Samstag, 29. Dezember 2012

Gold - LII

Paul kam es vor, als hätte er damals eine glückliche Zeit gehabt, als der Vater nach Frankfurt kam. So war es wohl auch trotz der Umstände die seine Krankheitsgeschichte begleiteten.


Die Ärztin sagt mir, sie sei verpennt. Ich müsse entschuldigen, sie hätte Nachtdienst gehabt und daher könne sie nicht so gut sprechen. Damit meint sie es noch gut mit mir. Manche denken einfach nur; scheiße, warum hält mich dieser Mensch jetzt auf. Den freundlichen Doktor, der den besorgten Angehörigen, verbindlich, aber gut gelaunt Auskunft gibt, den gibt es nicht. Der soll auch Verständnis für die Sorgen von Angehörigen aufbringen?. Die Gespräche werden den Ärzten auf genötigt, die schon ihre Mühe haben, den Alltag ohne lästige Kundenbefragungen zu meistern. Ein Dankeschön ist angebracht, wenn jemand mehr als zwei Sätze spricht, übermenschlich erscheint schon eine menschliche Dimension im Gespräch. Ein Gedanke an die Folgen für den Patienten..
So hechelt man ehrfürchtig herum, immer mit dem Gedanken, dankbar sein zu müssen. Den Verweis auf die Umstände im Kopf.
Für all das. Wenn der Patient nicht selbst in der Lage ist, sich zu äußern oder auf seine Sachen aufzupassen, dann geht viel verloren. Wir haben hier 10 Uhren, sie müssten mal vorbei kommen, um sich die richtige auszusuchen. Kenne ich die Uhr meines Vaters wieder?
Eine Brille bleibt bei einer Verlegung zurück. Immerhin, ich kriege sie wieder, bin froh auf den Gedanken gekommen zu sein, das zu kontrollieren. Wäsche verschwindet oder wird in blaue Müllsäcke mit der Aufschrift des Patienten gesteckt. Oder auch in Mülleimertüten. 
Ist die Wäsche verschwunden, besteht kaum Hoffnung, der Moloch Krankenhaus verschlingt sie und spuckt sie nicht mehr aus. Schon ein Rückruf in solcher Angelegenheit ist zu viel.
Vater kriegt nicht alles mit. Das was er merkt, beunruhigt ihn zeitweise. Ich bin seine letzte Kontrollinstanz und doch kämpfe ich gegen eine Windmühle mit vielen Flügeln. 
Kenne ich das Procedere von Verlegungen und Behandlungsweisen nicht. Kann nur abnicken, wenn etwas gefragt wird. Gesagt wird von selbst nicht viel und so bastele ich bruchstückhaft an einer möglichen Krankheitsgeschichte, an einem möglichen weiteren Verlauf, denn eine Prognose gibt kein Arzt. Manchmal ist man verloren, bevor man sich verloren hat.

