Donnerstag, 26. Juli 2012

2005 - I

Ich werd' verrückt und zieh' aufs Land!

Da streifte ich nun im Sommer nach den ersten Tagen unseres Einzugs in der Kätcheslachmulde herum, um den neuen Wohnort zu erkunden.
Betonierte Feldwege und Felder, wohin das Auge blickt. Diese Kombination kannte ich nicht so aus meiner Heimat. Uns war es als jungem Paar gelungen (brav erkämpft nach Vorlage der Verdienstbescheinigung), eine Mietwohnung in Frankfurt zu finden, aber im Grunde lebten wir weiterhin in einem Dorf.. Vor einem Einzug hätte ich nicht geglaubt, dass es zu Frankfurt gehört: Kalbach. Der historische Name ist Kahlbach und so würde ich den Namen aussprechen, die Einheimischen entscheiden sich aber das a kurz auszusprechen. Hier hatte ich mich auf dem Weg zur Arbeit schon einmal restlos verfahren. Am Weißkirchener Berg drehte ich entnervt um, der Ort schien kein Ende zu nehmen und war es für mich gleichzeitig.
Nun hatten wir also die Wohnung, sie war mit einem dicken gelben Teppichboden und ebenso gelber Rauhfaser ausgestattet und wir änderten das nur zum Teil um bei unserem Einzug.
Wir konnten nun nach kurzer Fahrt direkt eine U-Bahn erreichen und waren darüber sehr erleichtert. Die Lage der Wohnung erschien mir geradezu idyllisch. Man fuhr direkt auf einem freien asphaltierten Platz vor, hatte einen kurzen Weg zu dem am Feldrand gelegenen Haus.
Schon der Straßenname kündete von der Feldnähe: Am Hasensprung. Und im Sommer sprangen dort teilweise auch tatsächlich ab und zu die Hasen. Das war zwar auf einer reinen Anliegerstraße nicht so gefährlich, stürzte den verirrten Meister Lampe aber doch in heller Aufruhr. Auch die Hasen hatten sich verlaufen.
Vom Balkon aus blickten wir nun direkt zum Riedberg und dahinter lugte direkt der Fernsehturm hervor. Als einziges Zeichen der Stadt, die sich ansonsten hinter dem Hügel versteckte.
In der Kätcheslachmulde war die Trauerweide der einzige größere Baum, abgesehen ein paar auf der Anhöhe Richtung Kalbach stehenden Apfelbäumen. Unter dem Baum stand eine Bank.
Eine Zuflucht, so schien es mir, denn ich mochte das freie Feld nicht besonders. Nur wenn das Getreide hoch stand, fand ich das erträglich, aber der Wald fehlt nun einmal. So pfeift der Wind beständig über die Felder, die Jahre vergehen. Ein kleiner Tannenbaum vor dem Haus wird größer und spendet Schutz vor Wind und Sonne, bietet Vögeln Unterschlupf.
Die Kätcheslachmulde soll wichtig sein für den Luftaustausch vom Taunus zur Innnenstadt.
Da wird wohl nicht gebaut werden.
Und doch ändert sich so einiges. Die amerikanischen Hubschrauber, die im Sommer manchmal stundenlang mit laufenden Rotoren auf dem nahe gelegenen Flugplatz stehen, ziehen ab. Tapeten und Fenster werden nicht mehr so schnell schwarz. Ein paar Bäume werden auf dem Hügel gegenüber angepflanzt, ein Vogelschutzgehölz. Aber die Stadt kommt näher. Autobahnen werden voller, weil es eine neue Ostumgehung für Frankfurt gibt. Aus der A 661 wird nun eine Umgehungsstrecke und Abkürzung für die Fahrt vom Offenbacher Kreuz zum Bad Homburger Kreuz. Auch gibt es neue Umgehungsstraßen; der Bürgersteig in Kalbachs Mitte wird sicherer. Der Platz vor dem Haus ist längst belegt. Container der Kalbacher Schule stehen dort. Sicher nur vorübergehend, irgendwo müssen die kleinen Würmer ja hin. Die Stadt wächst von Heddernheim hinaus, Boden wird jahrelang entgiftet, das neue Mertonviertel entsteht. Dann künden große Schilder von der Riedbergstadt. Bis wohin soll sie gehen? Man nimmt es nicht ernst. Das wird alles dauern. Der Ökodoktor vom Nachbarhaus klebt sich ein Schild der Bürgerinitiative auf das Auto. Der Riedberg soll Spazierberg bleiben, so wollen es die meisten Kalbacher. Aber die Bauern werden zwangsenteignet, die Stadt macht ein Geschäft, ersteht das Land relativ billig und auch der Investor bekommt seinen Teil. Vom bezahlbaren Wohnraum nicht eine Spur. Kalbach wächst, neue Baugebiete, eines vor der Haustür. Der Hasensprung wird zur Durchgangsstraße. Wer rückwärts aus der Garage fährt, muss warten. Das erwarten die neuen Anwohner, Tempo 30 ist hier kein Thema.
Bei all dem ist Kalbach ruhig geblieben. Weder gibt es hier mehr Lokale, noch Einkaufsmöglichkeiten, die Busse sind kleiner als früher. Nur der Lärmpegel steigt.



Die Kätcheslachmulde wird zum Kätcheslachpark, die Trauerweide hat man im Zuge der Bauarbeiten einfach gefällt. Nun entbrennt die Debatte um eine Silberweide, die neu gepflanzt werden soll. Aber nicht an alter Stelle, das wäre zu dicht am künstlich angelegten Teich.
Und noch ein Baum steht nicht mehr, der vor unserem Haus gefiel der Hausbesitzerin nicht mehr, eines abends erblickten wir nur noch den Stumpf. Der Wind weht nun sogar die Erde aus den Blumenkästen. Reißt den Sichtschutz seitlich weg vom Balkon. Und die Kalbacher breiten sich aus. Der Wintergarten im Nachbargarten schiebt sich unter unsere Fenster. Wir sind nicht mehr allein. Auf dem Riedberg gegenüber stehen Häuser und entstehen Straßen.
Auf den Feldwegen gibt es Begegnungen aller Kraftfahrzeugarten. Meine Feldrunden habe ich längst aufgegeben. Der Parkettboden wölbt sich nach über 20 Jahren unter unseren Füßen und zeigt den Mut zur Lücke.
Nun werde ich endgültig verrückt und ziehe aufs Land

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