Mittwoch, 29. Februar 2012

1980 - XLVI

Hier ist das Aktuelle Mordstudio

Vier Rennfahrer im Seifenkistenrennen,
ein irrer Spaß. Sogar der Moderator lacht unkontrolliert,
setzt dann die Moderatorenmiene auf und fragt den Fahrer Winkelhock
nach seinen beiden kleinen Kindern.
"Die sind wohlauf" sagt Vater und
braust mit 300 Stundenkilometern vor eine Betonwand.
Aus.
Ein Sohn schreibt seinem Vater einen Brief,
erklärt sich, bittet um Verständnis.
Der Vater meint, er brächte das schon
wieder in Ordnung und antwortet nicht.
Fortgesetzt sagen Menschen Dinge, die nicht stimmen,
setzen freundliche Mienen auf,
zum durchaus ernst gemeinten bösen Spiel.
Laßt Euch nur herrichten in der Waffenkammer
der selbsterfahrenen Psychologen,
auf das der Mensch gewappnet sei.
Denn verwundbar ist er von Natur aus und
dies erweist sich in einer Leistungsgesellschaft, die Anpassungsleistung fordert, als seine eigentliche Schwäche.
Die menschliche Aufrüstung und deren Resultate lassen einen starken Brechreiz zurück.

Allein der Ekel verhindert den Auswurf, wie heißt es doch ?
Vornehm geht die Welt zugrunde.
Insgesamt stimmt das.

1980 - XLI

I am death

Tödliche Pfeile treffen meine Seele,
immer wenn die Wunden verheilen, kommen neue hinzu,
mein Blut ergötzt euch,
ihr wollt es sehen,
die Seele ist euch zuwider
und selbst, wenn sie stirbt,
ist es euch nicht recht,
der Körper soll auch beseitigt werden,
denn er drückt das Leiden der Seele aus.
Schafft die Leiche weg,
Zombies,
noch nicht einmal das Ende hat bei euch Würde.

Je suis mort

Dienstag, 28. Februar 2012

1980 - XLV

Kalender

Versuch, die geometrischen Figuren zu ordnen,
die willkürlich in unseren Gedanken als Facetten erscheinen,
durch die die Welt sich bricht, die, hier,
in naiver Weise klar erscheint,
was nichts an der Geborgenheit des Traums ändert,
der die Vergänglichkeit symbolisiert und schützt,
die uns zu erdrücken scheint.

Betrachtet im Spiegel
oder durch die Linse des Photoapparates
manifestieren statische Momente
das Bedürfnis nach Zufriedenheit und geben uns Zeit,
zu erkennen
und danach einzutauchen in die Veränderung der Welt,
die wir auch im nächsten Jahr nicht schaffen werden.

Montag, 27. Februar 2012

1980 - XLIV

König Alkohol

"König Alkohol", dieser Buchtitel von Jack London hat mehr als symbolische Bedeutung, denn die Weise, in der König Alkohol seine Macht erlangt, ist eine magische.
Übt er bei vielen Menschen nur eine vorübergehende, zeitlich begrenzte, Regentschaft aus, so ist der Herrscher Gast im Hause derer, die ihn rufen.
Doch dieser Gast entfaltet bald eine merkwürdige Anziehung.
Er tröstet den Einsamen, hält dem Fragenden seinen Zerrspiegel vor und verspricht dem Vielgeplagten Ablenkung.
Er spielt eine Karte nach der anderen aus, immer noch einen Trumpf in der Hinterhand haltend, um sein Bleiben zu entschuldigen.
Er bleibt dabei stets im Hintergrund und unauffällig, um seinem Opfer den Spielraum zu jeder Selbstverwirklichung zu geben.
Es gibt nur die eine, kleine, Bedingung, nämlich die, daß er Gast bleibt.
Doch in Wirklichkeit könnte sich der Rufende gar nicht mehr von seinem Gast trennen.
Selbst wenn er König Alkohol zum Gehen aufforderte, so würde dies nichts ändern.
Der Ruf nach Ihm ist unwiderruflich.

Er lockt mit seiner klaren, ausdrucksvollen, Sprache, der kalten Wärme und der unbestechlichen Logik des Gefühls.
Er bietet seine Gesellschaft als starker und mächtiger Freund an und gibt Vergessen und scheinbare Ausgeglichenheit zurück.
Ist dieses Angebot erst einmal akzeptiert, so erbietet sich der glitzernde Herr, aufgrund der nun eingegangenen Partnerschaft, alle Probleme zu bereinigen.
Das arme Opfer redet dem König das Wort und glaubt, sein wahres Ich entdeckt zu haben.
König Alkohol weidet sich an dem Irrglaube seiner Opfer in der Sicherheit, sie gewähren lassen zu können.
Den geringsten Zweifel zerstreut er mit dem Aufblitzen seines philosophischen Geistes und treibt mit der Gewißheit seines Daseins sein Opfer von Rausch zu Rauch, von Selbsttäuschung in angenehmen Wahn.
Schließlich wird Er, der Magier, sein Opfer der Bestimmung seines Herrn übergeben.
Das Opfer wird es so wollen.
Wehe um den, der soweit gekommen ist !

