Mittwoch, 24. September 2014

Pic

Bilder in der Hand,
Eindrücke in mir,
irgendwo vergeben
ungerahmt das Leben
ohne Wirklichkeit,
unbekanntes Land,
weit entfernt von Dir
in einer anderen Zeit.

Montag, 22. September 2014

Sperrmüll

Heute morgen sah ich dabei zu, wie meine Modelleisenbahnplatte in einem Müllwagen verschwand, nachdem sie vorher handlich gepresst wurde. Was bleibt, ist Sperrmüll.
Gestern fiel mir beim Durchsehen alter Zeichnungen aus meiner Schulzeit eine Postkarte aus dem Jahr 1965 in die Hände. Ich schrieb damals meinen Eltern, dass Robert Lembke uns besucht hat. Wir, das waren die Falken in einem Zeltlager in Bad Lauterberg im Harz. Großen Eindruck hat er wohl nicht auf mich gemacht, denn meine Erinnerung an ihn gibt nichts her. Sie sagt mir nur, da waren Zelte im Matsch, es hatte dauernd geregnet und mir war es zu viel. Ich schreibe denn auch höflich an meine Eltern, dass ich freuen würde, wenn sie kommen würden.
Mein grundgütiger Vater hat das natürlich gleich verstanden und mich nicht nur besucht, sondern mich auch gleich mit nach hause genommen.
So ist das nun Mal, der Mensch vergisst, wenn er lebt. Er muss seine Erinnerungen auf heben, wenn er sich erinnern will oder er verzichtet auf Überflüssiges.
Ich habe noch etliche Bilder von Menschen, die ich nicht oder nicht mehr kenne. Es wird Zeit.
Damit daraus kein "Sperrmüll" wird.

Sonntag, 14. September 2014

14.9. - Nachwort

Morgens letztmaliges Frühstück im Hotel, etwas Wehmut ist dabei. Meinen Fußweg zum Krankenhaus werde ich nicht noch einmal gehen. Bin etwas früher dran wegen der Abholung um 11 Uhr. Die Sonne scheint im schönsten Widerstreit mit meinen Gefühlen.
Am Krankenhaus gibt es ein Problem, eine ältere Dame versucht mir resolut den Zutritt zu verwehren, es sei noch keine Besuchszeit. Ich gebe aber nicht nach und erkläre ihr das mit dem Flughafen.
Auf der Station heißt es: Abholung zum Flughafen ist erst um 16 Uhr. Auch das glaube ich nicht.
Ich kontaktiere den ADAC, der zunächst dabei bleibt, doch auch die Reiseleiterin Sirli hat als Abholzeit 16 Uhr angegeben.
Die Angst geht um bei mir und meiner Frau, werden wir heute wieder unseren Heimflug verpassen?
Schließlich meldet sich der ADAC und bittet um Entschuldigung, unsere Abflugzeit sei mit der eines anderen Notfalls verwechselt worden. 15 Uhr wäre richtig.
Wieder rätseln, warum die Zeitangaben unterschiedlich sind. Heute Mittag wollen wir was anderes als Krankenhauskost. So gehe ich noch einmal im kleinen Einkaufscenter etwas holen. Ein unverhoffter Abschiedsgang. Alles kann ich wie immer mit der Kreditkarte bezahlen. Wir essen zusammen in ihrem Zimmer, dass nun bald neu belegt werden wird.
Aber können wir sicher sein?
Das Krankenhaus ist für die Bestellung des Krankentransports zuständig. Ich interveniere, die Zeit sei doch zu kurz, wenn wir schon um 17.20 fliegen sollen. Schließlich wird uns 15 Uhr zugesagt.
Meine Frau ist reisefertig, liegt auf dem Bett, wir warten, 15 Uhr verstreicht, es passiert nichts.
Die kommen erst um 16 Uhr, denken wir. Doch gegen 15.30 Uhr passiert das Wunder, ein Trupp Sanitäter stürmt die Station. Sichtlich schlecht gelaunt, ein kahl Geschorener und eine Frau, die ständig nickt, wenn man etwas sagt. Der Kahle zwingt meine Frau, das falsche Bein beim Umsteigen vom Bett auf die Transportliege zu belasten. Dann geht es im Eiltempo hinaus. Kein Abschied, kein Glückwunsch begleiten uns. Das Personal ist nicht unfreundlich, aber wir sind Fremde geblieben.
Der Weg vom Ida-Tallinna zum Flughafen ist nicht sehr weit, bald wird klar, warum die Sanitäter erst spät fahren wollten. Am Flughafen ist die Maschine noch nicht da. Wir müssen durch eine separate Sicherheitskontrolle. Sowohl meine liegende Frau als auch ich werden separat voneinander kontrolliert und abgetastet. Dann sehen wir uns im Krankenwagen wieder. Warten, warten auf die Lufthansa-Maschine aus Deutschland. Schließlich ist sie da.  
Ein deutscher Sanitäter kommt auf unseren Wagen zu, stellt sich vor, ist freundlich. Ob wir die Tickets haben, ich verneine. Er kümmert sich. Spricht mit den estnischen Kollegen. Es dauert, er kommt mit den Tickets und unseren Ausweisen zurück. Wir fahren zur Maschine, der Hintereingang ist uns vorbehalten.
Eine Zwischenwand wird entfernt. Meine Frau wird auf den Transport umgebettet. Vier starke Männer müssen das Transportbett mit meiner Frau nun anheben und über den hinteren Sitzplätzen montieren.
Meiner Frau bleibt der Blick zur Kabinendecke.
Der Sanitäter nimmt auf einem der so "überdachten" Sitze Platz, ich als Vollzahler in der Reihe daneben.
Wir werden noch vom Flugkapitän begrüßt werden. Beim Start unterhalte ich mit dem Sanitäter über seinen Job als Rückholer. Während Estland unter uns zurück bleibt, erzählt er, dass er bei Transporten aus exotischen Ländern selbst die ein oder andere Hotelübernachtung machen muss, bis der Rückflug nach Deutschland möglich ist.

