Mittwoch, 9. Januar 2013

Gold - LX

Helles Holz ist ihm recht, nur soll er nicht so hoch sein. Unsere Wohnung sah anders aus (60er-Jahre Nussbaumfurnier, kantig und auf Füßen stehend). Wir fahren also los, schaffen es aber nur, den Fernseher zu besorgen. Als wir zurück kehren, ist Vater müde, die Euphorie ist vorbei. Wir stellen den Fernseher auf den runden Tisch und ich stelle nach einiger Suche die Sender ein, versuche Vater die Fernbedienung zu geben. Aber er lässt sie fallen. Stattdessen will er, dass das Bett bewegt wird. Das ist sehr schwer. Die Pflegerinnen haben sich von beiden Seiten den Zugang gelassen, Vater will das Bett aber an der Wand haben. Meine Frau tadelt mich, weil ich versuche, auf alles einzugehen. Schließlich verlassen wir etwas im Zwist das Heim.  
Ein Problem gibt sich hier mit der Wäsche. Sie wird wie in jedem Heim gescannt und dazu weg gegeben. Er hat also erst mal wieder sehr wenig. Eine gewisse Menge Geld müssen wir im Heim lassen, damit entstehende Auslagen beglichen werden können. Das sind in erster Linie die Medikamentenkosten. Ist Ihr Vater von der Zuzahlung befreit? Ich weiß es nicht. Jetzt denke ich manchmal darüber nach, dass mein Vater nun nur durch einen Bergrücken von mir getrennt untergebracht ist und das er das augenscheinlich gut findet. Bin froh, dass das alles halbwegs auf meinem Arbeitsweg liegt. Das Amtsgericht bekommt nun seinen Heimvertrag und die Kündigung seiner Wohnung wird somit rechtskräftig. 
Bei der Heimsuche wurde mir immer gesagt, mein Vater sei noch jung, als ich das Alter mit 77 benenne. Angesichts der Vielzahl der über 80- bis 90-jährigen in den Heimen ist die Aussage verständlich. Das Studium der Todesanzeigen in den Zeitungen sagt anderes. 
Davon abgesehen: vermutlich wäre ich froh, 77 Jahre alt zu werden. Aber das Alter ist offensichtlich eine relative Sache. 
Am Samstag besorgen wir, wie besprochen, einen Kleiderschrank, aber zum Aufbau reicht mir die Zeit nicht mehr. Ich packe die Teile aus, beschließe aber schnell, damit nicht mehr wirklich zu beginnen. Der Alltag hat mich wieder, Egon winkt ab. Das ist alles nichts, das ist seine Antwort auf die Frage, wie es ihm gefällt. 

