Dienstag, 30. Oktober 2012

Terry Pratchett - Snuff


Sam Vimes ist Commander der Stadtwache von Ankh-Morpork und ein Mensch der Stadt.
Vor allem ist er ein Copper, der beste, den Lord Vetinari im Kampf gegen das Verbrechen aufbieten kann. Ihm ist es zu verdanken, dass die Stadt, Schmelztiegel der Rassen, die die Scheibenwelt bevölkern, sicher ist. Die Frau von Sam Vimes ist Lady Sybil und gehört dagegen zum feinen Landadel. Zusammen mit dem Sohn soll endlich der lange ersehnte Familienurlaub auf dem Landsitz der Ramkimschen Familie erfolgen. Dazu erreicht Lady Sybil, dass der besagte Lord Vetinari, Bürgermeister der Stadt, seinen treuen Diener in Urlaub schickt.
Sam Vimes fürchtet das Landleben und sucht den Kontakt zu seinen Untertanen.
Er will etwas erfahren und gleichzeitig seine Langeweile besiegen. Diese hemdsärmelige Art erzeugt Misstrauen bei den Leuten und dem Adel ist er ohnehin suspekt, da die Vorfahren seiner Familie am Sturz des letzten Königs von Ankh-Morpork beteiligt waren.  
So kommt es wie es kommen muss, Sam Vimes riecht das Verbrechen förmlich.
Als er bei einem Kneipenbesuch den Kopf eines Goblins an der Wand entdeckt, beginnt das Spiel. Der Dorfschmied zeigt sich der Herrschaft gegenüber respektlos und Sam Vimes fordert ihn zu einem Zweikampf heraus, den er natürlich gewinnt. Überhaupt wird viel gekämpft und mit an der Seite von Sam Vimes ist stets Willikins, der Hausdiener von Ramkin Hall, Butler und Mädchen für alles bei Lady Sybil. Ein bad guy im Kampf für das Gute, den man sich wie alle Charaktere im Buch gern selbst ausmalt.
Und da ist noch der junge Vimes, der sich für die Exkremente der Tiere interessiert und ausgiebige Nachforschungen auf dem Lande anstellt. Unterstützt wird er dabei von einer Kinderbuchautorin, die bei den Goblins aufgewachsen ist und diesen nun Selbsthilfe im Kampf ums Überleben lehrt.
Die Goblins leben in unterirdischen Höhlen und sind in tiefer Depression verfallen.
Sie werden vor allem von den Menschen der Scheibenwelt als Plage angesehen, bejagt, getötet oder zur Zwangsarbeit verschleppt.
Der Dorfschmied weiß etwas, aber ein Treffen mit ihm kommt nicht zustande. Statt des Dorfschmieds findet Sam Vimes am vereinbarten Treffpunkt am Hangmans Hill nur ein große Blutlache und den abgetrennten Finger eines Goblins.
Die Verantwortlichen des Dorfes um Lord Rust schicken den Dorfpolizisten, um Sam Vimes  verhaften zu lassen und so unliebsame Nachforschungen zu verhindern. Der Dorfpolizist ist jedoch ein großer Anhänger von Sam Vimes und so fällt es diesem nicht schwer, den jungen Mann auf seine Seite zu bringen. Er ernennt ihn kurzerhand zum Chiefconstable und bringt ihm im Zuge der Nachforschungen die richtige Polizeiarbeit bei. Sam Vimes lernt viel über Goblins, auch dass sie wunderbare Musik machen können, sich einer bildhaften Sprache bedienen und dass ein jeder einen wertvollen pot mit geheimnisvollen Ingredienzien (wie Nasenschleim)  für sich selbst herstellt.
Vor allem letzteres weckt Begehrlichkeiten. Bald sind jedoch zwei finstere Gestalten gefunden, die nicht nur für den Schmuggel von pots in Tabak verantwortlich sind, sondern im Auftrag von Lord Rust auch für die Entführung des Dorfschmieds und die Verschleppung von Goblins auf einem gekaperten Schiff, dass auf dem Fluss Ankh fährt.
Nachdem einer der beiden gefasst ist, presst Vimes diesem den Namen des anderen ab und verhindert die Befreiung durch eine von einem der Anwälte Lord Rusts angeführte Menschenmenge. Vimes wendet das Blatt und schafft es mithilfe des kundigen Chief Constables und eines Goblins namens Stinky das Schiff zu erreichen, wo Stratford, der Serienkiller nun das Kommando hat. Vimes befreit die Goblins, rettet das Schiff trotz eines schweren Sturms (dabei hilft ihm, dass der in der Dunkelheit sehen kann) und ist dabei den Kampf gegen den Serienmörder zu verlieren, als dieser über Bord gespült wird. Das Schiff strandet in Quirn, aber Stratford ist mit den Goblins wieder dabei zu entkommen. Ein anderes Schiff hat den Hafen bereits verlassen, wird von der Polizei geentert. Stratford bleibt verschwunden. Vimes wird nun als König des Flusses Ankh überall geehrt, kehrt zur Ramkin Hall zurück und darf mit samt seiner Familie auf einem besonderen Vergnügungsboot nach Ankh-Morpork fahren. Nun versucht Stratford, den Sohn von Sam Vimes umzubringen, wird aber von diesem gestellt. Bei der Überstellung des Gefangenen ereignet sich jedoch ein Unfall, Stratford tötet einen seiner Bewacher, wird selbst von Willikins im Kampf ausgeschaltet. Auch vor diesem Kampf gibt es die Ansage der Niederlage vorweg.
Ende gut, alles gut. Ladys Sybil veranstaltet ein Konzert mit einem hochbegabten Goblinmädchen, zu der alle Patrizier von Ankh-Morpork eingeladen sind. Die Ankh-Morpork Times überschlägt sich in positiver Kritik und spätestens jetzt ist es an Lord Vetinari, für die Gleichstellung der Goblins zur sorgen, die fortan die gleichen Rechte wie alle anderen Rassen der Scheibenwelt bekommen.
Die bittere Pille für Sam Vimes ist es, dass Lord Rust und auch sein Sohn nicht gebührend bestraft werden, da es zuvor nicht verboten war, den Goblins etwas anzutun.
Lady Sybil jedenfalls wünscht sich nun endgültig einen Familienurlaub.
Ob dieser stattfinden wird oder nicht, hängt wohl auch von der Gesundheit des Autors Terry Pratchett ab, dem dieses wunderbare Märchen gelungen ist. Dieser ist, wie er selbst bekannt gegeben hat, an Alzheimer erkrankt. Hoffen wir, dass die „Summoning Dark“ in diesem Fall nicht zu schnell eintritt.

