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Es werden Posts vom Dezember, 2012 angezeigt.

Gold - LIII

Wir haben einen Termin in Nidderau, eigentlich soll heute der Heimvertrag gemacht werden. Auch den muß ich zur Kündigung von Vaters Wohnung vorlegen. Man läßt uns warten. Zwar begrüßt uns der Heimleiter mit der Frage, ob er etwas für uns tun könne, doch die Verwaltung läßt sich Zeit. Als wir schließlich herein gebeten werden, begrüßt man uns mit der Frage, warum wir eigentlich da sind. Die Dame, die uns angerufen hat, ist nicht im Haus. Da ist ein Fahler passiert. Das Zimmer ist an einen Kurzzeitpflegepatienten vergeben. (In Vaters Krankenzimmer wird Musik gemacht, ein Mann spielt Gitarre, eine Frau schlägt auf eine flache Trommel. Paint it black, lautet die Melodie. Ein Junge ist auch noch dabei. Zuerst glaube ich, es sei mein Kind, aber es gehört wohl zu dem  Mann. Vater stört die Musik, er liegt im Bett. Seine Haare sind wieder dunkler geworden. Ich will ihm am Fenster zeigen, wo ich wohne. Er springt fast aus dem Bett und läuft in seinem Jogginganzug vor mir her. Er sieht kräft...

Gold - LII

Paul kam es vor, als hätte er damals eine glückliche Zeit gehabt, als der Vater nach Frankfurt kam. So war es wohl auch trotz der Umstände die seine Krankheitsgeschichte begleiteten. Die Ärztin sagt mir, sie sei verpennt. Ich müsse entschuldigen, sie hätte Nachtdienst gehabt und daher könne sie nicht so gut sprechen. Damit meint sie es noch gut mit mir. Manche denken einfach nur; scheiße, warum hält mich dieser Mensch jetzt auf. Den freundlichen Doktor, der den besorgten Angehörigen, verbindlich, aber gut gelaunt Auskunft gibt, den gibt es nicht. Der soll auch Verständnis für die Sorgen von Angehörigen aufbringen?. Die Gespräche werden den Ärzten auf genötigt, die schon ihre Mühe haben, den Alltag ohne lästige Kundenbefragungen zu meistern. Ein Dankeschön ist angebracht, wenn jemand mehr als zwei Sätze spricht, übermenschlich erscheint schon eine menschliche Dimension im Gespräch. Ein Gedanke an die Folgen für den Patienten.. So hechelt man ehrfürchtig herum, immer mit dem Gedanken, da...

Gold - LI

Wir erhalten einen Anruf vom Heim in Nidderau, es sei doch ein Pflegeplatz frei. Das war meine Idealvorstellung, die Egon mittlerweile teilt. Als ich ihn wieder nach der Arbeit besuche, hat er die Isolation hinter sich. Er ist in einem Südzimmer mit Blick auf die Frankfurter Skyline untergebracht. Sein Bett steht am Fenster. Das Abendbrot ist schon da. Das innen stehende Bett ist mit einem alten Herrn belegt, dessen Frau am Bett sitzt. Der Mann ist bestimmt genauso schwer krank wie Vater, er spricht kaum. Vater stellt selbstironisch fest: "Ich spreche ein hervorragendes Deutsch."   Tatsächlich hat er durch die Krankheit seinen Dialekt etwas verloren. Die Mühsal des sich Artikulierenmüssens zwingt ihn zu einer deutlicheren Aussprache. Auch wenn das nicht immer gelingt, weil Kraft und Vermögen fehlen, der Kasselaner Dialekt wird schwächer. Ich muß mal wieder das Fenster öffnen, zumindest kippen, Vater billigt es mir zu. Der Geruch von zwei liegenden Patienten in einem relativ k...

Gold - L

Paul war aus ihrer Sicht einfach naiv oder er bastelte sich das Leben so zurecht, wie er das brauchte. Zweifelsohne auch eine Kunst, dachte Rachel. Manchmal beneidete sie ihn um diese Eigenschaft, die Realität ausblenden zu können, sie selbst nutzte lieber andere Möglichkeiten. Sie tat so viel wie möglich, um in ihren Augen gut auszusehen und scherte sich dabei wenig um die Erwartungen, die sie schürte. Sie war nicht böse um ihre Distanz zu den Mitmenschen. Sie wusste, dass alles, was Menschenhirne sich früher oder später mal ausdachten, auch irgend wann geschehen würde. Und sie wollte nicht bei allzu vielen Sachen dabei sein. Die Trägheit der Brei, in dem sie ständig herum rühren müsste, wollte sie etwas Mitmenschliches erreichen. Aber ein Brei ist kein Fundament und schon gar nicht für ihr Leben.  In diesem einen Dasein wollte sie allein bestimmen, welche Zeit sie sich wann für was nahm. Entscheidungen für die Liebe verortete sie klar im Bereich der Märchen- und Sagenwelt. W...

