008 den Tag der Fahne, Es ist Feiertag. Robert hat für uns ein Essen in einem Lokal bestellt. Unsere stille Reisegesellschaft hat sich mehrheitlich für sein Angebot entschieden. Wir können im lokal mit Euro bezahlen.
Im Henkerhaus essen wir ziemlich ungewürzte und soßige Schweinelendchen mit Pfifferlingen oder Lachs mit Gemüse. Robert isst nicht mit uns. So ist es recht still. An unserem Tisch sitzt ein alleinreisender Mann aus Ostfriesland. Unser Tischnachbar taut etwas auf, nachdem ich ihm von meinen Vorfahren aus Kolberg berichtet habe. Wir reden dann hauptsächlich über das Kriegsende, darüber hat er gelesen. Ob das Haus wohl ein altes ist, das werde ich später nachlesen müssen. Die dunklen Holzvertäfelungen mit den Gemälden lassen darauf schließen. Nach dem Essen ist die Altstadtbesichtigung zu Ende. Ich wollte eigentlich Ansichtskarten kaufen, das ist aber nicht so einfach. Die Karten sind mit Nummern versehen, diese müsste ich dann einer polnischen Verkäuferin durchgeben. Ich lasse das, versuche ein paar Straßenschilder zu entdecken, was mir aber nicht gelingt. Robert ist auch zurück und wird gleich im Bus erzählen, dass der Bürgermeister heute noch auf dem Platz eine Rede halten wird. Auf der Bühne probt schon eine Musikband für ihren Auftritt.
Der Weg soll uns nun zum Kurviertel führen, wir fahren durch die Neustadt, stoßen an einem Kreisel auf die Straße nach Koszalin (Köslin), die weiter Richtung Danzig führt. Die Plattenbauten der Neustadt grenzen direkt an den Park hinter den Dünen. Bei den Hotels handelt es sich zumeist um ehemalige Erholungsheime für die Beschäftigten der staatlichen Betriebe. Der Bahnhof liegt links von uns, an ihm konnte ich mich aufgrund meines alten Plans orientieren. Die Altstadt und das Kurviertel sind über eine Brücke über die Gleisanlagen zu erreichen. Das, so Robert, bereitet den Senioren oft Probleme. Probleme hat auch unser Busfahrer mit der Parkplatzsuche. Abseits des Kurviertels führen viele Straßen zum Strand quer durch einem Laubengang ähnlichen Park. Wir steigen schließlich an einem Halteverbotsschild aus. Durch ein Spalier von Verkaufsständen gelangen wir geraden Wegs zum Strand. Für die Seebrücke müssten wir Geld bezahlen, also sparen wir uns den Besuch. Links von uns befindet sich der Park, es ist das sogenannte Damenwäldchen. Östlich der Seebrücke befand sich früher das Strandschlösschen. Darüber berichtet Robert nichts. Wir kommen nun an einem Denkmal der Eroberer Kolbergs vorbei. Die Namen der Einheiten sind dort genannt, ebenso einiges an Symbolik zur früheren slawischen Geschichte des Orts. Immer wieder wird eine Brücke aus grauer Vorzeit in die Nachkriegszeit geschlagen. An derselben Stelle stand früher ein anderes Denkmal. Schließlich erreichen wir den Leuchtturm und wieder etwas, was ich auf Anhieb erkenne: die Mündung der Persante ins Meer, begrenzt durch die beiden Molen. Ich werfe einen Blick auf den Fluss und das gegenüberliegende Wäldchen. Robert erzählt nichts darüber, über den Leuchtturm weiß er umso mehr. Der ist 1945 wieder aufgebaut worden. Die Deutschen hatten ihn gesprengt, um der Artillerie kein Ziel für den Beschuss zu bieten. Der russische Stadtkommandant wollte die Versorgung der Stadt sichern, der Hafen war vermint und so mussten gefangene Deutsche den Leuchtturm wieder aufbauen. Dabei wurde das alte Fundament genutzt.
