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2008 - I

Menuwahl
Die Gulaschstücke sahen mich an, aber sie riefen nicht: iss' mich, sondern eher:
warum gehst Du nicht einen gepflegten Hamburger essen und lässt uns in Ruhe vergammeln? Von Soße überschüttet, deren Herkunft mir völlig unbekannt war, stimmten sie mich depressiv. Ich musste weg hier von diesem GAST-Essen und anderen Leckereien, schnell raus bevor sich so etwas wie Lebergeschnetzeltes auf meinem Teller breit machen würde, möglicherweise mit einem großen Haufen Nudeln und völlig zerkochten Gemüseresten.
Vorbei am Dressing geschädigten Salaten und nicht im Preis enthaltenen Desserts sowie "Junger Mann" - rufendem Kassenpersonal, das zuweilen jungen Frauen kostenlose Zugaben zu billigt, und heraus aus der freien Menüwahl. Sollte ich es wagen, mir an einem Bratwurststand ein verbranntes Exemplar auf die Glasplatte legen zu lassen und dazu ein zu lange gebranntes Brötchen probieren? Oder wähle ich lieber ein frisch zu bereitetes Fischbrötchen, vom Mitarbeitern, die anerkannter Maßen in hygienischen Dingen geschult wurden und daher statt Handschuhe zu tragen, sich regelmäßig die Hände mit einer desinfizierenden Lotion waschen? Oder lasse ich mir liebevoll in einer Filiale einer Fast-Food-Kette ein paar Pommes auf das Papier legen , wo auch mein Wechselgeld schon ist
Nein. Ich beobachte lieber die backenden Minijobblerinnen, schlendere an einer großen Glutamatschleuder namens Asia Imbiss vorbei und stelle mir vor wie mir alternativ ein Fleischkäsebrötchen vom Metzger, eingehüllt von schleimigen Essigketchup mit lauter hochgestellten Zahlen meine Speiseröhre herunter gleitet, in meinem Magen ein wohliges Entsetzen auslöst, das in stundenlangem Nachgeschmack vor sich hin durstet. Als Nachtisch käme ein leckerer frisch aufgebackener Schoko-Muffin in Betracht, von dem mir spätestens nach zwei Stunden herrlich schlecht wird und dessen Verzehr mit einem ähnlichen Durchfall belohnt wird, wie ich ihn von einer braunen Spaghetti Bolognese auch gern bekommen würde. So kehrte ich in die Isolation meines gewöhnlichen Büroalltags zurück, unter Verzicht auf alten Kuchen und zu lange gelagerte Negerküsse, und gab mich dem Genuss von biologisch angebauten grünen Tee hin in der Gewissheit, dass das hastig verschlungene Lakritz auch gut gegen den Magen sein würde.

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