Freitag, 26. Oktober 2012

Und nu: Glauchau

Der Plan, einmal nach Glauchau zu fahren, war nicht neu. Auch nicht neu, war der Wunsch,
es nicht zu tun. Man kommt nicht zufällig nach Glauchau. Und die Personen aus meiner Familie, die dort einmal gelebt haben, hielten sich mit Informationen zurück.
Der Weg in den Westen erfolgte sicher für viele nicht ganz freiwillig aufgrund des Einrückens der Roten Armee als Folge der Aufteilung Deutschlands nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. 
Ziel einer Glauchaureise war es nun, die beiden bekannten Adressen des Urgroßvaters und des Großvaters zu finden und sich so manches Bild zu machen.
Wir wählten als Anreiseart die Deutsche Bahn. Die Reise sollte von Frankfurt am Main über Fulda nach Weimar und dann nach Glauchau gehen. Da unser Zug bereits in Fulda zu spät ankam, erfolgte die Reise aber über Erfurt und Altenburg/Lehndorf. 
Der Glauchauer Bahnhof ist sehr schlicht gehalten. Außer einer historisch anmutenden Bahnhofsuhr sind im Bahnhofsgebäude mehr oder weniger weiße Wände zu sehen.
Die ursprünglichen Stuckdecken sind weg und lediglich ein kleines Stehcafé und eine Buch- und Zeitschriftenhandlung hauchen der kleinen Halle ein bisschen Leben ein.
Es regnete draußen passend dazu und zum Glück stand wenigstens ein Taxi vor dem Ausgang.
Die durchaus freundliche Fahrerin klärte uns darüber auf, dass in Glauchau nur Rentner leben würden und da nichts los sei. Auch der Einwurf eines Mitreisenden, dass hier seine Eltern geheiratet hätten, beeindruckte die Dame nicht sonderlich. Das „Deutsche Haus“ am Marktplatz sei das einzig gute.
So eingestimmt ratterten wir über das helle Kopfsteinpflaster der August-Bebel-Strasse in Richtung Hotel Meyer, einer ehemaligen Weberei in der Agricolastraße. 
Ein erster Rundgang führte uns zum Marktplatz, wo wir in besagtem „Deutschen Haus“ Kaffee trinken wollten. Die Kuchenauswahl am Nachmittag war jedoch nicht so ansprechend, sodass wir uns nicht zum Bleiben entschließen konnten. Wir fanden den Weg zu einem Stehcafé, gerade noch rechtzeitig bevor die Öffnungszeit um 17 Uhr endete. Wir wurden dennoch ausgesprochen freundlich bedient. Im Tresen sah ich eine mir unbekannte  Spezialität vor mir liegen. Sie schien die hügelige Vorgebirgslandschaft simulieren zu wollen, in der Glauchau liegt. Der Aufläufer ist etwas goldgelb Gebackenes, rund und gewellt. Er wird mit heißer Butter und Zucker und/oder Konfitüre bestrichen und ist ein länger haltbares Gebäck. Aufläufe vor allem an Menschen sollten wir an diesem Tag nicht mehr sehen.
Bei anhaltendem Nieselregen passierten wir die Stelle, an der früher das Nicolaitor stand,
die Umrisse der Durchfahrt rot gepflastert. 
Leer gefegt präsentiert sich die Leipziger Straße, die wir auf unserem Weg zurück ins Hotel besichtigen. Es ist die Einkaufstraße von Glauchau. Doch neben leeren Läden hindert uns vielfach der frühe Ladenschluss an weiteren Einkäufen.
Am nächsten Tag nun wollen wir gut gestärkt zwei Adressen anlaufen. Der erste Weg führt uns zur Körnerstraße. Wir befinden uns in der Oberstadt und passieren auf dem Weg dorthin eine Straße mit dem schönen Namen „Hoffnung“. 