Der graue Geselle wartet überall, man kann Ihm nur in Freiheit begegnen.

Samstag, 25. Februar 2012

1980 - XLIII

Schlag-Zeilen

Schlagzeilen tropfen in die Köpfe der Menschen,
gebrauchte Wörter nehmen sie in den Mund,
glauben ihre nicht eigene Meinung,
erklären Unverstandenes weiter,
wälzen sich im eigenen Dung
und kommen doch immer auf den Hund.

Freitag, 24. Februar 2012

1980 - XLII

Wo bleibt die Erkenntnis ?

Die Existenz des Lebens zu beweisen, das ist eine Aufgabe, die mir müßig scheint.
Das Leben beweist sich durch sich selbst, wir suchen ein für uns gültiges Bild davon.
Als Menschen schließen wir dabei alle Empfindungen anderer Lebewesen aus.
Unsere Auffassung der Dinge wird bestimmt von der Fähigkeit unserer Sinne, etwas aufzunehmen und von der unterschiedlichen Persönlichkeit,
die uns eine Subjektivität gibt, die mal als Objektivität, mal als Individualismus verstanden wird.
Zwar ist der Mensch als Einzelwesen einmalig und unterscheidet sich daher von all seinen Mitmenschen, doch bin ich der festen Überzeugung, daß auch er eine Variante eines immer gleichen Spiels ist und das es eine Einheit gibt, die sich aus der Unendlichkeit der Möglichkeiten ergibt, die gleichsam doch eine Begrenzung darstellt.
Der Mensch als Vielheit einer größeren Einheit, das ist die Aufhebung von Gegensätzen, die dennoch bestehen bleiben.

Trotz der vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten menschlichen Lebens zwingen uns objektive biologische Notwendigkeiten wie das Atmen, Essen, Trinken, Schlafen und letztlich Sterben in eine Art der Lebenserhaltung und Fortpflanzung, die uns wiederum zwingt, uns nicht nur gleich zu verhalten, sondern auch darüber hinaus einen gemeinsamen menschlichen Konsens zu schaffen, der um so wichtiger ist, je mehr Individuen existieren.
Gerade daran scheitern wir allerdings: der Konsens, der sich bei den Tieren und Pflanzen zu perfekten Ökosystemen ausgebildet hat, will uns trotz überlegener geistiger Fähigkeiten nicht gelingen. Uns fehlt der perfekte Plan der Pflanzen und der Instinkt der Tiere.
Wie stelle ich mir einen Vogel vor, der "bewußt" zu fliegen versucht ?
Der Ersatz der übergeordneten natürlichen Steuerungsmittel durch den selbständigen Verstand mißlingt und das beweist, daß unser Individualismus den Untergang bedeutet und gleichzeitig, daß unsere Erkenntnis, selbst wenn sie zutrifft, ohnmächtig ist und bestenfalls als Vorstufe zum Tod und letzten Endes damit zur Einheit gesehen werden muß.
Mit Erkenntnis ist damit im weitesten Sinn Vernunft gemeint als Fähigkeit, Dinge zu beurteilen und innerhalb eines Gedanken- und Wertsystems in Beziehung zueinander zu setzen, einen eigenen Standpunkt zu finden.

Freilich ist es möglich, die Erkenntnisse zu akkumulieren und immer weiter zu ergänzen, sodaß eine höhere menschliche Objektivität erzielt wird, d. h. Erkenntnisse werden nachvollziehbarer.
Die Wissenschaft, im Gegensatz zum vorgegebenen Bauplan der Natur resp. Schöpfung, kann sich nie aus ihrem menschlichen Rahmen lösen, d.h. eine objektive Realität ist nicht herstellbar.
Damit ergibt sich die Frage: wozu also die Mühe, etwas erkennen zu wollen ?
Gerade der menschliche Rahmen gibt uns die Möglichkeit, irgendwo aufzubauen, hätten wir ihn nicht, so gäbe es nichts zu erkennen.
Die Begrenzung unserer Sinne heißt das Leben und die Erfahrung.
Der Mensch ist Ausdruck des Wunsches nach Unterscheidung und scheinbarer Trennung, obwohl er immer Teil des Mikro- und Makrokosmos bleibt.
Er besteht in ihm und aus ihm.
Und obwohl wir begrenzt sind, werden wir unsere Grenzen nie erkennen.
Weder die Weite des Universums, noch die kleinsten Teilchen werden wir sehen.
Nur in uns selbst finden wir philosophische Wahrheit: das Prinzip der scheinbaren Gegensätze. Nichts ist von Bestand und doch besteht es.
Auch die letzte Begrenzung unseres Daseins können wir als endlich und zugleich unendlich begreifen.
Wie können wir sterben, wenn wir eigentlich gar nicht leben ?