Dienstag, 8. Mai 2012

2000 - XVI

Handwerkszeug

Sie müssen schon mehr tun, als nett sein, junger Mann!
rief die ältere Verkäuferin ihm zu, als er ratend vor dem Verkaufstresen stand.
Die jüngere pflichtete eifrig bei.
Was darf es denn sein? Ein Brötchen bitte!
Vollkornbrötchen? Nein, er wünschte sich ein weißes, schmales mit einer Kerbe in der Mitte.
Nein, ein weißes bitte!
Kaiser-, Rosen-, Buttermilch-, Mohn-, Sesambrötchen oder eine Schribbe?
Er grübelte, früher war alles so einfach, das zum Bäcker gehen und einfach Brötchen verlangen
und bekommen.
Dieser Luxus des Auswählens brachte ihn in Verlegenheit, obgleich
preislich eine gewisse Angemessenheit mit dem Angebot zu erkennen war.
Ungefähr so schwer wie aus der Form des Brötchenteigs sich das Endprodukt vorzustellen, ebenso belastete
es ihn, den Geschmack des Endprodukts zu erahnen.
In der Präbackmischungszeit hatte eine gewisse Unverwechselbarkeit beim Biß ins Brötchen gewirkt.
Das frische Innere und die knusprige Schale, die Erinnerung daran schlug Wellen in seinem Gedächtnis.
Unzufriedenheit stand in seinem Gesicht und fiel auf ihn zurück.
Backen Sie doch selbst, junger Mann! barschte die Alte ihn an.
Gute Idee, aber mit welchem Grundteig?
Er machte sich ja seine Wurst auch nicht selbst,
der Gedanke mit einem Eimer Wurst und einem Meter Darm den Metzger zu verlassen,
kam ihm amüsant vor.
Fast normal dagegen, sich die Brötchen selbst zu verbrennen.
Weißen Teig bitte! herrschte er die junge Verkäuferin an.
Da müssen sie morgens früher aufstehen, jetzt ist der Teig ausgegangen.
Er war versucht zu fragen, wohin. Gut dann eben ein Baguettebrötchen, der Ausweg!
Hatten Sie vorbestellt? Schaltete sich die Alte ein, ein bißchen triumphierend.
Sein Auge fiel auf ein eingepacktes Stück Weißbrot, geschnitten.
Sandwich ist weißer als Brötchen und weicher.
Aber es fehlt der Charakter.


Träume weiter diesen chrunchigen Traum
Und nimm' das Innere aus dem Brötchen
die Kruste davon ist gebräunter Flaum,
die Vorstellung davon gibt Dir Pfötchen.

So hauchte die holde Bäckersfee.
Er zog ein weißes Taschentuch aus der Hosentasche, musste er nicht zur Tankstelle?
Knacke uind backe, wenigstens die im Regal weißen Brötchen!

Wunderkindle?