Gewisse Erwartungen haben sich in uns breit gemacht. Erzählungen in der Familie nach, haben meine Mutter und ihre Geschwister in einer Villa gewohnt und in einem Garten mit einem großen Baum gespielt. Als wir die Körnerstrasse erreichen und vor dem Haus Nr. 9 stehen, erkennen wir, dass es sich um ein gut gepflegtes Mehrfamilienhaus mit angebauten Holzbalkonen handelt. Es gibt auch einen Garten mit einem nicht ganz so großen Baum und einigen Gartenhütten. Der Bürgersteig vor dem Haus ist, wie in Glauchau vielfach, nicht asphaltiert sondern besteht aus platt gewalzter Erde mit Steinchen und Sand darin, begrenzt durch Steine. Wir fotografieren uns, das Haus und was wir für wichtig halten und tun bei so, als handele es sich um eine Glauchauer Sehenswürdigkeit. In diesem Haus hat 1936 mein Urgroßvater gewohnt, sein Sohn scheint jedoch, obwohl in der Hirschgrundstraße gemeldet,
seine Familie auch hier untergebracht zu haben. 
Nun pilgern wir also weiter in der Hoffnung, die erwartete Villa vorzufinden, in Richtung Hirschgrundstraße. Wir sehen, das Glauchau ein großes Klinikum hat und folgen der abschüssigen Hirschgrundstraße bis zum Eckhaus Nr.51. Zu unserer Enttäuschung steht das Haus leer und macht einen verfallenden Eindruck. Putz bröckelt von der Außenwand, die Hausnummer scheint noch aus den Tagen unserer Vorfahren übrig geblieben zu sein. 
Im Erdgeschoß stehen ein paar alte Stühle und ein grüner Kachelofen. Durch die Doppelfenster aus Holz lässt sich das schlecht fotografisch dokumentieren. 
Hier also war der Großvater bzw. Vater 1936 gemeldet. Neue Hoffnung keimt in uns auf,
vielleicht handelt es sich gar nicht um besagtes Haus, vielleicht ist hier nach dem Krieg neu gebaut worden. Wir bereuen es, einige Passanten nicht angesprochen zu haben. Eine ältere Frau mit Fahrrad spricht uns an, aber wir lassen sie ziehen.
Schließlich entfernen wir uns von dem mal hellbraun bis gelblich verputzten Haus nicht ohne die obligatorischen Siegerfotos zu machen. Jawoll, wir waren da, aber was hat es uns gebracht? Mir gelingt es dennoch auf dem Weg zur nahe gelegenen Sparkasse in der Sonnenstraße einen alten Mann anzusprechen. Er hat es eigentlich eilig, gibt uns aber dennoch Auskunft. Wir fragen ihn, wann das Haus in der Hirschgrundstraße 51 denn gebaut worden sein könnte. Nach einigem Überlegen meint er, das sei vor dem Krieg gewesen. Ist sich sehr sicher, in der DDR-Zeit habe man ja nischt gehabt. Daher der Verfall.
Meine Internetrecherche ergibt später, dass nach dem Krieg an dieser Stelle auch keine neuen Sozialwohnungen entstanden sind. Mich erinnert der Baustil auch eher an die Zwanziger/Dreißiger Jahre.
Die Hoffnung auf eine Villa zerstört, haben wir nun aber immerhin die Gewissheit, das Haus, in dem der Großvater/Vater mal wohnte, gesehen zu haben. 
Nun wird uns unser Weg weiter zum Gründelteich führen, den wir nach dem Abstieg vom Gründelberg erreichen werden. Wir sind also beim touristischen Teil angelangt und wollen auch noch den Stausee und das Schloss sehen.
Es gibt verschiedene Pfade vom Gründelberg hinunter, einige durchaus mit starkem Gefälle
und steilem Ausblick. Hat in diesem Gelände die Mutter ihre Streiche vollbracht? Ein gewisser Witz scheinen den Menschen hier gegeben, auch wenn wir gelegentlich auf mürrische Zeitgenossen treffen. Wie benutzen jedenfalls die Gründelallee, überqueren die Albertsthalerstraße und gelangen dort über den Naundorfer Wiesenweg zum Stausee, ohne auf ein geöffnetes Lokal zu treffen.
Nach kurzer Besprechung fällt der Entschluss, zurück zum Ort zu gehen. Denn ob das Lokal im Ortsteil Hölzel geöffnet hat, das erscheint uns ungewiss.