Drei Wege sollen uns zum Bus zurück führen, einer am Fluss entlang, einer durch die Mitte und der letztere zur Seebrücke zurück. Am Hafen entstehen überall Apartments, das Bild eines durch und durch touristischen Badeorts ist bestimmend. Ich fühle mich durchaus unbehaglich, den gemütlich sind die aufgeschnappten Gesprächsfetzen aus der Unterhaltung drei junger Deutscher, die über den Umgang mit Geld reden, nicht. Auch das Angebot der Verkaufsstände ist sehr unübersichtlich. Wir wollen eine Waffel kaufen, die Preise sind günstig, wenn man Zloty in Euro umrechnet. Für einen Euro sollte das gehen. Die Verkäuferin weigert sich jedoch, unseren Euro anzunehmen. Wir sehen weder eine italienische Eisdiele noch eine Fischbraterei. Dafür hätten wir auf Bernsteinschmuck gern verzichtet.
Als ich auf einen Kettenanhänger zeige, nimmt ihn die Verkäuferin gleich aus der Vitrine, um ihn uns zu zeigen. Ich winke ab. Wir sind beide rechtzeitig am Bus und froh, dem Menschengewimmel zu entkommen. Der Park ist von einem deutschen Gartenbaumeister angelegt worden, ein polnischer hat sich nach dem Krieg darum gekümmert und entsprechend wird sein Name gewürdigt. Immerhin ist die Erläuterung auch in deutsch auf der Hinweistafel zu finden. Der Park erweckt in mir ein Gefühl der Vertrautheit, wie eine dichte Decke scheinen die Baumwipfel auf meinem Gemüt zu liegen. Der Bus steht noch nicht direkt am Ausgangspunkt. Pünktlich fährt er dann vor. Wer nicht kommt ist unser ostfriesischer Tischnachbar. Auch nach einer Viertelstunde nicht. Robert telefoniert und schaut in der Jacke des Mannes nach. Wir müssen fahren, denn wir brauchen eine bestimmte Zeit, um unsere Anschlussfähre nach Swinemünde zu erreichen. So bleibt also einer von 13 in Kolobrzeg zurück. Ich frage mich, wie man von hier aus nach hause kommen will. Wir verlassen Kolobrzeg, fahren am Hafen vorbei, überqueren die Persante auf einer anderen Brücke, rechts von uns das Maikuhlewäldchen. Im Fluss sprudeln Quellen. Das Solewasser darf von allen Bürgern kostenlos genutzt werden. Es wird, wie auf dem Markt schon gesehen, gern zum Einlegen von Gemüse genutzt. Wir passieren etliche Kasernen, die für die Deutschen in den letzten Kriegstagen von strategischer Bedeutung waren. Robert sagt immerhin, dass das Hauptanliegen der Verteidiger die Rettung der Flüchtlinge war und dass durch die Sprengung des Leuchtturms ein Versenken der Schiffe nicht erfolgen konnte. Wir verlassen die Stadt völlig undramatisch, überqueren die Schienen einer Kleinbahn, und sind bald wieder auf dem Weg nach Treptow.