Freitag, 28. Dezember 2012

Gold - LI


Wir erhalten einen Anruf vom Heim in Nidderau, es sei doch ein Pflegeplatz frei. Das war meine Idealvorstellung, die Egon mittlerweile teilt. Als ich ihn wieder nach der Arbeit besuche, hat er die Isolation hinter sich. Er ist in einem Südzimmer mit Blick auf die Frankfurter Skyline untergebracht. Sein Bett steht am Fenster. Das Abendbrot ist schon da. Das innen stehende Bett ist mit einem alten Herrn belegt, dessen Frau am Bett sitzt. Der Mann ist bestimmt genauso schwer krank wie Vater, er spricht kaum. Vater stellt selbstironisch fest: "Ich spreche ein hervorragendes Deutsch."  
Tatsächlich hat er durch die Krankheit seinen Dialekt etwas verloren. Die Mühsal des sich Artikulierenmüssens zwingt ihn zu einer deutlicheren Aussprache. Auch wenn das nicht immer gelingt, weil Kraft und Vermögen fehlen, der Kasselaner Dialekt wird schwächer. Ich muß mal wieder das Fenster öffnen, zumindest kippen, Vater billigt es mir zu. Der Geruch von zwei liegenden Patienten in einem relativ kleinen Zimmer ist schwer auszuhalten. Die alte Dame ist erleichtert. Sie meint, Vater wolle das Fenster meist zu haben, sonst hätten sie es schon öfter mal länger aufgelassen. Von dem Wasser, was ich beim letzten Besuch gebracht hatte, ist bis auf eine halbe Flasche noch alles da. Ich frage ihn, ob ich ihm mal etwas anderes mit bringen soll. Gerade hat er vom Abendessen die kleinen Gürkchen geknabbert. Er meint nun, die könnte ich ihm mal mit bringen, die würden ihm schmecken. Wenn er seine Zähne drin hat, sieht er einfach normaler aus. Ich erzähle ihm von der Zusage eines Heimplatzes bei uns in der Nähe. Er will wissen, wie weit das von uns ist. Dann meint er, meine Frau könne doch für ihn kochen. Die Vorstellung allein ist für mich so absurd, dass er das gleich sieht. Ich frage ihn, ob jemand mit ihm das Laufen geübt hat. Ja, wenn er auf den Asphalt sieht, wird ihm immer ganz schwindlig. Da er das Gehen wohl auf dem Krankenhausflur übt, kann er da nur den Boden gemeint haben. Wir sind im 8. Stockwerk, wenn man aus dem Fenster sieht, könnte man schwindeln. Die Frau des Mitpatienten sitzt mittlerweile am Tisch und liest. Sie leistet ihrem Mann einfach nur Gesellschaft. Ich hätte das meinem Vater auch gewünscht. Andererseits paßt es nicht zu ihm. Zu oft kommt seine wegwerfende Handbewegung. Er stellt fest, dass ich nun zu meinen Bübchen gehen solle, als ich mich verabschiede. Seine Vorstellung von meinem Leben und die Realität klaffen auseinander. 

Donnerstag, 27. Dezember 2012

Gold - L

Paul war aus ihrer Sicht einfach naiv oder er bastelte sich das Leben so zurecht, wie er das brauchte.
Zweifelsohne auch eine Kunst, dachte Rachel. Manchmal beneidete sie ihn um diese Eigenschaft, die Realität ausblenden zu können, sie selbst nutzte lieber andere Möglichkeiten. Sie tat so viel wie möglich, um in ihren Augen gut auszusehen und scherte sich dabei wenig um die Erwartungen, die sie schürte. Sie war nicht böse um ihre Distanz zu den Mitmenschen. Sie wusste, dass alles, was Menschenhirne sich früher oder später mal ausdachten, auch irgend wann geschehen würde. Und sie wollte nicht bei allzu vielen Sachen dabei sein. Die Trägheit der Brei, in dem sie ständig herum rühren müsste, wollte sie etwas Mitmenschliches erreichen. Aber ein Brei ist kein Fundament und schon gar nicht für ihr Leben. 
In diesem einen Dasein wollte sie allein bestimmen, welche Zeit sie sich wann für was nahm.
Entscheidungen für die Liebe verortete sie klar im Bereich der Märchen- und Sagenwelt. Wie im Mittelalter, so dachte sie, ist Egoismus und Machtstreben die Motivation für alles, gepaart mit der stets gewaltigen Angst, etwas zu verlieren.
Die Vorstellung, dass viele Menschen einfach ihre Hausaufgaben nicht machten und damit zum Problem für andere wurden, widerte sie per se an. 
Wäre ihr ein Mann nicht sowieso schon zu viel, so wäre es ein Mann mit Problemen umso mehr.
Sie kokettierte durchaus mit den Anzüglichkeiten, die manche Verehrer ihr zuteil werden ließen, aber es war eben nur ein Spiel für sie. 
Das ganze Leben eine einmalige Spielwiese, für die es nach dessen Ende keine Fortsetzung geben würde. 
Da befand sich Rachel mit Pauls Vater in seltener Übereinstimmung. 
"Glaubst Du daran?" hatte dieser seinen Sohn zweifelnd und fast spöttisch gefragt, als dieser ihm seine Meinung vom Leben nach dem Tod erzählte.  

