Dienstag, 25. September 2012

Gold VIII

Ich will diese Burg erreichen und sehen, wo die "Straße" endet. Noch immer bin ich im Anstieg, komme mir vor wie der Protagonist aus "Soweit die Füße tragen". Die Büsche, die ich sehe, sind nicht organischen Ursprungs. Die Burg hat einen kleinen Laden, vielleicht gibt es dort Lebensmittel "en miniature". Der Brunnen vor dem Bahnhof enthielt ja kein Wasser, ich habe langsam Durst. Die Züge fahren nun wieder auf ihren zwei Runden. Sie durchqueren den Hügel auf dem die Burg steht, verschwinden im Tunnel und tauchen wieder auf. Eine Dampflok ohne Dampf. Über dem Tunnelausgang gibt es kein Geländer. 
Meine Mutter lachte nur, sie nahm gar nicht wahr, wie sehr mich diese Eisenbahn bewegte. Wie ich vor Anspannung zappelte, ja die Begeisterung in Krampf über ging. Der Mensch ist wichtig, mahnte mich mein Vater einmal. Ich konnte mich stets in der Sache verlieren. 
Meinen Eltern war nichts so wichtig. Weder Obstbäume mit Garten noch ein Haus mit Veranda. Sie wohnten lieber sozial. Die Wohnung meiner Eltern sah so aus, wie sie einmal eingerichtet worden war. Außer einer neuen Tapete, die ab und zu akkurat tapeziert wurde, waren Veränderungen tabu. Keine neuen Bilder, keine neuen Möbel. Später auch keine neues Auto mehr und keine Reisen irgend wohin. Das Leben platt wie eine Eisenbahnplatte. 
Jeden Morgen ertönt eine Stimme aus dem Lautsprecher: der IC nach Stralsund fährt von Gleis ... ab. Es gelingt mir nicht, mich so schnell zu entfernen, dass ich das nicht mehr hören muss. Gern würde ich in einen der bereit gestellten Züge steigen. Stattdessen muss ich in Hausfluren herum laufen, die nach Vergänglichkeit riechen und dennoch so unvermeidbar sind. Gerade noch sehe ich das Kraftwerk mit seinen blauen Lichtern vor dem orangefarbenen Himmel, schon bin ich im schwarzweißgrauen Linoleumtal.
Er spricht sehr schlecht, kann sich jedoch, zumindest nach rechts bewegen. Er greift selbständig, auch wenn er damit etwas Mühe hat. Seine Finger und Hände sind mit blauen Flecken übersät. Er wollte weg, aber es ging nicht mehr, das Einzige, was ihm blieb, war eine Sanitäterin, der er sagte, er wolle in das Stadtkrankenhaus. Wir machen das schon, sagte sie. Die war nett. Die Passanten, das Auto, so hatte er sich das nicht vorgestellt. Ich spreche mit ihm darüber, dass ich nun in die Wohnung gehe, um ein paar Sachen zu holen, versuche zu klären, was gebraucht wird.
Die Sucherei nach dem Schlüssel der Wohnung geht los. Ich frage den Pfleger, ob ich überhaupt in die Wohnung darf. Na sicher, sagt der, Sie sind doch der Sohn. Der Schlüssel soll bei der Nachbarin sein, ist es aber nicht. Die Sanitäter haben ihn an sich genommen und wir finden ihn in einem blauen Müllsack zusammen mit der Kleidung, die er an dem Tag an hatte. Auch sein Portemonnaie ist da zusammen mit der Krankenversicherungskarte. Wir fahren wieder in die Wohnung zurück, schaffen es aber nicht mehr ins Krankenhaus, es wird dunkel. Wir stellen schnell fest, Vater ist nicht für einen Krankenhausaufenthalt gerüstet. Wir werden was kaufen müssen.

Auf seinem Kleiderschrank liegt ein schwarzer Koffer. Ich wage es nicht, den auf zu machen.

Ich soll seine schwarze Lederjacke mit bringen und die graue Hose. Als wolle er sich fein machen für den letzten Ausgang. Weiß er nicht, dass das nichts mehr wird?
Die Sonne scheint, sagt er, das Wetter ist gut. Eine Tür schließt sich. 

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