Dienstag, 8. Januar 2013

Gold - LIX

( Egon hat einen grauen Mantel an, das Wegwerfen dieses Mantels hätte er nie übers Herz gebracht. Er erkennt mich, ich erzähle dies und das, doch alltägliche Dinge versteht er nicht. Ich will ihm sagen, was mit seinem Geld wird. Ich fange damit an, will ein Foto von ihm machen, aber da ist er weg. Auf dem Bild ist ein anderer Mann zu sehen.)   
Ich bekomme den Heimvertrag mit, die Leiterin macht mir Mut. Sicher werden sie ihn mobilisieren. Er soll auch an Veranstaltungen teilnehmen. Vielleicht kann ich mal draußen im Innenhof mit ihm sitzen. Den Rollstuhl soll man möglichst früh bei der Krankenkasse bestellen. 
Ich teile dem Nordwest-Krankenhaus nun mit, dass ich einen Platz gefunden habe. Am 7. März wird der Tag der Verlegung sein.
Die Sonne scheint, wir sind schon etwas früher da und essen im öffentlichen Speisesaal des Seniorenzentrums zu Mittag. Kurz darauf wird Egon gebracht. 
Er ist sehr erfreut, uns zu sehen. Wir folgen ihm aufs Zimmer, wo er gleich feststellt, dass kein Fernseher da ist. Beim Umbetten bemerkt er, dass das Bett in Ordnung ist. Neben der Heimleiterin, die ihn im Namen des Heims begrüßt, ist die zuständige Pflegeschwester da, insgesamt stehen vier Personen als Empfangskomitee an seinem Bett. Mir fehlt nichts, sagt er, nur die Gesundheit. Er genießt das große Publikum. Er lässt sich erklären, dass er ein eigenes Bad hat. Er muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass es keinen Keller gibt. Obwohl er sich mal den ersten Stock gewünscht hat, kritisiert er das jetzt. Sein Zimmer ist bis auf das Bett eigentlich nicht möbliert. Das Heim hat aber ein Sideboard und einen Tisch mit zwei Stühlen ausgeliehen. Den Fernseher wollen wir nun schnellstens besorgen. 
Als das offizielle Ende der Begrüßung zu ende ist, versucht Egon mir was von den Eindrücken während der Fahrt zu berichten. Ich verstehe ihn jedoch kaum, habe das Gefühl, dass es um irgendwelche Wiesen geht, die er unterwegs gesehen hat. Ich erkläre ihm , dass er direkt am Rand der Streuobstwiesen liegt, wo die Äpfel für den Apfelwein wachsen. Davon hätte er auch noch gern was, stellt er fest. Wir sprechen noch über den Schrank, den wir besorgen wollen. 

Montag, 7. Januar 2013

Gold - LVIII

Eines schönen Wintertages fuhr Paul mit dem Zug in die Stadt, um seine Wiedereinstellung perfekt zu machen. Zum Glück war der Chef wegen des Studiums nicht nachtragend. Und es war auch für ihn eine einfache Lösung, Paul wieder einzustellen, denn die Stelle, die Paul vorher inne hatte, war wieder frei geworden. Damit war seine finanzielle Unabhängigkeit gesichert und Paul über den Verdacht erhaben, von seiner Freundin leben zu wollen. Was er einst als Stagnation empfunden hätte, sah er nun als die sichere Rettung. Wenngleich er schon ahnte, dass seine Unzufriedenheit zurück kehren könnte, denn an den Herrschaftsgebaren seines Chefs hatte sich naturgemäß nichts geändert. Er war Frauen gegenüber wesentlich aufgeschlossener und glaubte immer in jeder Äußerung eines Mannes, die seiner Meinung widersprach, einen Angriff auf sein Patriarchat sehen zu müssen. Das machte es Paul schwer, sich wohl zu fühlen, zumal er solche Verhaltensweisen bestens kannte. Die Personalpolitik des Chefs war eindeutig, hier arbeiteten überwiegend junge Frauen. Eine Kollegin zum Beispiel, die manche Äußerungen Pauls mit einem herzhaften Lachen quittierte. Sie lud ihn zu sich nach hause ein, um ihm einen Vogel zu zeigen (das meinte sie ernst), dabei war klar, sie hatte bereits einen Freund. Der Arbeitsplatz erschien Paul mehr und mehr als wenig gutes Pflaster für einen mühsam den Hafen der Ehe ansteuernden Mann. 
Paul näherte sich einem zurück haltenden, stets um Seriosität bedachten Mann an, der im Verlag als Autorenbetreuer arbeitete und zweifelsohne ein besseres Standing als er selbst genoss. 
Paul hatte geträumt und erzählte während eines gemeinsamen Kneipenbesuchs davon. Die Eltern waren beide gestorben und er empfand das Gefühl des Verlustes als entsetzlich. Sie sprachen also über seine Eltern, die zu dem damaligen Zeitpunkt beide noch sehr lebendig waren und insbesondere über den Vater.
Überraschenderweise fand Paul nun in seinem Gesprächspartner einen verständnisvollen Menschen, der ihm die Rolle des Vaters zu erklären suchte. Ob er denn meinen würde, dass der Vater alles so gewollt habe, wie es sei. Er habe doch immerhin eine Familie aufgebaut, seine Familie und suche sicher ab und zu seine Freiheit. Da fand sich Paul wider Willens in der Position eines Anklägers, dem die moralische Berechtigung für ein Urteil fehlte.
    

