Mittwoch, 31. August 2011

1999 - V


Die Flügel des Drachens, sie schwingen und singen
das Lied der einsamen Zeit.
Auch das ist ein Traum, so weit. 

Dienstag, 30. August 2011

1999 - IV


Mein lieber Fabricius II

In „seiner“ Familie schottet sich der Jungehemann bald ab, einem Zwang zum Versteckspielen folgend. Diktatorisch nimmt er Rache für sein Zurückgesetztsein in der Jugend. Stets trug er die abgelegten Sachen seiner beiden älteren Habbrüder. Die Pflegemutter setzt sich mit ihm auseinander und zeigt erst im Alter späte Reue. Reue dafür, dass sie nicht mit ganzem herzen dabei war als ihr gestrenger treudeutscher Mann ihr einen Sohn unterschiebt, den er mit seiner Nichte gezeugt hat, die gleich nach der Geburt ihres Kindes untertauchen muss. Die Rettungsaktion einer Familie lastete auf ihren Schultern. Aber das sieht er nicht, der aufgenommene Sohn, er fühlt nur die Sehnsucht nach seiner Mutter, als ihm das Fundament einer „normalen“ Familie unter den Füßen weg gezogen wird.

Das ist der erste Urlaub, von dem niemand aus meiner Familie weiß. Wer ist da noch übrig? Mein Vater hat, nachdem er mir versicherte, dass er mich nicht anruft, das Abheben des Telefonhörers verweigert. Zu Pfingsten musste ich das Grab meiner Mutter suchen. Es ist die Nummer 532 auf dem Westfriedhof. Konsequent werde ich nun die Wohnung meiner Eltern meiden. Der einzige Ort des Gedenkens wird die kleine Grabstätte sein, für deren Zustandekommen ich mich eingesetzt habe. Mein Vater will so schnell wie möglich das geliehene Geld zurückzahlen, um dem verhassten Sohn nicht schuldig zu sein. Mir bleibt nur die Chronistenpflicht, die ich mir selbst auferlege, um das Ende dieser verlogenen Dreyer-Familie zu dokumentieren. 

Montag, 29. August 2011

1999 - III


Mein lieber Fabricius

Er blickte auf und sah zu seiner Rechten den Herkules über den kahlen Sträuchern. Links gleißte die Wintersonne über der Dönche. Vor ihnen im Schnee versteckten sich ungefähr 40 x 40 cm Platz für die letzte Ruhe. Das hätte nicht sein müssen, sagte der Vater. Sie gingen noch ein Stück über den ehemaligen Truppenübungsplatz, heute eine zum Spazieren ein wie gemachtes Stück Landschaft. Vater wusste nicht, dass der Sohn hier seine Grundausbildung erhalten hatte, mehrmals in Schlammpfützen zum Hinlegen gezwungen und hinterher ausgemergelt und ausgepumpt zum Foto mit der Kompanie genötigt wurde. Auch die damaligen Kasernen dienen nun einer anderen Bestimmung. Sie kamen an einer Bank vorbei, die einen schönen Ausblick auf das Gelände gewährte. Hier habe ich früher oft mit Deiner Mutter gesessen, kam knapp über seine Lippen. Ein Stich ins Herz des Sohnes. „Zuletzt nicht mehr, da hat sie ja nichts mehr gemacht.“ Der Blick reichte von hier bis zum VW-Werk nach Baunatal und wie oft mochten die Eltern hier gesessen haben an warmen Sommerabenden? Die Autobahn führt durch das Bild und durchkreuzt das Panorama von Ost nach West. Die Autobahn nach Dortmund, auf der er oft genug fuhr, sehnsüchtige Blicke auf die grauen Betonkästen werfend, auf das, was einmal den Rahmen für eine einfache Familie bildete. Die Siedlung war, auf dem Hügel liegend, gut zu sehen auf der Durchreise. Fast ein Vierteljahrhundert war vergangen, da er, mit nicht viel mehr als ein bisschen Bettwäsche und ein Paar Tassen aus dem „Haus“ seiner Eltern ausgezogen war, nachdem klar war, dass der Vater kein Einsehen in neue Zeiten gewinnen wollte, ferner eher gewillt schien, seine eigene, autoritäre, Erziehung wohlwollend weiter zu geben. Er tauschte ein halbes „Kinderzimmer“ gegen eine möblierte Altbaubude ein, die allerdings den Vorzug hatte, in der Nähe einiger Studentenkneipen zu liegen. Dort fand er im Kreis seiner ehemaligen Schulkollegen so eine Art Ersatzzuhause. Sie spielten in einem über einer ehemaligen Werkstatt gelegenen Raum einen aussichtslosen Blues nach dem anderen. Eine echte Perspektive hatte die Band nicht, außer ein paar Tonbandaufnahmen blieb nichts übrig. „Blues Unlimited“ „Du müsstet doch noch einige Tonbänder von mir haben.“ Sagte er zu seinem Vater. Der meinte, seine Musik sei es ja nicht gewesen, er hätte die Bänder überspielt. Wieder ein Stich, alles war noch zuhause. Weder die Eisenbahn, noch die Bänder hatte er beim Auszug mitgenommen, nie daran denkend, dass der Vater Gegebenes weiter als sein eigen betrachten würde. Nun wusste er, Wolfgang, dass dieser Mann, sein Vater, alle Spuren vernichten würde, alles was je für ihn interessant wäre, vernichten und alle Informationen zurück halten würde. Spurlos wie seine eigene Existenz, die Politik der verbrannten Erde ins Persönliche umgesetzt. Wolfgang, Mensch, was haben wir bloß von unseren Kindern, hörte er die Klage seiner Mutter im Ohr. Was hatte er von seinen Eltern? Wolfgang steht nun an einem Reihenurnengrab, gerade noch die anonyme Verbrennung und Bestattung der Mutter verhindernd. Und irgendwann wird sich der Vater auf eigenen Wunsch hin anonym bestatten lassen, als letzten Gruß an seinen Sohn. Diese anonyme Seelenlosigkeit kotzte ihn an, ihn, den Wolfgang. Der seinen Namen nach dem Namen des Bruders seines Vaters erhalten hatte. Noch nicht einmal der Name gehörte ihm. Denn Wolfgang war tot. Ihm geriet die Decke eines Krankenhauses in Rom zum Verhängnis. Er war dort wegen seiner Verletzungen während der Kämpfe um Monte Cassino untergebracht und bei einer Bombardierung stürzte diese ein.
Wolfgang, der mittlere Sohn eines pommerschen Geschäftsmannes, nahm sich des jüngsten Sprosses der Familie mehr an als der älteste Bruder. Und so war eben dieser Wolfgang in guter Erinnerung geblieben und mit grossen Erwartung verbunden gewesen. 