Wir nehmen nun die andere Seite des Wegs um den Gründelteich, passieren die wohl längst geschlossene Parkschänke am Gründelhaus und laufen entgegen des Ratschlags eines Einheimischen (se müssen über den Berg nüber) den Hammerdammweg, der uns links an einem großen Kleingartengelände und rechts an dem sumpfigen kleinen Teich Richtung Mühlberg führt. Hat sich mein Großvater in diesem Kleingartengelände versteckt, als er von den Russen gesucht wurde? Möglich scheint es mir. 
Wir erreichen den Mühlberg und den gepflasterten Aufstieg zum Schloss. 
Dort rasten wir ausgiebig bei einem italienischen Lokal. Als wir es betreten und vom etwas mürrischen Kellner angesprochen werden, geben wir zu verstehen, dass wir eigentlich nur mal gucken wollen und lieber draußen Platz nehmen. Na, dann gucken Se mal, meinte der Kellner recht schmallippig. Zum Glück wurden wir von einem sehr freundlichen, einen osteuropäischen Dialekt sprechenden, Kellner bedient. Hier konnte nicht nur der Akku meiner Kamera aufgeladen werden. Die eine oder andere Familiengeschichte ging uns durch den Kopf und gestärkt betraten wir später den Innenhof des Schlosses Glauchau, wobei uns der Unterschied zwischen den Schlössern Forder- und Hinterglauchau nicht bewusst wurde. 
Für 5 € hätten wir an einer Ausstellungseröffnung teilnehmen können, wir wurden darüber aufgeklärt, als wir uns verbotener Weise Zutritt zur Kirche des Schlosses verschafft hatten.
Jedenfalls strömten für Glauchauer Verhältnisse Menschenmengen an uns vorbei. So wird Professor Schnürpel (der Künstler) es verkraftet haben, dass wir uns weiter in Richtung Ort bewegten, vorher jedoch einen Abstecher in die Georgenkirche machten. 
Zwei alte Damen begrüßen uns sehr freundlich und ermuntern uns, die Kirche genauer anzusehen, nachdem wir eingetreten waren. Sie standen uns für unsere Fragen gern zur Verfügung und als eine der beiden erwähnte, dass sie auch für die Familienforschung arbeitet,
waren Hemmungen genommen und es entwickelte sich ein sehr interessantes und anrührendes Gespräch. Schnell war der Gedanke aufgekommen die Eltern/Großeltern könnten hier geheiratet haben, die Kinder hier getauft worden sein. Was sich nun später bestätigte.
In Glauchau wurde erst 1903 eine weitere Kirche in der Unterstadt gebaut. Die Georgenkirche aber war durch den Brand 1712 fast völlig zerstört worden und musste neu aufgebaut werden. Dies obwohl fast alle Bürger der Stadt ebenfalls ihre Häuser verloren hatten. Doch ein Gotteshaus war den Bürgern wichtig. So konnten sie sich ihre eigenen Plätze in der Kirche erkaufen und damit die Finanzierung ermöglichen. Im Zweiten Weltkrieg blieb die Georgenkirche von Beschädigungen verschont, obwohl in den letzten Kriegstagen aufgrund deutschen Widerstands amerikanische Artillerie Glauchau unter Beschuss nahm. Das Schloss wurde beschädigt und viele Einwohner verloren noch Angehörige, als ein Güterzug am Glauchauer Bahnhof bombardiert und getroffen wurde. Vor weiteren Bombenschäden blieb Glauchau im Wesentlichen verschont. 
Werner Löbel aus Kassel war als Flüchtling aus Ostpreußen nach Kriegsende auch in Glauchau und schreibt dazu: "Hier eine kurze Einflechtung im Zeitverlauf. Ich erinnere mich, dass in Glauchau am Bahnhof eine Bretterwand mitten auf der Straße aufgebaut war, die Straße mit den umliegenden Gebäuden diente den Russen als Militärkommandantur und Besatzungskaserne."

