Freitag, 20. April 2012

2000 - III

Gö, holt Haider !

Der Schwung wird besser und die Erkenntnis trifft Dich wie ein Messer.
Es war immer so und wird immer so sein:
Österreich ist des Deitschen Heim.
Was zuhause längst vergessen scheint,
findest Du nur hier, mein Freind.
Hast Du das erst einmal kapiert,
nur Urlaubsfreude Dir passiert.
Der Dichter kauft sich eine Vignette,
fährt davon und sprengt die Kette.
Vier Sterne namenlos am Himmel stehen,
die Berge sind doch wunderschön.




Donnerstag, 19. April 2012

2000 - II

Die Spur

Ihnen ist da etwas heruntergefallen, sagte die nette alte Dame zu ihm.
Ja richtig, ein Prospekt hatte sich selbstständig gemacht und lag auf dem Boden.
Die Mülleimer ringsherum quollen über, die Scheiben der Haltestelle waren eingeschlagen und auf den Sitzbänken machten es sich die Überreste etlicher Nächte bequem.
Sicher, das Prospekt gehörte da nicht hin, er hob es schnell auf.
Erinnerungen können liegen bleiben, wenn sie vergessen werden.
Niemand sieht sie. Aber auch die Veränderungen, die das Verschwinden von Erinnerungen hervorrufen, bemerkt keiner.
Wie ein Chamäleon streifte er die Reste der Zeit mit kompletter Gründlichkeit allmählich ab.
Er verlor die Häute nie, sie hingen im Kleiderschrank seines Vergessens.
Wenn er wieder etwas zum Erinnern brauchte, würde er sie zum Anziehen auswählen.
Manchmal gefielen die Kleider anderen Leuten besser als ihm.
Sicher, seine Mutter sähe ihn am liebsten im Strampelanzug, der Vater im Konfirmandenanzug.
In den jahreszeitlich bedingten Uniformen sah er sich nicht gern, war letztlich am liebsten nackt und bloß.
Hier sah er sich am ähnlichsten, ohne Verfälschung der Figur.
Er hatte inzwischen in der Bahn Platz genommen und schaute in das gerettete Prospekt.
Auf den Sitzen lagen alte Zeitungen, die wohl jemand bewusst dort abgelegt hatte, die Papierkörbe boten nicht genug Platz für den Altmüll.
Als die Bahn anfuhr, rollte eine leere Bierdose an seinem Fuß vorüber, wortlos.
Ja, die Menschen waren so vergesslich und es gab nicht genügend nette Damen, die sie erinnern.
Der Baumarkt bot wieder handliche Akkuschrauber an, Bohrmaschinen auch, ein Glück, das zu lesen.
Im Kaufhaus offerieren sie wieder festliche Damennachtwäsche.
Und Schuhe gibt es.
Diese Prospekte werden so sicher wie das Amen in der Kirche immer wieder neu gedruckt und ungelesen weggeworfen.
Ihn faszinierte der Ablauf, er durfte Teil des Recyclingprozesses sein, streng legal.
Die Bahn fuhr in die Station ein, er schreckte aus der Lektüre hoch, stand auf, um die Schilder der Station auf der anderen Seite zu lesen.
Wo wollen Sie denn hin ? fragte ihn eine Mitreisende.
In Richtung Süd antwortete er.
Da müssen Sie noch eine Station warten, bemerkte die junge Frau.
Während ein Schild mit der Aufschrift "Süd" am Fenster vorbei fuhr, setzte er sich wieder und sammelte die Prospekte ein, faltete sie und legte sie in die Innenseite der Zeitung.
Eine Station noch, kaum zu glauben.
Die junge Frau richtete ihren Blick nach draußen, eine gegenüber sitzende Alte folgte sofort.
Er musste lachen.
Die Alte ächzte und brachte eine Flasche Kölnisch Wasser zum Vorschein, sprühte und benetzte sich.
Ein Geruchsschwall traf den Säugling mit 'zig Jahren Verzögerung.
War er eben noch zufrieden auf seinem weißen Handtuch gelegen, so trieb ihn nun das blanke Entsetzen zum Schreien. So schnell würde er sich nicht beruhigen.
Er musste aussteigen, jetzt, nicht ohne der jungen Frau für ihre Hilfe zu danken, er brauchte einen Fahrplan.
Sie haben da etwas vergessen, hörte er kaum, aber deutlich.
Er würde sich nicht verlieren.

