In Tallinn hielten wir uns unfreiwillig vom 9.9.-14.9.2013 auf. Die Erinnerung verändert doch manche Eindrücke und macht vieles ungenau, manches allerdings weiß man erst später besser einzuschätzen.
Dort schrieb ich:
Auf dem Hinflug nach Tallinn, eine Woche ist das her, sitzt wieder mal einer von den Menschen, die meinen, dass sie größer werden, wenn sie ihre Arme seitlich weiter ausbreiten. Nun, beim Rückflug werde ich nicht das Vergnügen seiner Gesellschaft haben.
Unsere Gruppenreise zum Tallinn Express Hotel ist schon zu Ende. nur nicht für uns. Dabei war die Zeit sehr schön, kein Tröpfchen Regen. Ein Trip in die Altstadt von Tallinn am ersten Tag. Führung durch eine Reiseleiterin von "Estonian Travel". Am nächsten Tag steht ein Ausflug in die östlich von Tallinn gelegenen Landesteile an. Die Fahrt Richtung Narva führt uns zu einem Urwald, von dem aus wir eine Hochmoorwanderung machen. auf einem mehr oder weniger schmalen Steg geht es darüber. Manch Einem fehlt die Ausdauer und vielleicht auch die Trittsicherheit. Unsere Reiseleiterin weist unermüdlich auf die Vegeation hin, besonders die Mossbeeren oder estnisch "Moltabeeren" haben es ihr angetan. Dann führt die Tour zu einer sehr schönen Selbstbedienungsrast mit typisch estnischen Speisen. Danach sind wir alle gestärkt für den Laheema-Nationalpark. Hier wird die Geschichte der Deutschbalten anhand des Gutshauses Palmse lebendig.
Später muss unbedingt noch eine Ordensburg in Rakvere besucht werden. Man hätte es sich sparen können. Aber Ritterspiele sind auch in Tallinn's Altstadt sehr beliebt. Da gibt ein altes Hanselokal ebenso wie die typisch estnische Küche verkostende "Esthni Koek".
Was aber sagt das alles über die Esten aus? Garnichts.
Ich jedenfalls werde jetzt in Tallinn 58 Jahre alt. Und es macht mir noch nicht einmal etwas aus. Meine Frau liegt jetzt im Ida-Tallinna Keskhaigla-Krankenhaus, nachdem sie sich am letzten Tag der Reise morgens beim Frühstück im Hotel durch einen Sturz die Hüfte gebrochen hat.
So sehr wir auch, nachdem das feststeht, um einen Krankentransport zum Flughafen betteln, um den gebuchten Rückflug doch noch zu erreichen, eine Ärztin stellt fest: so geht das hier nicht.
Da nutzt meine Aufgeregtheit nichts, sie sagt nur, ich solle herunter kommen. Dann werden wir in einen Raum abgeschoben, wo meine Frau auf einer harten Unterlage liegt, ohne das es jemanden zu kümmern scheint. Wir wollen diese OP nicht, doch nicht in Estland. Aber hier ist die Notaufnahme. Alltag, wartende Menschen, verschlossene Türen zum Arztbereich und zum Aufnahmebereich, wo meine Frau liegt. Laufe ich hinaus, komme ich vielleicht noch mit dem Personal wieder hinein.
Der ADAC, mit dem ich Kontakt aufnehme, rät durch einen Arzt zur OP, der Standard sei so gut wie in Deutschland.
Ich soll Medikamente in einer Apotheke holen, sagt mir ein Arzt. Ein Anti-Thrombose-Medikament. Später stellt sich heraus, es ist Aspirin, was mir verkauft wurde. Das war falsch, sie hatte aber bereits eine Tablette genommen. Nicht gut, wenn eine OP bevor steht. Sie bekommt Angst. Ich werde noch einmal geschickt. Kaufe schließlich für über 30 € das aufgeschriebene Medikament, sie wird es nie brauchen.
Meiner Frau wird Blut abgenommen, der Einstich blutet, es läuft auf ihre neue Handtasche, die sie immer noch um den Hals hat. Ich nehme ihr die Tasche ab.