Die aktuelle Situation ist vom Exitus der jungen Bevölkerung geprägt. Die Textilindustrie, die hier einst heimisch war, ist fast völlig verschwunden. Während früher Webereien und Färbereien Arbeitsplätze boten, sind es heute Betriebe der Autozuliefererbranche, die sich im Gewerbegebiet positioniert haben. Übrig blieb nur der in den Dreißiger Jahren geschaffene in Stausee, der Frischwasser für die Textilbetriebe bereit stellte. Dazu wurde die Zwickauer Mulde in den Naundorfer Wiesen angestaut.

Die Geschäftsleute in der Stadt beklagen die Situation durchaus plakativ, vor allem den Mangel an Parkplätzen.
Die Zukunft wird hier aber der Pflege älterer Menschen gehören. Gegenüber unserem Hotel wird ein historisches Gebäude zum Pflegeheim umgebaut. 
Nachdem wir im Ratshof tatsächlich ein offenes Lokal, ein Eiscafé, fanden, dürfen wir die Öffnungszeiten des Fremdenverkehrsamtes bewundern. Am Wochenende ist es lediglich am 1. Samstag im Monat von 8-12 Uhr geöffnet. Es ist Samstagnachmittag und die offensichtlich Pause machende Putzfrau hat es sich auf einem der Beratungsarbeitsplätze gemütlich gemacht. Sie überwacht nun, ob wir uns nicht doch noch Eintritt verschaffen.
Offensichtlich finden nicht allzu viele Touristen den Weg nach Glauchau. So ist auch der mit historischen Bildern Glauchaus geschmückte Laden auf dem Marktplatz am Samstag gar nicht auf. Das Café gegenüber der Georgenkirche war zwar offen, aber man hatte eine geschlossene Gesellschaft.
Dass Fremde durchaus eine herzige Begrüßung erfahren können, bemerkte ich auf dem Rückweg ins Hotel. Als ich eine junge Familie durch ein Portal mit der Aufschrift „Freizeitparadies“ gehen sah und mich noch über diese Bezeichnung für eine kleine Grünanlage wunderte, drehte sich der junge Mann um, während ein Autofahrer uns mit „Du Orschloch“ anrief, was ich geistesgegenwärtig mit „Super, klor, danke!“ kommentierte und zunächst dem jungen Mann zurechnete. Wir hatten gar nicht damit gerechnet, dass auf der Straße auch Autos fahren und die Agricolastraße als Fußgängerweg missbraucht.  Sie scheint aber auch wirklich nicht die Pulsader von Glauchau zu sein. 
Vielleicht aber, so ging es mir durch den Kopf, ist „Du Orschloch“ einfach nur ein nett gemeinter Gruß, den sich die Einheimischen gerne sagen.
Es heißt hier ja auch „Guden Toch“ statt „Guten Tag“, Thüringen lässt grüßen und ein reines Sächsisch ist es sicher nicht, was hier gesprochen wird. Also versuche ich mich gegenüber Einheimischen nicht als Nachmacher des Sächsischen zu präsentieren.
Am Abend machen wir noch einen Spaziergang durch die Agricolastraße, die in weiten Bereichen von leerstehenden und verfallenden Häusern geprägt ist zur Lichtensteiner Straße (Grenzstein Glauchau / St.Egidien) bis wir uns dem sowieso geschlossenen Bismarckturm nähern. Dann treten wir den Rückweg durch die ausgedehnte Kleingartenanlage vorbei an der „Gaststätte Gartenfreunde“, die demnächst auch geschlossen haben wird und als öffentliche Gaststätte auch gar nicht erkennbar ist, und stoßen an der Lungwitzer Strasse wieder auf die Stadt. 
Nach einem erholsamen Abend im wirklich empfehlenswerten Hotel Meyer traten wir nun am Folgetag die Heimreise an. Unser Taxifahrer konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, als ich ihm von der Begegnung mit dem Autofahrer vom Vortag und seinem „sächsischen Gruß“ erzähle. 
Nun standen wir also wieder am Bahnhof und unterhielten uns über die Umstände, unter denen die Großeltern bzw. Eltern Glauchau verlassen mussten. Ob sie 1948 auch den Zug nach Göttingen genommen haben?
Glauchau erscheint mir wie ein verwunschenes Städtchen. Schon geografisch hat es alles, was man braucht: Fluss, Tal, Berg, von allem etwas, von nichts zuviel. Eine gewisse Ordnung, eine Ober- und eine Unterstadt. Die Leute haben Geduld und eine gewisse Sanftmut, sind freundlich, manchmal mürrisch, nie unverschämt und haben ein Beharrungsvermögen. Hätte es meine Mutter hier ausgehalten?  
Mutter war stets ungeduldig und als die Familie im Aufnahmelager Friedland ankam, hat sie versucht, sich vorzudrängen. Dabei war sie zunächst erfolgreich, wurde dann aber mit der ganzen Familie ans Ende der Schlange zurück geschickt. 
Ja, der Schalk saß ihr stets im Nacken und wenn es etwas von ihr übrig geblieben ist, dann sicher ihr Lachen, das alle, die sie kannten, in Erinnerung behalten werden.     
Was aber werde ich von Glauchau in der Erinnerung behalten? Es erscheint mir wie ein Traum, durch diese Straßen zu laufen, fast traumatisch. Die Realität kann mir hier nichts anhaben. Ich habe das Gefühl, da waren außer unserer kleinen Gruppe noch mehr Menschen in dieser Stadt, die ihre Erinnerung suchten.
„Das könnte schon möglich sein.“ würde meine Mutter dazu sagen und vermutlich versonnen schauen, wenn ich ihr etwas von Glauchau erzählen würde.  





