Montag, 15. Oktober 2012

Gold - XV

Ihm gegenüber sitzt ein Typ, der ihn wahrscheinlich kennt und trotzdem nicht grüßt, während er sich nicht sicher ist und ihn daher auch nicht grüßt. Das Grüßen ist Glücksache in Deutschland und hat durchaus mit Wertschätzung und nicht nur Höflichkeit zu tun. Da gibt es keine Normalität oder Sicherheit. Sicher ist nur, nichts funktioniert, doch der Zug fährt trotzdem. 
Normalität im Umgang mit dem anderen Geschlecht ist für ihn ebenso wenig gegeben. 
Viele Dinge machen viele Frauen gleich, analysiert er vor sich hin. Das laute Rufen etwa, das keinen Widerspruch kennt. Eingefahrene Verhaltensmuster, die sich in jeder Beziehung immer wieder einstellen und die nicht hinterfragt werden. 
Wie frei kann ein Mann sein?  
Hat er sich gerade von der Mutter gelöst, so beginnt schon die Suche nach den Herzdamen, deren Äußerungen sich im Wiederholungsfall manchmal bis auf das Wort gleichen. 
Er war sicher, es nicht zu mögen, dass jemand in ihn hinein kriechen wolle. 
Der Vibrationsalarm seines Handys schreckt ihn auf. Er spürt ihn eher als die Musik, schafft es jedoch nicht, das Handy aus der Tasche zu ziehen, bevor die Mitreisenden den Klingelton ausgiebig hören. 
Obwohl er seinen Klingelton mochte, fand er diesen Einblick in seine Vorliebe peinlich.
Zu allem Überfluss scheint sein Unterbauch die Vibration seines Handys imitieren zu wollen. Er spürt gelegentlich ein leichtes Ziehen, weiß, dass es sein Handy nicht sein kann und ist irritiert.
So wie, wenn er jemandem begegnet, der mit sich selbst zu reden scheint, dabei aber nur die Freisprecheinrichtung seines Handys benutzt. 

Dienstag, 9. Oktober 2012

Gold - XIV

Er war weit weg gefahren mit dem Zug und die Rückkehr mit einer Frau stand sicher nicht auf ihrem Spielplan. Keine würde das Prädikat "gut" erhalten, höchstens. dass die war ganz nett. Oder aber: "Das wird schwer." Das er weit gefahren war, hatte auch mit dem Vater zu tun, der verkündete, dass er keinesfalls bereit wäre für seinen Sohn (der eigentlich der "ihre" war), eine größere Wohnung zu nehmen. Mit der Hilfe eines anderen Mannes konnte er aber bereits mit Beginn seiner Berufstätigkeit zu hause ausziehen.
Ausgleichende Gerechtigkeit, so nannten das Schulfreunde.
Es war eine andere Unterstützung, als die, die er kannte. "Warte bis Dein Vater nach hause kommt!"
Diese Aussage war nicht hilfreich und er wartete nun nicht mehr. 
Mit dem Nachhause kommen per Bahn ist das so eine Sache. Wir haben Verspätung, ertönt es aus dem Lautsprecher. Wir bitten dafür um Entschuldigung. Das ist die einzige Erklärung für das Märchen, welches man den Fahrgästen vorher erzählt hatte. Die Geschichte eines liegengebliebenen Zuges, der anschließend weg geschleppt wird. Die Geschichte von Zugüberholungen und verspäteten Gegenzügen. 
Die Geschichte führt dazu, dass ich mich auf halber Strecke abholen lasse, weil ich den Durchsagen vertraue.
Kein Schaffner erzählt diese Geschichten, es lässt sich gar keiner blicken.
Stattdessen kontrolliert mich nun eine Schaffnerin, zwingt mich, das Buch zu zuklappen, obwohl sich der Zug bereits der nächsten Station nähert und sie daher nur flüchtig auf die hin gehaltene Fahrkarte sehen kann.