Später werde ich schreiben: nun sitze ich schon den zweiten Tag wieder im Zug zur Arbeit. Möchte ein bisschen Estland in mir mitnehmen und weiß, dass es nicht gelingen wird.

Samstag, 13. September 2014

13.9.

So ganz konnte ich es nicht lassen, wollte am vorigen Abend denn doch noch die Gegend erkunden, ein bisschen an die guten Zeiten unseres Urlaubs vor dem Unfall anknüpfen. Wir hatten noch am letzten Abend ganz gut im Rotermann-Quartier gegessen. Da zog es mich hin, doch leider war die hervorragende Pizzeria an diesem Tag nicht geöffnet. Unverrichteter Dinge kehrte ich (auch ein bisschen erleichtert) in die Hotelbar zurück. Abends rief mich dann noch ein Cousin an, um mir zu gratulieren. Als er jedoch merkte, dass ich mich im Ausland aufhalte, fand das Gespräch ein schnelles Ende. So verhält es sich also mit meiner Verwandtschaft, dachte ich.



Für den nächsten Morgen erwartete ich meinen letzten kompletten Tag im Krankenhaus. Ich bilanzierte:
"Drei Tage gemeinsamen Krankenhauslebens liegen für meine Frau und mich hinter mir.
Ich habe von Tallinn nicht mehr gesehen als den Weg vom Hotel zum Krankenhaus und mittags noch den Weg zu einem Einkaufscenter. Morgen nun sollen wir um 11 Uhr abgeholt werden, um 17.20 Uhr geht es mit dem Flugzeug nach Frankfurt. Wir beide in der Economy-Klasse der Lufthansa, sie über fünf Plätzen, ich auf einem selbst bezahlten Platz. Die billigste Transportart, die der ADAC kennt, abgesehen vom "gelben Flieger".
Ich tue mich schwer damit, über eine Sache zu schreiben, die noch nicht abgeschlossen ist. Heute fand ich meine Unterhose stark vorgewölbt auf dem Bett liegend vor.
Wer hat hier seine Fantasien ausgelebt? "

Klagen konnte ich über mein Hotel auch ob dieses "Services" nicht, die Verlängerung meines Aufenthaltes Tag für Tag klappte reibungslos.
Ich versuchte an diesem Tag noch, mit meiner Frau im Rollstuhl in den Innenhof des Krankenhauses zu fahren, aber sie mochte nicht wirklich draußen sein. Immerhin konnte ich ihr das kleine Café im Erdgeschoss zeigen.
Der ADAC ließ sich lange bitten, bis endlich die endgültige Bestätigung unserer gebuchten Flüge kam.
Das wir nicht mit dem gelben Flieger transportiert werden würden, war schon klar. Die sind überwiegend in Spanien eingesetzt bzw. da, wo viele deutsche Touristen Urlaub machen. Dazu gehört Estland nicht.