Samstag, 22. Dezember 2012

Gold - XLIX

Im Krankenhaus sehe ich Vater nun öfter, allerdings folgt dem positiven Eindruck bei den nächsten Besuchen kein weiterer in Sachen Beweglichkeit. Er weigert sich fast, weitere Versuche mit dem Sitzen zu machen. Schon in der ersten Woche leidet er unter einer so schweren Infektion, dass er isoliert werden muß. Ich finde ihn am ganz anderen Ende des Ganges im letzten Zimmer wieder. Ich muß einen Mundschutz und einen Kittel tragen, Handschuhe anziehen. Ich habe Vater Wasser mitgebracht. Er greift danach wie nach einem Flaschenbier und trinkt sofort. Ich hatte damit gerechnet, dass er sich über meinen Aufzug lustig macht, aber er ignoriert es fast. Mir ist er lästiger als ihm. Er meint: "Da kommst Du also   angeschlichen." Er hatte mit meinem Erscheinen nicht gerechnet und versucht mir nun zu erzählen, dass man ihn in einen anderen Raum gefahren habe, wo er allein war. Niemand habe sich um ihn gekümmert. Eine Sauerei sei das gewesen. Von seinem Zimmer aus geht der Blick Richtung Norden. Das Fenster ist klein, man kann es mit einer Gardine zu machen. Er deutet an, dass er Probleme mit dem Liegen hat, es tut ihm weh. Sonst spricht er ja nie über Schmerzen. Da ich seine Uhr nicht wieder besorgen kann, gebe ich im meine. Die hat auch ein Metallarmband, man kann es aber nicht einfach überziehen, es muß verschlossen werden. Das macht im Probleme, aber er nimmt sie trotzdem. Wir sind nun sehr vertraut, dass ich allein komme, scheint ihm zu gefallen. Seine Handgelenke sind so dünn geworden, das die Uhr hin und her rutscht. Mir verrutscht immer der Mundschutz. Er spricht so, als wenn er sich vorher Luft verschaffen muß. Aber er ist ziemlich lebhaft. Ich verspreche ihm, dass ich ihm ein Telefon besorgen werde. Bevor ich gehe, ziehe ich die Gardine wunschgemäß etwas zu und stelle den Fernseher wieder an. Leider kriege ich den Fernseher nicht so eingestellt, wie er das braucht. Ich verspreche, der Schwester Bescheid zu geben. Ich habe die ganze Zeit niemanden gesehen. Schließlich treffe ich jemand im Schwesternzimmer. Ja, wir kommen gleich sowieso mit dem Abendessen, heißt es. Bevor ich zu Vater ging, war ich noch kurz beim sozialen Dienst, der in einem Baucontainer untergebracht ist. Hier bekomme ich mein Attest, das ich dem Amtsgericht vorlegen muß, um die Wohnung kündigen zu können. Frau Dr. F. hat es unterschrieben. Durch Egons Erkrankung verzögert sich das Legen der Magensonde. Das ist ein Zeitgewinn bei der Suche eines Heimplatzes. 