Mittwoch, 18. April 2012

2000 - I

Das Y2K-Problem

Zwanzig nach zwölf zeigt der Blick auf die Uhr,
der Himmel über Frankfurt ist schon dunkel.
Soeben ist pünktlich um null Uhr eine zeituhrgesteuerte Lichterkette und ein Jahrtausend ausgegangen,
beides programmiert.
Hurra, wir leben noch und die Schamanen packen ihr Handwerkszeug der Angst ein.
Die Sprachlosigkeit löst sich auf wie der Morgennebel.
Ein bisschen Skepsis bleibt;
wenn die Müllberge abgeholt sind, wird alles bleiben ?
Längst ist das große Feuerwerk von den verzweifelten Bemühungen nach bestimmungsvollen Deutungen überholt.
Die Endzeit bricht unbemerkt zusammen und alles wird so profan.
Jetzt können wir wieder feiern.

Donnerstag, 12. April 2012

Wolfgang Herrndorf – Sand

Man könnte meinen, hier habe jemand möglichst viele Klischees zusammen gestellt und sie durcheinander gewürfelt. Aus den vielfältigen und genau beobachteten Eindrücken ist dann die Aufgabe erwachsen, einen roten Faden zu finden, der das ganze zu einem Roman macht.
Dieser rote Faden ist der Irrwitz des Lebens, der konsequent durchhält. Der Irrwitz, den wir alle kennen, den die meisten jedoch verdrängen, denn das menschliche Gehirn neigt dazu, Zusammenhänge zu erkennen, wo es keine gibt.
Falscher Ort, falsche Zeit, diese Umstände kosten den meisten Menschen das Leben. Und so geht es schlussendlich auch dem Protagonisten, der den Namen Carl trägt, weil er seinen eigenen Namen nicht mehr kennt. Man hat ihm den Schädel eingeschlagen und er darf trotzdem weiter leben, ohne zu wissen warum und mit der Verzweiflung sich selbst finden zu müssen. Denn sie sind hinter ihm her, er hat etwas, was sie brauchen. Ist es eine Mine? Eigentlich auch egal. Da taucht Helen auf, die Frau, die sein Schicksal von nun an in der Hand halten wird. Eine Geheimagentin und der völlige Antitypus, zu all dem was Mann gemeinhin unter Frau versteht.
Das Ganze spielt in einer nordafrikanischen Hafenstadt, die natürlich von einer Wüste umgeben ist, in der sich eine Oase befindet. Und da das Ganze in den Siebziger Jahren spielt, darf eine Hippiekommune nicht fehlen, in der ein paar frühe Vorfahren der heutigen Aussteiger ihr durchgeknalltes Leben fristen. Hier besucht Helen eine Schulfreundin, die wirklich köstlich dargestellt wird. Mehr sei nicht verraten. Die Handlung besteht in erste Linie aus Verfolgungsjagden. Carl wird zunächst von Helen in ihrem Hotelappartment aufgenommen, zwischendurch immer wieder von üblen Gestalten gejagt, verprügelt, verhört und hört selbst nicht auf mit der Suche nach der Wahrheit. Helen haut ihn ein um das andere Mal aus dem Schlamassel, nur um am Ende drauf zu kommen, dass mit Carls Geschichte etwas nicht stimmt. Der amerikanische Geheimdienst, wir ahnen es, hat wie immer die Finger im Spiel und lässt Carl foltern, um ihm endlich sein Geheimnis zu entlocken. Eine absurde Situation für Menschen, der unter einer Amnesie leidet.
Soviel sei verraten, es gibt kein Happy End für Carl. Er wird angekettet und in einem unterirdischen See eines Bergwerks sich selbst überlassen. Der Leser darf den Überlegungen des Überlebenskampfes folgen und wird sich auch nicht wundern, wie viel ein Mensch ohne  Essen und Trinken leisten kann Dazu ist die Geschichte zu absurd. Figuren tauchen auf und spielen einfach keine Rolle mehr.
Der Weg ist das Ziel, so könnte das Motto dieses Buches lauten. Das es einen trotz eines fehlenden Sinns fesselt, liegt an den vielen kleinen Momenten, wo die Wahrheit durch den Sand scheint. Das Leben wird in seiner Banalität und dem oben schon genannten Irrwitz derartig bloß gestellt, dass man oft genug ein inneres Schmunzeln, ja sogar ein Lachen nicht vermeiden kann.