Ja, auch ich als Buchfreund habe mich mit dem Kindle angefreundet. Da es mir schon immer auf den Inhalt und nicht das Buch an sich angekommen ist, war das zunächst ein leichtes für mich. Ich habe aber dennoch die kostengünstigste Variante gewählt, weil ich glaubte, ganz puristisch ohne viel Schnickschnack auszukommen.
Das ich das mittlerweile bereue, liegt daran, dass ich gern im Netz recherchiere und dort relativ viele interessante Texte im PDF-Format vorliegen. Zwar ist es praktisch, dass man diese nach dem Speichern rasch per Email zur Verfügung hat, aber das Lesen ist nun mal, wenn man den Touchscreen gewohnt ist, mühselig. Zwar lässt sich die Schrift beliebig vergrößern, aber man ist dann relativ häufig zum Scrollen gezwungen und das ist recht aufwändig. Die Tasten sind schwergängig, man fühlt sich in eine frühere Zeit versetzt. Selbst das Blättern der Seiten braucht eine gewisse Fingerkraft.
Nun ja, könnte man meinen, ein Kindle ist ja auch zur Lektüre von Büchern und damit ordentlich formatierten E-Books geschaffen. Das hat zweifelsohne seinen Reiz, wobei mir aber sehr schnell klar wurde, warum die mit Hülle beworbenen Kindles oft mit Leselampe gezeigt werden. Die kann man sehr schnell gebrauchen, wenn die Umgebung dunkel ist. Gut finde ich "Mein Kindle" vor allem im Amazonshop, da habe ich alle Dokumente und Bücher auf einen Blick und kann sie auch gleich lesen, was  bei den Dokumenten gern auf meinem iPad erledige. Nun fragt es sich, wozu brauche ich da überhaupt den Kindle? An den Strand werde ich gewisslich nicht gehen, um in meinem Kindle zu lesen, dafür sind mir die knapp 100 € doch im Verlustfall zu teuer und ich würde mich auch ärgern, wenn jemand Zugriff auf meine Dokumentensammlung bekommen würde. Klar, ich kann meine Sammlung mit einem Passwort schützen, aber was alles mit einem Buch zu tun?
Manchmal will man Texte nicht mehr lesen, auch bei Büchern ist das so. Ich kann also in "Mein Kindle" diese Texte einfach löschen. Nun vorauszusetzen, dass nach der nächsten Synchronisation die Texte auch auf meinem Kindle verschwunden sind, ist ein Fehler. Ich muss die Löschungen auf meinem Kindle manuell vornehmen.
Ich bin mir also aufgrund meiner Erfahrungen überhaupt noch nicht sicher, ob der Kindle mir das Buch ersetzen wird und zu welchem Zweck ich ihn überhaupt einsetzen will. Die hier geschriebenen überwiegend positiven Rezensionen erscheinen mir als übertriebener Jubel. Durch den Kindle wird ja das Lesen nicht günstiger, denn außer den viel beworbenen kostenfreien Klassikern gibt es E-Books deutscher Verlage nur zu demselben Preis wie im Buchladen. Und solange das so ist, gibt es keinen Vorteil gegenüber dem echten Buch. Wer gern fremdsprachig liest, kann sicher etwas sparen. Ein Problem wird aber das Auffinden relevanter Neuheiten und Themen im Kindle-Shop sein. Man gebe einmal "2. Weltkrieg" oder "1945" ein, das Ergebnis ist recht dürftig. Zugegeben, das hat eigentlich nichts mit dem E-Book-Reader an sich zu tun, aber es braucht natürlich auch gute Quellen, also ein gutes Sortiment, wenn ich mich mit dem Kindle so bewegen will, wie als Kunde im Buchladen.
Zum jetzigen Zeitpunkt ist der Kindle ein Statusprodukt mit einigen guten Ansätzen aber noch zu wenig Bedienungskomfort. Deswegen kann es weder vier noch fünf Sterne dafür geben. 

Samstag, 5. Mai 2012

2000 - XV

Godot wartet auf Star Wars
oder: Schau' mir in die Augen, kleines Casablanca!

Alles begann damit, dass jemand gestorben war.
Er beschloss, es nicht wahr haben zu wollen,
zu warten, bis ein anderer ihn finden würde.
Am Freitag wäre es soweit, das wusste er.
Die Gewissheit trübte den blauen Himmel ein.
Er stand auf der Veranda
und sah auf die weißen Flachdachkasernen,
die sich im Licht des Sonnenuntergangs rötlich abfärbten.
Die meisten Markisen waren heruntergelassen, Südausrichtung.
Casa blanca, dachte er beim Anblick, Casablanca.
In der Bar hinter ihm lief der überdimensionale Fernseher, Star Wars,
die erste Episode.
Soeben rumpelte ein Pseudoroboter durch die tunesische Wüste.
Ausgelassene Wochenendstimmung entwich der Bar ebenso wie der Zigarettenrauch.
Die Leute waren gut gelaunt und seltsam desinteressiert.
So sah niemand das schwarze Dreieck, das scheinbar langsam
an den Fenstern der Lokalität vorübergeglitten war,
um unendlich wie ein sterbender Vogel auf einem Dachvorsprung
an der Ecke gegenüber zu landen.
In Wahrheit musste die Geschwindigkeit sehr hoch gewesen sein,
zu hoch um die Annäherung und den Anflug zu bemerken.
Unbeweglich lag es da, Licht in seinem Inneren war ersichtlich.
Es spähte die Umgebung aus und übermittelte Botschaften.
Bald sollten sie mit ihren pfeilschnellen Motherboards diesen Planeten überfluten.
Zuerst würden sie die menschlichen Urbanisationen kontrollieren und besetzen.
Nur in den kleineren Orten könnten sich die Menschen noch aufhalten.
Alles hing davon ab, den Späher daran zu hindern, Informationen zu sammeln und zu übermitteln.
Denn sie waren für menschliche Begriffe blind, die Gesandten von Godot.
Ohne Koordination und Ziel für ihre Angriffe liefen ihre Besetzungspläne ins Leere.
Sie würden die Sonne ins Visier nehmen und darin verbrennen.
Er wollte das alles nicht. Der Fernseher mußte repariert werden und zwar bis Freitag.

