Dienstag, 19. Juni 2012

2002 - V

Salz

Die Menschen schienen zu sein, irgendwie. Ab und zu bildeten sich Löcher im Salzsee, verschiedentlich standen sie zu Säulen erstarrt mit Gesichtern aus Salz, die Ausdrücke der Gesichter festgehalten für die Ewigkeit. Der Boden bildete eine trügerische Oberfläche, über dem die Scheinbilder schwebten, umso mehr die Luft in der Sonne flimmerte. Er sah eine Sanddüne und beim Versuch, diese zu besteigen, rieselten die feinen Körner herunter, rutschten in Schüben und nahmen ihm den Schwung.
Das Meer sehen, einmal nur, diese blaue, glitzernde Fläche, die zuvor alles bedeckte, das war ein Ziel. Er ruhte in einer Sänfte, zwischen ihm und der Außenwelt schien ein Hohlraum zu sein. So unendlich schwer, wie das Besteigen dieser Düne, war es, in der Lebendigkeit zu baden. Die Sehnsucht trieb ihn weiter und er wusste, sie sind alle da. Die Seelen der Verstorbenen, unverändert, als hätten sie lediglich ihre leidige irdische Existenz abgestreift und ihren Charakter behalten. Ein schwarzer Mund bildete sich und eine Stimme sprach. Er hörte, bevor es dazu kam und fühlte die Erleichterung. Aber auf der Spitze der Düne zu stehen, erfüllte ihn mit Angst.
Wenn ich einmal sterbe, so begann fast jedes Mal ein Satz dieses alten Mannes und er zitterte dabei. Warum dachte der Alte ständig an sein Ableben? Sobald er allein blieb in seinem Appartment, würden ihn die Gedanken überwältigen, sie warteten, bis der Besuch gegangen, aber sie kamen wieder. Durchbrach er zeitweise die Mauer um den alten Mann durch seine Anwesenheit? Auf dem Tisch liegt braunes Papier mit Soldatenkopfaufdruck. Ein kantiges Wehrmachtsgesicht unter dem charakteristischem deutschen Stahlhelm mit eisernem Blick. El Alamein oder Frankreich, keiner bekam das Ende des Krieges mit. Landserdasein: vom Arsch die Brüh' statt Frommage de Brie.
Die Tür war versiegelt, der alte Mann am Grab der Mutter gefunden worden. Das Appartment leer geräumt, die Lampe fällt auf den Kopf, auf dem Tisch liegt die letzte Postkarte von ihm und er nimmt sie schweigend an sich.
Eine Einsamkeit mit Ende, am Strand sieht er mehrere Frauen, die auf Scheiben zielen und treffen. Der Bogen gespannt, schwingt er den Pfeilen hinterher. Eine große Welle läuft auf den Platz zu. Doch nur ein Ausläufer erreicht die Scheibe und versickert dort im Sand. Die Situation wiederholt sich.

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