Besorge Wasser. Die Dame von der Registratur bietet uns einen Transport nach Deutschland an, 2300 € soll er kosten, 25 Stunden mit dem PKW. Ich winke ab, telefoniere mit der Reiseleiterin, veranlasse, dass unser Gepäck erst gepackt und schließlich zu uns gebracht wird. Sie erzählt mir was, von einer "Sit-to-Fly"-Bescheinigung, die ich vom Krankenhaus einfordern soll. Verstehe nur Bahnhof und fordere trotzdem, es interessiert Keinen. Die Menge in der Notaufnahme wird nicht kleiner, sie schaut mich, den hin- und herlaufenden Mann merkwürdig an. Meine Frau muss ihre Geschäfte auf dem Topf verrichten, ich helfe, sie hat Schmerzen.
Irgendwann gebe ich auf, warte nur noch, bis die Reiseleiterin endlich mit dem Gepäck vom Flughafen zurück kommt. Sie will mir ihre Taxiquittung geben, lässt es aber sein, nachdem ich das Essen für sie mit bezahle, was wir draußen vor dem Krankenhaus an einer Döner- und Hamburgerbude kaufen. Obwohl wir wirklich Hunger haben, es schmeckt uns nicht wirklich. Dann geht aber alles recht schnell, wir verlassen endlich den Aufnahmebereich und sie bekommt nach ihren Rückenschmerzen endlich ein Krankenbett.
Wir landen in einer Privatstation, ein Zimmer mit drei Betten, abgeteilt durch Vorhänge, rötliches Licht, gemütlich. Es gibt sogar Gebäck und Tee, ich darf die Nacht bei ihr bleiben und kann das Heulen nicht unterdrücken, mehrmals.
Die Reiseleiterin ist unser letzter Halt, erzählt uns von ihren eigenen schweren überstandenen Krankheiten. Leider will sie uns zu besseren Menschen machen, das stört uns ein bisschen. Als sie schließlich Feierabend macht, holt uns der Alltag ein.
Ich assistiere meiner Frau bei Ihren Wünschen, hauptsächlich nach besserer Lagerung, in der Nacht. In Unterhosen schrecke ich ungefähr jede Stunde auf. Manchmal muss die Schwester kommen. Eine bärtige junge Schwester lächelt mir zu.
Draußen sind auch nachts die abfliegenden Flugzeuge vom Flughafen Tallinn zu hören. Ich schließe das Fenster.
Am nächsten Morgen stellt es sich nach der Chefarztvisite (endlich ein netter in sogar deutsch sprechender Arzt) heraus, dass die Intensivstation angesagt ist.
Ihr Bett wieder hinter einem Vorhang, ich mit Gepäck davor. Helles Zimmer mit Sonne und den ganzen Tag Warten auf die OP.
Hier geht nun nichts mehr mit Pampers, Katheder ist angesagt, Blutdruck wird regelmäßig gemessen und wieder eine Salzlösung intravenös gegeben. Kein Essen mehr, kein Trinken. Als sie endlich abends um halb sechs zum OP-Saal geschoben wird, nehme ich ein "cheap Taxi", so wie es mir von der Reiseleiterin empfohlen wurde und zähle 7 € für die relativ kurze Fahrt zum Hotel.
Bezeichnenderweise nennt sich die Firma "Amigo". 4 € wären vielleicht angemessen gewesen. Angesichts des kahl geschorenen Fahrers vermeide ich Kommentare und Verhandlungen, tue noch so, als würde ich jetzt regelmäßig für diese Strecke ein Taxi brauchen und habe längst beschlossen, keines mehr zu nutzen.
Auch für das Hotel "Reval Park Casino" zahle ich angeblich eine "special rate", die mir unsere Reiseleiterin gebucht hat. Es ist wesentlich besser als das für unsere Rundreise gebuchte Hotel. Aber was habe ich davon: Blick über die Skyline von Tallinn, gegenüber ein Hochhaus, das gerade entkernt wird.
Nach einem abendlichen Imbiss in der Hotelbar rufe ich im Krankenhaus an, will wissen, ob die Operation gelungen ist, aber mich versteht niemand. Meine Frau ist anscheinend nicht existent. Bin zu müde, um mich aufzuregen und lege auf. Morgen werde ich ja weiter sehen.
