Freitag, 26. August 2011

1998 - VII

Am Heiligabend die übliche Unsicherheit, was wir machen sollen. Wir fuhren mit der Dorfseilbahn und gingen zu Fuß nach Boden, nachdem wir morgens eine Fahrt zur Engstligenalp verworfen hatten. Es war sehr kalt und schneite. Das tat der weihnachtlichen Stimmung keinen Abbruch. In der Hütte am Skilift in Boden saß eine einzelne Frau und sah mich ununterbrochen an. Das Essen hier im Hotel ist außergewöhnlich gut. Wir verzichteten auf den abendlichen Besuch einer Kirche und es fing nach dem Abendessen erneut an zu schneien. –

Donnerstag, 25. August 2011

1998 - VI

Holy, wo?

Sie betrachtete ihren Sohn und suchte nach den Reaktionen, die sie von ihm schon als Kind kannte. Irgendein Hauch dieser geschätzten kindlichen Mimik würde sie erleichtern, ihr den unbeschränkten Zugang zurück geben, den sie brauchte. Er saß aber undurchdringlich da und zeigte keine Regung. Irgendetwas sollte passieren, er dachte, er wäre im falschen Film. 20 Jahre war er schon nicht mehr zuhause, der verlorene Sohn. Aber die Wiederkehr schien ihm keine gute Idee. Der Vater blieb im Bett und damit so nicht vorhanden wie immer. Die Mutter rauchte eine nach der anderen und verpaffte das Happyend. Von allen guten Geistern verlassen, dies wird kein Hollywoodende. Die Zigarette zur letzten Stütze der Mutter, sie selbst immer kleiner werdend und weniger an Person. Der Vater stur wie als Kind: „Bevor ich Schulaufgaben mache, lasse ich mir lieber den Hintern versohlen.“ Da richtet nicht einmal der Heilige Geist etwas aus. Er war noch nicht einmal Jesus, also trank er sein Glas allmählich aus. Das richtige Leben übermannte ihn, niemand kam zu einer Einsicht oder umarmte sich, bereute oder weinte, lachte oder bekannte. Die Eltern hatten seine Hochzeit ignoriert, ebenso wie seine berufliche Laufbahn, er hielt es seit Jahren nicht mehr bei ihnen aus. Seine Frau blieb hart in der Vergeltung. Der Eiserne Vorhang, es gibt ihn noch. Niemand kam um zu sagen: „Ihr habt ein Problem, können wir drüber reden?“ Sie dreht ab, unfähig, Schmerz zu empfinden, es war zuviel. Bald würde der Herr der Dinge aufstehen und sie in Gerechtigkeit wiegen, gegenüber einem Sohn, der es geschafft hatte, sein eigenes Leben zu leben. Er flüchtete wie immer, so wie er es schon zu Zeiten seines Wehrdienstes getan hatte. Jetzt erwarteten ihn keine Etagenbetten mit hilflosen Nächten mehr, sondern ein goldener Schutzkäfig. Frei wie der Ziervogel seiner Eltern blieb er bei der Stange.
Er würde die Zigarette seiner Mutter nicht ausmachen, ebenso wenig wie der Vater die abendliche Weinration der Mutter verhindert. Wir sind alle holy, wo? –

Mittwoch, 24. August 2011

1998 - V

In mir spielte einst ein kleines Lied,
Armeen von Bildern brachten mich dazu,
es nicht mehr zu hören.
Die Zahlenkolonnen marschieren in wirrer Ordnung
und zertrampeln die Noten im Takt eines ekstatischen Hammers.
Sie nisten in meinem Gehirn und bringen es dazu,
wie ein Computer zu reagieren.
Einst kannte ich Menschen und litt.
Nun beherrsche ich den Zustand und fühle mich leidlos.
Ich trinke kein fremdes Bier (in Anlehnung an ein Sprichwort) und singe
niemandes Lied. Aber wo ist das kleine Lied?
Gefühlsschwankungen formieren sich zu Aktienkursen.
Tabellarisch vermittelt das Chaos
auf dem Papier ein Gefühl der Ordnung.
Kurvenreich so manche Darstellung,
aber was bewegt Dich eigentlich?
Warum nutze ich den Wirtschafsteil
einer Tageszeitung, ich brauche doch auch
keine Noten. –

Dienstag, 23. August 2011

1998 - IV

Der Pool am Hotel ist, wie wohl überall üblich, bereits am Mittag belegt. Das Hotel ist eigentlich so, wie wir es nicht wollten: groß, kastig und von durchschnittlicher, mediterraner Qualität. Wenn man bedenkt, welche Überwindung die Anreise hierher kostet, so steht das Ergebnis, mal abgesehen vom Strand und schönem Wetter, eigentlich nicht dafür. –
Das Bett hier ist eher einfach. Eine aufgelegte Spanholzplatte mit einer knüppelharten Federmatratze. –

Montag, 22. August 2011

1998 - III

Ich wollte, ich könnte die Zeitung verstehen,
ein Bild der Welt mir machen, unbesehen.
Mein Leben ist jedoch ganz anders,
ich heiße auch nicht Lilo Wanders.
Ich bin erschreckend und normal,
keine Headline ziert mein Initial. –

Donnerstag, 18. August 2011

1998 - II


Die Buchstaben verwandelten sich in Begriffe, die auf dem Bildschirm flimmern. Scheinbar gestochen scharf, doch nur ein Auf und Ab von Hell und Dunkel, formen die Begriffe die Gedanken,
bestimmen den Ablauf, setzen regeln.
Sie erzeugen mehr Material als ein mühsamer Schreiber jemals.
Herrscher über den Kopf: die Programme,
immer nach dem gleichen Prinzip wie ein Ritual zwingen sie den Denker in die Bahn,
sagen ihm, dass seiner Kreativität Grenzen gesetzt sind.
Je mehr Aktivität, desto mehr der Wunsch nach unerfüllter Erfüllung.
Dein Gehirn ist auf Sommerfrische, lieber Freund und der Sommer ist der PC. –

Mittwoch, 17. August 2011

1998 - I


Ihm war, als zeigte sie ihm ihr Innerstes, dabei trafen sich ihre Blicke. Sie sprachen wie in vertrauter Atmosphäre der Nacht und er glaubte, schon alles erlebt zu haben. Entsprechend behutsam und vorsichtig verlief das Gespräch, denn sie musste nicht mehr viel sagen. Da er alles kannte, endete die Geschichte, bevor sie begann. –