Gold - XLIX

Im Krankenhaus sehe ich Vater nun öfter, allerdings folgt dem positiven Eindruck bei den nächsten Besuchen kein weiterer in Sachen Beweglichkeit. Er weigert sich fast, weitere Versuche mit dem Sitzen zu machen. Schon in der ersten Woche leidet er unter einer so schweren Infektion, dass er isoliert werden muß. Ich finde ihn am ganz anderen Ende des Ganges im letzten Zimmer wieder. Ich muß einen Mundschutz und einen Kittel tragen, Handschuhe anziehen. Ich habe Vater Wasser mitgebracht. Er greift danach wie nach einem Flaschenbier und trinkt sofort. Ich hatte damit gerechnet, dass er sich über meinen Aufzug lustig macht, aber er ignoriert es fast. Mir ist er lästiger als ihm. Er meint: "Da kommst Du also   angeschlichen." Er hatte mit meinem Erscheinen nicht gerechnet und versucht mir nun zu erzählen, dass man ihn in einen anderen Raum gefahren habe, wo er allein war. Niemand habe sich um ihn gekümmert. Eine Sauerei sei das gewesen. Von seinem Zimmer aus geht der Blick Richtung ...

Gold - XLVIII

Paul hatte auch an dem Verlust der Beziehung zu seinem jüngeren Bruder gelitten. Waren sie einst Leidensgenossen, die sich in ihrem gemeinsamen Zimmer die Streitereien der Eltern ansehen oder mindestens anhören mussten, so war der Bruder nach seinem Auszug allein mit einem Vater, der seine Behinderung nicht anerkannte und mit einer Mutter, die sich nicht darum scherte.  Paul war ja nun Betreuer des Vaters und konnte sich gut vorstellen, auch die Betreuung des Bruders zu übernehmen, wenn gleich er wusste, dass dieser in erste Linie auch auf finanziellen Profit aus war.  Zudem stieß ihn dessen  latent vorhandene enorme Aggression ab. Schon als Kind hatte er Dinge zerstört, die eigentlich nicht zerstörbar waren. Für Paul war das damals kein Problem, den aufgrund des Altersunterschieds hatte er meist die klare Oberhand.  Nun aber waren die Karten anders gemischt, im Zweifelsfall wäre wohl der Bruder stärker und hätte das Überraschungsmoment auf seiner Seite, denn Paul wu...

Prag

Ein Wochenende in Prag Wir kommen an einem Freitagmorgen in Prag an, das Taxi haben wir bereits von Deutschland aus bestellt zu einem Festpreis. Sehr viele Warnungen kursieren im Internet ü ber betr ü gerische Taxifahrer. Unser Fahrer ist sehr freundlich, spricht aber kaum deutsch. Dennoch entwickelt sich ein sehr nettes Gespr ä ch auf englisch. Die Fahrt ins Hotel f ü hrt und die Vororte und Vorst ä dte von Prag, die sich nicht sonderlich von anderen St ä dten Europas unterscheiden. Als der Fahrer dann jedoch den Hinweis "Prager Burg" ausgibt, sind wir bald am Ziel. Ü ber den Kleinseitener Ring erreichen wir schlie ß lich unser Hotel gegen ü ber der Deutschen Botschaft in Prag. Vorher wurde unser Auto noch von der Polizei auf Bomben hin untersucht, weil hier auch die amerikanische Botschaft in der N ä he ist. Die Kleinseite ist ein Stadtteil Prags, der westlich an die Moldau grenzt und durch die Karlsbr ü cke mit der Altstadt verbunden ist. Fr ü her wohnten hier wie auch in ...

