Donnerstag, 25. August 2011

1998 - VI

Holy, wo?

Sie betrachtete ihren Sohn und suchte nach den Reaktionen, die sie von ihm schon als Kind kannte. Irgendein Hauch dieser geschätzten kindlichen Mimik würde sie erleichtern, ihr den unbeschränkten Zugang zurück geben, den sie brauchte. Er saß aber undurchdringlich da und zeigte keine Regung. Irgendetwas sollte passieren, er dachte, er wäre im falschen Film. 20 Jahre war er schon nicht mehr zuhause, der verlorene Sohn. Aber die Wiederkehr schien ihm keine gute Idee. Der Vater blieb im Bett und damit so nicht vorhanden wie immer. Die Mutter rauchte eine nach der anderen und verpaffte das Happyend. Von allen guten Geistern verlassen, dies wird kein Hollywoodende. Die Zigarette zur letzten Stütze der Mutter, sie selbst immer kleiner werdend und weniger an Person. Der Vater stur wie als Kind: „Bevor ich Schulaufgaben mache, lasse ich mir lieber den Hintern versohlen.“ Da richtet nicht einmal der Heilige Geist etwas aus. Er war noch nicht einmal Jesus, also trank er sein Glas allmählich aus. Das richtige Leben übermannte ihn, niemand kam zu einer Einsicht oder umarmte sich, bereute oder weinte, lachte oder bekannte. Die Eltern hatten seine Hochzeit ignoriert, ebenso wie seine berufliche Laufbahn, er hielt es seit Jahren nicht mehr bei ihnen aus. Seine Frau blieb hart in der Vergeltung. Der Eiserne Vorhang, es gibt ihn noch. Niemand kam um zu sagen: „Ihr habt ein Problem, können wir drüber reden?“ Sie dreht ab, unfähig, Schmerz zu empfinden, es war zuviel. Bald würde der Herr der Dinge aufstehen und sie in Gerechtigkeit wiegen, gegenüber einem Sohn, der es geschafft hatte, sein eigenes Leben zu leben. Er flüchtete wie immer, so wie er es schon zu Zeiten seines Wehrdienstes getan hatte. Jetzt erwarteten ihn keine Etagenbetten mit hilflosen Nächten mehr, sondern ein goldener Schutzkäfig. Frei wie der Ziervogel seiner Eltern blieb er bei der Stange.
Er würde die Zigarette seiner Mutter nicht ausmachen, ebenso wenig wie der Vater die abendliche Weinration der Mutter verhindert. Wir sind alle holy, wo? –

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