Freitag, 21. Dezember 2012

Gold - XLVIII

Paul hatte auch an dem Verlust der Beziehung zu seinem jüngeren Bruder gelitten. Waren sie einst Leidensgenossen, die sich in ihrem gemeinsamen Zimmer die Streitereien der Eltern ansehen oder mindestens anhören mussten, so war der Bruder nach seinem Auszug allein mit einem Vater, der seine Behinderung nicht anerkannte und mit einer Mutter, die sich nicht darum scherte. 
Paul war ja nun Betreuer des Vaters und konnte sich gut vorstellen, auch die Betreuung des Bruders zu übernehmen, wenn gleich er wusste, dass dieser in erste Linie auch auf finanziellen Profit aus war. 
Zudem stieß ihn dessen  latent vorhandene enorme Aggression ab. Schon als Kind hatte er Dinge zerstört, die eigentlich nicht zerstörbar waren. Für Paul war das damals kein Problem, den aufgrund des Altersunterschieds hatte er meist die klare Oberhand. 
Nun aber waren die Karten anders gemischt, im Zweifelsfall wäre wohl der Bruder stärker und hätte das Überraschungsmoment auf seiner Seite, denn Paul wusste nie vorher, wann er los legen würde.
Deine Gespräche mit ihm sind wie ein Verhör, sagte ihm seine Frau. Und er wusste nicht, wie er anderes als durch Fragen heran kommen sollte an dieses Bollwerk, das sein Bruder darstellte. 
Sehr viel später erfuhr er, dass der Bruder nach jedem familiären Kontakt psychologisch betreut werden musste. Er war also Teil des Problems. Wer fragt, der führt. Und Führung war nicht das, was der Bruder wollte, auch wenn er nicht in der Lage war, dies zu formulieren.
Es sah also so aus, als sei die einzig übrig gebliebene Verbindung zur Vergangenheit der kranke Vater, den Paul nun in seiner Nähe hatte und überdies glaubte er, er könne die Beziehung zu ihm nun so gestalten, wie er es brauchte. Rachel war diesbezüglich deutlich zurückhaltender.
Paul zögerte manchmal mit den Besuchen, um die Vorfreude länger auskosten zu können.