Gold - XLVII

Als ich nach der Arbeit im Krankenhaus an komme, und sein Zimmer betrete, ist er nicht da. Das Zimmer ist klein und das ihm zugedachte Bett das erste an der Tür. Zum Fenster hin liegt ein Mann, der mindestens so alt ist wie mein Vater. Vaters Tasche steht unausgepackt auf dem Boden, er hat angewiesen, dass nur ich seine Tasche auspacken darf. Als wir gerade etwas ratlos aus dem Zimmer gehen, wird er im Bett vom Flur aus herein geschoben. Die Schwester ist sehr freundlich und der Arzt kommt auch gleich. "Es sieht ja beschissen aus." stellt Vater vorab fest.   Wir fragen den Arzt, welche Meinung er vom Zustand meines Vaters hat. Das weiß er natürlich noch nicht, weil er ihn gerade zum ersten Mal gesehen hat. Sie haben sein Schluckvermögen getestet und es sieht nicht gut aus. Das Legen einer PEG (Magensonde) wird unvermeidlich sein. Ich gehe kurz mit dem Arzt mit und leiste die erforderliche Unterschrift. Danach beginne ich, Vaters Tasche auszupacken. Das Portemonnaie ist da, ei...

Gold - XLVI

Das er sich nun zur Liebe im Allgemeinen bekannte, konnte Rachel nicht sehr beeindrucken. Paul hatte seinen Vater überschätzt und die restliche Welt nicht so ernst genommen. Einer scheinbaren Übermacht erlegen, hatte er sich dem ohnehin nutzlosen Zweikampf entzogen ohne sich von den zu hause erlernten Verhaltensmustern befreien zu können, was allerdings kein Alleinstellungsmerkmal für Paul ergab. Sein Vater hatte ihm gesagt, Frauen seien etwas Besonderes. Da müsse Mann ran gehen wie die Feuerwehr. Paul hatte aber nie gesehen, dass der Vater den Worten Taten folgen ließ. Es selbst konnte bei Frauen einen ungeheuren Pragmatismus gepaart mit einer ständigen Unsicherheit und einem hohen Täuschungsvermögen feststellen. Frauen waren eben auch nur Menschen. Bei seinen Beziehungsversuchen hatte er, wenn es ernst wurde meist kalte Füße bekommen. Ihm war klar, dass wenn er sich auf eine Frau einließe, dies in der Regel eine gewisse Selbstaufgabe verlangte und vor allem war er mit seinem Stolz vö...

Gold - XLV

Wir können ihn noch ein bis zwei Wochen hier behalten und es gibt hier einen sozialen Dienst, der sich um die Unterbringung in einem Pflegeheim kümmert. Auch in unserer Gegend. Ich bin skeptisch, ich weiß, aus einer Woche Krankenhaus werden leicht zwei usw. Ich argumentiere damit, dass die Besuche für meinen Vater wichtig sind. Dr. F. ist wieder sehr aufgeschlossen, er sagt mir erst einmal zu, es in Hanau zu probieren. Er meint aber, dass kein anderes Krankenhaus Vater aufnehmen würde, weil er ja bereits in Behandlung ist. Er ist sich da sehr sicher, überläßt es aber mir, Krankenhäuser zu suchen. Neben der Krankenhaussuche telefoniere ich nun seinen Sachen nach. Im Balserischen Stift ist angeblich nichts geblieben, die Reaktion ist zudem da sehr schwerfällig. Im PKH werde ich fündig, sein Portemonnaie ist dort. Bei der Beschreibung der Brille wird es schwierig für mich. Wir haben hier etliche Brillen und Uhren, wenn Sie vorbei kommen wollen..  Nach meiner Beschreibung wird eine Bri...

Gold - XLIV

Du hast also wegen dieser Frau dein altes Leben aufgegeben? fragte Rachel. Paul war erstaunt, wie wenig sie offenbar die Situation verstand, in der er sich befunden hatte. Aber es war ihm schon immer aufgefallen, dass Menschen offensichtlich, die aus ihrer Sicht wichtigen "Highlights" behalten und kommentieren. Er wollte nicht soweit gehen, zu behaupten, dass Frauen generell die Rolle, die Frauen in einer Geschichte spielen können, nur aus dem eigenen Blickwinkel verfolgen. Es schien ihm aber klar, dass jeder Mensch in seinem eigenen Universum lebte und nur die Dinge zu ordnen konnte, die er selbst mal erlebt hatte. Deswegen legte er auch nicht all zu viel Energie an den Tag, um Erklärungen abzugeben. Wenn er schriebe, dann sicher nur für sich.  Diese Einsicht stimmte ihn ruhiger, als er gerade zur damaligen Zeit wirklich war. Autarkie hatte er sich erarbeiten müssen. Wer seinen auf einem alten Holzstuhl sitzenden Vater als Gegner ausgehalten hatte, der brauchte sich vor neue...