Montag, 8. Oktober 2012

Gold XIII

Die Sucht nach Freiheit ist es, die ihn von Beziehungen abhält, Beziehungen zu Frauen. Sein anderes Ich, diese Rachel, diese Männer nicht liebende und Frauen erst recht nicht, half ihm dabei.
Er fühlte sich in einer Art innerer Harmonie, die er nur spürte, wenn er allein, aber nicht einsam war.
Aber Einsamkeit war dennoch eine Bedrohung.
Dabei sehnte er sich dennoch nach einer gewissen Harmonie im Leben, einer Harmonie, die er nur erlebte, wenn er mit seiner Mutter sprach. Die ihn morgens vor der Schule zum Einkaufen schickte, für eine Zeitung, Fleischsalat und Zigaretten. Der es egal war, ob ihn ein Auto anfährt oder nur seines Scheinwerfer in seine Kniekehle steckt. Die solange rief, bis er zum Einkaufen ging, der seine Hausaufgaben egal waren. Die mit ihrem Lachen eine Macht war, die Verständnis ohne Bedeutung zeigte. Die dem Zehnjährigen die Nase ausbohrte, ihn aber nicht in den Arm nahm. Die später Blumen zum Besuch verlangte und der er als kleiner Junge die Haare kämmen durfte. Ihre Frage: "Bringst Du mir was Schönes mit?" bleibt für immer stehen.
Die Frau, die immer ihren Kopf aus der Wohnungstür streckte, wenn er kam. 
Sie wendete sich bei meinem letzten Besuch enttäuscht ab. Sie hatte das Blatt nicht wenden können.
Sie war auf der Suche nach Liebe und hatte sie nicht gefunden. "Ich liebe Dich" steht auf der Rückseite eines Fotos von ihr, dass sie meinem Vater geschenkt hatte.  

Freitag, 5. Oktober 2012

Gold - XII

Ist es der, der jahrzehntelang an ein- und derselben Ehe festhält und dabei gegen alle Anfeindungen und Ignoranz auf dem Posten bleibt? Dessen Bemühungen um Distanz der Vater lakonisch kommentierte: "Das schaffst Du auch nicht." Der Unberührbare, der mit dem man nicht spricht, über den man aber zuweilen spricht oder auch das nicht? Der, mit dessen Frau man so gar nicht klar kommen will? Der, dessen Kinder ihn nicht mehr sehen wollen? Der, der keine Freunde oder Bekannte haben darf? Genau der? Oder der, mit dem die Frauen reden, aber nicht ins Bett gehen, mit dem sie Mitleid haben oder der ihnen so jung vorkommt? Das ist alles falsch, dachte er sich. 
Ich bin der Junge, der die Eisenbahn beobachtet und der, älter geworden, in Zügen sitzt. Der so bleiben will, wie er ist, ein unbeschriebenes Blatt eben mit doch so vielen Eindrücken. Der rein bleiben will und das Leben durch sich hindurch schwimmen lässt auf der Suche nach Erkenntnis, dem Zusammenhang. 
Du willst Zusammenhänge erkennen, sagte man ihm. Du musst viel schießen, er verstand es nicht.
In seinen Zeitungen liest man, man will Bescheid wissen über seine Aktivitäten. Wo er steht, stehen bald auch andere. Man beobachtet ihn.
"Das haben Sie nun davon!" Durch einen Blutdruckabfall war ihm nach der Blutspende schlecht geworden.
Nun liege ich mit den Beinen nach oben und muss warten, bis "Ihre Majestät", die Ärztin, geruht, mir noch einmal den Blutdruck zu messen. Erst danach darf ich gehen. Und die Schwester hat nur einen Kommentar für mich über. Ich hätte rufen sollen, wenn etwas wäre. Das habe ich getan, so gut es ging, doch gesehen hat es nur die Ärztin.
Sich in der Willkür anderer zu befinden, das ist nicht seine Sache. Und doch gibt er anderen immer wieder die Möglichkeit, über ihn zu entscheiden. Ohne sozial sein zu wollen, verschenkt er sich ohne Gegenwert.  

Donnerstag, 4. Oktober 2012

Gold - XI

Die Aufgaben, über die er berichten wollte, sind allesamt sehr schwierig. Vor allem die Liebe empfand er als eine Dauerbaustelle, die unter seiner fortwährenden Abwesenheit Schaden zu nehmen drohte. Mit dem Alter wurde er nicht konzentrierter und da war es ganz nützlich, wenn ihn die Ehe dann wieder ins Boot zieht, wenn er vergessen hatte, dass das kalte Wasser eigentlich zu kalt ist und er lieber rudern sollte, um über den See zu kommen.
Er fühlte sich aber nicht immer wohl dabei, lieber dachte er an Paul & Rachel, die sich wie zwei reale Menschen bildeten. Diese beiden Identitäten, die sich in ihm breit machten und denen er diese Namen gegeben hatte. Wer aber ist diese Rachel? Sieht sie aus wie eine dieser Plastikschönheiten, die jetzt am See unten im Dorf stehen? In ihren Bikinis und den selbstverständlich schmalen Taillen, fabriziert auf Mauritius und in Deutschland handbemalt.
Rachel ist für immer jung, begehrenswert gut gelaunt und spricht vor allem nicht. erzählt nichts über andere Frauen im Büro, weiß nichts über die Schwierigkeiten, sich gegen die eigenen Kinder durchsetzen zu müssen.
Ein Bild der Jugend, leider ist weder ein Bauchnabelpiercing noch ein Tattoo über dem Steiß heraus gearbeitet. Eine Bekannte sagte ihm, sie würde in ihm immer nur Rachel sehen, nicht den Paul.
Wer ist dieser Paul?