Kolberg - ein Nachwort

Es gibt eine Zeit vor meinem Kolberg-Besuch und eine danach. Pommernland ist abgebrannt, soviel ist sicher. Mit ihm sind die Sitten und Gebräuche verschwunden. Da ein Teil Pommerns bei Deutschland verblieben ist, kann man sich jedoch leicht einen Einblick in die Lebensweise der Pommern verschaffen.
Das nachstehende Bild habe ich vor meiner Fahrt angefangen und danach beendet.



Auch wenn die Illusionen des Gelesenen in der Realität schnell zerplatzen, wenn man über eine geographische Intuition verfügt, dann stellt sich eine gewisse Vertrautheit ein. Man stellt sich vor, wie anstelle des quirligen polnischen Badeorts hier einmal eine norddeutsche Kleinstadt lag, die auch Kurort war. Man setzt Lebensläufe in Bezug zu geografischen Punkten. Beim Anblick der jungen polnischen Mädchen in ihren Spitzenstrumpfhosen unter kurzen Röcken denke ich an Frieda. Auch sie wird sich schön gemacht haben auf der Suche nach Liebe. Das Leben wiederholt sich und aus dem Vergessen entsteht Geschichte.
Das Meer vor Kolberg ist auch im Sommer mit 18 Grad zu kalt zum Genussbaden, der Strand nicht so breit wie zum Beispiel vor den Kaiserbädern auf Usedom. Es ist nicht alles Gold, was glänzt, schon gar nicht in Kolbergs Goldgasse, der restaurierten Häuserzeile in der "Altstadt".
Wenigstens gab es beim Verlassen von Kolberg dieses Mal keine Verluste. Der verschollene Reisegast ist an gleichen Tag noch nach Heringsdorf zurück gekehrt. Er hatte sich rettungslos verlaufen, landete bei der Polizei, dort musste ein Dolmetscher gefunden werden. Man empfahl ihm, ein Taxi zu nehmen und so zahlte er 150 € für die Rückkehr. Es ist ihm sonst nichts weiter passiert. Da ich erwartungsgemäß keine neuen Informationen über meine Familie gewinnen konnte und die Toten auch nicht reden, stütze ich mich im nachfolgenden auf meine Recherchen von 1985/1989 bei der Heimatortskartei und verschiedenen Telefonaten von damals. Dazu kommen Einträge aus Adressbüchern sowie Urkunden.
Was immer mir das Schicksal an Hinweisen geben mag, ich bin dankbar dafür.

Kleine Magie der Zahlen
  
Am 30.11.1914 wird Frieda, meine Großmutter, in Kolberg geboren, am 30.11.1934 meine Mutter. Am 25.12.1943 fällt mein Großonkel Werner in Russland, am 25.12.1998 stirbt meine Mutter. Nur mein Vater ist einen Tag später dran. Kolberg fällt am 18.3.1945, am 19.3.2007 stirbt mein Vater, der Kolberg ja nie sehen durfte. Ein Schelm, der da Zusammenhänge sieht.

Zusammenhang

Nichts im Sinn habe ich mit der Verdrehung historischer Zusammenhänge. Das das Thema der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten für die Polen heikel ist, ist sehr verständlich. Die Polen in Pommern sind selbst Vertriebene und derer gedenkt kein Mensch in Deutschland. Dazu kommt nun einmal die historische Tatsache, dass Deutschland einen unsinnigen Krieg angefangen hat und dabei vor allem im Osten barbarisch aufgetreten ist.
Wie hätten sich deutsche Truppen damals verhalten, wenn wir überfallen worden wären und hinterher als Sieger in Polen einmarschiert wären? Man mag nicht daran denken.
Demzufolge sind Touristen gern gesehen in Polen, nicht jedoch Menschen, die irgendein Erinnern an erlittenes Leid konservieren wollen. Die Veteranen der Kämpfe um Kolberg haben sich die Hand gegeben, damit ist die Sache für die Polen erledigt und ich meine, wir sind gut bedient damit. 
Als ich auf der Promenade bei Heringsdorf mit dem Fahrrad von hinten mal wieder angeklingelt werde, weil ich nicht rechtzeitig in die Büsche springe, um dem Hintermann freie Fahrt zu ermöglichen, denke ich an Robert. Es ist gerade diese Rechthaberei und der Egoismus, der Deutschland so beliebt macht in der Welt. Stolz sein, so wie Robert, auf die typisch slawische Bauweise von Häusern ohne Mörtel, das ist in Ordnung. Das hat aber nichts mit Aggression zu tun. Aber noch und längst stehen die Zeichen in Deutschland auf Versöhnung. Man gesteht Lukas Podolski sein polnisches Herz zu, wenn er für Deutschland Tore gegen Polen schießt, im Fußball. 
  
