Dienstag, 15. Mai 2012

2000 - XXIII

10 vor acht oder halb sieben

Die Hündin sitzt nachts vor dem Haus und betrachtet das Panorama des Dachsteins. Ein Mensch kommt zum Hinterausgang heraus mit Tüten in der Hand. Sie begrüßt ihn und schnüffelt interessiert an dem, was er da im Schnee hinterläßt: schmutzige Wäsche und Schuhe. Der Schnee liegt gut 15 cm hoch auf dem Autodach und der Mensch schaufelt es frei um halb sieben. Er muß immer wieder den Deckel des Kofferraums öffnen und neu packen, eine Gelegenheit für immer neue Einblicke. Will er sie ins Haus lassen? Nein, er benutzt wieder der Hintereingang. Er wird frühstücken und dabei überlegen, welcher Weg der beste sein wird. Der verschneite Umweg oder eine halb vereiste Kehrenstraße, die den direkten Weg zur Heimat verspricht.
Nahezu alles im Auto ist verschneit oder naß, schon am Vorabend hatte es geschneit. Was macht es schon, die Räder werden knirschend über die dichte Schneedecke hinweg rollen. Er wird dahin kommen, wo er hin will, vorher noch tanken. Die Wirtin des Hofs und er verabschieden sich mit festem und herzlichem Händedruck.
Die Angst besiegen, das ist es, was zählt. Dunkle Stunden ertragen, ohne zu verzagen. Hoffen auf das Licht am Ende des Tunnels. Besser, das Licht in Erinnerung zu behalten, als die dunkle Felswand. Er sagt sich einmal na, na, als er die Kurven fährt. Es ist keiner da, ihm zuzuhören. Da ist diese innere Kraft, die ihn hypnotisiert auf seinem Sitz. Möge die Kraft mit Dir sein, nicht die Macht, denn sie ist es nicht. Die Hündin winselt die letzten Schritte zum Auto mit. Sie wird auch heute nacht wieder das Dachsteinmassiv betrachten, was denkt sie bloß dabei? Aus dem kleinen Funke wird eine große Flamme: die Heimat. Gewohnte Umgebung und Diktion, doch was treibt ihn fort? Heimat ist überall, wo Menschen sind, die sich dem Leben stellen. Wird er wieder kommen und Silvester feiern? Was macht es schon, die Welt ist groß und schön.
Ein letztes Mal streichelt er die Hündin über den Kopf und nimmt so nebenbei den Abschied. Er wird ankommen mit dem gewissen Gefühl, auch wenn er nicht weiß, wo. Er mag das Kind nicht beim Namen benennen. Aber dieser Tag war ein Geschenk und ein kleines Dankeschön. Sollte es nur eine Hündin sein, die sich an ihn erinnerte, es wäre schon alles wert. This is my Thanksgiving Day.

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