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Harry Graf Kessler

Die Lektüre seiner Tagebücher 1918 - 1937 bietet einige Überraschungen.
Man sagte ihm nach, ein Bonvivant zu sein und der Sohn von Wilhelm dem I., dem ersten Kaiser des Deutschen Reichs von 1870. In rechten Kreisen wurde er auch als Hohenzoller gesehen.
Letzteres hat er stets bestritten und zu widerlegen gesucht.
Seine Entwicklung hin zu einem Grafen mit beinahe sozialistischen Auffassungen hat man ihm jedenfalls schwer übel genommen. Allgemein sieht es recht unglaubwürdig aus, wenn ein Mensch aufgrund veränderter politischer Lage seine Auffassungen ändert.
Aber ist es nicht ein Zeichen der Erkenntnis, wenn man sich selbst immer wieder revidiert?
Kann ein intelligenter Mensch überhaupt schwarz-weiß denken? Sieht er nicht viel mehr Facetten als andere?
Die Beurteilungen über seine Zeitgenossen sind jedenfalls stets scharf und faszinierend.
Aber Harry Graf Kessler hat viele Dinge seiner Zeit nicht kommen sehen. Andere Aussagen dagegen haben ein fast prophetisch wirkende Kraft. Es ist also wohl so wie mit dem Affen, der an der Börse spekuliert und dabei nicht schlechter abschneidet als die Profis.
Harry Graf Kessler war Offizier im ersten Weltkrieg, zum Kriegsende für kurze Zeit im diplomatischen Dienst. Der Einstieg in die aktive Politik blieb ihm jedoch verwehrt.
Seine Zuneigung galt den schönen Dingen des Lebens und er verwirklichte sie gern als Verleger der Cranachpresse in zahlreichen bibliophilen Projekten.
1935, bereits emigriert, schrieb er:
"Hitlers große Rede, die er Dienstag im Reichstag gehalten hat, im Original gelesen. Man mag ueber ihn denken, was man will, jedenfalls ist diese Rede eine große staatsmännische Leistung. Sie bietet in ihren dreizehn Punkten eine Gtundlage, die, wenn sie ehrlich aufgebaut ist, den europäischen Frieden auf Jahrzehnte hinaus sichern könnte."
Die entscheidende Einschränkung wurde hier allerdings gemacht.

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