1929
  
"Vorschriftsmäßige Liegekuren in jeder Jahreszeit, vorgeschriebene Spaziergänge und Wasserbehandlungen und gute, abwechslungsreiche Nahrung mit Durchführung einer zweckmäßigen Hausordnung sowie das Rauch- und Wirtshausverbot, bedeuten das A und O der Tuberkulose-Bekämpfung, wie sie hier oben durchgeführt würde. Auch sei man nach anfänglicher Skepsis zum Gebrauch von spezifischen Heilmitteln geschritten. Seit 1910 werde auch die Höhensonne angewandt...
Am 15. Oktober 1928 konnte das dritte Patientenhaus, das als Kinderheilstätte mit 40 Betten vorgesehen war, feierlich eröffnet werden. In achteinhalb Monaten stand der Bau. Ermöglicht hatte dies eine für die damalige Zeit neuartige Baumethode. Auf den massiven Unterbau befestigte man die Fertighaus-Holzkonstruktion,
Dieser große, rechtwinklig angelegte Baukörper auf dem schönen Grundstück in Südhanglage bot einen weitreichenden Fernblick. ..
Außerdem kam es zur Anschaffung eines neuen Röntgenapparates. Wirtschaftlich gesehen war 1929 wohl das schwierigste Jahr seit der Inflation. Zudem gab es noch 1928/29 einen außergewöhnlich starken Winter, der die Belegungszahlen bis April stark absinken ließ."
(Aus Geschichte der DRK Klinik Kaufungen)
Das Jahr 1929 war aber auch das Schicksalsjahr für Frieda. Onkel Kurt besuchte sie regelmäßig in Kaufungen und sie gingen in der Parkanlage oft spazieren. Frieda war sich ihrer Trauer kaum bewusst, es war, als stünde sie noch unter Schock, auch ihre eigene gesundheitliche Situation nahm sie nicht so ernst. 
Alles in allem waren ihr die Menschen hier so fremd. Man ist im nordhessischen Land nicht nur autoritätstreu, man hält sich auch daran. Die Überwachung ihrer Teilnahme an allen Heilmaßnahmen erschien ihr hier noch strenger als anderswo.

In der Klinik war ein bekannter und renommierter Lungenarzt für den Vaterländischen Frauenverein tätig. Man müsse Geduld haben, Frieda konnte es sich nicht vorstellen.

Die minderjährige Frieda wurde mit 14 Jahren schwanger.
An ein Ende ihrer Kur oder gar an die Rückkehr nach Kolberg war nicht zu denken. Eine Abtreibung kam aus gesundheitlichen Gründen nicht in Frage, die Ärzte in der Klinik wären nicht bereit, die Verantwortung zu übernehmen. Der Vater wurde jetzt gesucht und Onkel Kurt erwachte aus einem bösen Traum. Zwar gab es noch andere Verdächtige und Frieda selbst behauptete, sich an den Mann nicht erinnern zu können.
Seine Frau jedoch glaubte an all das nicht, schwieg aber.
Frieda konnte auf keinen Fall minderjährig und schwanger nach Kolberg zurück kehren.
Die Nachricht ihrer Schwangerschaft war für ihre Mutter Elisabeth ein Schock, von dem sie sich nicht mehr erholte. Auch wenn sie sich mühte, die Wahrheit zu ergründen, sie hatte keine rechte Kraft mehr dazu. Das Kind war verloren. Bruder Werner hatte es kommen sehen.
Im August 1929 stirbt auch Elisabeth an Tb. Sie folgt ihrem Mann ins Grab, ohne dass ihre schwangere Tochter an der Beerdigung hätte teilnehmen können.
Da beide Kinder noch minderjährig waren und das Erbe der Eltern so früh anzutreten hatten, entstanden die Dreyer'schen Erben. Adalbert und Emilie Fabricius übernahmen, so wie es die Mutter gewollt hatte, die Vormundschaft. Auch sie waren der Meinung, dass das Kind in Kolberg nicht auftauchen dürfe. Es wurde nun ein Vater gesucht, ein Mann, der diese Vaterschaft ohne Schaden übernehmen könnte, denn Kurt Dreyer kam ja nur als Ernährer in Frage und sollte das Kind adoptieren. Es wäre unauffällig, wenn er das Kind seiner minderjährigen Nichte aufnehmen würde.
Adalbert hatte eine Lösung, der Hermann Stahnke, Freund der Familie, Postschaffner a.D., der könnte das machen. Ihm würde kein Schaden erwachsen. Hermann konnte die Not der über Jahrzehnte verbundenen Familien erahnen und ließ sich dazu überreden.
So bekam Kurt's Frau Paula einen weiteren Sohn. Sie würde es erdulden müssen, um Schaden von sich abzuwenden. Die Zeiten waren wirtschaftlich schlecht genug.
Frieda konnte bis zur Entbindung, die im Krankenhaus des Roten Kreuzes in Kassel stattfinden sollte, in Kaufungen bleiben, nun allerdings nicht mehr in der Kinderstation sondern im Frauenhaus.