Dort schrieb ich:
" Der estnische Traum "
Auf dem Hinflug nach Tallinn, eine Woche ist das her, sitzt wieder mal einer von den Menschen, die meinen, dass sie größer werden, wenn sie ihre Arme seitlich weiter ausbreiten. Nun, beim Rückflug werde ich nicht das Vergnügen seiner Gesellschaft haben.
Unsere Gruppenreise zum Tallinn Express Hotel ist schon zu Ende. nur nicht für uns. Dabei war die Zeit sehr schön, kein Tröpfchen Regen. Ein Trip in die Altstadt von Tallinn am ersten Tag. Führung durch eine Reiseleiterin von "Estonian Travel". Am nächsten Tag steht ein Ausflug in die östlich von Tallinn gelegenen Landesteile an. Die Fahrt Richtung Narva führt uns zu einem Urwald, von dem aus wir eine Hochmoorwanderung machen. auf einem mehr oder weniger schmalen Steg geht es darüber. Manch Einem fehlt die Ausdauer und vielleicht auch die Trittsicherheit. Unsere Reiseleiterin weist unermüdlich auf die Vegeation hin, besonders die Mossbeeren oder estnisch "Moltabeeren" haben es ihr angetan. Dann führt die Tour zu einer sehr schönen Selbstbedienungsrast mit typisch estnischen Speisen. Danach sind wir alle gestärkt für den Laheema-Nationalpark. Hier wird die Geschichte der Deutschbalten anhand des Gutshauses Palmse lebendig.
Später muss unbedingt noch eine Ordensburg in Rakvere besucht werden. Man hätte es sich sparen können. Aber Ritterspiele sind auch in Tallinn's Altstadt sehr beliebt. Da gibt ein altes Hanselokal ebenso wie die typisch estnische Küche verkostende "Esthni Koek".
Was aber sagt das alles über die Esten aus? Garnichts.
Ich jedenfalls werde jetzt in Tallinn 58 Jahre alt. Und es macht mir noch nicht einmal etwas aus. Meine Frau liegt jetzt im Ida-Tallinna Keskhaigla-Krankenhaus, nachdem sie sich am letzten Tag der Reise morgens beim Frühstück im Hotel durch einen Sturz die Hüfte gebrochen hat.
So sehr wir auch, nachdem das feststeht, um einen Krankentransport zum Flughafen betteln, um den gebuchten Rückflug doch noch zu erreichen, eine Ärztin stellt fest: so geht das hier nicht.
Da nutzt meine Aufgeregtheit nichts, sie sagt nur, ich solle herunter kommen. Dann werden wir in einen Raum abgeschoben, wo meine Frau auf einer harten Unterlage liegt, ohne das es jemanden zu kümmern scheint. Wir wollen diese OP nicht, doch nicht in Estland. Aber hier ist die Notaufnahme. Alltag, wartende Menschen, verschlossene Türen zum Arztbereich und zum Aufnahmebereich, wo meine Frau liegt. Laufe ich hinaus, komme ich vielleicht noch mit dem Personal wieder hinein.
Der ADAC, mit dem ich Kontakt aufnehme, rät durch einen Arzt zur OP, der Standard sei so gut wie in Deutschland.
Ich soll Medikamente in einer Apotheke holen, sagt mir ein Arzt. Ein Anti-Thrombose-Medikament. Später stellt sich heraus, es ist Aspirin, was mir verkauft wurde. Das war falsch, sie hatte aber bereits eine Tablette genommen. Nicht gut, wenn eine OP bevor steht. Sie bekommt Angst. Ich werde noch einmal geschickt. Kaufe schließlich für über 30 € das aufgeschriebene Medikament, sie wird es nie brauchen.
Meiner Frau wird Blut abgenommen, der Einstich blutet, es läuft auf ihre neue Handtasche, die sie immer noch um den Hals hat. Ich nehme ihr die Tasche ab.