Donnerstag, 25. Oktober 2012

Gold - XX

Ich schäme mich fast für ihn. Wir haben die Speisekarte gelesen und fanden das Essen ganz gut für ein Krankenhaus. Vater aber lässt das Essen stehen. 
Ich gehe erst mal hinaus, um mich über seinen Zustand zu informieren. Ich soll mich mit einer Dame vom Sozialdienst in Verbindung setzen wegen der Bestellung von Hilfsmitteln. Diese ist aber in der Woche vor Weihnachten in Urlaub. Das Personal ist freundlich und von der Sprache her den neuen Bundesländern zuzuordnen. Die Patienten sollen hier nicht im Bademantel herum laufen, sie sollen sich anziehen bzw. angezogen werden und sie werden gefordert. Vater schafft wohl nur mit Mühe und Not einen Gang über den Flur. Das Esszimmer ist auf der gegenüber liegenden Seite des Flurs. Außer dem Essen verweigert Vater auch die Medikamente teilweise und ist aggressiv dem Personal gegenüber. Ich hinterlasse meine Telefonnummer bei der Schwester und gebe mich als Sohn und zukünftiger Betreuer meines Vaters zu erkennen. Das Amtsgericht hat mich benachrichtigt , dass mein Vater einen Betreuer benötigt und ich habe diese Aufgabe übernommen. Ich kann mich jedoch noch nicht ausweisen. Nun werden wieder Sachen benötigt, die Wäsche reicht nicht. Ob wir die Schmutzwäsche mit nehmen? Mit Mühe und Not erreichen wir, dass sie in der Klinik gewaschen wird. Sein Hab und Gut befindet sich in einem Müllsack und wir packen es aus. Am Schwierigsten ist es, dass bereits ausgepackte Waschzeug zu finden und die Gegenstände ihm zuzuordnen. Das Auspacken persönlicher Gegenstände durch fremde Personen folgt keiner Logik. Manches wird nie ausgepackt. Vater fragt wieder nach seinem Geld und ich kann ihn beruhigen. Als ich etwas von Frank erzähle, fängt er an nachzudenken. Der zahnlose Kiefer bewegt sich, aber er hat Mühe, etwas mit dem Gesagten anzufangen. Die Leute sind unmöglich hier, so lautet das Urteil des Vaters. Versuche ihn zu motivieren, auf jeden Fall mit zu arbeiten. Aber es ist schwer. Fast verliere ich selbst den Mut. An seinem Bett steht ein Telefon. Sie können Ihren Vater direkt anrufen, so sagt es die Schwester. Ich weise ihn daraufhin und er scheint erleichtert über diese Kontaktmöglichkeit. Wir werden ein Päckchen packen müssen über die Feiertage, denn wir wollen in Urlaub. Seit etlichen Jahren hatten wir erstmals zwischen Weihnachten und Neujahr frei und schon lange vorgebucht. 
Das Leben eines Berufstätigen besteht eben aus Arbeit und Urlaub. Ich war in Urlaub, als meine Mutter zu Weihnachten starb. Als mein Patenonkel seinen letzten Geburtstag feierte, zu dem er uns eingeladen hatte, war ich auch in Urlaub. Nun werde ich wahrscheinlich in Urlaub sein, wenn mein Vater stirbt, so orakelte ich es mir selbst zusammen. Daran dachte ich nun, die Situation, mich nicht allein mit Vater unterhalten zu können, sondern auch gleich noch mit einem anderen Patienten, das irritierte mich doch. Ich schloss die Tür, ohne lange zurück zu schauen. Im Auto kommt mir der Gedanke, wie viel härter doch meine Mutter gewesen war. Sie muss gewusst haben, dass sie schwer krank ist und hat es mit einem Lachen weg gewischt. Erst hast Du Angst, dann machst Du es doch, sagte sie mir einmal, Du bist genau wie ich. 