Die Anstalt war um ihren Ruf besorgt und versuchte den Fall zu vertuschen. Kurt schien nicht anderes im Sinn zu haben, als ihr das Kind zu nehmen. Trotz der schweren Umstände wollte sie das Kind, es würde leben, auch wenn sie selbst nicht daran teil hätte. Sie machte sich keine Vorstellung davon, welche Verantwortung das Kind bedeuten würde. Sie wartete sehnlichst auf die Entbindung, als ihren 15. Geburtstag im Krankenhaus verbrachte. Das Kind wurde auch aus medizinischen Gründen gleich nach der Geburt von ihr getrennt, nur einmal durfte sie es ansehen aus sicherer Entfernung, denn die Gefahr einer Infektion des Säuglings war groß. Mittags, am 6. Dezember 1929 war es geschehen. Der Name de Kindes, meines Vaters, sollte Egon Alfons Christian sein.
Sie war zunächst sehr schwach und musste noch bleiben. Sobald man es aus gesundheitlicher Sicht erlaubte, konnte sie nach Kolberg zurück kehren. Schließlich müsse ja ein Erfolg der Behandlung sichtbar sein.
Frieda sollten ihr noch knapp 10 Jahre ihres Lebens bleiben. Ein Leben in dem Bemühen, das Geschehene zu vergessen, im Kampf um das tägliche Brot noch etwas zu lernen, zumindest einen Freund zu finden, der wohl tunlichst nicht erfahren sollte, dass sie eigentlich schon eine junge Mutter war, das lag vor ihr. Der alte Fabricius kümmerte sich noch immer um sie. Werner hielt zu ihr, auch wenn er so manches Mal sein Unverständnis über das Geschehene durch blicken ließ. Schwierig war der Umgang mit den Jungen, die sie teils noch aus ihrer Schulzeit kannte. Gerüchte über ihr Verhältnis zu einem ganz alten Mann gingen um. Lernte sie mal einen anderen Jungen kennen, so musste sie damit rechnen, dass er alsbald irgendetwas gesteckt bekommen würde. Frieda zog sich in ihre Träume zurück, in denen auch ihr Kind vor kam. Wie mochte der Junge aussehen? Anfangs erfuhr sie noch, dass der Junge gesund sei und später gar nichts mehr. Dem Kind erzählte man, die Mutter sei bei der Geburt gestorben. Sein Vater sei ein uralter Mann. Später erfuhr er die Wahrheit, viel später, da war die Mutter längst tot.