Besorge Wasser. Die Dame von der Registratur bietet uns einen Transport nach Deutschland an, 2300 € soll er kosten, 25 Stunden mit dem PKW. Ich winke ab, telefoniere mit der Reiseleiterin, veranlasse, dass unser Gepäck erst gepackt und schließlich zu uns gebracht wird. Sie erzählt mir was, von einer "Sit-to-Fly"-Bescheinigung, die ich vom Krankenhaus einfordern soll. Verstehe nur Bahnhof und fordere trotzdem, es interessiert Keinen. Die Menge in der Notaufnahme wird nicht kleiner, sie schaut mich, den hin- und herlaufenden Mann merkwürdig an. Meine Frau muss ihre Geschäfte auf dem Topf verrichten, ich helfe, sie hat Schmerzen.
Irgendwann gebe ich auf, warte nur noch, bis die Reiseleiterin endlich mit dem Gepäck vom Flughafen zurück kommt. Sie will mir ihre Taxiquittung geben, lässt es aber sein, nachdem ich das Essen für sie mit bezahle, was wir draußen vor dem Krankenhaus an einer Döner- und Hamburgerbude kaufen. Obwohl wir wirklich Hunger haben, es schmeckt uns nicht wirklich. Dann geht aber alles recht schnell, wir verlassen endlich den Aufnahmebereich und sie bekommt nach ihren Rückenschmerzen endlich ein Krankenbett.
Wir landen in einer Privatstation, ein Zimmer mit drei Betten, abgeteilt durch Vorhänge, rötliches Licht, gemütlich. Es gibt sogar Gebäck und Tee, ich darf die Nacht bei ihr bleiben und kann das Heulen nicht unterdrücken, mehrmals.
Die Reiseleiterin ist unser letzter Halt, erzählt uns von ihren eigenen schweren überstandenen Krankheiten. Leider will sie uns zu besseren Menschen machen, das stört uns ein bisschen. Als sie schließlich Feierabend macht, holt uns der Alltag ein.
Ich assistiere meiner Frau bei Ihren Wünschen, hauptsächlich nach besserer Lagerung, in der Nacht. In Unterhosen schrecke ich ungefähr jede Stunde auf. Manchmal muss die Schwester kommen. Eine bärtige junge Schwester lächelt mir zu.
Draußen sind auch nachts die abfliegenden Flugzeuge vom Flughafen Tallinn zu hören. Ich schließe das Fenster.
Am nächsten Morgen stellt es sich nach der Chefarztvisite (endlich ein netter in sogar deutsch sprechender Arzt) heraus, dass die Intensivstation angesagt ist.
Ihr Bett wieder hinter einem Vorhang, ich mit Gepäck davor. Helles Zimmer mit Sonne und den ganzen Tag Warten auf die OP.
Hier geht nun nichts mehr mit Pampers, Katheder ist angesagt, Blutdruck wird regelmäßig gemessen und wieder eine Salzlösung intravenös gegeben. Kein Essen mehr, kein Trinken. Als sie endlich abends um halb sechs zum OP-Saal geschoben wird, nehme ich ein "cheap Taxi", so wie es mir von der Reiseleiterin empfohlen wurde und zähle 7 € für die relativ kurze Fahrt zum Hotel.
Bezeichnenderweise nennt sich die Firma "Amigo". 4 € wären vielleicht angemessen gewesen. Angesichts des kahl geschorenen Fahrers vermeide ich Kommentare und Verhandlungen, tue noch so, als würde ich jetzt regelmäßig für diese Strecke ein Taxi brauchen und habe längst beschlossen, keines mehr zu nutzen.
Auch für das Hotel "Reval Park Casino" zahle ich angeblich eine "special rate", die mir unsere Reiseleiterin gebucht hat. Es ist wesentlich besser als das für unsere Rundreise gebuchte Hotel. Aber was habe ich davon: Blick über die Skyline von Tallinn, gegenüber ein Hochhaus, das gerade entkernt wird.
Nach einem abendlichen Imbiss in der Hotelbar rufe ich im Krankenhaus an, will wissen, ob die Operation gelungen ist, aber mich versteht niemand. Meine Frau ist anscheinend nicht existent. Bin zu müde, um mich aufzuregen und lege auf. Morgen werde ich ja weiter sehen.
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