Nicht gerade eine
Entscheidungshilfe sind meine Gespräche mit Dr. Santana, dem behandelnden Art
in Bad Wildungen. Zum einen soll ich unterschreiben, dass mein Vater sich
erneut einer Schädeltomographie unterziehen muss. Zum anderen informiert er mich
noch vor Weihnachten darüber, dass mein Vater aus dem Zimmer genommen wurde,
weil er den anderen Patienten zu sehr gestört hat, zum anderen fordert er mich
auf, zu sagen, was ich in einer lebensbedrohlichen Situation tun würde. Wegen
des Verdachts auf einen Hirntumor habe er wahrscheinlich nicht mehr lange zu
leben. Der Schädeldruck sei angestiegen, was ein Indiz sei. Auf Nachfrage
erwidert Dr. Santana, wir reden über Monate. Wahrscheinlich würde es Vater sehr
oft schlecht gehen und er müsse im Ernstfall künstlich beatmet werden. Ich kann
mir nicht vorstellen, dass Vater das will.
Ich finde die Diskussion
über ihn am Telefon widerlich. Meine Vorstellung, noch einige Zeit mit Vater gewonnen zu haben, zerrinnt mir.
Ich habe einen Umschlag mit dem Namen meines Vaters angelegt und die Kaufbelege für seine Sachen da hinein getan. Dr. Santana ist,
wie ich finde, wirklich ein passender Name für einen Arzt in einem
nordhessischen Kurort.
Der Name beruhigt und macht mich gleichzeitig misstrauisch. Dr. Santana ist an
den Feiertagen nicht in Dienst. Ein Oberarzt ruft mich an. Wir sind im Urlaub
und haben den Heiligabend Weihnachtslieder brummelnd im Kreise der Hotelgäste
überstanden. Mein Handy ist aber immer an. Vater sei nicht mehr zu halten, er
dränge sehr auf seine Wohnung. Ich versuche mir vorzustellen, wie der schwache,
nörgelige Mann gehalten werden muß. Ich solle zu einem persönlichen Gespräch
nach Bad Wildungen kommen. Als ich sage, dass ich in Urlaub bin, erwidert er,
dass er das nicht weiß. Wir hatten es in der Klinik und auch Dr. Santana
gesagt. Prinzipiell warte ich auf ein persönliches Gespräch mit seinen Ärzten
schon lange, ich sichere ihm also zu, am nächsten Tag anzurufen. Der Herr
Oberarzt möchte meinen Vater in eine psychiatrische Klinik einweisen lassen, da er so
nicht therapierbar ist. Am nächsten Morgen spreche ich mit der Chefärztin, die
mir einen weiteren schönen Urlaub wünscht und meint, ich hätte da was falsch
verstanden. Mein Vater solle nach Kassel überwiesen werden, weil man dort die
Untersuchung bzw. weitere Behandlung in Sachen Hirntumor machen wolle. Am
28.12. solle die Verlegung erfolgen. Ich bin einstweilen froh und wir lassen
uns im Speisezimmer unserer Pension noch ein bisschen von einem jecken sturen
Rheinländer im Trachtenlook anglotzen. Die Verhaltensweisen der Menschen ändern
sich ja nicht, nur weil es einem selbst nicht gut geht. Der Mann ist ungefähr
so alt wie mein Vater. Um wie viel weniger unverschämt ist mein Vater, denke
ich bei mir. Der hat nie Ansprüche ans Leben gestellt, war eher mit zu wenig
zufrieden.
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