Mittwoch, 19. Dezember 2012

Prag



Ein Wochenende in Prag

Wir kommen an einem Freitagmorgen in Prag an, das Taxi haben wir bereits von Deutschland aus bestellt zu einem Festpreis. Sehr viele Warnungen kursieren im Internet über betrügerische Taxifahrer.
Unser Fahrer ist sehr freundlich, spricht aber kaum deutsch. Dennoch entwickelt sich ein sehr nettes Gespräch auf englisch. Die Fahrt ins Hotel führt und die Vororte und Vorstädte von Prag, die sich nicht sonderlich von anderen Städten Europas unterscheiden. Als der Fahrer dann jedoch den Hinweis "Prager Burg" ausgibt, sind wir bald am Ziel.
Über den Kleinseitener Ring erreichen wir schließlich unser Hotel gegenüber der Deutschen Botschaft in Prag. Vorher wurde unser Auto noch von der Polizei auf Bomben hin untersucht, weil hier auch die amerikanische Botschaft in der Nähe ist.
Die Kleinseite ist ein Stadtteil Prags, der westlich an die Moldau grenzt und durch die Karlsbrücke mit der Altstadt verbunden ist. Früher wohnten hier wie auch in der Altstadt viele Deutsche bzw. deutsch sprechend Bürger.
Das ist nun vorbei. Nachdem Hitler die jüdischen Bürger deportieren und umbringen ließ, folgte 1945 die Vertreibung der Deutschen. Prag ist nun mehr eine rein tschechische Stadt. Was bedeutet das nun für den Touristen? Erst mal, dass er i.d.R. nichts versteht. Sogar Sehenswürdigkeiten wie die Prager Burg werden weder deutsch noch englisch ausgeschildert.
Aber zunächst mal müssen wir Geld tauschen. Eine im heutigen Europa fast unbekannte alte Sitte. Es gibt viele Wechselstuben und relativ wenige Banken.
Im Hotel hat man uns nach dem Bezug unserer Souterrainzimmer einfach nur den Berg herunter geschickt. Da sei auch eine Bank. Im Hotel spricht man kein deutsch.
Die Wechselstuben locken mit dem Hinweis "No Commission" und dem angeblich besten Kurs. Keine Gebühr bedeutet aber einfach nur, dass der Kurs um eine Krone niedriger ist als sonst. Wir entscheiden uns unterschiedlich. Ich persönlich gehe lieber zur Bank, muss aber feststellen, dass sich die Geldautomaten alle außerhalb an der Straße befinden, was ich angesichts der sich vorbei schiebenden Menschenmengen nicht gemütlich finde. Ich bekomme zudem nur große Scheine, was einen hinter mir Anstehenden dazu veranlasst, mir den Wechsel  in kleine Scheine anzubieten. Davor allerdings wird gewarnt und ich lasse mich nicht darauf ein. Der Mann ist jedoch hartnäckig und während wir noch über die 2000-Kronenscheine diskutieren, fängt er wieder mit einem Angebot an.
Andere gehen lieber in die Wechselstuben und tauschen ihr Bargeld. Im Endeffekt kommt es aufs Gleiche hinaus: Gebühren kosten eben. Wir gehen nun etwas essen in einem Kellerlokal, dass sich als Pizzeria entpuppt, wo man freundlich zu uns ist. Die Bedienungen singen bei der Musik mit und es herrscht eine lebhafte Unterhaltung an der Theke. Eine Wand ist mit einem Gemälde der Niklas-Kirche bemalt und mit Lichterketten dekoriert. es wirkt sehr heimelig, die Pizza ist groß, das Bier (Leibowitz) günstig und gut.
So gestärkt und mit Stadtplänen bewaffnet, beschließen wir die Altstadt zu erkunden. Dazu müssen wir über die Karlsbrücke, es ist früher Nachmittag. Noch kann man einigermaßen gehen. Auf der Brücke selber bieten allerlei Künstler ihre Waren und Dienstleistungen an. eine Jazzkapelle spielt, sehr zum Gefallen vieler Passanten. Wir erreichen den Pulverturm, der den Eingang zur Altstadt darstellt. Ich fotografiere für meine Verhältnisse sehr viel, gebe aber irgendwann einfach auf.  Eine solche Menge alten Häusern und Kirchen habe ich noch nicht gesehen. Dresden ist dagegen ein Kinderspiel. Prag wurde ja im Zweiten Weltkrieg nicht so bombardiert wie die deutschen Städte, man schaut also in eine vergangene Zeit.
Ich versuche mich, in den diversen Plänen zu orientieren, wo wir sind, gebe aber auch das bald auf. Es dauert einfach zu lange, die Schrift ist zu klein und die Lichtverhältnisse schlecht. wir gehen bald nach Gefühl. Das führt uns bis zum Altstädter Rathaus, nicht ohne das wir vorher einen guten Glühwein für 29 Kronen getrunken hätten. Die Preisunterschiede in der Stadt sind je nach Wochentag und Viertel beträchtlich. Einen Tag später wird ein total nach Nelken schmeckender Glühwein ungefähr das Doppelte kosten. Vom Altstädter Rathaus steht nur noch der Turm mit der Sonnenuhr. Deutsche Truppen hatten in den letzten Kriegstagen den Rest zerschossen. Uns aber plagt der Wunsch nach Kaffee und Kuchen, der in Prag nicht so leicht erfüllbar ist. Vor dem Café Mozart steht ein Mann, der uns in den ersten Stock des Gebäudes begleitet, wo noch viele Plätze frei sind. Aus recht klein geratenen Tassen trinken wir unseren Cappuccino, der preislich auf deutschem Großstadtniveau liegt.
Wir laufen der Nase nach weiter und passieren ein riesiges Gebäude, dass wie ein Theater aussieht und mit reichlich Gastronomie bestückt ist. Es ist die Stadthalle, woanders würde man das nicht übertreibend Palast nennen.
  