Samstag, 5. Januar 2013

Gold - LVII

Im Zug beachtet eine Dame gerade nicht meinen auf der Lehne liegenden Arm. Vielleicht ein Anstoß, um den Traum dieser Nacht Revue passieren zu lassen. 
Ich sehe zwei Kinder, die mit einem Schlitten eine Skipiste hinunter fahren wollen. Jedes Kind sitzt also auf seinem eigenen. Der weiße Schnee blendet mich. Ich weiß nicht, warum das zugelassen wird. Ich habe Angst um sie, kann aber nicht eingreifen. Vor meinem Auge kreuzen sich zwei weiße Streifen, die immer breiter werden. Ich sehe nur noch weiß. Sie können das nicht geschafft haben, da herunter.    
Ich wache auf, ich muss ins Licht sehen, um dieses Weiß allmählich loszuwerden.
Kinder, so erzählte Paul, waren für sie kein Thema. Zu sehr waren sie mit dem Aufbau ihrer Existenz und der Bewältigung ihrer Isolation beschäftigt. Die Nachbarn ihrer ersten gemeinsamen Wohnung waren eigentlich nicht so übel und ganz freundlich. Aber das Regiment führte in diesem Haus ein Herr Schulz. Frau Schulz sah manchmal etwas mitleidig zu ihnen herüber, aber Herr Schulz empfand Paul wohl als eine ziemliche Zumutung.
Paul hatte wohl vergessen, dass in Deutschland die Frauen immer nett und gesprächig zu sein hatten. Und sie sollten vor allem auch optisch wirken. Ja, und die Kinder? Man nimmt doch eine Frau nicht, weil man sie menschlich schätzt. Da nimmt Mann sich doch etwas Junges, so hatte es der Vater vorgegeben.
Paul interessierte das nicht, noch hatte er keine Arbeit und die neue Freundin sprach von Verlobung. Darunter konnte er sich nicht viel vorstellen. Sie trugen beide Kettchen mit den Initialen des anderen. Zwei Ignorierte, die sich beide wollten.  

Freitag, 4. Januar 2013

Gold - LVI

Das Krankenhaus macht nun Druck. Frau Dr. F. schaltet sich persönlich ein. Ihr Vater wird nie wieder essen können, eröffnet sie mir telefonisch.   
Nach dem Einsetzen der Magensonde gibt es nun keinen Grund mehr, Vater im Krankenhaus zu behalten. Wir finden ein Heim in Langenselbold. Nach einer ursprünglichen Absage, hat sich dort überraschend eine Bewohnerin entschieden, auf das ihr schon zugesagte Einzelzimmer zu verzichten. Wir halten uns die Option offen. Da mir nach wie vor ein gemeinnütziger Träger lieber wäre, rufe ich beim DRK in Bischofsheim an. Da ist leider nichts frei, ich solle es aber mal in Dörnigheim versuchen, da sei ein neues Heim im Entstehen. Wir sehen es uns von außen an und es gefällt uns. In meiner Mittagspause fahre ich zum Gespräch mit der künftigen Heimleiterin. Ein Bus macht mir unterwegs die Tür vor der Nase zu, so laufe ich und schwitze etwas, als ich dort ankomme. Die Heimleiterin (mit Hund) erklärt mir, man pflege die Patienten so, wie man es für sich selbst auch gern haben wolle. Man brauche auch noch Zeit für die Aufnahme, man habe gerade erst mit der Belegung begonnen. Diese Woche wird es sicher nichts. Als ich schon am Bahnhof auf meinen Zug zur Rückfahrt warte, schellt mein Handy. In Bischofsheim sei nun doch ganz plötzlich ein Pflegeplatz frei geworden, die dortige Leiterin habe gerade angerufen. Zu spät, nun wird es heute nichts mehr. Wieder im Büro, vereinbare ich einen Termin für den nächsten Morgen.
Auch die Heimleiterin in Bischofsheim begrüßt mich in der Begleitung eines Hundes. Eigentlich steht das Seniorenzentrum nur Bürgern der Stadt Maintal offen, aber hier ist plötzlich etwas frei geworden und so ist es doch möglich. Das Ganze macht mir einen guten Eindruck. Die Kosten sind zumindest in der Stufe III so, dass er sie tragen kann und die Entfernung zu uns ist günstig. Ich sehe mir daher das Zimmer an. Es liegt im ersten Stock und der Blick geht auf Obstbäume, die in diesem Jahr schon zu grünen beginnen. Leider führt seitlich eine Straße vorbei und auf der anderen Straßenseite ist ein Einkaufsmarkt. Ob Egon soviel davon mit bekommt? Immerhin hat er ein eigenes Bad.

