"Anders als der Arbeiter, der ab einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens an keine qualitative Verbesserung seiner Zukunft mehr glaubt, sieht der zur Selbstverblendung immer aufgelegte Angestellte sein ganzes Berufsleben lang die Möglichkeit zu einer Wende oder zu einem plötzlichen Aufstieg, und sei es nur durch eine überraschende Personalkonstellation."
"Denn während sie im schaukelnden ICE, dicht bedrängt vom Nebenmann, auf den Boden oder an die Decke starren, sind sie von beidem, von ihrem Job und ihrem Eheleben, gleichweit entfernt, und insofern verbringen sie während der Zugfahrt die einzige unangefochtene Zeitphase, wenn man von der Übernähe der fremden Körper einmal absieht."
Diese beiden Zitate sind entnommen aus: "Tarzan am Main: Spaziergänge in der Mitte Deutschlands" von Wilhelm Genazino.
Das Buch enthält eine ganze Reihe interessanter und zutreffender Lebensbeobachtungen. Ein Roman ist es nicht, sondern eine Sammlung von Essays, die die Absurdität des Alltagslebens, speziell in Frankfurt am Main, aber auch ganz allgemein, beschreibt. Das ist der gleiche Ansatz, den mein Blog verfolgt: die Analyse dessen, was man als absurd bezeichnen könnte, solange man einen klaren Verstand sein eigen nennt. Es ist zudem amüsant zu lesen, weil es das Bild eines Mannes zeigt, der Frauen im Grunde sehr zugeneigt ist, aber dennoch eine gewisse Distanz zu ihnen bewahrt. Er ist außerdem in Frankfurt ein "Eigeplackter", der die Annäherung an die Einheimischen durch seine Angleichung an deren Verhalten zu erreichen versucht.
Wilhelm Genazino las im Jahr 2015 in Schöneck aus dem damals aktuellen Buch: "Bei Regen im Saal".
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