Mittwoch, 24. Oktober 2012

Gold - XIX

Er konnte es innerlich kaum begreifen,, der Sinn all seiner Aktivitäten begann zu schwinden. Es war das erste Mal, das er nicht nur enttäuscht, sondern auch getroffen war. Weil er sich auf sie eingelassen hatte. Es wirkte solange nach, dass er sogar ihre Spuren verfolgte und in eben jenen Kibbuz nach Israel ging, in dem sie ihren englischen Bill als Volontär kennen und lieben gelernt hatte.
Er war allein, noch mehr als nach dem Auszug von zuhause, noch mehr als nach dem Umzug nach Frankfurt am Main.
Die Arbeit der Volontäre im Kibbuz war nicht zu schwer, aber die Nachmittage gleich und langweilig. Ausflüge lohnten sich meist kaum.
Eines Nachmittags lief er mit einer Schweizerin zu einem Nachbarkibbuz. Der sollte eine sehr schöne Gartenanlage haben. Bald konnte oder wollte sie nicht mehr laufen. Er spürte ihr Interesse nicht. Auch nicht, als sie abends in seine Holzhütte kam (die Volontäre waren in auf Pfählen gebauten Holzhütten untergebracht, denn das Gelände des Kibbuz war ursprünglich ein Sumpf) und um Feuer für ihre Zigarette bat. Er lag bereits in der Koje und knurrte nur "Ja, das habe ich." Sie zog ab, der Hinweis auf das vorhandene Feuer war einfach zu dezent.
Aber er sollte noch eine weitere Bekanntschaften machen, so mit einer Jüdin aus Los Angeles, deren Status unter den Volontären schon privilegiert war.
So wurde er zu einer Karnevalsveranstaltung der Kibbuzniks eingeladen, auf der Volontäre normalerweise nichts zu suchen hatten. Sie war ihm bei der Beschaffung eines Kostüms behilflich. Sie tanzten miteinander, aber es wurde nichts aus ihnen. Noch immer lebte er in einer ungeklärten Situation und war auf der Suche nach dem verlorenen Glück.

Dienstag, 23. Oktober 2012

Gold - XVIII

Ich verspreche ihm, meine Telefonnummer zu hinterlassen, das habe ich längst getan, und ihn bald wieder zu besuchen. Die beleidigte Krankenschwester hat ihm den Blutdruck gemessen, ihre Lippen waren deutlich geschminkt. Draußen erfrage ich nun noch die Adresse der Reha-Klinik in Bad Wildungen. Mit denen arbeiten wir immer zusammen, sagt mir der Pfleger. Das ist der einzige ansprechbare Mensch, alle anderen wissen entweder nichts oder ignorieren uns gewissenhaft.
Eine Woche später fahren wir durch die Wälder bei Bad Wildungen. Ich bin froh, nicht schon wieder nach Kassel zu müssen. Aber unter dem Strich, vergeht genauso viel Zeit, bis wir angekommen sind. Ja, Ihr Vater ist heute angekommen, sagt mir der Empfang der Wicker-Klinik. Telefonisch erfrage ich die Zimmernummer. Nun weiß ich, wo er liegt und bin da. Als ich die Zimmertür öffne, erschlägt mich der Mief des Zimmers. Vater geht es erkennbar nicht besser, das Sprechen klappt relativ gut, aber seine Verfassung ist schlecht. Er schimpft auf das Essen. Der zweite Mann im Zimmer hat einen Fernseher laufen und ist froh, als ich frage, ob ich das Fenster öffnen soll. Er sagt, hier sei alles in Ordnung, die geben sich viel Mühe hier. 
Beim Rasieren hat ihn ein Schlaganfall getroffen und nun liegt er hier in Erwartung des Besuchs seiner Frau. Er ist 75, ich sage nur, mein Vater sei 77 und ernte dessen Zustimmung. Ansonsten winkt mein Vater bei jeder Bemerkung des anderen ab. Es wäre besser, wenn alles vorbei wäre, meint er.