Auch angesichts des bevorstehenden Abschieds, es hieß packen, denn mein Weg würde mich am anderen Tag direkt zum Flughafen führen, verließ mich die Lust, meine Zeit mit dem Schreiben meiner Gedanken zu verbringen. Ich wäre gern noch mal an die Ostsee gelaufen, schaffte aber nur noch einen kleinen Rundgang, bei dem ich mich auch noch halbwegs verlief. Schwärme von Krähen belebten die Dämmerung über Tallinn.
Auf den großen Straßen ließen einige Motorradfahrer ihre Maschinen mal nur auf den Hinterrädern fahren.
Freitag Abend eben und mein letzter in Tallinn.




Freitag, 12. September 2014

12.9.

Die Sonne geht unabhängig von meinem Geburtstag auf und unter und scheint dabei den ganzen Tag.
Das Kind in mir ruft "Mama" (eine Mama, die es so nie gegeben hat und nie geben wird). Der Erwachsene sagt "Geh weiter!". So gehe ich auch an diesem Morgen zum Ida-Tallinna-Krankenhaus mit einigen Sachen, die ich mit bringen soll. Meine Frau ist an diesem Tag unleidlich. Mehr Handreichungen als üblich sind zu machen, meist ist sie nicht zufrieden Ich bin für die Kommunikation mit dem Schwesternzimmer zuständig, dies vorwiegend in englisch. Eine jüngere Schwester, die einmal in Deutschland gewesen ist und ganz gut Deutsch spricht, nimmt sich meiner Frau an. Sie muss und soll laufen mit Hilfe des Gehwagens. Wir bewältigen erst die Strecke des Flurs im Seitentrakt und gelangen später bis zum Schwesternzimmer vor.
Toilettengänge sind mit Unterstützung möglich. Die Schwester hat einen Übungsplan erstellt, den meine Frau abarbeiten soll. Das sind kleine Abwechslungen im Krankenhausalltag, die auch mir helfen, die Zeit zu überstehen. Außer der Mittagspause hole ich meist noch was zum Kaffee. Ein kleines Café unten im Krankenhaus ist so was wie eine Oase der Normalität im ganzen Betrieb.
Manchmal vertrete ich mir die Beine im Innenhof. Alle notwendigen Telefonate habe ich erledigt, dafür ist ein Handy gut. Der Chef meiner Frau reagierte mit den Worten "Scheiße, scheiße, scheiße - ich muss die Arbeit neu organisieren." Du hast Sorgen, denke ich mir. Zu allem Überfluss erhalten wir vom ADAC die Nachricht, dass sich unsere Heimflug nicht am Freitag, den 13.9., einrichten lässt. Es gibt nicht genügend Plätze in den Maschinen nach Frankfurt, daran ist auch die IAA schuld.
Am Samstag soll es dann nach hause gehen. Ein Tag länger des Hoffens und Bangens, nun endlich nach hause zu kommen.
Wir wollen versuchen, für meine Frau einen Rollstuhl zu organisieren, damit sie mal aus der Abteilung heraus kommt. Medizinisch ist alles in Ordnung, das wird immer wieder bestätigt. Und wenn wir was brauchen, sollen wir uns melden. So die Ärzte. Aber was hilft es, Unterhaltungsmöglichkeiten wie Fernsehen und Radio gibt es nicht. Das die Betten morgens nicht gemacht werden, trägt nicht zur Gemütlichkeit bei.
Aber auch dieser Tag vergeht, einer meiner längsten. Ich suche beim Kaufhaus Stockmanns abends auf dem Rückweg ein paar Sachen zu kaufen. Finnische Socken, ein Buch um etwas aufzuschreiben, ein paar deutsche Zeitschriften, die es hier kaum gibt. Das Warenangebot ist nicht mit dem eines deutschen Kaufhauses zu vergleichen.
Mein Schwager ruft an, sagt mir, er wisse zu schätzen, was ich tue. Abends im Hotel überlege ich, ob ich unsere Reiseleiterin Sirli zum Essen einladen soll, damit ich nicht allein bin. Ich rede mit Ihr über die Situation, sie sagt mir, sie sei in der Stadt und nennt mir einen möglichen Treffpunkt. Aber letztlich will ich nichts außer Essen, Trinken, Schlafen.