Für Frieda gab es kein gutes Ende. Trotz ihrer Begabung, immer wieder das Beste aus allen Situationen zu machen, erlitt sie im Winter 1938/39 einen schweren Rückfall und verstarb am 21. Januar 1939 im Kolberger Krankenhaus. Sie konnte den Fluss sehen und die Weidenbäume, unter denen sie als Kind so gern gesessen hatte. Bruder Werner war wie sein Vater Vater Soldat geworden und diente bei der Wehrmacht. Frieda aber, gerade erst 24 Jahre alt geworden, beerdigte man auf dem Maikuhlefriedhof. Die Kunde ihres Ablebens drang auch nach Kassel, wo Kurt nun erst recht beschloss, den Fall Frieda aus seinem Gedächtnis zu tilgen. Das Leben sollte schwer genug werden in den kommenden Jahren. Als der heranwachsende Egon erfährt, dass Paula Dreyer nicht seine Mutter ist, bricht für ihn eine Welt zusammen. Er meint sich die strenge Behandlung erklären zu können, die ihm während seiner Kindheit widerfuhr. So manchen Streit sieht er in einem neuen Licht. Und auch den Rauswurf, er könne ja gehen, Paula wirft ihm wutentbrannt einen Putzlappen vor die Füße. 
Sein Vater Kurt, so mutmaßt Egon später, habe ihn wohl nur adoptiert, um an sein Erbteil zu kommen. Kurt ließ sich in der Tat beglaubigen, dass Egon der Sohn von Frieda Dreyer ist. Da ihr Bruder Werner 1943 bei Pavolotsch fiel, gab es die Dreyerschen Erben nicht mehr. Das Erbe stand ja dem minderjährigen Sohn und somit zunächst verwaltend seinem Vater zu. Nach dem verlorenen Krieg war davon nun nichts mehr vorhanden. Egon hatte auch das verloren. Mit seiner Volljährigkeit hielt es ihn nicht mehr zu hause. Kurt beließ es bei der lapidaren Feststellung, der Junge könne jederzeit zu ihm kommen. Für Egon war jedoch jeder Anreiz, zu hause zu bleiben, auch durch den Tod seines Lieblingshalbbruders Wolfgang, verschwunden.
Dessen Tod war eine Folge der schweren Kämpfe um Monte Cassino im Jahr 1944 gewesen. Zwar war die im Kampf erlittene Verletzung nicht tödlich gewesen, aber durch die Bombardierung des Lazaretts kam er durch den Einsturz einer Zimmerdecke ums Leben. 
Der älteste Halbbruder Siegward war kein Trost für ihn, der Altersunterschied mag eine Rolle gespielt haben. Siegward gerät an der Westfront in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Egon geht auf Wanderschaft, arbeitet im Bergbau im Raum Aachen und bei den Amerikanern in Frankfurt als Wachmann. Letztlich siegt aber das Heimweh, er kehrt nach Kassel zurück und noch einmal geraten Vater und Sohn aneinander. Dennoch bleibt er Rothenditmold oder dem Rothenberg, wie er sagt, verbunden.
Vom Streit erzählte er mir bei einem meiner letzten Besuche. Das er seine leibliche Mutter nie gesehen hat, war für ihn eine besondere Tragik.
Wenn er wüsste, wo ihr Grab sei, sagte er einmal.