Freitag, 19. Oktober 2012

Gold - XVII

Immer wieder versucht er seine Gedanken zu ordnen. Das Geld auf dem Konto, ist es noch da? Wie viel ? Ich sage es ihm, denn ich habe seine EC-Karte gefunden, die Geheimzahl hatte er mir vor Jahren einmal gesagt. Und die Wohnung? Ist alles noch da. Schnell entsteht noch die Frage nach den Schlüsseln. Auch den zeige ich ihm und sage ihm, dass ich ihn an mich nehmen werde. Er ist einverstanden. Ich will nun noch klären, wem ich über seine Krankheit informieren soll. Als ich den Namen meines Bruders erwähne, fängt er an zu weinen. Ich tröste ihn mit einem Händedruck. 
Ist alles noch da und griffbereit? Die Brille, das Portemonnaie, vielleicht braucht er Geld, um sich das Leben leichter zu machen. Manche Leute tun hier gute Dienste, meint er. Ich habe noch ein bißchen Geld abgehoben und in seine Börse getan. Er ist wieder schwach und vor uns liegt der Nachhauseweg über die Autobahn, bald wird es wieder dunkler werden. Mein Vater mag meine Frau nicht, nun aber streckt er seine Hand aus, wenn sie kommt, wenn sie geht.

Donnerstag, 18. Oktober 2012

Gold - XVI

Eine Art des Selbstgesprächs scheint auch die Kommunikation mit den Frauen zu sein.
Mit einer Freundin geriet er auseinander, weil er behauptete, das Verhalten der Menschen im Deutschland der Hitlerzeit verstehen zu können. Die Freundin hatte an einem VHS-Kurs teilgenommen, in dem die Nazizeit durch zeitgenössische Schilderungen illustriert wurde. Aufgrund ihrer englischen und norwegischen Herkunft hatte sie einen besonderen Bezug zu diesem Kapitel der Geschichte. Anfang der Achtziger Jahre waren noch nicht alle Wunden verheilt, von denen anzunehmen war, die eigenen Eltern hätten sie erlitten. 
Im Englischen bedeutet "Verstehen" soviel wie "Akzeptieren", was er nicht gemeint hatte. Dennoch wurde er nun im Verlauf der Diskussion zu einem Verteidiger Deutschlands.
Ausgerechnet ihm, der sich dem Frankfurter Spontitum verbunden fühlte und der nun auf anarchistischen Pfaden wandelte, ihm passierte das. Doch Ungerechtigkeiten, die er als solche wahr nahm, mochte er nicht.
Leidenschaft ist selten gerecht und Frauen sind es auch nicht.
So schnell wie sie bei Dir einziehen, ziehen sie auch wieder aus. Ein irischer Junge bekam nun ihr Doppelbett, dass sie mit sich herum schleppte.
Sie reiste in die Welt, um ihrer unvergessenen Jugendliebe in England den Besuch zu machen. 
Um später zurückzukehren und festzustellen, dass es gut war, dass er sich nicht geändert hatte.
Doch davor lag ein getrenntes gemeinsames Weihnachten bei der Familie ihres Vaters in Bergen.
Eine Fahrt mit dem Zug durch das verschneite Norwegen von Oslo nach Bergen. 
Vor dieser Reise hatte sie mir erklärt, es sei aus. Ihre Verwandten und Bekannten kamen zu Besuch, besichtigten mich und dachten wohl, ich sei ein netter Kerl. Ein gewisses Bedauern spürte ich, von Deutschfeindlichkeit keine Spur. Bergen ist ja eine Stadt der Hanse mit deutschen Spuren.
Ihr Vater, der den Krieg erlebt hatte, zeigte keine Bitterkeit.
Diese Frau also schob mich ins Abseits. Dabei hatte ich bereits die Zukunft mit ihr geplant, ich war nicht für halbe Sachen.