Freitag, 28. September 2012

iPaddelei


Ein Jahr Erfahrung liegt nun hinter mir als Benutzer des iPad2. Ein Jahr, in dem ich das mir immer schwerer scheinende Teil treu und brav in meiner Tasche herum trage. Das Auspacken unterwegs ist mir eigentlich schon zuviel Aufwand. Vorwand für die Anschaffung des iPads war ein Zeitungsabo. Doch ich muss bis heute feststellen, dass mich das unerschöpfliche Angebot an Apps bis heute davon abhält, meine Zeitung wirklich zu lesen. Die "App des Tages" beginnt mich mehr zu interessieren als die redaktionellen Inhalte der Zeitung. Als Zeitungstext nehme ich das Gelesene ohnehin nicht war. Und meine Zeit und Energie droht im gleichen Verhältnis abzunehmen wie die Lebensdauer des Akku im iPad.
Passives Genießen und leider auch der Überfluss an abschaltbaren Push-Mitteilungen scheinen zum Credo der App-Welt zu gehören.
Doch was ist nun eigentlich das iPad: als Telefon zu unhandlich, als Laptop zu eingeschränkt ist es eher ein mobiles Surfgerät mit Emailempfang und eine Spielekonsole. Wobei die meisten Spiele nur eingeschränkte grafische Optionen offenbaren.
Nicht zu übersehen sind die mangelhaften Möglichkeiten der Synchronisation mit einem herkömmlichen Windows-PC oder Laptop. So lädt das iPad nicht seinen Akku, wenn es nicht mit einem Apple-PC oder -Laptop verbunden ist.
Und obwohl ich iTunes lästigerweise immer brav auch auf meinem Laptop aktualisiere, synchronisiert sich längst nicht alles.
Aber zurück zum Zeitungsabo: sollte ich weider eines wollen, dann nur in gedruckter Form. Nicht wegen der Druckerschwärze, aber wegen der Ruhe, die ich dann beim Zeitungslesen habe werde. Lesen statt Laden, das ist meine Zukunft.
Fazit: das Inseldenken von Apple ist out. Dem etwas etwas größeren Touchscreenhandy mit einer vernünftigen Kamera und der Anbindung an alle gängigen Systeme gehört die Zukunft. Wer aktiv arbeiten will, der kommt um einen PC oder Laptop mit Drucker sowieso nicht herum.

Donnerstag, 27. September 2012

Gold X

Aber die Burg da vorn, sie ist nicht echt, so wenig wie die schon als Ruinen gebauten Ritterburgen der Landgrafen und Könige vergangener Jahrhunderte. Etwas Ritterlichkeit in den Alltag zu retten, das habe ich mir vorgestellt. Streit nach gewissen Regeln, Kampf unter Gleichen und nicht unter Ungleichen. Sich nach einer Auseinandersetzung noch in die Augen sehen und die Hand reichen können. Das war auch der Grundsatz meines Vaters. Dem ich nicht immer folgen konnte, so aufgeregt war ich über seine Maßregelungen. 
Seine Hand, die reichte er mir immer und sie war so kalt an jenem Abend.
Das Vertrauen in andere Menschen war bei ihm nicht vorhanden und da herrschte zwischen uns stillschweigende Einigkeit.
Da ist es schon leichter, dem Funktionieren von Dingen zu vertrauen. Züge fahren auf dem Gleis, sie fahren nicht einfach woanders hin. Gleise sind wie Pläne. Pläne, von denen er so viele hatte. 
Wolfgang träumt oft und nimmt nicht am Unterricht teil. So hieß es in der Schule. Er solle andere an seinem Wissen teilhaben lassen, das war später. Er unterliegt diesen Plänen, verliert bei beim Versuch, diese zu erreichen, manches Mal den Überblick. Meist gilt es für ihn, fremde Anforderungen zu erfüllen. Diese Art der Jagd nach Liebe ist sein Lieblingsplaisir. Viele erfüllte Wünsche ziehen aber neue unerfüllte nach sich. So ruht er in einer Art Unruhe, die ein Vorwärts nicht einschließt. Dinge nehmen ihn nach wie vor gefangen. 
Vor dem Bahnhof brennt jetzt ein Licht. An dem See könnte er sitzen, mit einer Frau tanzen und sie danach küssen, um Hand in Hand mit ihr durch Orte zu gehen, die er gern wieder sehen möchte. 
Später, er weiß, dass er das kann.
Er hat bereits Pläne geheiratet, Pläne und eine Unruhe, die sich nach außen bricht, ihn in seinen Bann zieht.
Die nichts weiß von seinem goldenen Buch, das gerade wieder durch einen achtlos vorbei schrammenden Rucksack beschädigt zu werden droht. Der Rucksackträger sagt sogar: Entschuldigung.