Donnerstag, 3. Januar 2013

Gold - LV

Der soziale Dienst im Krankenhaus hat schnell sein Pulver verschossen. Wir suchen im Main-Kinzig-Kreis weiter, nachdem wir uns ein recht teures Heim in Frankfurt angesehen haben. Nach der Lektüre des Buchs über Pflegeheime bin ich misstrauisch gegenüber privaten Heimträgern geworden. Man soll auf den Geruch achten, wenn man ein Heim ansieht. Uringeruch ist Zeichen für billige Windeln oder zu wenig Wechsel. Wie viel examinierte Pfleger gibt es, wie viel Personal für einen Patienten? Letzteres sind Dinge, die einem zwar erzählt werden, aber wie soll man das prüfen? Letztlich ist man auf die eigene Nase angewiesen. Im übertragenen Sinn, uns gefiel in Frankfurt nicht, dass das Heim als Riegel direkt an einer verkehrsreichen Straße steht. Wenig Auslauf drum herum, kein großer Gemeinschaftsraum und ansatzweise auch Geruch, obwohl das Haus neu und noch nicht voll belegt war. 
Dabei hatte die Presse es durchaus gewürdigt (umgeschriebene Eigenberichterstattung?)
Die noch nicht erreichte volle Auslastung behindert aber eine vollständige Beurteilung. 
Immerhin: die Krankenkasse hat die Stufe 1 für die Pflege bewilligt. Es würde also nicht so teuer wie gedacht. Ich muss Vater nun sagen, dass unser Nidderau-Plan gescheitert ist. Das bedauert er. 
Das alte Ehepaar ist wieder zusammen. Ich kann Vater nun seine richtige Brille wieder geben. Sie war in Bad Orb verblieben. Die Brille, die man ihm in Gießen gebracht hatte, war nicht seine. Noch in der Woche hat Vater die PEG-Magensonde bekommen. Er darf nichts essen und zählt nun die Tage ab, denn man hat ihm gesagt, er dürfe es in 3-4 Tagen wieder. Die Nachricht, dass es nicht klappt, beruhigt ihn nicht. Als ich mich verabschiede und sage, dass ich nun wieder aufs Land fahre, sieht er mich an, als wolle er am liebsten mit kommen. 
Draußen werfe ich die Brille eines mir nicht bekannten Menschen in den Mülleimer. 

Mittwoch, 2. Januar 2013

Gold - LIV

Aphasie, Aphasie ist, was Dein Vater hatte, meinte Rachel. Was Paul mal wieder positiv sehen wollte, war also Teil der Krankheit, eine verminderte Fähigkeit, sich auszudrücken. Aber Vater registrierte ganz genau, was mit ihm passierte. Nicht umsonst die Bemerkung über seine "hervorragende" Sprache. So schien es ihm eher ein "technisches" Problem zu sein, was Vater da hatte. Solange er ihn erkennen würde, wäre für ihn alles in Ordnung. Ihr Vater, so sagte später ein erfahrener Arzt aus Maintal nach einer Untersuchung, ist ein hoffnungsloser Fall. Sein Zustand wird sich nicht verbessern. Es ist erstaunlich, dass man sich noch so mit ihm unterhalten kann.