Mittwoch, 20. Juni 2012

2002 - VI

Betriebsstörung

Ihre Stöckelschuhe knallen in seinem Kopf wie in einer leeren Kokosnuss. Die Mähne schwingt an seinem Gesicht vorbei, links, rechts. Wozu soll das neue Leben gut sein? Gedanken fliegen hin und her, zerplatzen wie Seifenblasen. Flüssigkeit sucht den Weg immer nach unten. Dazwischen gibt es diese Fontänen, auf deren Spitze so ein kurzes Innehalten angebracht wäre, aber leider: bitt' schön, gehn's weiter, schaun's, es wollen auch noch andere hinauf. Viele Punkte geben ein Bild. Ihm fiel es nicht ein, das Warum?
Dieser Aufzug fährt heute nicht, wir bitten, die Betriebsstörung zu entschuldigen. Störung, ein Irrtum also, diese Liebe. Daher.. Entschuldigung, würden Sie für mich mal was steppen, mir fällt die Melodie nicht mehr ein. Ein kleines Lied, das spielt oder "Love will kill you". Keine Bewegung auf der Rolltreppe, das Ganze immer wieder von vorn. Er klopfte auf das Frühstücksei, wie immer war es nicht weich genug.

Dienstag, 19. Juni 2012

2002 - V

Salz

Die Menschen schienen zu sein, irgendwie. Ab und zu bildeten sich Löcher im Salzsee, verschiedentlich standen sie zu Säulen erstarrt mit Gesichtern aus Salz, die Ausdrücke der Gesichter festgehalten für die Ewigkeit. Der Boden bildete eine trügerische Oberfläche, über dem die Scheinbilder schwebten, umso mehr die Luft in der Sonne flimmerte. Er sah eine Sanddüne und beim Versuch, diese zu besteigen, rieselten die feinen Körner herunter, rutschten in Schüben und nahmen ihm den Schwung.
Das Meer sehen, einmal nur, diese blaue, glitzernde Fläche, die zuvor alles bedeckte, das war ein Ziel. Er ruhte in einer Sänfte, zwischen ihm und der Außenwelt schien ein Hohlraum zu sein. So unendlich schwer, wie das Besteigen dieser Düne, war es, in der Lebendigkeit zu baden. Die Sehnsucht trieb ihn weiter und er wusste, sie sind alle da. Die Seelen der Verstorbenen, unverändert, als hätten sie lediglich ihre leidige irdische Existenz abgestreift und ihren Charakter behalten. Ein schwarzer Mund bildete sich und eine Stimme sprach. Er hörte, bevor es dazu kam und fühlte die Erleichterung. Aber auf der Spitze der Düne zu stehen, erfüllte ihn mit Angst.
Wenn ich einmal sterbe, so begann fast jedes Mal ein Satz dieses alten Mannes und er zitterte dabei. Warum dachte der Alte ständig an sein Ableben? Sobald er allein blieb in seinem Appartment, würden ihn die Gedanken überwältigen, sie warteten, bis der Besuch gegangen, aber sie kamen wieder. Durchbrach er zeitweise die Mauer um den alten Mann durch seine Anwesenheit? Auf dem Tisch liegt braunes Papier mit Soldatenkopfaufdruck. Ein kantiges Wehrmachtsgesicht unter dem charakteristischem deutschen Stahlhelm mit eisernem Blick. El Alamein oder Frankreich, keiner bekam das Ende des Krieges mit. Landserdasein: vom Arsch die Brüh' statt Frommage de Brie.
Die Tür war versiegelt, der alte Mann am Grab der Mutter gefunden worden. Das Appartment leer geräumt, die Lampe fällt auf den Kopf, auf dem Tisch liegt die letzte Postkarte von ihm und er nimmt sie schweigend an sich.
Eine Einsamkeit mit Ende, am Strand sieht er mehrere Frauen, die auf Scheiben zielen und treffen. Der Bogen gespannt, schwingt er den Pfeilen hinterher. Eine große Welle läuft auf den Platz zu. Doch nur ein Ausläufer erreicht die Scheibe und versickert dort im Sand. Die Situation wiederholt sich.

Samstag, 16. Juni 2012

2002 - IV

Kaffee bitte!

Du schreibst aus dem Café
Und ich denke an Schnee
Fontänen wie ein Pilz in der Luft
Erahne ich ihn je, diesen, Deinen Duft?
Marihuana in den Niederlanden,
ob Deine Gedanken dort je Ruhe fanden?
Du sagst, lies´es mir vor, Dein Gedicht,
ja, natürlich, wer will das nicht?
Auf dem Papier steht alles so schön,
doch wie ist sie, die Wirklichkeit, anzuseh'n ?

Freitag, 15. Juni 2012

2002 - III

Tabula rasa

Merke es plötzlich und jetzt,
die Erinnerung verletzt.
Alles ist leer und neu,
originalgetreu,
wie eine Tischplatte leer,
keine Gedanken mehr.

Donnerstag, 14. Juni 2012

2002 - II

Das war aber eine schöne Geschichte!