Am Bahnhof angelangt, wollen wir nun den Wenzelsplatz erreichen. Aufgrund der nicht vorhandenen Beschilderungen frage ich im Hilton Hotel den Portier. Der Mann ist hilfsbereit, versteht aber kein deutsch und somit auch mich nicht. Er schickt uns wieder zurück in die Richtung zurück aus der wir kamen. Mein Stadtplan sagt was anderes, aber wir müssten dazu an einer sehr verkehrsreichen Straße entlang laufen, was wir sein lassen. Die Altstadt an sich lässt sich ja sehr gut ohne Kontakt zum Autoverkehr durchqueren, größtenteils ist alles Fußgängerzone. Wir treten den Rückweg an, nicht ohne den Wenzelsplatz von der vermeintlichen Richtung her aus dem Kopf zu verlieren. Dadurch weichen wir vom Hinweg ab und verlaufen uns. Wir bestehen am Beginn oder Ende einer modernen Einkaufsstraße und bewegen uns eilig zurück Richtung Altstadt ohne aber zu wissen, wie wir die Karlsbrücke wieder erreichen können. Da fährt die Straßenbahnlinie 22, die auch auf der anderen Seite des Flusses unterwegs ist. Einsteigen mögen wir da nicht, denn wir wissen die richtige Richtung nicht. So frage ich einen jungen Mann auf englisch. Er scheint mich nicht zu verstehen und grinst stattdessen. Dann ein älteres Paar, das uns in die völlig falsche Richtung weist. Schließlich muss ein Taxifahrer dran glauben. Er kann es kaum verbergen, dass es ihm mächtig stinkt, an uns nichts zu verdienen. Aber er sagt uns die richtige Richtung. In einem asiatischen Geschäft erhalte ich dann noch einmal, jetzt freundlich, die Bestätigung und nach wenigen Minuten erreichen wir die Moldau.
Die Karlsbrücke ist nun noch voller und auch in unserem Stadtteil ist viel los. Nach einer Verschnaufpause im Hotel begeben wir uns zum Abendessen und finden in einem der Laubengänge in der Nähe der Niklaskirche noch einen Platz im Lokal. die Speisekarte verzeichnet die Speisen auch auf deutsch und o Wunder, die Kellnerin kann es auch ein bisschen. So wird der Abend gut, wir trinken tschechischen Rotwein und Bier und lassen uns den Platz für den nächsten Abend reservieren.
Der nächste Tag gehört dann "unserer Seite" von Prag. Wir gehen vom Hotel aus einfach die Straße weiter bergan, befinden uns bald unterhalb des Strahov-Klosters (ohne es zu wissen) und steigen auf den Petrinberg, wo sich ein Aussichtsturm befindet. Das Gelände auf dem Berg   ist parkähnlich und für schöne Spaziergänge geeignet.
Wir gehen an einem Spiegelkabinett vorbei, das wie eine kleine Kirche aussieht und passieren das Observatorium. wir genießen bei noch diesiger Luft die Aussicht auf die Stadt. Prag ist so etwas wie ein riesiges Freilichtmuseum. Im Hintergrund sind die modernen Satellitenstädte zu erkennen und wir sehen gleich das Uni- Gelände mit einem eigenartigen Betonturm und das Stadion.
Der Rückweg führt uns am Strahov-Kloster vorbei, wo zahlreiche Lokale locken. wir beschließen, ein Lokal mit einer sehr schönen Aussicht auf die Stadt inklusive der Prager Burg und den Veitsdom aufzusuchen. Der Kellner hier versteht sein Handwerk, spricht etwas deutsch und kann uns etwas empfehlen. Wir entscheiden uns, drin etwas zu essen und später bei dem schönen Wetter draußen einen Glühwein zu trinken.
Wir wählen Rinderbraten mit einem böhmischen und einem mährischen Kloß. Während uns der böhmische eher bayrisch vorkommt, ist der mährische im Grunde ein Germknödel. Die Soße hat auch einen eher süßlichen Geschmack, was wir als nicht unpassend empfinden.