Sonntag, 28. August 2011

1999 - II


Wärst Du am Ende ein Drachentöter,
eine Elfe oder eine gute Fee?
Fragt sich unwissend der Schwerenöter,
denkt und schlürft seinen grünen Tee.
Er träumt und nimmt nicht teil am Unterricht.
Gehe nicht auf die Schule, der Lehrer spricht.
Das Leben hat trotzdem angefangen,
zum Träumen ist ihm weiter, in allen Belangen
kein Weg auf der Lebensleiter
zu weit und er wird immer bereiter,
den Vorrat allein aufzubrauchen,
sorry, ihr lieben Kleinen.
Es liegt mir, nicht mehr aufzutauchen,
ein Gruß noch an die Meinen.

Samstag, 27. August 2011

1999 - I


Jesus hatte die Händler aus dem Tempel vertrieben. Da haben sie sich ihre eigenen Tempel gebaut, geblieben ist nur der „Heilige Geist“. Im Sonderausverkauf auf CD, MC oder LP hat er Zulauf.
Und jetzt  kommt „The Best“, zahlbar per Scheck oder Bankeinzug,
schnell weg mit dem Rest, davon bekomme ich doch nie genug. 

Freitag, 26. August 2011

1998 - VII

Am Heiligabend die übliche Unsicherheit, was wir machen sollen. Wir fuhren mit der Dorfseilbahn und gingen zu Fuß nach Boden, nachdem wir morgens eine Fahrt zur Engstligenalp verworfen hatten. Es war sehr kalt und schneite. Das tat der weihnachtlichen Stimmung keinen Abbruch. In der Hütte am Skilift in Boden saß eine einzelne Frau und sah mich ununterbrochen an. Das Essen hier im Hotel ist außergewöhnlich gut. Wir verzichteten auf den abendlichen Besuch einer Kirche und es fing nach dem Abendessen erneut an zu schneien. –

Donnerstag, 25. August 2011

1998 - VI

Holy, wo?

Sie betrachtete ihren Sohn und suchte nach den Reaktionen, die sie von ihm schon als Kind kannte. Irgendein Hauch dieser geschätzten kindlichen Mimik würde sie erleichtern, ihr den unbeschränkten Zugang zurück geben, den sie brauchte. Er saß aber undurchdringlich da und zeigte keine Regung. Irgendetwas sollte passieren, er dachte, er wäre im falschen Film. 20 Jahre war er schon nicht mehr zuhause, der verlorene Sohn. Aber die Wiederkehr schien ihm keine gute Idee. Der Vater blieb im Bett und damit so nicht vorhanden wie immer. Die Mutter rauchte eine nach der anderen und verpaffte das Happyend. Von allen guten Geistern verlassen, dies wird kein Hollywoodende. Die Zigarette zur letzten Stütze der Mutter, sie selbst immer kleiner werdend und weniger an Person. Der Vater stur wie als Kind: „Bevor ich Schulaufgaben mache, lasse ich mir lieber den Hintern versohlen.“ Da richtet nicht einmal der Heilige Geist etwas aus. Er war noch nicht einmal Jesus, also trank er sein Glas allmählich aus. Das richtige Leben übermannte ihn, niemand kam zu einer Einsicht oder umarmte sich, bereute oder weinte, lachte oder bekannte. Die Eltern hatten seine Hochzeit ignoriert, ebenso wie seine berufliche Laufbahn, er hielt es seit Jahren nicht mehr bei ihnen aus. Seine Frau blieb hart in der Vergeltung. Der Eiserne Vorhang, es gibt ihn noch. Niemand kam um zu sagen: „Ihr habt ein Problem, können wir drüber reden?“ Sie dreht ab, unfähig, Schmerz zu empfinden, es war zuviel. Bald würde der Herr der Dinge aufstehen und sie in Gerechtigkeit wiegen, gegenüber einem Sohn, der es geschafft hatte, sein eigenes Leben zu leben. Er flüchtete wie immer, so wie er es schon zu Zeiten seines Wehrdienstes getan hatte. Jetzt erwarteten ihn keine Etagenbetten mit hilflosen Nächten mehr, sondern ein goldener Schutzkäfig. Frei wie der Ziervogel seiner Eltern blieb er bei der Stange.
Er würde die Zigarette seiner Mutter nicht ausmachen, ebenso wenig wie der Vater die abendliche Weinration der Mutter verhindert. Wir sind alle holy, wo? –