Warum ich nun nach dem Schreiben der Zeilen von zwei Fischen, einem goldenen und einem roten geträumt habe, weiß ich nicht. Sie schwammen am Rand des Beckens, der rote bedrängte den goldenen und sprang schließlich aus dem Wasser. Vorsicht, rief ich ihm unsinnigerweise zu, aber da lag er schon auf der Erde und zappelte. In der Ausführung der  Aufgabe, ihn wieder ins Wasser zu setzen, wachte ich auf. Mein „Sand“ liegt offensichtlich unter Wasser. Und er passt in keine Schublade.

Dienstag, 3. April 2012

1999 - XIV

Herzlichen Glückwunsch !

Ein Mensch ist nicht mehr da,
seine Stimme war nicht immer zum richtigen Zeitpunkt zu hören.
Wie willst Du ihm noch gratulieren ?
Eine Gedenkanzeige schalten,
einen Blumenstrauß auf das Grab legen lassen
oder am Ende selbst zum Grab gehen ?
Wo sollen wir denn sein,
fragte mich dieser Mensch einmal,
als ich ihn zum letzten Mal besuche
und vorher frage, ob er da sei.
Meine Frage erschien damals so banal unsinnig
und ist es bis heute geblieben,
obwohl doch die Antwort so anders ausfallen müsste.
Es gibt niemand mehr, der sich anstelle dieses Menschen über Blumen freut.
Ein Stückchen Erde vielleicht,
irgendwann mit einem Stein drauf.
Das Gefühl der Verlorenheit stellt sich da schnell ein.
Irgendwo gibt es doch noch eine Verletzlichkeit,
die den Automatismus unserer Zeit bremst.
Der Tod eines Menschen kann übersehen,
aber nicht ignoriert werden.
Er mahnt uns, zu leben, solange wir leben.
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag !

Montag, 2. April 2012

1999 - XIII

Das Geschenk

Das Leben ist ein Geschenk,
Du packst es aus und spielst damit.
Hast Du die Regeln verstanden,
kommst Du dieser Welt abhanden.

Sonntag, 1. April 2012

1999 - XII

Drachentöter

Die Flügel des Drachens, sie schwingen und singen
das Lied der einsamen Zeit,
auch das ist ein Traum, so weit.
Wärst Du am Ende ein Drachentöter,
eine Elfe oder eine gute Fee ?
So fragt sich der Schwerenöter,
denkt und schlürft einen Tee.
Er träumt und nimmt nicht teil am Unterricht.
Gehe nicht auf die Schule, der Lehrer spricht.
Das Leben hat trotzdem angefangen,
zum Träumen ist ihm weiter, in allen Belangen,
kein Weg auf der Lebensleiter
zu weit und er wird immer bereiter,
den Vorrat allein aufzubrauchen,
sorry, ihr lieben Kleinen,
es liegt mir, nicht mehr aufzutauchen.
Ein Gruss nur an die Meinen !