Es fällt schwer, sich das Schicksal von Frieda Dreyer vorzustellen, denn ich habe kein Foto meiner Großmutter. Nachforschungen nach ihrem Bruder, meinem Großonkel, bei der Deutschen Dienststelle (WASt), führten bislang zu keinem Ergebnis. Zwar bin ich vermutlich der nächste noch lebende Angehörige, aber ich kann es nicht beweisen. Das für die Ostgebiete zuständige Standesamt I in Berlin verweist auf Bearbeitungszeiten von zwei Jahren und antwortet nicht auf meine Schreiben. Datenschutz in Deutschland, ich habe keine Hoffnung auf weitere Informationen.

Exkurs: Kolberg - Der muß hinaus - Der muß hinaus!  

Nachwort 1929

1929 - in diesem Jahr fielen die Katastrophen im Leben der Friede Dreyer mit denen der Weltgeschichte zusammen. Die Weltwirtschaftskrise und das Erstarken der NSDAP sind schlechte Rahmenbedingungen für ein von Krankheit geprägtes Leben. Tb entsteht heute nicht mehr so oft und ist heilbar. Unter den heutigen Lebensbedingungen wäre Dreyers wohl ein längeres Leben vorhersagbar gewesen. Andererseits, die Vernunft durch eine gesündere Lebensweise älter zu werden, wurde wohl oft genug vom Wunsch nach dem Leben verdrängt.
Dies trifft zu mindest auf Elisabeth und Johannes Dreyer zu.
Frieda wird entweder unter dem Verlust des Kindes gelitten haben oder diesen durch ihren Lebensstil verdrängt haben. Die Wahrheit liegt meist in der Mitte.
Am allerwenigsten wird sie Probleme mit dem konservativen Zeitgeist gehabt haben. Denn Kolberg und Pommern waren mehrheitlich der NSDAP und den anderen konservativen Parteien zugetan. Daran kann auch die bürgerliche Sicht auf kommunistische Aktivitäten nichts ändern. Man ertrug sein Schicksal und dachte gar nicht an etwas anderes. Oder man war euphorisch und aufgeschlossen gegenüber den sich ändernden Bedingungen. Man lernte nichts aus der Niederlage des ersten Kriegs, sondern wollte Revanche, um die Schmach von Versailles zu tilgen. Das ging durch alle Bevölkerungsschichten.
So starb 1943 auch Werner Dreyer viel zu jung bei einem Ort namens Pavolotsch, der ca. 100 km südwestlich von Kiew liegt. Die Bevölkerung des Ortes bestand überwiegend aus Juden, die alle die deutsche Besetzung nicht überlebten. Werner ist hier vermutlich in einem Massengrab beerdigt. Ende 1943 wurden selbst kleinste Orte hart umkämpft. Auf Vorstoß folgte Gegenvorstoß. So überlebten "schneidige" Kommandeure oft den Krieg, viele ihrer Soldaten nicht. Man riskierte bei den Vorstößen oft von den eigenen Truppen abgeschnitten oder gar eingekesselt zu werden. Doch letztlich ging es am Ende nur zurück und versank auch in der heutigen Ukraine oftmals Mann und Gerät im schlammigen Tonboden.
Frieda immerhin erkämpfte einen schmerzvollen Triumph des Lebens über den Tod. Und auch das nicht immer glückliche Leben meines Vaters relativiert sich, wenn man die Zeilen seines Halbbruders Siegward liest, der zum Schluss mit der Panzerfaust den Endsieg erreichen sollte.

"... Es ist vorbei, wir sind umstellt.
Vier leben noch. Die ander'n?
Zerfetzt, verblutet und zerschellt
sie schon im Jenseits wandern.

Wie haben alle zwölfe wir
am Leben heiß gehangen.
Acht sind nun stumm, die letzten vier
zermürbt, besiegt, gefangen."
(aus Siegward Dreyer, Der Opfergang)


Ich bin froh, in Frieden hier am Kolberger Hafen zu stehen und auf die See hinaus zu sehen.

Dank sagen möchte ich an dieser Stelle der einzigen Person in der Familie Dreyer, die mir betätigt hat, was ich schon wusste. Es ist meine Halbcousine, wenn man es genau nimmt. Danken möchte ich auch dem Betreiber der Pommerndatenbank, Herrn Gunthard Stübs, für die Möglichkeit in seinen Adressbüchern nachzuforschen. Neben den amtlichen Dokumenten, die mir vorliegen, haben mich die zahlreichen Berichte im Internet und Lebenserinnerungen in gedruckter Form inspiriert. Stellvertretend sei hier das Buch von "Tina Georgi, Mein Leben im Wechsel der Zeit" genannt. Solche Quellen sind ungemein wertvoll, weil sie etwas über die damalige Denkweise der Menschen aussagen.
In diesem Zusammnhang möchte ich auch Frau Lieselotte Dumtzlaff erwähnen, die mir freundlicherweise den Beitrag Ihres Mannes, Ernst-August Dumtzlaff, im vergriffenen Buch "Die letzten Kriegstage - Ostseehäfen 1945"
zur Verfügung stellte. In seinem Bericht "Ich war dabei beim Kampf um Kolberg" wird die Zeit noch einmal lebendig.