Dienstag, 13. November 2012

Gold - XXIII

Das Problem mit Bestellungen seitens der Krankenschwestern ist, dass die eine nicht weiß, was die andere bestellt hat. Und das, was bestellt wird, kann ich aufgrund der räumlichen Entfernung erst in zwei Wochen liefern. Aber in Urlaub muss ich nun. Die Hotelwirtschaft ist eisenhart, auch bei einer früheren Abreise gibt es kein Geld zurück. Und die Reiserücktrittkostenversicherung deckt das nicht. Davon abgesehen, rät mir ein jeder, doch in Urlaub zu fahren. 
Nicht gerade eine Entscheidungshilfe sind meine Gespräche mit Dr. Santana, dem behandelnden Art in Bad Wildungen. Zum einen soll ich unterschreiben, dass mein Vater sich erneut einer Schädeltomographie unterziehen muss. Zum anderen informiert er mich noch vor Weihnachten darüber, dass mein Vater aus dem Zimmer genommen wurde, weil er den anderen Patienten zu sehr gestört hat, zum anderen fordert er mich auf, zu sagen, was ich in einer lebensbedrohlichen Situation tun würde. Wegen des Verdachts auf einen Hirntumor habe er wahrscheinlich nicht mehr lange zu leben. Der Schädeldruck sei angestiegen, was ein Indiz sei. Auf Nachfrage erwidert Dr. Santana, wir reden über Monate. Wahrscheinlich würde es Vater sehr oft schlecht gehen und er müsse im Ernstfall künstlich beatmet werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Vater das will.
Ich finde die Diskussion über ihn am Telefon widerlich. Meine Vorstellung, noch einige Zeit mit Vater gewonnen zu haben, zerrinnt mir.
Ich habe einen Umschlag mit dem Namen meines Vaters angelegt und die Kaufbelege für seine Sachen da hinein getan. Dr. Santana ist, wie ich finde, wirklich ein passender Name für einen Arzt in einem nordhessischen Kurort. Der Name beruhigt und macht mich gleichzeitig misstrauisch. Dr. Santana ist an den Feiertagen nicht in Dienst. Ein Oberarzt ruft mich an. Wir sind im Urlaub und haben den Heiligabend Weihnachtslieder brummelnd im Kreise der Hotelgäste überstanden. Mein Handy ist aber immer an. Vater sei nicht mehr zu halten, er dränge sehr auf seine Wohnung. Ich versuche mir vorzustellen, wie der schwache, nörgelige Mann gehalten werden muß. Ich solle zu einem persönlichen Gespräch nach Bad Wildungen kommen. Als ich sage, dass ich in Urlaub bin, erwidert er, dass er das nicht weiß. Wir hatten es in der Klinik und auch Dr. Santana gesagt. Prinzipiell warte ich auf ein persönliches Gespräch mit seinen Ärzten schon lange, ich sichere ihm also zu, am nächsten Tag anzurufen. Der Herr Oberarzt möchte meinen Vater in eine psychiatrische Klinik einweisen lassen, da er so nicht therapierbar ist. Am nächsten Morgen spreche ich mit der Chefärztin, die mir einen weiteren schönen Urlaub wünscht und meint, ich hätte da was falsch verstanden. Mein Vater solle nach Kassel überwiesen werden, weil man dort die Untersuchung bzw. weitere Behandlung in Sachen Hirntumor machen wolle. Am 28.12. solle die Verlegung erfolgen. Ich bin einstweilen froh und wir lassen uns im Speisezimmer unserer Pension noch ein bisschen von einem jecken sturen Rheinländer im Trachtenlook anglotzen. Die Verhaltensweisen der Menschen ändern sich ja nicht, nur weil es einem selbst nicht gut geht. Der Mann ist ungefähr so alt wie mein Vater. Um wie viel weniger unverschämt ist mein Vater, denke ich bei mir. Der hat nie Ansprüche ans Leben gestellt, war eher mit zu wenig zufrieden.

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