Der Kellner gibt uns draußen sogar zwei Heizstrahler und mit den Decken auf den Stühlen wird es uns nicht zu kalt. Leider schmeckt der Glühwein so stark nach Nelke, dass es einem den Mund verzieht. Ist aber kein Problem, wir bekommen einen neuen, den wir selbst je nach Geschmack würzen dürfen. Die Zutaten liegen frisch in einem Schälchen bereit.
Gut gestimmt kommen wir zum Höhepunkt des Pragbesuchs, der Prager Burg. Die Burganlage ist wohl die größte Burganlage Europas und entsprechend große Menschenmengen passen hinein. Allenthalben werden Fotoapparate in die Luft gereckt. Der Veitsdom ist gewaltig.
Die Prager bildet aber auch mit ihrem großen Garten, der nur im Sommer zugänglich ist, die Grenze des alten Prag. Über die Schloßstiege steigen wir hinab und stellen fest, dass wir doch sehr nahe an der Burg gewohnt haben. Die Kirchen nehmen leider alle einen nicht unerheblichen Eintritt. Das wird wohl nicht der Grund sein, warum Prag als Goldene Stadt bezeichnet wird. Es sind eher ihre Dächer.
Der Tag klingt aus mit der Suche nach einem Café in der Nähe der Moldau. Das Café am Kafka-Museum hat wegen einer internen Veranstaltung geschlossen. Viele Männer Würfeln dort an einem Samstag! Kaffee und Kuchen im deutschen Sinn sind schwer zu finden. Die durchaus gemütlichen kleinen Cafés haben einfach nicht genug Platz. So landen wir in einem Hinterzimmer und werden nach Ewigkeiten auch bedient. Den Kuchen lassen wir vorsichtshalber gleich weg.Der Abend soll uns in der Gaststätte vom Vortag entschädigen, was nur bedingt gelingt. Die Bedienung ist wesentlich weniger bemüht, stattdessen gibt es mehr Konversation hinter der Theke. In Tschechien scheint es üblich zu sein, nicht allzulange in einem Restaurant zu sitzen.  Die meisten Gäste sind innerhalb einer Stunde mit dem Essen und Trinken fertig. Wir jedoch erlauben es uns, eine Flasche Wein zu trinken und einen Nachtisch zu essen. Und das an einem vorbestellten Tisch. Die Atmosphäre lädt ja an sich zum Verweilen ein, denn die Gasträume sind sehr gemütlich, Raucher und Nichtraucher sind getrennt, was längst nicht in allen Prager Lokalen so ist. Die Wände sind bemalt, aber naturbelassen.




Nach dem Genuss des Palatschinkens finden wir auf unserer Rechnung einen Aufschlag von 10%, was auch aufgrund von Informationen, die wir von Einheimischen haben nicht rechtens ist. Wir verzichten jedoch auf die Reklamation, da wir ohnehin vor hatten, ein gutes Trinkgeld zu geben.
Im Hotel wollen wir uns nun online bereits für den Rückflug einchecken. Der Portier gibt sich Mühe, ist aber wenig kompetent. Am Ende scheitert der Ausdruck der Bordkarten an einer fehlenden schwarzen Druckerpatrone. Angeblich kann eine neue erst am Montag besorgt werden. Dazu muss gesagt werden, dass unser Hotel vier Sterne sein eigen nennt.
Im Frühstücksraum werden die Gäste am nächsten Morgen nicht gegrüßt, auch hier spricht niemand deutsch. Man hat nicht das Gefühl, dass hier Hotelpersonal am Werk ist, allenfalls Aushilfskräfte, die in ihrer Freizeitkleidung ein bisschen arbeiten. Im Hotelzimmer selbst wurden Euromünzen gestohlen. Vermutlich haben die Zimmermädchen ein Trinkgeld für sich organisiert.
Wir treten die Heimreise mit gemischten Gefühlen an. Es konnte nun doch jemand die Druckerpatrone wechseln, so haben wir lesbare Bordkarten. Leider holt uns nicht der Fahrer ab, der uns gebracht hatte. Dieser redet nur nach Aufforderung. Wir sind jedenfalls zufrieden, als wir am Flughafen ankommen. Auf die ersten offiziellen deutschen Worte müssen wir warten, bis wir im Flieger sitzen, denn auch das Abfertigungspersonal der Lufthansa spricht kein deutsch.
Fazit: es bringt nichts gegen Mythen anzuschreiben. Prag ist nun mal die "Goldene Stadt" und Wien ist schön. Tschechen wären aber durchaus gut beraten, wenn sie nach nun bald 70 Jahren, die seit dem 2. Weltkrieg vergangen sind, die Erinnerung auch an die deutsche Vergangenheit in ihrem Lande zu lassen würden. Panslawismus hin oder her, in anderen osteuropäischen Ländern ist man da durchaus weiter.
Aber Tschechen fühlen sich ja auch nicht als Osteuropäer. Sie sind uns ähnlicher als sie denken, was in Deutschland lebende Tschechen durchaus bestätigen. Sie finden die Freundlichkeit hierzulande bemerkenswert.







