Sonntag, 19. Juni 2011

1990 - III

Ein schmales Frauengesicht sieht mich an. Ich habe Angst vor der zudringlichen Art und der schlangenhaften Umklammerung. Versuche mich zu entwinden, wende Gewalt an. Immer wieder Gegenangriffe. Ein langer Kampf. Dann das Gefühl, sie verlassen zu können. Ich schicke einen Löwen in den Kampf, um sie an meiner Verfolgung zu hindern. Ich verlasse sie auf einem umzäunten Grundstück und beobachte, dass sie, den Löwen an die Leine nehmend, sich zurück zieht. Na ja, Raubtiere sind unberechenbar. Ob ich sie wiedersehe, denke ich und fahre. –

Samstag, 18. Juni 2011

1990 - II

Wir sind irgendwo bei Zwickau. Wir fragen nach dem Weg, wollen weiter. Die Luft ist schweflig gelb. Erde wird verbrannt, dann in eine Kiste getan. Dazu kommen Flaschen mit Roséwein. Das alles soll vergären zu etwas ganz Leckerem. Mir kommt die Erde so fruchtbar vor, fast essbar wie das Leben. Ich sehe die feuchten Krumen. Vermischt mit irgendwelchem Abfall. Neues soll daraus entstehen. –

Freitag, 17. Juni 2011

1990 - I

Eben noch mit dem Ruder in klares Kanalwasser eintauschend, das silbrige Band vor mir sehend, blicke ich zum Himmel. Alles schaut nach oben. Ein Getöse wie bei einem Jet, breite Kondensstreifen kreisen, ohne das ein Objekt zu sehen wäre. Fällt etwas auf die Erde? Die Wolken ziehen rückwärts, wo eben noch blauer Himmel war, das Ende? Bloß nicht nach oben schauen, die Menschen irren über die Düsseldorfer Straße. Ich halte einen runden Streuselkuchen in der Hand, ein Mädchen fragt, ob das eine Pizza ist. Im Zoogeschäft sehe ich ein Aquarium. Fische schwimmen an der Oberfläche, ihr Körper halb aus dem Wasser. Ich lege ein Glas oben auf das Becken, habe Angst, dass sie herausspringen. Zwei Schwertträger nahmen Stellung ein, um sich zu bekämpfen. Ein größerer will ein kleines Männchen vertreiben, stellt die Flossen hoch und biegt sich. Das kleinere nimmt Abwehrhaltung ein und verschwindet in den Wasserpflanzen. Ich haste weiter, alles ist irgendwie von unruhiger Ruhe erfüllt. Der Himmel ist blau und gelbe Wolken ziehen. Trotzdem keine heitere Stimmung. Im Schaufenster sehe ich passbildartige Fotos von tätowierten Ärschen. –

Donnerstag, 16. Juni 2011

1989 - VII

Fahrt durch endlos lange Straßen, eine Frau rennt einen Mann um. Sprachliche Wurfgeschosse, die keiner fängt, fliegen umher in Weihnachtspapier gewickelt und keiner packt sie aus. Im Bus und in der U-Bahn herrscht starrende Langeweile, Selbstbehauptung und –beherrschung. Selbst aufgestoßene Türen bringen nur den Kontakt zu mit Geldscheinen verstopften Mäulern. Macht hoch die Tür, aber den Geldbeutel schön weit. Inmitten des menschlichen Nihilismusgetöses faselt ein Vorsitzender etwas von Vereinigung und die Menge ruft: Helmut, rette uns. Das ganze Leben gearbeitet.. sächselt es uns entgegen. Mein Aktenkoffer für morgen ist gepackt, die Minuten gezählt, bis der Deckel auf mir nieder geht. –
Gambacher Kreuz und Einmündung in die Menge der roten Heckleuchten, die sich einer Schlange gleich durch den Taunus windet. Diese Lichter sind Belastung und Wärme zugleich.

Mittwoch, 15. Juni 2011

1989 - VI

Ich grabe und hebe Erde aus. Die Erde ist mit feinen Wurzeln durchsetzt. Als ich einen Teil der Erde abgetragen habe, merke ich, dass es sich um die Form eines Menschen handelt. Trotzdem empfinde ich kein Entsetzen und keine Angst, grabe weiter bzw. nehme mit bloßen Händen Zugriff und löse die Erdklumpen mit den feinen Verwurzelungen.

Dienstag, 14. Juni 2011

1989 - V

Film ab. Der Zug rollt gen Frankfurt. Es ist dunkel, sodass ich nicht viel sehe. Mein Vater hat mich zum Bahnhof gebracht, wir standen eine Viertelstunde in der Kälte. Er sieht immer noch gut aus. Er hat Mühe, die Fassung zu wahren. Er würde es gut finden, wenn ich bliebe, aber ich kann mich nicht durchringen. Zuviel Kraft kosten mich die Stunden bei meinen Eltern, vor allem der Zustand meiner Mutter. Ich möchte bleiben und doch nicht. Ich weiß, dass in Frankfurt jemand wartet und das, was ich mein Zuhause nenne. Ich sehe den Vollmond aus dem Zug. Was für eine wundervolle Welt! –

Montag, 13. Juni 2011

1989 - IV

Während eine nervige Fliege über meine Füße krabbelt, versuche ich meine Gedanken zu ordnen. Wenn Jesus heute am Kreuz hinge und fragen würde: Mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Was könnte er antworten, etwa: Weil ich solche dürren Jammerlappen wie Dich nicht leiden kann. Die dickbäuchigen, zufriedenen, mit ihren kleinen Sorgen beschäftigten, Menschen sind mir lieber. Die ihren Weg klaglos gehen, alles akzeptieren, die schweigende Mehrheit, die Du zu kritisieren wagst, die dafür sorgen, dass alles weitergeht und große Änderungen, die ich nicht wünsche, auch nicht statt finden. Die Menschen wollen kein Seelenheil, keine reine Lehre. Sie wollen Farbfernseher, Videorecorder, Autos etc., wie Du sehen würdest, wenn Du 2000 Jahre Zeit hättest. –