Während er sich zum Eingang der Bar bewegte, befand sich der Roboter in einem Lager für Maschinenschrott,
wohin ihn die Wüstenbewohner gebracht hatten.

Jemand schlug im schmerzhaft auf die Oberschenkel und meinte:
Du bist Buchhändler!
Ale er erwiderte, er sei Redakteur, rief der Saal: das paßt nicht.
Offensichtlich war er in ein heiteres Beruferaten hineingeraten.
In der Tat, die Wächter Godots zeigten unerbittlich ihre Präsenz.
Wozu sollte er den Späher ausschalten?
Sie existierten bereits und bestenfalls konnte deren Arbeit als unauffällig bezeichnet werden,
so dilettantisch die Verkleidung aussah.
Auf den Straßen wechselten sie manchmal die Gesichter.
Luke Skywalker, Du mußt weite Wege gehen, um Vertrauen zu finden
und ein echter Jedi-Ritter zu werden.
Wenn er nicht aufpaßte stieß er mit den Junks zusammen oder trat in deren Spritzen.
Ab und zu glaubte er, die schnellen Schatten über sich zu sehen,
sehnte sich nach einer dunklen, unsichtbaren Umarmung., wenn es kein Licht gab.
Die Schatten Godots jagten ihn, es drängte ihn , den Reparaturdienst zu bestellen.
Unisono erklärten ihm die Werkstätten,
es lohne sich aufgrund der Beschreibung des Defekts der Aufwand nicht.
Er müßte es selbst erledigen oder einen neuen kaufen.
Am Freitag gab es wieder das Programm, niemand registrierte seine Rückkehr in die Bar.
Die Roboter hatten sich gegenseitig repariert und suchten ihren Herrn.
Auf dem Balkon versammelten sich Menschen und er blickte auf sein Casablanca.
Eine schwarze Umarmung ließ es ihn ahnen, der Platz des Spähers lag in wohliger Leere.
Das Warten hatte ein Ende.

Freitag, 4. Mai 2012

2000 - XIV

Von der Lippe

Es stehet ein Verslein vor der Tür,
lass' es nicht rein, ich kann nichts dafür.
Da lärmen plötzlich ein paar Gedichte,
persönlich mag ich lieber Geschichte.
Hochnäsig naht die Poesie,
trägt bauschend auf und schleimt wie nie.
Die Lyrik dagegen will viel verstecken
in verborgenen und halbdunklen Ecken.
Als Wahrheit will uns wohl erscheinen
das Essay als Versuch im kleinen.
Die Erzählung und der Aufsatz
bietet der Wahrheit keinen Platz.
Es gilt garnicht zu interpretieren,
sei es gesagt und soll nicht genieren.
Ein Verslein steht auf der Kippe,
es kommt mir nicht von der Lippe.

Donnerstag, 3. Mai 2012

2000 - XIII

Paradise lost

Gehet hin und machet Euch die Erde langweilig, so sprach der Herr.
Aber wie? fragten ihn nicht nur seine Jünger.
Nun, seid nicht so wie Ihr empfindet, sondern seid was Ihr scheint.
Zeigt nicht das wahre Antlitz Eurer Seele, verschleiert Euch mit Argumenten.
Wartet ab, wer den ersten Stein wirft, tut es nicht selbst.
Überlasst dem Zufall die Veränderungen und fügt Euch in das, was Ihr Schicksal nennt.
Springt nicht in kaltes Wasser und riskiert nichts.
So zogen sie vorsichtig aus und machten sich die Erde und alle anderen Lebewesen untertan.
Sie verbrachten viel Zeit damit, sich gegenseitig umzubringen, zu zerstören und wieder aufzubauen.
Am Ende war die Erde kultiviert und das System des Herrn kollabierte unter der einseitigen Gestaltung der Umwelt.
Die Jünger waren abgelenkt mit ihren Geschäften und hatten den Herrn vergessen.
Der Herr indes schöpfte längst woanders etwas Neues, denn die Ergebnisse seiner älteren Werke wartete er nie ab, er wusste um deren Kurzweiligkeit.