Donnerstag, 11. September 2014

11.9.

Für immer wohl ein Tag zur Erinnerung an 9/11, für mich persönlich bedeutete es das Wiedersehen mit meiner Frau, nachdem ich zum ersten Mal überwiegend an der Liivalaia-Straße entlang zum Krankenhaus zu Fuß gegangen war. Sie hatte ihr Handy in Deutschland gelassen, Telefon auf dem Zimmer gab es aber nicht.
So hatte ich erst beim Betreten der Intensivstation der orthopädischen Abteilung die Gewissheit, dass sie die Operation überstanden hatte.
Während sich in mir innerlich so etwas wie Optimismus breit machte, weil wohl alles gut verlaufen war, war sie in Ihren Alltagssorgen gefangen. Sie musste nun schon ab und zu aufstehen und soll auch bald schon im Gehwagen erste Schritte wagen.
Schon am Vormittag wird sie in ein Einzelzimmer verlegt. Erst sind wir erleichtert. Leider liegt das Zimmer aber zur Nordseite und zum Innenhof hin und außerdem ganz am Ende des Gangs.
Hier wird sie keiner sehen, der sie nicht sehen will. Fernsehen hat sie auf Ihrem Zimmer auch nicht.
Ich bleibe also immer möglichst lange. Besuchszeit ist in der Woche eigentlich nur von 15.00-19.00 Uhr,
aber niemand nimmt daran Anstoß, wenn ich morgens früher komme und abends später gehe.
Alltagssorgen anderer Art befallen mich hier, ich suche einen Geldautomat und finde nur einen einzigen.
Für Wasser muss ich selbst sorgen, vom Krankenhaus kommt außer den Mahlzeiten nichts.
Eine Stunde gibt mir meine Frau für das Mittagessen. Es reicht dazu im Solaris Keskus-Einkaufscenter.
Hier macht alles einen unverfänglich internationalen Eindruck, was mich sehr beruhigt.
Immerhin sagt jetzt das Krankenhaus, dass wir nach hause dürfen, wir können aber nicht.
Nicht bevor der ADAC eine Möglichkeit zum Rückflug nach Deutschland mit der Lufthansa gefunden hat.
Die Organisation des Rückflugs beginne jetzt, so hat man es mir am Telefon versprochen.
Der Abschied am Abend ist schwer, nicht nur für meine Frau. Auch ich weiß abends nicht, was ich mit mir anfangen soll. Zwar bestünde die Möglichkeit, mich mal mit Sirli zum Abendessen zu treffen, aber ich bin zu müde, mein Gefühl wäre aber ungut, es ist mir zu blöd und ich werde das Gefühl nicht los, dass ich das ohnehin mit Geld kompensieren müsste.
Mir bleibt die Gewissheit eines Spaziergangs, um den mich meine Frau beneiden würde. Kurz vor dem Hotel geht es durch den Politsei-Park, wo ich das alltägliche Leben der Familien beobachten kann, umtöst vom Lärm der großen Straßen. Die Bar mit dem "spicy"-Hamburger, einem Bier und einem Lächeln der Kellnerin.
Mein Fernseher, mein schwarz-rotes Kabinett im 7. Stock. Der Blick in den Sonnenuntergang gen Westen auf die Skyline des modernen Tallinn. Gegenüber steht ein Hochhaus, was lautstark entkernt wird. Deswegen wahrscheinlich die "Special Rate". Ich sehe hinüber und fühle mich genauso, wie ein Gerippe ohne Fleisch.
Morgen habe ich Geburtstag.  






