Samstag, 12. Januar 2013

Gold - LXIII

Wäre es nicht an der Zeit, aus dem Traum auszusteigen und zum Bahnhof zurück zu gehen?
Aber er hatte nicht einmal mehr seine Spielzeugeisenbahn. Teile seiner Identität lagen durch einen Diebstahl tatsächlich auf dem Müll, seine Geburtskarte, sein in Paris gekauftes Beret, das er so gern trug, auch an dem Tag, an dem er seine baldige Ehefrau kennen gelernt hatte. 
Aber das Säuglingsgewicht war nun auch nicht mehr wichtig. Er stand als ausgewachsener Mann da in seinem enger gemachten dunkelblauen Anzug und steckte der Braut den Ring auf den falschen Finger. Die Ringe waren schlicht und für seine Begriffe schön. Die Kirche ebenso, was ihm entsprach, auch wenn er mit kirchlichen Zeremonien wenig anfangen konnte. Am Vortag war der Verwaltungsakt auf dem Standesamt ausgerechnet mit der Schwägerin als Trauzeugin vollzogen worden, dann die Fahrt nach Lemgo und abends etliche Schnäpse Bärenfang mit dem Schwiegervater. 
Er war allein wie immer, Eltern und Bruder nicht anwesend, der Patenonkel wenigstens schickte Blumen.
"Die Stiefoma hatte die Wohnung meiner Eltern gestürmt mit der Frage 'Was macht ihr mit dem Jungen?' und Vater genötigt, ein Kaffeeservice einzupacken und es mir als Hochzeitsgeschenk zu schicken."    
Alles fühlte sich gut und richtig an, an diesem Tag im Mai, der schönstes Wetter brachte.
Paul hätte nicht geglaubt, dass er einmal so etwas erleben würde. Er stand noch auf der Brücke und sah den Dampfloks zu. 
Rachel unterbrach seine Gedanken. Sie fragte ihn, ob er glaube, dass die Veröffentlichung der Krankheitsgeschichte des Vaters in dessen Sinne gewesen sei. Paul erwiderte, er glaube an die Geschichte und Vater sei abseits seiner persönlichen Borniertheiten ein offener Mensch gewesen, der mit seiner Meinung nicht hinter den Berg habe halten können. Oft hätte er ihm erzählt, wie er seinen Chef an der Arbeit auf Missstände aufmerksam gemacht habe. Vater hat nie länger als nötig mit den Wölfen geheult und selbst dabei immer seinen Standpunkt gewahrt. Was das denn mit der Krankheitsgeschichte zu tun habe, fragte Rachel unbeirrt weiter, das sei doch etwas sehr Privates.
"Die Geschichte seit seiner Erkrankung zeigt einfach, wie unser Gesundheitswesen funktioniert oder eben nicht. Keiner sollte sich Illusionen darüber machen, wie es am Ende aussieht, wenn die Maschinerie des Krankenhausbetriebs zu arbeiten beginnt und am Ende das Pflegeheim wartet."      
Also schreibst Du etwas Politisches im Namen Deines Vaters? "Nein darum geht es nicht, Vater war kritisch bis zum Schluss, aber er hat alles ertragen, ohne zu jammern und er hat mir schlussendlich vertraut. 
Darum geht es."

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