Freitag, 10. Mai 2013

Mittagspause in Frankfurt


Dieses Refugium an begrenzter Zeit und Freiheit.

Kein Grund zum Hetzen, denke ich. Weiß wie viel Zeit ich habe und dass ich mein Projekt auf jeden Fall schaffe. Gehe also normalen Schrittes der Mahlzeit entgegen, die so gern überall ausgerufen wird

Hinter mir vernehme ich deutlich schnellere und lang gezogene Schritte, sie kommen näher, aber keiner überholt mich. Der Typ geht stattdessen hinter mir her. Ich bin vorbereitet, sicher wird er mich gleich überholen und mir, so als wäre ich nicht da, den Laufweg abschneiden. Entweder trete ich ihm gleich in die Hacken oder er latscht mir auf die Füße.

Ich erhöhe mein Tempo. Früher hat man mir gesagt, ich würde so langsam gehen. Bei großen Menschen sieht alles etwas langsamer aus. Aber ich verfüge nicht über diesen langen Schritt, meine Anatomie schreibt eigene Gesetze. So habe ich für mich den Schnellgang erfunden, damit ich es den Nörglern zeigen kann.
Mein Hintermann denkt gar nicht dran, sich nun vor mich zu setzen. Mühelos latscht er hinter mir her, während ich mir den Wolf ablaufe.
So hatte ich mir die Vorbereitung auf den Mittagstisch nicht vorgestellt.

Im Walkingschritt mag ich es mit einem langsamen Jogger aufnehmen, das muss ich nun nur abrufen. Aber bevor ich dazu komme, hören die Schritte auf. Ausnahmsweise muss jemand mal nicht den gleichen Weg gehen wie ich. Ich entspanne, bemerke fast gar nicht, dass rechts neben mir ein Typ vorbei rempelt. Kurz geschorene Haare, schlecht sitzender Anzug, das Hemd krumpelig über der Hose, die Krawatte nach hinten über die Schulter gelegt. Er setzt sich vor mich, tritt mir voll auf meinen rechten Fuß, der in frisch geputzten schwarzen Schuhen steckt. Er hat nicht bedacht, dass ich nicht stehen bleibe. Ich rufe: Mensch Maier, kannst Du nicht aufpassen! Es schmerzt, vermutlich ein schöner Bluterguss. Er dreht sich nicht mal um, stiefelt weiter in seinen brauen, nicht geputzten Schuhen und dem grauen Anzug. Mein Fuß war sicher weich wie das Leder meiner Schuhe und er hat nichts gemerkt.

Tage später sitze ich bei einem Menschen, der sich Psychotherapeut nennt und wegen mir aufs Rauchen während der Therapiestunde verzichtet. Er liest meinen ausgefüllten Fragebogen, den ich ihm Punkt für Punkt ausgefüllt habe. Alles riecht nach kaltem Tabak, die vielen Bücher, sein alter Schreibtisch, vor dem ich sitzen darf. Er selbst wirkt wie eine Karikatur von Klaus Kinski in seinen späten Tagen auf mich. Später werden einige Therapiestunden wegen seiner Lungenkrankheit ausfallen.

Er hat mir einiges über seine Therapien erzählt. Oft geht es um die Arbeitsfähigkeit von Patienten. Die Leute, so sagt er, sind froh, wenn sie Frankfurt hinter sich haben. Ich beginne zu verstehen, warum alle am Frankfurter Hauptbahnhof so kreuz und quer rennen, bin schließlich auch immer froh, wenn ich heil am Zug angekommen bin.

Er blickt mich durchdringend und nachdenklich an, sagt dann: Sie haben Angst, von anderen verletzt zu werden.  Da hat er wohl irgendwie recht.

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