Mittwoch, 10. September 2014

10.9. - Mein estnischer Traum

In Tallinn hielten wir uns unfreiwillig vom 9.9.-14.9.2013 auf. Die Erinnerung verändert doch manche Eindrücke und macht vieles ungenau, manches allerdings weiß man erst später besser einzuschätzen.
Dort schrieb ich:

" Der estnische Traum "

Auf dem Hinflug nach Tallinn, eine Woche ist das her, sitzt wieder mal einer von den Menschen, die meinen, dass sie größer werden, wenn sie ihre Arme seitlich weiter ausbreiten. Nun, beim Rückflug werde ich nicht das Vergnügen seiner Gesellschaft haben.

Unsere Gruppenreise zum Tallinn Express Hotel ist schon zu Ende. nur nicht für uns. Dabei war die Zeit sehr schön, kein Tröpfchen Regen. Ein Trip in die Altstadt von Tallinn am ersten Tag. Führung durch eine Reiseleiterin von "Estonian Travel". Am nächsten Tag steht ein Ausflug in die östlich von Tallinn gelegenen Landesteile an. Die Fahrt Richtung Narva führt uns zu einem Urwald, von dem aus wir eine Hochmoorwanderung machen. auf einem mehr oder weniger schmalen Steg geht es darüber. Manch Einem fehlt die Ausdauer und vielleicht auch die Trittsicherheit. Unsere Reiseleiterin weist unermüdlich auf die Vegeation hin, besonders die Mossbeeren oder estnisch "Moltabeeren" haben es ihr angetan. Dann führt die Tour zu einer sehr schönen Selbstbedienungsrast mit typisch estnischen Speisen. Danach sind wir alle gestärkt für den Laheema-Nationalpark. Hier wird die Geschichte der Deutschbalten anhand des Gutshauses Palmse lebendig.
Später muss unbedingt noch eine Ordensburg in Rakvere besucht werden. Man hätte es sich sparen können. Aber Ritterspiele sind auch in Tallinn's Altstadt sehr beliebt. Da gibt ein altes Hanselokal ebenso wie die typisch estnische Küche verkostende "Esthni Koek".
Was aber sagt das alles über die Esten aus? Garnichts.
Ich jedenfalls werde jetzt in Tallinn 58 Jahre alt. Und es macht mir noch nicht einmal etwas aus. Meine Frau liegt jetzt im Ida-Tallinna Keskhaigla-Krankenhaus, nachdem sie sich am letzten Tag der Reise morgens beim Frühstück im Hotel durch einen Sturz die Hüfte gebrochen hat.
So sehr wir auch, nachdem das feststeht, um einen Krankentransport zum Flughafen betteln, um den gebuchten Rückflug doch noch zu erreichen, eine Ärztin stellt fest: so geht das hier nicht.
Da nutzt meine Aufgeregtheit nichts, sie sagt nur, ich solle herunter kommen. Dann werden wir in einen Raum abgeschoben, wo meine Frau auf einer harten Unterlage liegt, ohne das es jemanden zu kümmern scheint. Wir wollen diese OP nicht, doch nicht in Estland. Aber hier ist die Notaufnahme. Alltag, wartende Menschen, verschlossene Türen zum Arztbereich und zum Aufnahmebereich, wo meine Frau liegt. Laufe ich hinaus, komme ich vielleicht noch mit dem Personal wieder hinein.
Der ADAC, mit dem ich Kontakt aufnehme, rät durch einen Arzt zur OP, der Standard sei so gut wie in Deutschland.
Ich soll Medikamente in einer Apotheke holen, sagt mir ein Arzt. Ein Anti-Thrombose-Medikament. Später stellt sich heraus, es ist Aspirin, was mir verkauft wurde. Das war falsch, sie hatte aber bereits eine Tablette genommen. Nicht gut, wenn eine OP bevor steht. Sie bekommt Angst. Ich werde noch einmal geschickt. Kaufe schließlich für über 30 € das aufgeschriebene Medikament, sie wird es nie brauchen.
Meiner Frau wird Blut abgenommen, der Einstich blutet, es läuft auf ihre neue Handtasche, die sie immer noch um den Hals hat. Ich nehme ihr die Tasche ab.