Könnte ich mich an dem Anblick eines grünen Waldes erfreuen und dessen Mystik auf mich wirken lassen? Diesen Eindruck erleben ohne gleich etwas genauer ergründen zu wollen. Ungestörte Intensität des Augenblicks, des Monents und der Stille...
So wie graue Buchstaben ein Meer von Worten ergeben, bildet der Wald ein neues Wesen, das in seiner Gesamtheit ein Eigenleben hat. Er singt, zwitschert, rauscht, knarrt und klopft in meinem Kopf. Wiegt meine Gedanken beiseite, bringt sie zur Ruhe. Voller Repekt weigere ich mich, hineinzugehen, öffne doch die Türe und schließe sie hinter mir. Ich dringe nicht ein. Meine Gefühle werden eins mit der Umgebung und fast betrete ich sie garnicht. Dieser weiche Boden schmeichelt den Füßen und Du spürst, alles lebt um Dich herum. Jeder Baum hat eine besondere Gestalt, tront über den kurzlebigen Pflanzen seiner Umgebung. Manchmal verliert er Äste, Zweige verdorren, Insekten kriechen und Spechte hämmern. Seine Gesamtheit erneuert sich. Das Gefühl für die Zeit fehlt mir hier, sie spielt keine Rolle.
Irgendwann verlasse ich den Wald und versuche, ihn in meinem Denken zu behalten.
Das war aber eine schöne Geschichte, sagte der Junge zum Vater. Sie lagen zur Mittagsruhe im Bett und der Vater hatte dem Sohn etwas erklärt. Der Sohn erinnerte sich später daran, wie er vor dem Vater auf dem Motorrad gesessen hatte und den Fahrtwind spürte.

Mittwoch, 13. Juni 2012

2002 - I

Vorsicht Beratung!

Ein Meer von blauen, grauen und schwarzen Anzügen wogte unter den diskutierenden Köpfen, ab und zu von kaum andersfarbigen Damenkostümen gesprenkelt. Seriosität im Auftreten ist das Metier der Banker. Sie mögen es, in der Kantine über ihre Arbeit zu sprechen und organisieren sich ständig neu. Ihrer Verantwortung ist Ihnen wohl bewusst, schließlich gehen sie mit dem Geld anderer Leute um. Deswegen empfehlen sie dem privaten Kleinanleger gern ihre Hausprodukte. Immer auf der sicheren Seite bleiben heißt im Zweifelsfall der gut gemeinte Rat für den unsicheren Anleger. Natürlich wird immer alles genau analysiert, der Markt beobachtet und kein Cent verschenkt.
Wer hat was davon?
Um all das professionell abzuwickeln, werden die Mitarbeiter geschult, auch psychologisch. Wer in die Führungseebene aufsteigen will, muss lernen, sich an Felswänden abzuseilen. Schulungsabteilungen und Seminarveranstalter sorgen für ein qualifiziertes Coaching. Das der Banker ab und zu das Deutsch verlernt, sei ihm bei soviel vermittelten Kenntnissen verziehen.
Er muß es vermeiden, altmodisch zu wirken und darf sich nicht gegen die englische Sprache wehren. Im Gegenteil, es ist erforderlich, ab einer gewissen Ebene neben dem angepassten Verhalten auch die richtigen Worte zu finden. So versteht es sich in Dialekten gut zu leben. Das erleichtert es auch, stets die richtigen Gespächspartner zu finden und nicht selbst outgesourct zu werden. Im internen Kreis diskutiert es sich locker und es is klar, das es sich bei einer Zigarette und einem Kaffee besser plaudert. Schließlich muss nicht alles aus Amerika übernommen werden. Weder die strikten Rauchverbote, noch die lockere Freitagskleidung sprechen gerade den deutschen Banker besonders an. Freie Fahrt für freie Banker könnte da eher als das Motto gelten, zumindest außerhalb der Arbeit.
"Der Banker" findet eben vieles interessant und witzig, wenn es nicht gerade die Arbeit ist. Und durchsetzen kann er sich nicht nur im Job. Ein Banker hält immer (seinen?) Kurs. Mögen sich andere um Systematik bemühen, seine Sache ist dies nicht, er handelt lieber. Time is Money.

Dienstag, 12. Juni 2012

The Man I used to be

Ein kleiner Motor muss höher drehen als ein großer, um eine vergleichbare Leistung abzurufen. So ähnlich verhält es sich mit dem Alter beim Menschen.
Was man früher leicht geschafft hat, wird zum Kraftakt. Und so entsteht das Gefühl, das man immer mehr arbeitet, obwohl man im Grunde im besten Fall das eigene gesetzte Niveau hält.
Manches allerdings fällt auch leichter. Viele Verkrampfungen des jugendlichen Daseins, die sich in der Midlife-Crisis fortsetzen mögen, entfallen mangels Energie. Die Gedanken werden statischer, die Alltagsemotionen flacher. Dafür mögen sich tiefe Gefühle weiter entwickeln.
Die Erkenntnis einer gewissen Schicksalhaftigkeit wächst. Längst ist die Rinne gegraben, in der der Lebensfluss fließt. Man mag sich eine neue graben, aber es bleibt doch eine Rinne.
Denn der sinnige Spruch, der besagt, man müsse einen Tod sterben, hat ja leider eine Wahrheit.
So lese ich weiter in meinen Aufzeichnungen und halte mir den Spiegel vor, in dem ein Gesicht auftaucht, das ich noch kenne. Mir ist klar, dass ich erst am Anfang all der Veränderung stehe.