Samstag, 8. Dezember 2012

Gold - XLI

Nach einem Besuch bei meinem Bruder finden wir schließlich das Krankenhaus. Wir haben die Wäsche dabei, die wir eigentlich schon hätten nach Bad Orb mitbringen wollen. Einen Arzt sehen wir an diesem späten Sonntagnachmittag nicht. Wir haben auf Wunsch der Schwestern Handtücher gekauft. Vater reagiert mit einem Seufzer, nachdem ich ihn aus seinem Dämmerzustand geweckt habe. Er redet sehr undeutlich. Ich kontrolliere erst einmal die Wäsche, finde wieder schmutzige Sachen. Er liegt nun am Fenster, ein zweiter Patient liegt längs dazu. Es sei hier ganz gut, sagt Egon. Ich stelle ihm das Kopfteil hoch. Ich erzähle ihm, dass er in Gießen ist.   
Das mein Bruder auch in Gießen ist. Aber er spricht sehr leise. Wir stellen fest, daß das Bad relativ geräumig und modern ist. Jeder Patient hat seine Seite und wir können die neuen Handtücher aufhängen. Aus den Schwestern ist nicht viel heraus zu bekommen, so ist die Dauer des geplanten Aufenthalts nicht zu ermitteln. Nach dem ich routinemäßig über die Wohnung berichtet habe und darüber, daß ich mal wieder hin müßte, gehen wir. Als ich die Tür hinter mir schließen will, hebt Egon den linken Arm, so, als ob er sich verabschieden oder mir zu winken will.  Ich hebe den linken Arm auch und balle ihn zur Faust, um ihm Mut zu machen Dabei habe ich selbst keine Kraft mehr. Schleiche mit dem Auto durch die Dunkelheit nach hause. Wir werden in der Tat demnächst abwägen müssen, ob wir ihn besuchen oder seine Wohnung, am besten beides. So wie er nun ist, scheint er keine Kraft mehr zu haben. Schon die Woche darauf ist er im psychiatrischen Krankenhaus zurück. Allerdings versteht die Ärztin das dort nicht. Er leidet immer noch an Infektionen. Dieses Mal klappt es mit einer Verlegung ins evangelische Krankenhaus. 
Ich nehme mir frei, denn ich schaffe diesen Rhythmus aus Arbeit und Besuchen kaum noch. Wieder ein anderes Krankenhaus und am anderen Ende der Stadt.. Vater hat wieder ein Zimmer für sich. Die Aussicht ist noch nicht einmal schlecht. Man blickt auf Gießen, da das Krankenhaus etwas erhöht steht. Über seinem Bett hängt ein Schild: "Patient darf keine feste Nahrung bekommen." Ich spreche mit Egon darüber, dass er eventuell und nach Möglichkeit in unsere Nähe verlegt werden sollte. Und das wir für ihn eine Unterbringungsmöglichkeit suchen müssen für die Zeit danach. Zu meiner Überraschung sagt er: "Mir ist alles recht, was Du machst." Dabei legt er fast beschwichtigend seine Hände auf die Bettdecke. Wir werden unterbrochen. In zeitlichen Abständen wird Vater gedreht, was jetzt ungünstig ist. Etwas mißmutig ziehen die Schwestern ab. Ich hatte mir doch noch eine Erbsensuppe gemacht, sagt Vater. Das weiß ich, erwidere ich, denn wir haben sie gefunden. Eine Woche zuvor waren wir  in Kassel gewesen. Auf dem Tisch stand noch ein Topf, den wir nicht zu öffnen wagten und den wir bei unseren vorherigen Besuchen übersehen hatten. 
Die große Pflanze im Wohnzimmer verschenkte ich an die Nachbarin, deren Sohn sie in Empfang nahm. Gleiches geschah mit einem Kasten Wasser. Wir entsorgten noch einige Dinge, verkratzte Pfannen wird er sicher nicht mehr brauchen. Auf seinem Nachttisch liegt noch die Bild-Zeitung vom 3. Dezember, ich entsorge sie. Ich ziehe die Bettwäsche ab. Das Laken ist mit Hosenträgern von unten befestigt. Es erscheint mir fast undenkbar, dass Vater wieder hierher zurück kehrt. Im Briefkasten liegt ein Prospekt, "Pflegeheim am Burgfeldkrankenhaus" lese ich. Hier könnte Ihr Vater hin kommen, schreibt die Nachbarin dazu. Wir sortieren die Post und schmeißen das Unwichtige in den Müll. Auf der Rückfahrt wollen wir noch in Gießen aussteigen. Wir schaffen das nicht mehr.

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