Mittwoch, 2. Mai 2012

2000 - XII

Oase


Die größten Sehnsüchte erfüllen sich nicht, weil die Sehnsucht die Nahrung unserer Gedanken ist.

Selem, Sahib, scheinen die Steine zu grinsen, so sehen wir uns wieder.
Er hatte es gewagt, nach einem Jahr zurückzukehren. Die Beschreibung des Ortes gab ihm Hoffnung,
dass er nicht in der Wüste landen würde, doch diese ging nicht auf.
Gewiss, es war nicht die Sandwüste und eher die Steinwüste.
Angereichert mit den Überresten der modernen Zivilisation bildete diese die Verbindung zwischen den
geweißten und vielen unverputzten Privathäusern und den Hotelpalästen.
Aber da war auch grün zwischen all dem Stein: Eukalyptusbäume, Feigenbäume, Palmen und Gummibäume etwa. Der Rasen der bewässerten Hotelparks vermittelte das Gefühl von "zuhause im eigenen Garten" und beruhigte. Der Garten gedieh sogar prächtig, denn viele bekannte Pflanzen zeigten sich in einer anderen Größe als gewohnt. Nur der Sand am Sahelstrand erinnerte noch an die Wüste.
Angereist war er mit einem dieser bemalten Metallvögel, eingekeilt auf dem Mittelsitz zwischen seiner Frau
und einer unbekannten Reisenden. Die Ankunft in der Gegenwart verdeutlichte den Unterschied zur Vergangenheit. Er hatte gebucht und nichts besseres verdient.
Schon das vierte von verschiedenen, im Grunde gleichen, Varianten eines Raums wählte er als das kleinere Übel aus. Immerhin, ein Page trug die Koffer und er entlohnte ihn sogleich. Der Herr des Hauses empfing ihn nicht.
Die Speisen servierte niemand, sie lagen stattdessen zu bestimmten Zeiten zum Verzehr bereit.

(Die Ungläubigen liefen seit ihrem Einfall lärmend und Löffelwerfend um die Stelle herum. Sind die Gläubigen deshalb besser?)

Schattige Plätze erwarteten ihn nur nach vorheriger Reservation.
(Die Ungläubigen werfen als Zeichen der Besitznahme Handtücher morgens nach Sonnenaufgang auf die Liegeplätze. Dafür zahlen manche sogar unaufgefordert ein kleines Entgeld. Damit werden sowohl Sitzplätze im Speisesaal als auch am Strand reserviert. Die Europäer haben sich somit der arabischen Art zu handeln, unterworfen. Sie gestehen es sich selbst noch nicht ein.)

Die Palmen wedelten melancholisch dazu.
Beim Strandspaziergang stieß er eines Tages auf ein bemaltes Schild: Kamelkarawane.
Für Geld gibt es auch Kamele, er mietete eines der Tiere für einen längeren Ausritt.
Der letzte Stein grinste: Selem, Sahib. Von da an gab es nur noch Sand.
Als im fernen Land des Südens eine einsame Palme auftauchte, wusste er, dass seine Heimat ihn mit klarem Wasser aus dem artesischen Brunnen und süßen Datteln ernähren würde.



Er begehrte weiter nichts und beschloss, dass es ihm an nichts fehlen werde, von nun an.

Dienstag, 1. Mai 2012

2000 - XI

Der Teelöffel

Der Teelöffel ist traurig und das noch immer,
vom Tee in der Tasse hat er keinen Schimmer,
goldene Wellen wollte er rühren,
Zucker und Tee so zusammenführen,
sich schnell nach dem Eintauchen erhitzen
und über dem Tassenboden blitzen.
Der Teelöffel ist traurig und das noch immer,
Teetasse steht in einem anderen Zimmer,
keine Chance, sie nach außen zu entführen
und Tee oder Tasse irgendwie zu spüren.
Der Teelöffel beginnt unmerklich zu schwitzen
und bleibt in seinem Besteckkasten sitzen.
Da ist er wieder, der schreckliche Traum:
(Vom Kaffeemühlenmaschinengeruch
manchmal bekommt der Teelöffel Besuch.)
in jeder Zeitung steht nach dem Ende kaum:
der Teelöffel ist traurig und das noch immer,
versunken im Kaffee ist er, ganz ein Schlimmer.