Als wir die Tür öffnen,
sagt Vater zu mir: "Was machst Du mit mir?"
Ohne große Begrüßung, ich bin erst einmal
konsterniert. Er hat hier ein Einzelzimmer und es riecht muffig. Vermutlich war
das Fenster schon länger nicht mehr offen. Er redet nur zögerlich und wenn,
dann sagt er, dass die hier gegen ihn seien. Seinen Katheder empfindet er als
Unverschämtheit. Ich sehe neben seinem Bett einen Rollstuhl. Ich versuche
erneut, ihn besser zu stimmen und zu trösten. "Wenn Du aufstehen kannst
und mir sagst, daß Du nach hause gehen kannst, dann habe ich bestimmt nichts
dagegen." Die Wohnung, meint er, die wäre doch wohl noch da? Als ich das
bejahe, meint er, daß das auch so bleiben soll. Ich deute an, daß wir das
überlegen müssen, mehr nicht. Das Wetter ist mild in diesem Januar und die
schöne Umgebung lockt zum Ausgang. Die Schwestern sind hier osteuropäischer
Herkunft. Ich gehe zum Schwesternzimmer, zum einen, weil ich der schlechten
Luft entfliehen und zum anderen weil ich die Schwester bitten möchte, mir bei
einer Ausfahrt mit dem Rollstuhl behilflich zu sein. Ohne große Umschweife
fragt sie meinen Vater, ob er mit dem Rollstuhl nach draußen will. Er sagt
sofort ja. Sie schafft es ohne meine Hilfe, Egon in den Rollstuhl zu bugsieren.
So verlassen wir etwas unsicher sein Zimmer, denn auch das Rollstuhl schieben
will gelernt sein. Im Aufzug angekommen, scheint er sich im Spiegel zu sehen.
Seine Zähne sind nicht richtig fest im Mund. Er sieht ausdruckslos aus.
Entweder sieht er sich nicht oder er begreift nicht, daß er sich selbst sieht.
Wir suchen ein ruhiges Plätzchen, erst in der Cafeteria, bis wir merken, daß es
am besten wäre, allein mit ihm irgendwo zu sitzen. Das Problem beim Schieben,
daß er einen Fuß nicht auf dem Raster stehen hat, sondern auf dem Boden
schleifen läßt. Das macht das Schieben schwer und ich habe Angst, ihn zu
verletzen. Anscheinend aber gleitet der Hausschuh gut über den überwiegend
glatten Boden. Wir finden schließlich einen leeren Aufenthaltsraum, ein
Fernseher steht darin.
Ich habe das Gefühl, er
denkt über irgend etwas nach. Täuscht uns, um im nächsten Moment den Versuch
des Aufstehens zu wagen. Ich gerate innerlich in Panik, weil ich weiß, daß ich
die Situation nicht beherrsche. Wieso nimmt er seinen Fuß nicht hoch und warum
spricht er nicht, wenn ich ihn was frage? Da sitzen wir beide sprachlos neben
einander. Quälend lange, bis ich es nicht mehr aushalte. Ich will mit ihm
zurück auf das Zimmer, so schnell wie möglich. Trotz des offensichtlich
schlechten Zustands meines Vaters drängen sich Leute vor uns in den Aufzug. Wir
warten bis ein leerer Aufzug kommt. Ich fahre Egon bis neben das Bett. Nun
brauche ich die Schwester wieder. Im Schwesternzimmer sage ich ihr, das Vater
sich über seinen Katheder beschwert hat. Sie erwidert daraufhin nur lakonisch,
daß mein Vater inkontinent sei und es nicht merke, wenn er müsse. Angesprochen
auf seine angebliche Aggressivität, sagt sie nur, das sei bei alten Leuten hier
normal, das komme öfter vor. Wiederum schafft sie es allein, meinen Vater ins
Bett zu setzen und zu legen. Er fällt erleichtert nach hinten und muß noch ein
Stück hoch gezogen werden. Das ist schwer. Immerhin spricht er nun wieder.
Redet über eine kleine Wohnung mit Küche, ein Zimmer vielleicht, scheint sich
doch mit einer Veränderung anzufreunden. Bemerkt, dass es nun für mich nicht
mehr so weit sei. Ich erkläre ihm den Fernseher, den er hier für sich allein
hat. Zeige ihm den Nachtisch, der noch ungeöffnet da steht. Es sieht so aus,
als nähme er das alles erst jetzt zur Kenntnis. Nachdem wir die Wäsche kontrolliert
haben, es ist Schmutzwäsche darunter, und seine sonstige persönliche Habe auch
da ist, scheint erst mal wieder alles im Lot. (Die Bilder wurden nicht
geschnitten, die Fingernägel wenigstens.) Die Schmutzwäsche nehmen wir mit,
hier wird er nun wieder auch was brauchen. Vielleicht sollte ich in der Woche
mal hinfahren, sonst wird es knapp. Mir wird allmählich klar, dass durch die
Verlegung ich der einzige Anker bin, den Egon in einer ihm fremden Welt noch
hat. Nachdem ich die Position des Kopfteils für ihn eingerichtet habe, legt er
sich nach der Verabschiedung auf die Seite. Den Fernseher habe ich eingestellt,
vielleicht schaut er ein bißchen. Er ist zu schwach für längere Gespräche.
Wie immer ist an den
Wochenenden kein Arzt zu sprechen. Ich kenne den Namen der Ärztin hier, aber
was nutzt das, sie hat keinen Dienst.
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