Jonathan Franzen schaut hinter den Spiegel und zwar so scharfsinnig beobachtend, dass
einem schlecht wird. Jeder Mann kennt die Situation: gerade wenn ein handwerkliches Problem am kniffligsten zu sein scheint, ruft die Frau. Alfred Lambert, kurz Al genannt, ist ein pensionierter Ingenieur mit hauseigenem Labor und hat aber noch ein ganz anderes Problem. Er leidet an Parkinson und Demenz zugleich und so ist jedes kleine Handwerk ein Riesenproblem, dass ihn an den Rand seiner begrenzten Möglichkeiten führt.
Und da taucht dann seine Ehefrau Enid auf, die bis zu seinem Lebensende nicht aufhören wird, ihm zu sagen, was er falsch gemacht hat. Beide leben in einem Haus in dem beschaulichen St. Jude, einem Städtchen im Mittleren Westen der USA, wo die Welt noch in Ordnung zu sein scheint. Enid als Mutter möchte, dass ihre drei Kinder möglichst zusammen mit ihren Familien, noch einmal zu einem letzten Weihnachtsfest nach St. Jude kommen. Man hätte dem Buch Franzens auch durchaus den Titel „Probleme“ geben können, denn die werden nun offenbar. Gary, Finanzinvestor ohne Überstunden und der scheinbar solideste Sohn, kann weder seine Frau noch seinen Lieblingssohn zu einem gemeinsamen Weihnachten in St. Jude überreden und erscheint allein. Er meint das Schicksal seiner Eltern durch den Hausverkauf regeln zu können und will so entstehendem Finanzbedarf der beiden Eltern vorbeugen. Chip, genannt Chipper, ist erst gar nicht verheiratet und betreibt dubiose Finanzgeschäfte in Litauen. Ein Regierungssturz in Litauen zwingt ihn zur Heimkehr, die er aber nicht pünktlich schafft. Denise schließlich ist auch kein Beispiel für Enids Familienplanung. Sie ist nicht verheiratet und verliert ihren Job als verantwortliche Leiterin eines renommierten Restaurants, weil sie sowohl mit ihrem Chef als auch mit dessen Frau ein Verhältnis hat. Jedes der Kinder bringt also sein Päckchen mit zu dieser Bescherung ohne dass es dort geöffnet werden kann.
Immerhin kommen alle nun zusammen und das Drama nimmt seinen Lauf. Enid muss erkennen, dass es zu spät für Alfred ist, eine geplante Therapie zu beginnen, weil Denise feststellt, dass er simpelste Bewegungsübungen nicht mehr kontrolliert ausführen kann. Denise erkennt, dass ihr Vater von einem Verhältnis eines seiner Arbeiter mit ihr gewusst und dies verschwiegen hat. Der Arbeiter versuchte später Alfred zu erpressen, aus Scham ging dieser in den Vorruhestand. Denise sieht auch, dass der sonst so hart kritisierte Chip der Lieblingssohn des Vaters ist, dessen Stimme ihn immer wieder aus dem Nebel seiner Demenz zieht. Und Gary muss erkennen, dass er für den Hausverkauf keinen Grund mehr hat, den Alfred wird in dem Haus nicht mehr leben können.
Es sind ganz andere „Korrekturen“ also, als die, die man erwartet hätte. Chip und Denise werden ihre Mutter bis zum Tod des Vaters unterstützen. Chip wird in eine jüdische Familie einheiraten und Denise wieder eine Anstellung bekommen. Enid wird das Krankenhaus nach dem Tod ihres Mannes verlassen und beschließen, dass sie auch mit 75 noch viel zu ändern hat. Soweit eine versuchte Zusammenfassung des Geschehens, dass den Rahmen bildet für die immer gleiche Dramatik des Lebens. Die scheinbare Zusammenhanglosigkeit menschlichen Tuns und Vergeblichkeit mancher menschlichen Sehnsüchte verhindern nicht, dass der Mensch immer wieder seinen Bildern von Liebe und Richtigkeit nach läuft und zwar für sich allein. Das Leben ist der große Korrektor.
Franzens Roman offenbart natürlich autobiographische Züge. So ist der Protagonist Alfred ebenso wie der Autor in Illinois geboren. Die lebensfeindliche Haltung, die eine Abscheu gegenüber jeglicher Lust beinhaltet sowie eine Kühle gegenüber den engsten Angehörigen, scheinen ihm wohl bekannt. Die Schilderung der einzelnen Charaktere ist packend bis ins Detail, jeder für sich wird in Form einer Novelle dargestellt und immer dann, wenn es gerade sehr spannend ist, beginnt eine neue Geschichte. Franzen ist nicht nur Erzähler, er ist ein gnadenloser Beobachter und Meister der Analyse.
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