Dienstag, 18. Dezember 2012

Gold - XLVII

Als ich nach der Arbeit im Krankenhaus an komme, und sein Zimmer betrete, ist er nicht da. Das Zimmer ist klein und das ihm zugedachte Bett das erste an der Tür. Zum Fenster hin liegt ein Mann, der mindestens so alt ist wie mein Vater. Vaters Tasche steht unausgepackt auf dem Boden, er hat angewiesen, dass nur ich seine Tasche auspacken darf. Als wir gerade etwas ratlos aus dem Zimmer gehen, wird er im Bett vom Flur aus herein geschoben. Die Schwester ist sehr freundlich und der Arzt kommt auch gleich. "Es sieht ja beschissen aus." stellt Vater vorab fest.  
Wir fragen den Arzt, welche Meinung er vom Zustand meines Vaters hat. Das weiß er natürlich noch nicht, weil er ihn gerade zum ersten Mal gesehen hat. Sie haben sein Schluckvermögen getestet und es sieht nicht gut aus. Das Legen einer PEG (Magensonde) wird unvermeidlich sein. Ich gehe kurz mit dem Arzt mit und leiste die erforderliche Unterschrift. Danach beginne ich, Vaters Tasche auszupacken. Das Portemonnaie ist da, eine Brille auch. Ich suche den freien Schrank im Zimmer und finde ihn. Das Bad ist ein Gemeinschaftsbad mit dem anderen Zimmer. Ich sehe daher vom Einräumen ab. Wir fragen die Schwester, ob Vater sitzen darf und sie bejaht, natürlich. Er will es eigentlich nicht so richtig. Immerhin, er sitzt. Aber schon bald zieht es ihn ins Bett zurück. Ich merke, wie schwer es für mich ist, ihn rückwärts liegend, wieder in die richtige Lage zu bringen. Meine Bemühungen tun ihm weh. Er mag nicht mehr so eine hohe Einstellung des Kopfteils. Nun soll es Abendessen geben. Die Schwester setzt ihm die Zähne ein. Ich frage Egon, ob er weiß, wo er ist. "Das höre ich ja." sagt er. Richtig viel reden können wir aber nicht mit ihm, denn der Besuch des anderen Patienten ist in der Mehrzahl. Das macht Gespräche anstrengend. Wir wollen ihn am Sonntag wieder besuchen. Die Telefonnummer vom sozialen Dienst habe ich mit bekommen. Ich lese nun über Pflegeheime. In erster Linie demotiviert mich hier ein Undercover-Report. Gleichzeitig besorge ich mir Listen von Frankfurter Pflegeheimen und Heimen in unserer Umgebung. Vater sagt, er will nicht von uns abhängig sein. Das wäre er dann nicht. Er hat genug gespart, sodass er jahrelang davon leben kann. Mittlerweile ist er auch besorgt, dass von dem Geld etwas weg kommt. Das soll erst mal da liegen bleiben. Seine Wohnung habe ich gekündigt, die Auflösung steht mir bevor. Als ich ihm erzähle, dass ich sein Fahrrad in den eigenen Keller eingeschlossen habe, ist ihm das nicht recht. Die anderen im Haus sollen nicht wissen, dass er nicht da ist. 
Bei normaler Lebensweise würde Vaters Geld lange für ihn reichen. Die Pflegeheime in Frankfurt aber kosten weit über 100 EUR am Tag in der Pflegestufe III, von der ich aus gehe. Bei uns in der Umgebung sind die Pflegeplätze rar. Verschiedene Einrichtungen nehmen gar nicht oder nur mit Warteliste auf. Ich denke an das Pflegeheim in Nidderau, einem Nachbarort, dort wird mir aber gleich beschieden, dass es für Herren kein Einzelzimmer gibt. In vielen Heimen werden die Patienten in Mehrbettzimmern untergebracht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass meinem Vater so etwas zu sagt.