Gold - XLIII

So sitzen wir also an dem folgenden Freitag in seinem Krankenzimmer. Nach der obligatorischen Pause in der Cafeteria beginnt die Suche nach seinem Hab und Gut. Die Handtücher vom Balserischen Stift fehlen. Ebenso sein Portemonnaie, seine Brille und die Uhr. Ich kriege eine nervöse Phase und es entwickelt sich ein Streit. Ich hätte letztes Mal besser kontrollieren sollen. Während ich versuche, zu beschwichtigen, um Vater nicht zu beunruhigen, wird meine Frau immer unruhiger. Vater ist erstaunlich gelassen, sagt nur: "Streitet Euch nicht." Ich sage "Wir streiten immer." Fast scheint es mir, als würde er gleich aufstehen. Er nimmt die Befindlichkeiten unserer Beziehung deutlich wahr. Ich kriege alles wieder, sage ich trotzig, obwohl ich nicht recht daran glaube. Ich habe ein Bild von mir und den Kindern gerahmt  und stelle es auf seinen Nachttisch. Es gefällt ihm. Eigentlich waren wir heute hier, um mit Dr. F. zu reden. Leider mußte dieser unplanmäßig einen Nachtdienst...

Gold - XLII

Paul weigerte sich noch, eine gewisse Regel in seinem Leben zu erkennen. Sobald ihm jemand nahe kam,  sei es als Freund oder Freundin, sah sich diese Person etlichen unschönen Verhaltensweisen der anderen Bekannten ausgesetzt. Die Entscheidung für jemanden schien automatisch eine Entscheidung gegen den Rest der Welt zu sein. Sein Kreis der Kneipenbekanntschaften war dahin. Leute, mit denen er sich manchmal täglich getroffen, manche Nächte verbracht hatte, wendeten sich ab. Ebenso sein "bester" nordhessischer "Freund". Der Neubeginn war eine Zeit der stillschweigenden Abschiede. Zusätzlich quälte ihn die latent immer schon vorhandene Ungewissheit, wie er sein Sprachstudium in Frankfurt abschließen sollte. Er fragte sich, wie er seine englischen Sprachkenntnisse einsetzen sollte, wenn fast alle Vorlesungen in deutsch gehalten wurden. Und wie er einen Professor dazu bringen könnte, ihm Tipps für eine Forschungsarbeit zu geben. Der Amerikanistikprofessor war sicher ein ...

Gold - XLI

Nach einem Besuch bei meinem Bruder finden wir schließlich das Krankenhaus. Wir haben die Wäsche dabei, die wir eigentlich schon hätten nach Bad Orb mitbringen wollen. Einen Arzt sehen wir an diesem späten Sonntagnachmittag nicht. Wir haben auf Wunsch der Schwestern Handtücher gekauft. Vater reagiert mit einem Seufzer, nachdem ich ihn aus seinem Dämmerzustand geweckt habe. Er redet sehr undeutlich. Ich kontrolliere erst einmal die Wäsche, finde wieder schmutzige Sachen. Er liegt nun am Fenster, ein zweiter Patient liegt längs dazu. Es sei hier ganz gut, sagt Egon. Ich stelle ihm das Kopfteil hoch. Ich erzähle ihm, dass er in Gießen ist.    Das mein Bruder auch in Gießen ist. Aber er spricht sehr leise. Wir stellen fest, daß das Bad relativ geräumig und modern ist. Jeder Patient hat seine Seite und wir können die neuen Handtücher aufhängen. Aus den Schwestern ist nicht viel heraus zu bekommen, so ist die Dauer des geplanten Aufenthalts nicht zu ermitteln. Nach dem ich routinemä...

Gold - XL

Eine schwer wiegende Hürde, über er noch gar nicht nachgedacht hatte, erwartete ihn noch. Er müsste seine Zukünftige noch seinen Eltern vorstellen. Insbesondere sein Vater glaubte, er müsse seine Begutachtung abgeben und ihm die spätere Hochzeit genehmigen. Soweit war er ja noch nicht. Erst einmal sollte sie nur mit kommen. Das war ein schweres Risiko an sich, denn für ihn war es unschwer zu erkennen, dass es da einen Zusammenhang gab zwischen dem Besuch bei seinen Eltern und der bald darauf erfolgten Trennung von der Ex-Freundin. Solche Besuche hatten ihr Rückschlüsse erlaubt wie: "Für Dich war es schon eine Leistung, nach Frankfurt zu ziehen." Mit anderen Worten: die große weite Welt werde ich mit Dir nicht sehen. Dabei wäre er so bereit gewesen für einen Aufbruch. Seine Eltern hatten die unbekümmerte norwegisch-englische Mischung ganz ansprechend gefunden und amüsierten sich über ihre Dekorationsvorschläge für die Wohnung.  Pet jedoch war total "disgusted" und wu...