Freitag, 6. Juli 2012

2003 - V


Die Vorstellung

Rasiermessersitz, 1. Reihe, wir sitzen in einem Lichtspielhaus. Die Stimmung im Saal ist angespannt amüsiert. Schließlich wird etwas geboten und das hat man zu würdigen.
Schwarzweißfilme flimmern von Streifen und Punkten durchzogen über die Leinwand.
Die ersten kalten Farbsequenzen sind stolz untergemischt. Ab der dritten Reihe sitzen hinter uns Soldaten in grauen Ausgehuniformen. Die sind etwas besonderes, scheinen die einzig freien Menschen im Saal zu sein. Ihre Begeisterung scheint mir aufrichtiger und gleichzeitig will ich mich richtig verhalten, weil es ja jemand sehen könnte, wenn es mich nicht interessiert.
Von großen Plänen ist die Rede, es scheint so eine Art Wochenschau am Anfang zu sein. Ein freies Feld wird gezeigt mit dem Blick zum Horizont. Hier soll einmal das Nordwestzentrum entstehen, so tönt es laut. Da vermischen sich die Ereignisse, scherenschnittartig werden zwei Profile von Politikern eingeblendet. Der Kommentator nennt die Namen: Lafontaine und Schröder heißen diese beiden Figuren. Der Sprecher überschlägt sich, denen sähe man es an der Nase an, wer sie seien. Die Nasen schieben sich noch ein bisschen weiter vor. Ich überlegte, wieso hier aktuelle Politiker gemeint sein können.
Der Sprecher bekommt spontanen Applaus für seinen Kommentar.
Die Vorstellung ist zu Ende. Wir verlassen den Saal. Gehen durch lange Gänge an Ausstellungstücken vorbei, die den Blick auf schneebedeckte Gipfel versperren. Meine Frau möchte so gern die Zugspitze sehen, Deutschlands höchsten Berg. Ich suche die Bergformationen ab, sage noch, kennst Du denn die Zugspitze nicht? Der Gang hat kleine Nebenräume. Aus einem Raum höre ich, wie einem Mann erklärt wird, das er diese oder jene Rechte nicht hat, weil er eben kein Volksgenosse ist. Wenn er einer wäre, könnte er natürlich dieses oder jenes bekommen. In mein Erstaunen, wie leicht es doch ist, zu sagen, das ein Mensch unter anderen steht, mischt sich neues Unbehagen. Das Gespräch hörte sich bestimmt aber freundlich an. Es gab keinen Streit oder schlechte Stimmung. Es ist, wie wenn einem Vertragsbedingungen für einen Vertrag, den man nie unterschrieben hat, erklärt werden. Pech gehabt, das es diesen Vertrag doch gibt.
Endlich sehe ich die Zugspitze allein da stehen. Fast, so scheint es mir so, als ließe sie die Schulter nach rechts hängen. Ich zeige sie meiner Frau. Ich bemerke, dass ich nur einen Kulturbeutel bei mir und diesen unter dem Arm festgeklemmt habe und sage zu ihr: ich glaube, so richtig wohl fühle ich mich erst, wenn wir wieder in unserer Zeit sind.

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