Besorge Wasser. Die Dame von der Registratur bietet uns einen Transport nach Deutschland an, 2300 € soll er kosten, 25 Stunden mit dem PKW. Ich winke ab, telefoniere mit der Reiseleiterin, veranlasse, dass unser Gepäck erst gepackt und schließlich zu uns gebracht wird. Sie erzählt mir was, von einer "Sit-to-Fly"-Bescheinigung, die ich vom Krankenhaus einfordern soll. Verstehe nur Bahnhof und fordere trotzdem, es interessiert Keinen. Die Menge in der Notaufnahme wird nicht kleiner, sie schaut mich, den hin- und herlaufenden Mann merkwürdig an. Meine Frau muss ihre Geschäfte auf dem Topf verrichten, ich helfe, sie hat Schmerzen.
Irgendwann gebe ich auf, warte nur noch, bis die Reiseleiterin endlich mit dem Gepäck vom Flughafen zurück kommt. Sie will mir ihre Taxiquittung geben, lässt es aber sein, nachdem ich das Essen für sie mit bezahle, was wir draußen vor dem Krankenhaus an einer Döner- und Hamburgerbude kaufen. Obwohl wir wirklich Hunger haben, es schmeckt  uns nicht wirklich. Dann geht aber alles recht schnell, wir verlassen endlich den Aufnahmebereich und sie bekommt nach ihren Rückenschmerzen endlich ein Krankenbett.
Wir landen in einer Privatstation, ein Zimmer mit drei Betten, abgeteilt durch Vorhänge, rötliches Licht, gemütlich. Es gibt sogar Gebäck und Tee, ich darf die Nacht bei ihr bleiben und kann das Heulen nicht unterdrücken, mehrmals.
Die Reiseleiterin ist unser letzter Halt, erzählt uns von ihren eigenen schweren überstandenen Krankheiten. Leider will sie uns zu besseren Menschen machen, das stört uns ein bisschen. Als sie schließlich Feierabend macht, holt uns der Alltag ein.
Ich assistiere meiner Frau bei Ihren Wünschen, hauptsächlich nach besserer Lagerung, in der Nacht. In Unterhosen schrecke ich ungefähr jede Stunde auf. Manchmal muss die Schwester kommen. Eine bärtige junge Schwester lächelt mir zu.
Draußen sind auch nachts die abfliegenden Flugzeuge vom Flughafen Tallinn zu hören. Ich schließe das Fenster.
Am nächsten Morgen stellt es sich nach der Chefarztvisite (endlich ein netter in sogar deutsch sprechender Arzt) heraus, dass die Intensivstation angesagt ist.
Ihr Bett wieder hinter einem Vorhang, ich mit Gepäck davor. Helles Zimmer mit Sonne und den ganzen Tag Warten auf die OP.
Hier geht nun nichts mehr mit Pampers, Katheder ist angesagt, Blutdruck wird regelmäßig gemessen und wieder eine Salzlösung intravenös gegeben. Kein Essen mehr, kein Trinken. Als sie endlich abends um halb sechs zum OP-Saal geschoben wird, nehme ich ein "cheap Taxi", so wie es mir von der Reiseleiterin empfohlen wurde und zähle 7 € für die relativ kurze Fahrt zum Hotel.
Bezeichnenderweise nennt sich die Firma "Amigo". 4 € wären vielleicht angemessen gewesen. Angesichts des kahl geschorenen Fahrers vermeide ich Kommentare und Verhandlungen, tue noch so, als würde ich jetzt regelmäßig für diese Strecke ein Taxi brauchen und habe längst beschlossen, keines mehr zu nutzen.
Auch für das Hotel "Reval Park Casino" zahle ich angeblich eine "special rate", die mir unsere Reiseleiterin gebucht hat. Es ist wesentlich besser als das für unsere Rundreise gebuchte Hotel. Aber was habe ich davon: Blick über die Skyline von Tallinn, gegenüber ein Hochhaus, das gerade entkernt wird.
Nach einem abendlichen Imbiss in der Hotelbar rufe ich im Krankenhaus an, will wissen, ob die Operation gelungen ist, aber mich versteht niemand. Meine Frau ist anscheinend nicht existent. Bin zu müde, um mich aufzuregen und lege auf. Morgen werde ich ja weiter sehen.